Im Zusammenhang mit dem Erdbeben in Japan ist ja immer wieder von “erdbebensicheren” Gebäuden die Rede. Wie macht man Gebäude eigentlich erdbebensicher? Zufälligerweise habe ich vor einigen Jahren (in interdisziplinärer Kooperation mit den Bauingenieuren der TU Braunschweig) eine Studienarbeit zum Thema “Erdbebenisolierung” betreut. Der Student, der sie geschrieben hat, hat mir freundlicherweise erlaubt, sie für meinen Blog auszuschlachten (danke, Steffen) und hat mir sogar noch Extra-Material geschickt (doppeldanke!).
Disclaimer: Jeder Unsinn, den ich im folgenden schreibe, ist natürlich auf meinen Mist gewachsen und Steffen ist daran völlig unschuldig.
Ich beginne mit einer bahnbrechenden Erkenntnis: bei einem Erdbeben bebt die Erde. In präziser physikalischer Fachsprache bedeutet das, dass alles hin- und herwackelt. Noch präziser gesagt: Die Erdoberfläche erfährt eine Beschleunigung. Diese Beschleunigung kann ziemlich groß werden, und bei ihr handelt es sich auch nicht um einen einzigen Ruck, nach dem alles wieder ruhig ist, sondern eben um ein ziemlich chaotisches Hin- und Herwackeln, hauptsächlich in horizontaler Richtung. Trägt man das in einer Grafik auf, so kann das etwa so aussehen:
(Entnommen aus “A simplified numerical approach for lateral spreading evaluation”, J. M. Mayoral, F. A. Flores and M. P. Romo, Geofísica Internacional 48 (4), 391-405 (2009))
Dabei ist die Bodenbeschleunigung in Vielfachen der Erdbeschleunigung aufgetragen. Kurzfristig ist die Beschleunigung (in horizontaler Richtung) also mit der normalen Erdbeschleunigung vergleichbar. Häuser werden dabei also ganz schön durchgeschüttelt. Das Hin und Her ist auch keine gleichmäßige Sinuswelle, sondern enthält ziemlich viele Frequenzen.
Der genaue Beschleunigungsverlauf ist, wie gesagt, ziemlich chaotisch. Damit die Bauingenieure aber vernünftig rechnen können, wird dieses Chaos gezähmt: In Deutschland sind Erdbeben genormt (DIN 4149 bzw. Euronorm 8). Naja, die Erdbeben selbst lassen sich nicht einfach einer Norm unterwerfen, aber die typische Frequenzverteilung der Wellen ist bekannt und kann zur Auslegung herangezogen werden.
Stellt euch als nächstes ein Haus vor, das wir ganz fest im Boden verankert haben. Wenn der Boden beschleunigt wird, beschleunigt auch das Haus. Allerdings nicht gleichmäßig – das Haus ist unten verankert, also greift die Kraft auf das Haus auch hier an. Wäre das Haus sehr starr, wäre das kein Problem – es würde sich als Ganzes mit dem Boden mitbewegen.
Nun sind Häuser aber nicht perfekt starr, sondern aus Stein, Stahlbeton oder Ähnlichen Materialien. Die haben eine Elastizität und eine begrenzte Festigkeit. Deshalb können zwei Probleme auftreten: Weil die Häuser elastisch sind, können sie schwingen. (Soweit ich weiß, wäre es technisch am besten, wenn Hochhäuser wesentlich stärker schwingen würden, als sie es tatsächlich tun. Der Grund ist psychologisch – in einem Hochhaus, das ständig mehrere Meter schwankt, würde man sich ziemlich unwohl fühlen. Laut dieser Internetseite bewegt sich die Spitze des Burj Dubai um maximal 1,2 Meter.)
Alles was schwingt, hat eine Resonanzfrequenz – wenn man mit dieser Frequenz anregt, dann wird die Schwingung immer stärker, so wie bei den berühmten einstürzenden Brücken. Wenn die Resonanzfrequenz eines Hochhauses in dem Bereich liegt, mit dem der Boden schwankt, wird es also gefährlich. Beim Northridge-Erdbeben in Kalifornien beispielsweise verstärkte sich in einem Krankenhaus die Bodenbeschleunigung von 0,82g auf 2,31g, also fast das Dreifache. Ein Ziel des Gebäudeschutzes sollte also sein, die Eigenfrequenz in einen Bereich zu verlagern, der bei Erdbeben normalerweise nicht auftritt. Dies ist vor allem bei mittelgroßen Gebäude (mit Höhen bis zu 10 Stockwerken) wichtig, weil da die Eigenfrequenz mit etwa einer Sekunde genau im gefährlichen Bereich liegt.
Selbst wenn das Gebäude die elastische Wackelei ohne Resonanzkatastrophe überstehen würde, kann es trotzdem zerstört werden – bei der elastischen Oszillation entstehen mechanische Spannungen im Gebäude, die zu Rissen und dann zum Versagen der Materialien führen können. Zweites Ziel sollte also sein, die Schwingung des Erdbodens schon zu dämpfen, bevor sie auf das Gebäude einwirkt. Ideal wäre ein Gebäude, das einfach über dem Boden schwebt und von seiner horizontalen Bewegung völlig entkoppelt ist – das ist aber technisch ein bisschen knifflig, falls nicht einer von euch demnächst mal die Antischwerkraft erfindet. Deswegen spricht man oft auch von Erdbebenisolierung, weil man versucht, das Gebäude vom Erdbeben zu trennen.
Solange wir auf den Antigrav verzichten müssen, müssen wir uns anders behelfen. Vertikale Kräfte zwischen Gebäude und Boden, nämlich das Gebäudegewicht, müssen übertragen werden, horizontale Kräfte wie die Bodenbeschleunigung bei Erdbeben aber nicht. Dazu stellen wir unser Gebäude auf Erdbebenisolatoren, die dann folgende Anforderungen erfüllen müssen:
- Die Bodenbeschleunigung muss gedämpft werden,
- Die Eigenfrequenz des Gesamtgebäudes muss in einem ungefährlichen Bereich liegen,
- Die Erdbebenisolatoren müssen das Gebäudegewicht tragen können,
- Die Erdbebenisolatoren müssen auch geringe horizontale Kräfte übertragen können, da zum Beispiel Windlasten am Gebäude angreifen – die sollen das Gebäude ja nicht gegen den Boden verschieben.
Für solche Erdbebendämpfer gibt es verschiedene Möglichkeiten. Beispielweise kann man die Gebäude auf riesige Stahlfedern stellen:
By The original uploader was Tagishsimon at English Wikipedia – Transferred from en.wikipedia to Commons by Quadell using CommonsHelper., CC BY-SA 3.0, Link
Das Bild (von Wikipedia) zeigt Dämpfer der Londoner Millenium Bridge – diese dienen hier vor allem dazu, Resonanzkatastrophen durch Windlasten oder Fahrzeuge zu verhindern.
Eine Alternative sind Gegenschwingmassen (auch Schwingungstilger genannt). Das sind massive Körper, die zu Schwingungen angeregt werden, wenn das Gebäude schwingt, und die deshalb bestimmte Schwingfrequenzen dämpfen können.
In der Studienarbeit haben wir uns allerdings mit einer anderen Art von Erdbebenisolator beschäftigt, nämlich dem Blei-Gummi-Lager.
Gummi ist für einen Erdbebenisolator ein gut geeignetes Material, weil es gute Dämpfungseigenschaften hat und eine niedrige Steifigkeit besitzt. Das weiß eigentlich jeder, der schon mal irgendetwas auf Gummifüße gestellt hat. Ein Hochhaus direkt auf ein riesiges Gummikissen zu stellen, würde allerdings ein paar Probleme mit sich bringen: Weil Gummi eine so niedrige Steifigkeit hat, wäre das Ganze schon sehr wackelig – kleine horizontale Lasten würden bereits zu heftigem Wackeln führen. Wenn das Gummikissen dick genug wäre, um das Gebäude sinnvoll zu isolieren (mit einem dünnen Gummilappen ist es ja nicht getan), dann würde sich der Gummiklotz am Rand ziemlich stark ausbeulen. Das wiederum könnte zu Rissen und zum Versagen führen.
Man kombiniert deshalb das Gummi mit Stahl – deswegen heißt das Ganze ja auch Blei-Gummi-Lager. Ähh, wie jetzt? Nein, zum Blei kommen wir gleich. Statt eines dicken Gummiklotzes nimmt man viele dünne Klötze, zwischen denen man Stahlplatten anordnet. Dadurch gibt es nicht mehr eine riesig dicke Ausbeulung, sondern viele dünne. So haben wir schon mal das Ausbeulungsproblem gelöst.
Und damit das Haus nicht gleich bei jedem lauen Lüftchen wackelt, kommt noch ein Bleikern in die Konstruktion – der gibt dem Ganzen eine gewisse Grundsteifigkeit. Man nimmt Blei, weil es auch bei starker Last sehr ermüdungsbeständig ist und sich gut plastisch verformen lässt.
Insgesamt sieht so ein Blei-Gummi-Lager dann so aus:
(Quelle: www.ce.berkeley.edu – Bild scheint dort aber nicht mehr zu existieren.)
In der Mitte seht ihr den Bleikern, außen die Lagen aus Gummi und Stahl – die äußere Gummiummantelung schützt vor Umwelteinflüssen und hilft, das “Ausbeulproblem” abzuschwächen. Oben und unten sind dicke Stahlplatten befestigt, oben schrauben wir das Haus drauf, die untere Platte verschrauben wir im Boden, also in irgendeinem Fundament. Wie ihr an meiner unglaublich präzisen Fachsprache merkt, habe ich vom Bauingenieurwesen ganz doll viel Ahnung (so ist das, wenn man interdisziplinär arbeitet – man hat nie so ganz den Durchblick, was man tut…).
Tja, wenn ihr jetzt glaubt, wir hätten diese Dinger im Rahmen der Studienarbeit erfunden – leider nicht. Was wir1 in der Arbeit gemacht haben war, ein Simulationsmodell aufzubauen und dann die Geometrie der Blei-Gummi-Lager gezielt zu variieren, um zu sehen, inwieweit hohe schmale Bleiklötze vielleicht besser sind als kurze dicke, wieviele Lagen Gummi man nehmen könnte usw.
1Dieses “wir” ist eine spezielle grammatische Konstruktion namens “Chef-Wir”. Wenn der Betreuer eines Studienarbeiters sagt “Wir sollten mal überlegen, ob wir nicht ein Experiment machen könnten, damit wir das besser verstehen” heißt das übersetzt “Wir sollten man überlegen, ob du nicht ein Experiment machen könntest, damit ich das besser verstehe.” Das “Chef-Wir” kann also je nach Bedarf für die 1. Person Singular oder Plural oder die 2. (oder wie hier sogar 3.) Person Singular stehen.
Dazu haben wir (das mit dem “wir” ist jetzt hoffentlich klar) die beliebte Simulationsmethode der Finiten Elemente angewendet, das Arbeitspferd der Ingenieurinnen. (Darüber sollte ich mal was schreiben.) So sieht so ein Blei-Gummi-Lager aus, wenn man es im Rechner nachgebaut hat (weil das Ding spiegelsymmetrisch ist, auch wenn sich das Haus oben in eine Richtung verschiebt, habe wir nur die Hälfte modelliert)):
Zum Belasten wurde die obere Seite gegen die untere verschoben. Dabei treten große Spannungen auf, die man hier sieht:
Da oben eine ziemliche Last draufliegt, führt diese Verschiebung dazu, dass sich das Lager verbiegt. Dabei darf die Absenkung nicht zu groß werden, sonst steht das Haus hinterher schief. Diese Absenkung war also eine der Größen, die zur Auslegung herangezogen werden konnten. Außerdem wurde noch die Steifigkeit und die Energieabsorption im Bleikern ausgewertet.
Am Ende zeigte sich, wie meist im Leben, dass man einen Kompromiss finden muss: Ein dicker Bleikern begünstigt die Energieabsorption, allerdings nimmt auch die horizontale Steifigkeit zu und beeinflusst damit die Eigenfrequenz in ungünstiger Weise. Viele dünne Gummischichten reduzieren die Absenkung gegenüber wenigen dicken Gummischichten, allerdings können sie auch nicht beliebig dünn gemacht werden. In der Arbeit wurde das Ganze natürlich ein bisschen quantitativer ausgewertet als hier. Leider weiß ich nicht, ob die Ergebnisse jemals weiterverwendet wurden.
Ob Blei-Gummi-Lager etwas taugen, kann natürlich nur der Praxistest zeigen. Ein Beispiel liefert das oben schon erwähnte Erdbeben von Northridge: Im Southern California Teaching Hospital wurden Blei-Gummi-Lager eingesetzt und es konnte durch die gute Dämpfung der Lager seinen Betrieb aufrecht erhalten. Die Bodenbeschleunigung von 0,49g wurde nicht verstärkt, sondern auf 0,21g auf dem Dach gedämpft, so dass auch im Inneren des Krankenhauses kaum Schäden auftraten.
Gebäude auf Blei-Gummi-Lager zu stellen ist also keine schlechte Idee. Bei Kernkraftwerken ist dies allerdings nach wie vor unüblich – mit welcher Technik die Kraftwerke in Fukushima ausgelegt wurden, weiß ich leider nicht; laut dieser Quelle waren es aber keine Erdbebenisolatoren. Es ist aber sicher nicht unwahrscheinlich, dass in Zukunft verstärkt auf Blei und Gummi gebaut wird.
Wie gesagt, das meiste hier (vom Blödsinn abgesehen) basiert auf einer Studienarbeit:
Steffen Wietzke
“Blei-Gummi-Lager für die Erdbebenisolierung der Gebäude”
Weitere Informationen über Erdbebenisolation einschließlich ein bisschen Mathematik findet ihr bei mathspig
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