Falls ihr euch gewundert habt, warum es hier die letzten Tage so still war – ich war auf einer Tagung. Aber nicht auf irgendeiner, sondern auf der so ziemlich coolsten, auf der ich je war:
In der Nähe von Obernkirchen wurden vor ein paar Jahren Dinosaurierspuren entdeckt – und zwar nicht nur eine Handvoll, sondern eine ziemliche Menge: Auf einer Platte mit einer Fläche von etwa 400 Quadratmetern hat man mehr als 1500 Einzelspuren gefunden – von denen viele natürlich zusammengehören und Fährten bilden. Die Felsplatte ist so mit Spuren übersät, dass sie den Namen “Hühnerhof” bekommen hat.
Um dieses Ereignis zu würdigen, wurde ein Symposium veranstaltet, bei dem so ziemlich alles, was in der Dino-Spuren-Welt Rang und Namen hat, anwesend war. Und einer war dabei, der in dieser Welt weder Rang noch Namen hat, sich aber trotzdem dazugemogelt hat – und das war ich.
Und jetzt fragt ihr euch vielleicht: Was gibt es eigentlich an Dinospuren zu erforschen? Können sich so viele Wissenschaftler mit so etwas beschäftigen? Und was macht ein theoretischer Physiker mit Arbeitsgebiet Materialwissenschaften in so einer Veranstaltung?
Warum sind Dinospuren interessant?
Ich geb’s zu – eigentlich fand ich Dinospuren immer wesentlich uninteressanter als ihre Knochen. Das hat sich an diesem Wochenende allerdings ein wenig geändert. Na klar, nur aus Dinospuren kann man nicht ein ganzes Tier rekonstruieren, aber man kann doch eine Menge aus ihnen ableiten. Zunächst mal kann man zumindest grob sagen, was für eine Art Dinosaurier die Spuren produziert hat – war es ein Raubdinosaurier mit vogelähnlichen Füßen und langen Zehen? Ein Sauropode (die mit den endlosen Hälsen und Schwänzen), dessen Fußabdrücke eher rund sind? Ein Ornithopode (zu denen die Iguanodonten und Entenschnabelsaurier gehören) – auch mit drei Zehen, aber meist ein bisschen “knubbeliger”?
(Leider hatte ich meine Kamera vergessen, deswegen müsst ihr euch mit einem Bericht ohne Fotos begnügen – nächstes Mal (?) bin ich schlauer.)
Aber natürlich kann man auch etwas genauer hinsehen – wie lang waren die Zehen im Verhältnis zueinander? In welchem Winkel standen sie? Gibt es Abdrücke der Klauenspitzen? Auf der Basis solcher Messungen klassifizieren die Ichnologinnen (also die Spurenforscherinnen) die Fußspuren.
Tatsächlich haben sie sich ein ganzes “Paralleluniversum” aufgebaut – genauso wie “normale” Biologinnen Lebewesen in Arten, Gattungen, Familien usw. einteilen, teilen die Ichnologinnen die Spuren in sogenannte “Ichnotaxa” – es gibt Ichnospecies, Ichnogenera, Ichnofamilien usw. Damit die Konfusion nicht größer ist als unbedingt notwendig, enden die Namen meist auf “pus” (griechisch “Fuß”) oder “ichnus” (“Spur”, deswegen heißen die ja auch Ichnologinnen). Wenn man eine Idee hat, von welcher Art Dino die Spur stammen könnte, dann wird dieser Name gern eingebaut – so gibt es dann zum Beispiel den Namen “Velociraptorichnus”, was die Vermutung impliziert, dass ein Dino diese Spuren gemacht hat, der an einen Velociraptor erinnert – den berühmten kleinen Raubsaurier. Es gibt allerdings auch Ausnahmen – beispielsweise “Eubrontes” oder “Grallator”.
Solange aber nicht jemand eine Spur findet, an deren Ende ein toter Dino liegt, wird die Zuordnung vermutlich nie eindeutig sein. Manchmal kann man begründete Vermutungen anstellen – beispielsweise wenn man einen sehr großen dreizehigen Fußabdruck eines Raubsauriers findet und in der Gegend nur eine passende Art gelebt hat.
Aber wenn man die Spuren nur katalogisieren und klassifizieren könnte, dann wäre Ichnologie so etwas wie Briefmarkensammeln für Fortgeschrittene (Mit Entschuldigung an alle Briefmarkensammlerinnen – vielleicht ist das ja doch total spannend und ich hab bloß keine Ahnung…). Aber aus den Spuren kann man auch einiges über das Verhalten und die Ökologie der Dinosaurier ablesen. Um all solche Fragen ging es beim Dinotrack-Symposium. Aber bevor ich die Wissenschaft ein bisschen beleuchte und von einigen der Vorträge erzähle, die mir besonders gefallen haben, erzähle ich euch erst einmal vom Symposium selbst.
Das Symposium
Es begann bereits am Donnerstag morgen – aber da ich Donnerstag und Freitag noch Vorlesungen zu halten hatte, konnte ich erst am Freitag mittag dazustoßen. Nach der Vorlesung also nichts wie ins Auto und ab nach Obernkirchen. (Und natürlich wurde ich dort von ausländischen Gästen gefragt, wie schnell man denn so auf Autobahnen fährt und als ich meinte, ich wäre meist bei moderaten 130, weil man mit weniger am Freitag Mittag als fahrendes Hindernis gilt, gab es nur ungläubiges Kopfschütteln.)
Dank meines Navis habe ich Obernkirchen selbst schnell gefunden und war auch im Nu im Zentrum – das Symposium sollte in “the Monastery” stattfinden. Ich fragte also zwei Einheimische nach dem Weg zum “Kloster”. Anscheinend haben die Schaumburger ein bisschen Vulkanierblut in den Adern, denn die Antwort war “Ein Kloster gibt es hier nicht.” Ich war etwas verwirrt und meinte “Muss es eigentlich geben, da soll gerade eine Tagung sein.” “Tja, aber hier gibt es kein Kloster. Meinen Sie vielleicht das Stift?”
Also: Falls ihr jemals eine Veranstaltung in einer kirchlichen Institution besucht, informiert euch besser vorher über die Feinheiten des Sprachgebrauchs der jeweiligen Konfessionen. Nachdem das aber geklärt war, kam ich genau rechtzeitig zum Mittagessen an und konnte dann am nachmittag die ersten Fachvorträge genießen. (Wie gesagt, den Inhalt erzähle ich später.)
Für den Abend hatten sich die Veranstalterinnen (Anette Richter vom Niedersächsischen Landesmuseum und ihr Team, die bei der Organisation wirklich alles gegeben haben) etwas besonderes einfallen lassen: Der Hühnerhof bei Nacht.
Also natürlich nicht so einer mit gackernden (oder schlafenden) Hennen, sondern der Obernkirchener Hühnerhof mit seinen Spuren. Nun ist es nachts bekanntlich meist nicht so richtig hell, deswegen hatte man extra für uns eine Scheinwerferbatterie aufgefahren, die die Spuren seitlich anstrahlte. Der Anblick von der Klippe oberhalb des Hühnerhofs war einmalig (sagte ich schon, dass ich meine Kamera vergessen hatte, grummel?) – im flachen Licht kamen die Spuren perfekt zur Geltung und man konnte von oben ein unglaubliches Gewimmel an Fußabdrücken erkennen.
Dann durften wir die Platte selbst betreten – und für mich als Nicht-Ichnologen war das zunächst eine echte Enttäuschung: ich sah aus der Nähe nicht eine einzige Fußspur. Die Felsplatte hatte Huckel und Beulen, aber wo waren die Spuren? Doch das menschliche Gehirn ist ja bekanntlich auf Mustererkennung trainiert, und so langsam schälten sich beim Herumgehen die Spuren heraus – immer noch nicht soo eindrucksvoll wie von oben, aber immerhin.
Eine seltsame “Spur” – falls es denn eine war – gefiel mir besonders: Eine Art Vertiefung mit mehr als einem Meter Durchmesser und einer unregelmäßigen Form. Meine persönliche Theorie dazu: Hier hat sich ein Dino im Schlamm gewälzt. Wäre generell ein hübsches Bild: Ein 6-Tonnen-Tyrannosaurus, der sich auf dem Rücken im Schlamm wälzt wie ein Hund, der sich den Rücken am Boden rubbelt. Ich weiß nicht, ob das eher niedlich oder furchterregend wäre, aber sehen würde ich das schon gern (hat jemand ne Zeitmaschine, die er mir mal leihen kann?).
Leider endete der Abend weniger schön – einer der Konferenzteilnehmer stolperte wohl über eine Bodenunebenheit und stürzte so unglücklich, dass er mit arg angeschlagenem Ellbogen ins Krankenhaus musste – drückt mit mir die Daumen, dass das schnell wieder in Ordnung kommt.
Ich selbst musste nach dieser Nachttour noch zurück nach Braunschweig fahren – was keine gute Idee war, denn ich war erst mitten in der Nacht zu Hause und so fix und foxi, dass ich am nächsten Morgen die ersten Vorträge schwänzen musste. Für die zweite Nacht habe ich mir dann ein Hotel in der Nähe von Obernkirchen gesucht. (Was auch nicht einfach ist, wenn alle bei google gelisteten Hotels gar nicht existieren und bei allen, die die Telefonauskunft kennt, niemand ans Telefon geht…)
Auch am Samstag vormittag gab es noch einige spannende Vorträge, und danach ging es nach Münchehagen zum Dinopark. Dort hat man 1980 einige Spuren entdeckt – es stimmt übrigens laut Dr. Richter nicht (auch wenn es bei Wikipedia steht), dass sie bei einer Feuerwehrübung entdeckt wurden. Ich selbst habe die Spuren 1988 durch Zufall auf einer Fahrradtour zum ersten Mal gesehen – damals gab es dort noch keinen Park sondern nur eine Art Barracke über den Spuren, wenn ich mich richtig erinnere.
Inzwischen ist Münchehagen aber ein großer Dino-Freizeitpark mit den Spuren als Zentralattraktion. In der Nähe des Parks selbst wurden vor ein paar Jahren weitere Spuren entdeckt, die wir uns zuerst ansehen konnte – hauptsächlich dreizehige Theropodenspuren, aber auch ein pflanzenfressender Iguanodontid war vermutlich dabei. Eine besonders seltsame Spur ist eine eiförmige Vertiefung, geschätze 30 oder 40 Zentimeter im Durchmesser. Mit viel Fantasie (davon habe ich ja reichlich) kann man sich vorstellen, dass hier ein kleiner schnell laufender Dino ausgerutscht und auf dem Bauch gelandet ist; an einem Ende des Eis sieht man eine kleine Ausbuchtung, die von Hals oder Schwanz kommen könnte, an den Seiten kleine Absätze, wo die Arme waren. (Wohlgemerkt, das ist meine persönliche Fantasie die genau keine wissenschaftliche Begründung hat.) Hätte ich eine Kamera dabeigehabt, dann wäre jetzt hier das Foto davon…
Neben der Spurenplatte (die zur Zeit vermessen und dann teilweise in den Dinopark verlagert wird, denn der Steinbruch wird ja noch gebraucht) gab es einen Geröllhaufen, in dem alle eine Weile nach Fossilien suchen konnten. Ich fand einen Stein mit Abdrücken, die vielleicht von Muscheln oder Brachiopoden stammen mochten. Schnell die Experten gefragt. Experte Nummer 1: “Ja, das sind Schalen.” Nummer 2: “Nein, das sind nur Schlammspuren.” Nummer 3: “Eindeutig Schalen – hier erkennt man die Schalenstruktur ganz deutlich.” Nummer 4: “Auf keinen Fall Schalen, das sind nur Schlammabdrücke.”
Nun ja, die Leute sind ja auch Fußspurenexperten…
Anschließend ging es in den Dinopark selbst. Falls ihr noch nicht da wart: Der ist ein muss für jeden, der Dinos mag (und wer tut das nicht???): Zentrale Attraktion sind natürlich die Spuren selbst, aber drum herum gibt es einen großen Park mit lebensgroßen Dinosaurierfiguren. Besonders beeindruckend ist die lebensgroße Seismosaurus-Figur (und wenn ich meine Kamera nicht vergessen hätte…) – etwa 40 Meter lang und so hoch, dass ein Erwachsener dem Seismosaurus so gerade bis zum Ellbogen reicht. Hier immerhin ein Bild von Wikipedia:
By ДиБгд at Russian Wikipedia – Transferred from ru.wikipedia to Commons., Public Domain, Link
Diesmal war ich ja nun mit echten Paläontologen unterwegs – und welchen fachkundigen Kommentar gibt ein Doktor der Paläontologie von sich, wenn er ein solches Modell sieht? O-Ton Peter Falkingham: “That’s big!”
Dann ging es weiter zu den Spuren selbst. Da wir als Symposiumteilnehmer natürlich VIPs waren, durften wir die Besucherplattformen verlassen und uns direkt bei den Spuren umsehen, während Dr. Richter uns einige Details erklärte. Im wesentlichen sind es Sauropodenspuren (also von Verwandten des Seismosaurus) – einige davon sind nur so genannte “undertracks”, also Spuren in Schichten, die nicht direkt an der Oberfläche lagen, als der Dino darüber lief, so dass man nur Vertiefungen ohne viel Struktur erkennt, andere sind dagegen deutlicher mit erkennbaren Abdrücken der Zehen.
Der Dinopark hat auch eine wissenschaftliche Abteilung – durch ein Fenster können Besucher den Präparatoren bei der Arbeit zusehen. Als VIPs waren wir natürlich privilegiert und konnten uns auch den Präparationsraum selbst angucken und unter anderem Knochen des Zwergsauropoden Europasaurus und einige andere Fossilien aus der Nähe bewundern. (Besonders gut hat mir ein winziger Flugsaurier gefallen.)
Nach dem Dinopark gab es eine kleine Pause (und ich hatte den dezenter Hinweis im Programm “possibility to change clothes” natürlich nicht als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden, dass man sich doch bitte anständig zum Dinner kleiden möge – war aber bei weitem nicht der einzige), dann kam das Konferenzdinner. Es fand stilvoll im Hülseder Wasserschloss statt (manchmal hat man es als Wissenschaftler schon ziemlich gut…) und war nicht nur perfekt organisiert (wie die ganze Konferenz), extrem lecker, sondern auch ein unterhaltsamer Abend.
Heute morgen gab es dann noch eine Runde Vorträge, anschließend ging es für die meisten nach Göttingen, wo eine neue Ausstellung über Dinos eröffnet wurde. Da ich aber mit dem eigenen Auto unterwegs und von den anstrengenden Konferenztagen ziemlich müde war (und da meine Familie ja auch nicht vergessen soll, wie ich aussehe), habe ich mich dann auf den Weg nach Hause gemacht.
Und was macht nun ein Physiker/Materialwissenschaftler wie ich auf so einer Tagung? Lasse ich mir von der Uni mein Hobby finanzieren? Nicht ganz (wenn man davon absieht, dass die Uni mir eigentlich grundsätzlich mein Hobby finanziert, wann immer ich ein Gehalt überwiesen bekomme). Vor einigen Jahren habe ich per Internet einen der Konferenzteilnehmer namens Steve Gatesy kennengelernt und mit ihm (und John Hutchinson aus England) eine Veröffentlichung geschrieben. Die Konferenz war eine gute Gelegenheit, sich nach etwa 100000 mails mal persönlich kennenzulernen und über ein neues Projekt nachzudenken (und Steve hatte auch eine gute Idee). Auch einen zweiten Konferenzteilnehmer, der vor kurzem eine Arbeit über Fußspurensimulation geschrieben hat, wollte ich sprechen – und auch mit ihm gibt es vermutlich demnächst ein kleines Simulationsprojekt. Insofern hat sich das Treffen auch wissenschaftlich für mich gelohnt – die Vorträge sind bei solchen Veranstaltungen ja ohnehin vor allem der Rahmen, damit sich Wissenschaftlerinnen austauschen können.
Und wo wir gerade von Geld sprechen: Eine vergleichbare Konferenz (4 Exkursionen, Vollverpflegung mittags und abends) hätte in der Materialwissenschaft so etwa 600 bis 800 Euronen gekostet. Die Konferenzgebühr für das Dinosaur Track Symposium betrug lächerliche 50 Euronen – der Rest wurde von freundlichen Sponsoren getragen, darunter die “Schaumburger Landschaft” (eine Kulturförderungsorganisation), die Schaumburger Sparkasse und der Dinopark Münchehagen.
Und was passiert nun wissenschaftlich auf so einer Tagung? Das erfahrt ihr natürlich im zweiten Teil – mich kurz fassen war ja noch nie meine Stärke auf diesem Blog…
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