Neulich habe ich ja ein bisschen was über SUSY, die Supersymmetrie geschrieben. Um die Frage, was genau an der SUSY so “symmetrisch” ist, habe ich mich einigermaßen geschickt gedrückt. Was haben Elementarteilchen überhaupt mit Symmetrien zu tun? Das will ich hier ein bisschen erklären.
Was ist Symmetrie?
Symmetrie ist ja zunächst mal ein Alltagsbegriff. Viele Dinge sind zum Beispiel
spiegelsymmetrisch, sie sehen also im Spiegel genauso aus wie in
Wirklichkeit. Manche sind fast spiegelsymmetrisch (zum Beispiel Autos
oder Gesichter – wenn man genau hinguckt, dann sieht man, dass die
linke und rechte Seite nicht gleich sind.). Ein Würfel ist nicht nur
spiegelsymmetrisch, sondern auch rotationssymmetrisch: Wenn ich ihn
auf den Tisch lege und um 90 Grad drehe, sieht er genauso aus wie
vorher (das gilt natürlich nicht mehr für einen Würfel mit Zahlen auf
den sechs Seiten, sondern nur für einen unbemalten Würfel). Eine Kugel
ist sogar symmetrisch gegen beliebige Drehungen – sie sieht von allen
Seiten gleich aus.
Daraus kann man jetzt (mit hinreichend viel gutem Willen zu
Abstraktion) folgende Definition ableiten: Ein Objekt ist symmetrisch,
wenn ich etwas damit machen kann, ohne dass es sich dabei
verändert. Das Objekt ist dann symmetrisch bezüglich dieser
Operation. Also eben spiegelsymmetrisch, wenn es sich beim Spiegeln
nicht ändert, rotationssymmetrisch, wenn es sich beim rotieren nicht
ändert, und supersymmetrisch, wenn es sich beim supern nicht
ändert. Äh – nein; vergesst das letzte.
Statt von einer Symmetrie spricht man oft auch von einer “Invarianz” – also einer “Unveränderlichkeit”. Die Kugel ist beispielsweise “rotationsinvariant”.
Symmetrien (oder Invarianzen) faszinieren die Physikerinnen schon lange. Beispielsweise sind die Naturgesetze (nach allem was wir wissen) ortsinvariant (man sagt auch “translationsinvariant”): Es ist egal, ob ich ein Experiment hier in Braunschweig oder in Neuseeland mache (solange ich dafür sorge, dass alle sonstigen Bedingungen gleich sind). Sie sind auch zeitinvariant – die Ergebnisse sind heute dieselben wie gestern und morgen. Nirgends zeigt sich das eindrucksvoller als an Sternspektren: Ein Stern in der Andromedagalaxis hat dieselben Spektrallinien wie unsere Sonne, obwohl das Licht in einer Entfernung von etwa 2 Millionen Lichtjahren und damit auch vor 2 Millionen Jahren ausgesandt wurde.
Emmy Noether fand Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, dass solche Invarianzen immer bedeuten, dass es Erhaltungsgrößen gibt: die Translationsinvarianz ist gleichbedeutend mit der Impulserhaltung, die zeitliche Invarianz mit der Energieerhaltung. (Darüber sollte ich auch mal was schreiben…) Eigentlich soll das hier aber nur deutlich machen, warum Physikerinnen von Symmetrien fasziniert sind.
Die Quantenpfeiltheorie
Und was haben nun Symmetrien mit Elementarteilchen zu tun? Mathematisch beschreibt man Elementarteilchen mit Hilfe der Quantenfeldtheorie – aber da man dazu ne Menge fieser Mathematik braucht (die ich auch nicht aus dem Ärmel schüttle), betrachten wir hier eine etwas einfachere Variante, die Quantenpfeiltheorie.
Stellt euch eine Kreisscheibe aus Pappe vor, auf die ihr einen Pfeil malt:
Der Pfeil steht hier für eine bestimmte physikalische Größe, aber welche das ist braucht uns hier erstmal nicht zu kümmern.
Als nächstes malen wir mehrere solche Scheiben nebeneinander, das sieht dann so aus:
Gezeichnet in der neuartigen Hier-Wohnen-Drachen-Print-Scribble-Scan-Technik (patent pending)
Pfeile auf benachbarten Scheiben können genau in dieselbe Richtung zeigen, oder voneinander abweichen. Wir nehmen an, dass die physikalischen Gleichungen, die unsere Pfeiltheorie beschreiben, nur davon abhängen, wie sich benachbarte Pfeile unterscheiden. Beispielsweise unterscheiden sich der erste und der zweite Pfeil oben um etwa 30°, der zweite und dritte um etwa 180°. Wohin ein einzelner Pfeil zeigt, ist also egal – wichtig sind nur Unterschiede.
Wenn die Physik nur vom Unterschied zwischen benachbarten Pfeilen abhängt, dann macht es offensichtlich nichts, wenn ich alle Pfeile um denselben Betrag drehe – die Physik bleibt gleich:
Damit haben wir eine Symmetrie. Man nennt sie eine globale Symmetrie, weil wir eben alle Pfeile gemeinsam (“global”) drehen müssen. Man nennt sie auch eine “Eichsymmetrie”. Das hat nichts mit Bäumen zu tun (oder sehr indirekt doch), sondern mit dem Eichen eines Messgeräts. Alle Pfeile um den gleichen Betrag zu drehen ist ja mathematisch dasselbe, wie unser Koordinatensystem zu drehen – wo in meinem Bild “oben” ist, kann ich ja frei festlegen. Insgesamt hat unsere Pfeiltheorie also eine “globale Eichsymmetrie”. (Und wenn ihr bei Gelegenheit jemanden beeindrucken wollt, dann könnt ihr ja erzählen, ihr habt gerade einen Blogartikel über globale Eichsymmetrie in der Elementarteilchenphysik gelesen – klingt doch ziemlich abgefahren, oder?)
Jetzt drehen wir (ausgehend vom ersten Bild) nur einen der Pfeile, die anderen nicht. Offensichtlich hat sich jetzt die Physik geändert, denn wenn ich jetzt zwei benachbarte Pfeile vergleiche, ist das Bild eben anders als vorher:
Ich könnte (und sollte) auch mehrere Pfeile gleichzeitig drehen, aber das macht die Sache unübersichtlich.
Lokale Eichsymmetrie
Und jetzt machen wir etwas ganz Abstruses: Wir fordern, dass sich die Physik beim lokalen Drehen der Pfeile eben nicht ändern soll. Wie soll das denn gehen? Und warum soll man so einen Quatsch machen? Dann ist die Physik der Pfeile ja völlig beliebig. Was soll das?
Über das “Warum” machen wir uns gleich Gedanken, erstmal klären wir das “Wie”: Wir führen etwas Neues in unser System ein, nämlich Gummibänder. Wir verbinden benachbarte Scheiben mit schönen breiten Gummibändern wie aus einem Einmachglas, die wir gut an die Scheibe festkleben. Wenn wir von einer Scheibe zur nächsten gehen, dann folgen wir dem Gummiband. Wenn ich jetzt einen der Pfeile drehe, dann verdrehe ich das Gummiband mit. Deshalb kommt wieder dasselbe heraus, wenn ich benachbarte Pfeile miteinander vergleiche:
Das Gummiband gibt also an, um wieviel ich mich mitdrehen soll, wenn ich zwei benachbarte Pfeile vergleiche.
Wir können jetzt also auch einzelne Scheiben verdrehen, und die Gummibänder sorgen dafür, dass sich die Physik trotzdem nicht ändert. Weil wir jeden Pfeil anders drehen können, ohne das etwas passiert, haben wir jetzt eine “lokale Eichsymmetrie”. Die Gummibänder bekommen auch einen passenden Namen, nämlich “Eichfelder”.
Um die Sache noch etwas netter zu machen, spielen wir das gleiche Spiel noch einmal in zwei Dimensionen, das sieht dann etwa so aus (ich geb’s zu, perspektivisches zeichnen ist nicht so mein Ding):
Auch hier verdrillen sich die Gummibänder, wenn ich eine der Scheiben drehe, nur jetzt in etwas komplizierterer Weise. Die echte Physik spielt sich natürlich in drei Raum- und einer Zeitdimension ab, aber das zeichne ich nicht hin…
Wahrscheinlich denkt ihr immer noch “Was soll der Blödsinn?” oder “Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?” Bisher habe ich nur viel mathematischen (bzw. grafischen) Wirbel gemacht, unser einfaches Pfeilmodell vom Anfang verkompliziert, ohne irgendetwas zu gewinnen – die Physik hat sich ja nicht geändert. Mathematisch mag das ja ganz elegant sein, wenn man lokal an jedem Punkt seine Eichung für die Pfeile wählen kann, wie man will, (und in der Tat ist die zugrunde liegende mathematische Theorie der Faserbündel ziemlich elegant und bei den mathematischen Physikerinnen total angesagt), aber was hat das mit Physik zu tun? Diese “Eichfelder” sind doch nur ein komplizierter mathematischer Trick, nicht mehr.
Die Eichfelder werden real
Tja, und jetzt benehmen wir uns mal wie echte Physikerinnen, nicht wie diese pingeligen Leute von der Mathematikfraktion, die immer für alles Beweise brauchen. In der Physik gibt es keine echten Beweise (allenfalls Ableitungen innerhalb von Theorien, die aber eben nur so gut sind wie die Theorien selbst), hier braucht man Intuition und Mut, und eine Spur Verrücktheit hat auch noch nie geschadet. Also: Ich erkläre hiermit die Eichfelder für reale Objekte, die sich auch unabhängig von einer Eichung ändern können.
Wenn das so wäre, was würde daraus folgern? Bisher war es ja so, dass wir unsere verdrillten Gummibänder immer “entdrillen” konnten, wenn wir nur die Pfeile wieder richtig hindrehen. Wenn aber die Gummibänder (alias Eichfelder) reale physikalische Objekte sind, dann sind plötzlich auch solche Anordnungen möglich wie diese hier:
Ich habe dazu das Gummiband von der Scheibe gelöst, verdreht, und dann wieder angeklebt. Wenn ich auf dem Gummi vom linken Pfeil zum mittleren gehe, dann ist der mittlere gegen den linken nur so etwa um 45° gedreht. Weil ich das linke Gummi verdreht habe, das rechte aber nicht, liegen die beiden nicht mehr genau gegenüber auf der mittleren Scheibe – das eine geht so etwas von 1:30 Uhr nach 7:30Uhr, das andere von 12:00Uhr nach 6:00Uhr. Wenn ihr von der linken Scheibe über die mittlere zur rechten geht, um den Pfeil links mit dem Pfeil rechts zu vergleichen, dann dreht ihr den Pfeil erst (auf dem ersten Gummiband) um etwa 45 Grad, auf dem zweiten dann gar nicht mehr – um die Unstetigkeit der Gummis genau an der Scheibe kümmert ihr euch nicht.
Hier könnt ihr drehen, wie ihr wollt, die Verdrillung verschwindet nicht. Ihr könnt zwar das linke Gummi geradedrehen, dafür verdrillt sich dann das rechte Gummi. (In zwei Dimensionen wird das noch komplizierter, ähnlich wie oben.) Das Eichfeld hat jetzt eine Existenz unabhängig von der Richtung der Pfeile bekommen. Ich kann immer noch Scheiben und damit die Gummis verdrehen (“lokal die Eichung ändern”), aber egal wie ich das anstelle, die Verdrillung bleibt.
Und diese Verdrillung hat interessante Konsequenzen. Wenn ihr zum Beispiel bei einem Pfeil losmarschiert und den Wert dieses Pfeils mit einem vergleicht, der im Nordosten, liegt, dann hängt das Ergebnis vom Weg ab, den ihr geht – im einen Fall scheinen die beiden Pfeile in dieselbe Richtung zu zeigen, im anderen nicht (In rot eingezeichnet, wie sich der Pfeil auf dem einen Pfad dreht, in blau der “unverdrillte” Weg, ich hoffe, ihr könnt das Gekritzel deuten – das erste Gummi soll um etwa 45° in der einen Richtung verdrillt sein, das zweite um etwa 90° in die andere Richtung):
Laufe ich einmal im Quadrat zu meinem Ausgangspunkt zurück, dann ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der Orientierung, mit der ich losgelaufen bin und der mit der ich ankomme.
Man kann also jetzt zwei Arten von Verdrillungen unterscheiden: Eine bloße Änderung der Eichung bedeutet, dass ich eine Scheibe irgendwie drehe, dabei drehen sich die dranhängenden Gummibänder alle so, dass ich keinen Unterschied bemerke. Löse ich dagegen ein Gummiband von seiner Scheibe, verdrille es, und klebe es wieder fest, dann merke ich das, wenn ich zum Beispiel ein Quadrat abgehe.
(Aufmerksame Hier-wohnen-Drachen-Leserinnen fühlen sich jetzt vielleicht an den Paralleltransport aus der Relativitätstheorie erinnert. Zu recht – die Mathematik dahinter ist nahezu identisch. Auch dort konnten wir “lokal umeichen” – nämlich unser Koordinatensystem frei wählen. Wer das – mathematisch anspruchsvoll – nachlesen will, greift am besten zum Buch von Penrose, aber auch der Misner,Thorne, Wheeler erklärt dazu einiges.)
Was sind denn nun diese Eichfelder?
Und wie wird aus dem ganzen Konstrukt hier nun echte Physik? Diese ganze Gummibandverdreherei ist ja vielleicht ganz hübsch, aber das Universum besteht ja nicht aus Einmachgummis und Pappscheiben.
Um echte Physik zu bekommen, müssen wir die Pfeile mit einer bestimmten quantenmechanischen Größe identifizieren. (Hinweis für die Expertinnen: Nämlich mit der Phase der Wellenfunktion des Elektrons oder eines anderen geladenen Teilchens.) Wenn wir annehmen, dass diese Größe lokal eichinvariant ist, dann müssen wir ein entsprechendes “Gummibandfeld” einführen. Aus den Gleichungen, die aus dieser Annahme resultieren, kann man Gleichungen für das “Gummibandfeld” ableiten.
Und jetzt kommt der Hammer: Diese Gleichungen sind genau die Gleichungen für die elektromagnetischen Potentiale, die man schon lange kennt. Die Gleichungen des Elektromagnetismus folgen also quasi direkt aus der Annahme der Eichinvarianz. Das ist schon elegant, oder?
Auch die Verdrillung, die sich ergibt, wenn ich ein Quadrat ablaufe, hat eine Entsprechung in einer bekannten Größe: Laufe ich ein Quadrat in der x-y-Ebene ab, einmal den einen Weg, einmal den anderen, so wie oben im Bild, und es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen dem roten und dem blauen Pfeil, dann entspricht das mathematisch genau einem Magnetfeld (und zwar einem in z-Richtung). Liegt das Quadrat in der x-z-Ebene, dann ist es ein Magnetfeld in y-Richtung. Und wenn ich das Quadrat so lege, dass zwei seiner Seiten in die Zeitrichtung (es gibt ja eine Raumzeit) zeigen, dann entspricht die Diskrepanz einem elektrischen Feld.
Also nochmal im Schnelldurchlauf, damit ihr seht, warum das so faszinierend ist: Nur aus der Forderung der lokalen Eichsymmetrie für eine bestimmte quantenmechanische Größe folgt nahezu von selbst die altvertraute Elektrodynamik (bzw. ihre quantenmechanische Entsprechung).
Das allein wäre ja schon ein Grund, die Idee einer Eichsymmetrie ziemlich cool zu finden. Aber das ist noch längst nicht alles.
Andere Eichtheorien
Zu den bekanntesten Elementarteilchen gehören ja neben den Elektronen auch die Neutrinos. Stellt euch wieder eine Anordnung von Pfeilen vor (das ist jetzt ein bisschen vereinfacht). Jetzt soll eine Position des Pfeils ein Elektron beschreiben, eine um 90° verdrehte ein Neutrino. Also zum Beispiel: Pfeil rauf: Elektron; Pfeil nach rechts: Neutrino. Durch Drehen des Pfeils könnte ich ein Elektron in ein Neutrino umwandeln. Das geht natürlich nicht einfach so (schon deswegen nicht, weil Elektronen eine elektrische Ladung haben, Neutrinos nicht), also muss wieder ein Eichfeld her, das alles kompensiert, was sich durch die Umwandlung des Elektrons in ein Neutrino ändert (eben beispielsweise die Ladung).
Dieses Elektronen-Umwandlungs-Eichfeld sollte man dann auch physikalisch messen können – es müsste sich als ein neues Elementarteilchen äußern. Und genau so ein Elementarteilchen gibt es, es ist das W-Boson, manchmal auch Eichboson genannt (und jetzt wisst ihr auch warum). Das gleiche W-Boson kann übrigens nicht nur Elektronen und Neutrinos ineinander umwandeln, sondern auch andere Teilchen, beispielsweise Quarks.
Ende der sechziger Jahre haben Weinberg, Glashow und Salam genau das getan, was ich hier gerade erklärt habe: sie haben angenommen, dass die Umwandlung von Elektronen in Neutrinos nach dem Eichprinzip möglich sein müsste und das ganze sauber durchgerechnet (was nicht ganz so leicht ist, wie man hier vielleicht denkt). Dafür gab es dann 1979 den Nobelpreis. Die Theorie heißt “elektroschwache” Theorie, weil man die Eichbosonen und das elektromagnetische Feld nur dann korrekt mathematisch beschreiben kann, wenn man sie gemeinsam behandelt, sie lassen sich nicht völlig voneinander trennen. Diese schmutzigen Details erspare ich mir (und euch…), die Theorie funktioniert nämlich eigentlich nur, wenn die neu hinzukommenden Eichteilchen masselos sind, was aber nicht stimmt. Deshalb musste man gleich noch das Higgs-Teilchen miterfinden, dass den anderen Teilchen ihre Masse gibt.
Ihr seht also, die Idee der “Eichsymmetrie” hat schon einen ziemlichen Charme – man nimmt an, dass man der Natur ein X für ein U vormachen kann und guckt dann, ob es das physikalische U-nach-X-Umwandelteilchen gibt. Bei der Phase ist das Teilchen das Photon, bei der Umwandlung von Elektronen in Neutrinos ist es das W-Boson. (Ein Z-Boson gibt es auch noch, das hatten Weinberg und Kollegen aus der Theorie gefolgert und es wurde auch 1983 gefunden.)
Und mit der Eichsymmetrie kann man noch mehr machen – ein ganz ähnlicher Mechanismus, wie wir ihn gerade genommen haben, um den Elektromagnetismus wiederzuentdecken, kann auch dazu dienen, die Anziehungskräfte zwischen den Quarks zu erklären. Dazu muss man mehr Richtungen für die Pfeile erlauben als bloß eine Drehung auf einer Scheibe. Am Ende ergibt sich die Theorie der Quantenchromodynamik. Die zugehörigen Eichbosonen heißen Gluonen (weil sie die Quarks “verkleben”).
Wir erfinden neue Theorien
Und jetzt stellt euch vor, ihr wärt Physiker oder Physikerin auf der Suche nach einer neuen, fundamentaleren Elementarteilchentheorie. Was schon dreimal (für den Elektromagnetismus, die schwache Kernkraft und die Gluonen) geklappt hat, klappt doch bestimmt noch einmal. Also: Was könnte man denn noch so alles ineinander umwandeln?
Vielleicht könnte man ja Elektronen oder Neutrinos auch in Quarks umwandeln? Das wäre doch auch hübsch symmetrisch, dann wären das nur unterschiedliche Varianten derselben Teilchen, so wie in der elektroschwachen Theorie Elektron und Neutrino quasi zwei Seiten derselben Medaille sind.
Herzlichen Glückwunsch, ihr habt gerade die Große Vereinheitlichte Theorie (GUT, grand unified theory) erfunden. O.k., ihr habt ein kleines Problem – wenn sich Quarks in Elektronen umwandeln können, warum tun sie das nicht dauernd? Protonen, die aus Quarks bestehen, sind ja glücklicherweise ziemlich stabil (sonst würde ich hier nicht sitzen) – warum zerfallen sie nicht? Ihr müsst die Parameter der Theorie so anpassen, dass sie mit den Beobachtungen zusammenpassen, aber das lässt sich machen. Es gibt sogar ziemlich viele Varianten dieser Theorien, die mit mathematischen Kürzeln für die jeweiligen Symmetrien, die man reinsteckt, versehen werden – SU(5), SO(10), E8. Je mehr Symmetrieoperationen man erfindet, desto “hübscher” ist das ganze mathematisch. Das zeigt zum Beispiel eine grafische Repräsentation der Gruppe E8 (von Wikipedia):
By Jgmoxness – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Hübsch, oder? -Allerdings erkauft man sich das mit ziemlich vielen neuen Elementarteilchen, die man postulieren muss, damit diese Symmetrie so funktioniert.
Ihr seht, mit der Idee der Eichsymmetrie lassen sich problemlos neue Ideen für Theorien erfinden. (Und nebenbei versteht ihr jetzt vielleicht auch besser, warum ich immer etwas spöttisch reagiere, wenn hier Leute mit ihren Lieblingsideen von rotierenden Raumzeit-Oszillationsblasen im Bewusstseinsäther oder ähnlichen Dingen ankommen – solche Ideen zu erfinden ist ein Kinderspiel. Die Kunst besteht darin, diese Ideen sauber und scharf mathematisch zu fassen und die Konsequenzen zu prüfen. Und deswegen haben die Leute, die mit neuen Theorien neue Effekte vorhersagen, die man dann auch findet, ihre Nobelpreise voll verdient, auch wenn man – im Nachhinein – vielleicht sagt “War doch einfach, die Idee.” Nur für ne hübsche Idee gibt’s aber in der Physik nur nen feuchten Händedruck – höchstens.)
Supersymmetrie
Zum Abschluss kommen wir zur Supersymmetrie. Ich mache es kurz, und zwar aus drei Gründen: Erstens ist dieser Eintrag eh schon viel zu lang, zweitens habe ich dazu neulich schon was geschrieben, und drittens (am wichtigsten) bin ich kein Experte für SUSY und habe davon nur sehr oberflächlich Ahnung.
Unsere Eichtheorien verwenden zwei anscheinend ganz unterschiedliche Arten von Teilchen – einmal die, die den Pfeilen in meinem Modell entsprechen und einmal die Gummibandteilchen. Mathematisch ist der Unterschied zwischen beiden Teilchenarten weniger deutlich als in meinem Modell oben, aber er ist trotzdem vorhanden. Die “Pfeilteilchen” gehören alle zur Gruppe der sogenannten Fermionen, die “Gummibandteilchen” sind Bosonen.
Auch in der Supersymmetrie nimmt man an, dass man der Natur ein X für ein U vormachen kann – konkret, dass man Elektronen, Quarks usw. in andere Teilchen umwandeln kann. Statt aber zum Beispiel ein Elektron in ein Teilchen umzuwandeln, das man schon kennt, postuliert man ein neues Teilche, einen “Superpartner” für das Elektron (genannt “Selektron”). Jedes andere Teilchen (einschließlich der Bosonen) bekommt einen solchen Superpartner. Und entsprechend gibt es dann natürlich auch die Teilchen, die für die Umwandlung sorgen, mit denen man also Elektronen in Selektronen umwandeln kann. Wenn ich es richtig verstehe, ist die Symmetrie, die sich dabei ergibt, allerdings keine echte Eichsymmetrie, sondern eben eine “Supersymmetrie”, die mathematisch etwas anders funktioniert – die Teilchen, die Elektronen in Selektronen umwandeln, sind keine “echten” Eichteilchen. (Wie immer: Wer mehr weiß, darf mich gern in den Kommentaren schlaumachen.)
Die Supersymmetrie hat den Vorteil, dass sie bei den Vereinheitlichten Feldtheorien weiterhilft, die wir oben erfunden haben. Ohne Supersymmetrie kann man zwar solche vereinheitlichte Theorien auch aufstellen, aber man muss einige Parameter auf 14 Stellen hinter dem Komma genau anpassen, damit die Theorie unsere Welt beschreibt – so ein “Feintuning” sieht natürlich immer etwas künstlich und weithergeholt aus. Mit der Supersymmetrie entfällt das Feintuning. Auch die Stringtheorie ist eine supersymmetrische Theorie. Vom Standpunkt der Symmetrie her ist die Supersymmetrie schon irgendwo das non-plus-ultra – allerdings erkauft man sich das in diesem Fall damit, dass man tonnenweise neue Teilchen postulieren muss, die alle noch nie beobachtet wurden.
Das allein heißt aber natürlich nicht, dass die Supersymmetrie schon deswegen richtig sein muss – nur Experimente können zeigen, ob es all die Selektronen, Stop-Quarks, Charginos, Neutralinos, Higgsinos und wie sie alle heißen tatsächlich gibt. Deswegen haben wir ja auch den LHC bauen lassen. Und bisher sieht es ja eher schlecht aus für SUSY.
Egal, ob SUSY nun korrekt ist oder nicht: Wie ihr seht, ist die Idee der Symmetrie (wenn man sie nur weit genug fasst) auf jeden Fall ein ziemlich mächtiges Werkzeug in der Physik. Aus einfachen Symmetrieforderungen lassen sich weitreichende Schlussfolgerungen ziehen. Wie immer eine fundamentale Theorie der Welt aussehen wird – sie wird nahezu mit Sicherheit auch auf Symmetrien beruhen.
Viele Ideen hier stammen wieder aus dem Buch
Peter Schmüser, “Feynman-Graphen und Eichtheorien für Experimentalphysiker”
Die mathematische Seite der Eichtheorien erklärt Penrose (auf sehr hohem Niveau) im Buch “Road To Reality”
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