Wie schaffen Flöhe ihre erstaunlichen Sprünge? Der Mechanismus dahinter ist seit vierzig Jahren umstritten, denn damalige Experimente lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Nun aber ist der Mechanismus im Detail aufgeklärt, auch wenn immer noch einige Fragen offen bleiben.
Vor einiger Zeit habe ich ja schon einmal etwas über die Biomechanik des Springens geschrieben. Dort hatten wir gesehen, dass der Flohsprung nicht deswegen beeindruckend ist, weil der Floh unglaublich hohe Kräfte zum Springen benötigt, sondern wegen der hohen Beschleunigung, die er beim Sprung erzeugen muss. Da die erreichbare Sprunghöhe von der Energie abhängt, die für den Sprung zur Verfügung steht, und die Energie wiederum von der Muskelmasse, ergibt sich zunächst mal, dass alle Tiere gleich hoch springen könnten, wenn es keine weiteren Effekte gäbe.
Die Zeit aber, die der Floh zur Verfügung hat, um die notwendige Kraft aufzubringen, mit der er sich vom Boden abstößt, ist sehr kurz. Er braucht deswegen eine sehr hohe Beschleunigung. Durch Muskelkontraktion ist das nicht zu erreichen, dazu sind Muskeln einfach zu langsam. Stattdessen verwendet der Floh ein biologisches Gummi, in dem er die Energie zunächst speichert, um sie dann schlagartig freizusetzen. In diesem Bild sieht man das “Gummi” (aus dem Protein Resilin) blau eingefärbt:
Das Bild stammt (wie alle anderen in diesem Post) aus einem aktuellen Artikel von Sutton & Burrows, in dem der Sprungmechanismus detailliert untersucht wurde. Bevor wir uns die Ergebnisse im einzelnen angucken, erst einmal ein Blick auf einen Floh:
Das Hinterbein besteht aus fünf Teilen: Direkt am Körper sitzt die Coxa, dann folgt der Trochanter, ein kurzes Verbindungsstück. Die anderen drei Beinteile heißen ähnlich wie bei Wirbeltieren: Femur (“Oberschenkel”), Tibia (“Schienbein”), Tarsus (“Fuß” – o.k., das ist bei Wirbeltieren etwas komplizierter, da gibt es die Fußwurzelknochen (Tarsi), die Mittelfußknochen (Metatarsi) und die Zehenknochen (digiti pedis oder phalanges)). Das Gummi sitzt oberhalb der Coxa; wird der Sprung ausgelöst, wird die Kraft von dort auf die Beinsegmente übertragen.
Dieses Grundprinzip des Flohsprungs ist schon lange bekannt. Unklar war jedoch, wie genau der Floh sich vom Boden abstößt. Es gab dazu zwei Theorien, de beide durch Experimente gestützt wurden:
Rothschild et al. beobachteten, dass Flöhe vor dem Springen ihren Trochanter in Bodenkontakt bringen und dass sie auch noch springen können, wenn man den hinteren Teil des Beines entfernt (wobei aus dem paper nicht hervorgeht, ob sie noch genauso weit und hoch springen können – höchstwahrscheinlich nicht.). Daraus schlossen sie, dass der Trochanter sich vom Boden abstößt.
Bennet-Clark und Lucey dagegen analysierten die Beschleunigung beim Absprung – da der Trochanter sehr kurz ist, müsste die Beschleunigung größer sein als beobachtet.
Beide Ideen hatten also etwas für sich, und nur eine detaillierte Untersuchung konnte zeigen, wer recht hat. Und die Untersuchung von Sutton und Burrows ist detailliert. Sie ist in meinen Augen ein Musterbeispiel für einen klar geschriebenen, gut strukturierten und sauber argumentierten wissenschaftlichen Artikel – vielleicht zeige ich den in Zukunft meinen Studis als Beispiel für gutes Schreiben und Argumentieren.
Es werden nämlich gleich mehrere Überlegungen angestellt, um die Frage eindeutig zu klären. Zunächst verwendeten die beiden Hochgeschwindigkeitskameras, um den Flöhen beim Springen zuzusehen. Damit sie nicht gerade eine Jelena Slesarenko (Hochsprung-Olympia-Rekord 2004, 2,04m) oder auf der anderen Seite einen Martin B. (maximale Sprunghöhe knapp über Teppichkante) erwischen, haben sie sich 10 Flöhe besorgt (“kindly supplied by staff at St. Tiggywinkles Wildlife Hospital” – der Name könnte von Wodehouse sein) und sie insgesamt 51 Sprünge machen lassen, die sie detailliert aufgenommen haben.
Tatsächlich zeigte sich, dass der Trochanter beim Sprung anfangs meist (in 45 der 51 Sprünge) auf dem Boden auflag – Rothschild hatte also richtig hingeguckt. Allerdings verlässt er den Boden sehr frühzeitig, schon nach weniger als einer Millisekunde. Ehe ich hier noch viele Worte mache, zeige ich lieber eins der schönen Bilder aus dem paper (zum Vergrößern klicken, Achtung, die Reihenfolge der Teilbilder ist spaltenweise, erst die linke, dann die rechte):
Wie man sieht, verlässt der Trochanter bei -0.6ms, also deutlich vor dem “Abheben” bereits den Boden. Das allein ist schon mal ein starkes Indiz dafür, dass er für den Absprung nicht allein verantwortlich ist. Aber die beiden Forscher waren wesentlich gründlicher als das. Als nächstes analysierten sie die sechs Sprünge, bei denen der Trochanter von Anfang an keinen Bodenkontakt hatte, und zwar ganz sauber mit einer statistischen Analyse. Es ergab sich kein signifikanter Unterschied in der Bewegung der Flöhe. Auch das spricht dagegen, dass der Trochanter die Kraftübertragung bestimmt.
Ganz ehrlich, ich hätte mit diesen Ergebnissen wahrscheinlich schon eine Veröffentlichung eingereicht. Aber die beiden waren noch gründlicher als das. Als drittes überlegten sie, wie genau der Absprung erfolgen müsste, wenn der Trochanter verantwortlich wäre. Da die Coxa beim Absprung ziemlich senkrecht positioniert ist und da der Trochanter relativ kurz ist, müsste er den Floh nahezu senkrecht in die Höhe katapultieren. Eine Analyse der Absprungwinkel ergibt dagegen ein Maximum bei etwa 40°, statt etwa 90°.
Aber auch damit nicht genug. Schließlich erstellten die beiden noch ein mathematisches Modell des Flohs – und zwar eins für jede der beiden untersuchten Theorien:
Dieses Modell verwendeten sie, um den Absprung im Detail zu berechnen. Dabei zeigte sich, dass beim Rothschild-Modell wegen des sehr kurzen Trochanter die Beschleunigung über einen sehr kurzen Moment aufgebracht werden müsste (mit Spitzenwerten von mehr als 2000-facher Erdbeschleunigung), während die Werte beim Bennet-Clark-Modell etwa um einen Faktor zehn kleiner sind. (Das ergibt aber immer noch eine Beschleunigung von mehr als 180g.) Nur die kleineren passen zu den Beschleunigungen, die aus den aufgenommenen Bildern berechnet werden können.
Und damit ist das Rothschild-Modell wohl ziemlich deutlich widerlegt, jedenfalls (und auch diese Einschränkung wird diskutiert) für die untersuchten Igelflöhe, die aber nach Ansicht der Autoren für andere Flöhe durchaus typisch sind.
Ist damit der Flohsprung vollkommen geklärt? Nein. Offen bleibt die Frage, wie genau das Bein vor dem Sprung arretiert wird, wie der Auslösemechanismus funktioniert und wie die Kraft des Resilins genau auf das hintere Beinsegment übertragen wird. Zu forschen gibt es also noch genug – und faszinierend bleibt, der Flohsprung auch, wenn man ihn versteht.
Sutton, G., & Burrows, M. (2011). Biomechanics of jumping in the flea Journal of Experimental Biology, 214 (5), 836-847 DOI: 10.1242/jeb.052399
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