Die Quantenmechanik muss ja für alles mögliche herhalten – Florian und Jürgen haben gerade wieder schöne Beispiele dafür gebracht. Aber die Quantenmechanik sagt wirklich ziemlich viel Seltsames über unsere Welt und Sätze wir “alles ist mit allem verbunden” oder “jede Messung beeinflusst das Ergebnis” sind doch wirklich Ergebnisse der Quantenphysik. Oder nicht?
In diesem kleinen Text will ich ein paar der häufigsten Phrasen über Quantenmechanik etwas unter die Lupe nehmen und schauen, was wirklich dahinter steckt.
Vorgeplänkel: Die Macht der Statistik
Unsere Alltagswelt verhält sich ja nach den Regeln der klassischen Physik – wahrnehmbare Quanteneffekte erleben wir nicht, wenn wir uns einen Kaffee kochen oder mit dem Fahrrad fahren. (Obwohl auf atomarer Ebene natürlich Quanteneffekte dahinter stecken.) Warum ist das so? Die einfache Antwort: Quanteneffekte mitteln sich heraus.
Die Quantenmechanik erklärt man ja meist mit Elektronen – die sind sozusagen das Paradebeispiel der Physikerinnen für quantenmechanisches Verhalten. Elektronen sollten sich also nach ihren eigenen, mysteriösen quantenmechanischen Regeln benehmen, die zeigen, wie alles mit allem zusammenhängt und dass alles unsicher ist und und und…
Vielleicht habt ihr ja – wie ich – noch einen Röhrenfernseher. Falls ja, könnt ihr ihn mal kurz anschalten (aber danach schön zurück zu Hier Wohnen Drachen!), falls nein, dann müsst ihr euch mit der Fantasie begnügen. Wenn ihr auf euren Röhrenbildschirm guckt, was seht ihr dann? Falls ihr nicht gerade den beliebten “Krieg der Weißen gegen die Schwarzen Ameisen”-Kanal eingestellt habt, seht ihr vermutlich ein Bild, das auch leicht als solches zu erkennen ist. (Und wieder einmal stellt ihr fest, dass man auf diesem Blog immer unglaublich weltbewegende Neuigkeiten erfährt: Fernseher produzieren erkennbare Bilder, wer hätte das gedacht?)
Das Fernsehbild, das ihr seht, kommt dadurch zustande, dass eine Mattscheibe anfängt zu leuchten, wenn sie von Elektronen getroffen wird. Und das ist hier der Knackpunkt: Trotz ihres mysteriösen, geheimnisvollen quantenmagischen Verhaltens sind Elektronen anscheinend hinreichend verlässlich, dass die Ohren der Nachrichtensprecherin im Bild genau da sind, wo sie hingehören.
So ganz ganz zauberhaft mysteriös unkontrolliert können Elektronen also anscheinend doch nicht sein – sie lassen sich brav dazu einspannen, ein passendes Bild zu produzieren und obwohl “alles mit allem” verbunden soll, ragen nicht plötzlich die Elefantenstoßzähne vom Tierfilm im anderen Kanal aus dem Kiefer der Nachrichtendame.
Der wichtigste Grund, warum der Fernseher trotz Quantenmechanik einwandfrei verlässliche Bilder liefert, ist der gleiche wie der, warum ich vorhersagen kann, dass es am nächsten Freitag nachmittag in Hamburg einen Stau vor dem Elbtunnel geben wird. Ich kann heute nicht vorhersagen, ob Lieschen Müller oder Otto Meier in diesem Stau stehen wird, dafür ist das Verhalten einzelner Menschen ein bisschen zu unvorhersehbar, aber dass es den Stau geben wird, ist ziemlich sicher. Und zwar schlicht und einfach wegen der großen Zahl von Menschen, die beteiligt sind. Wenn Otto Meier am Freitag doch erst später losfährt, weil er noch ein Schwätzchen mit seinen Kollegen hält, dann ist es dafür irgendjemand anderes, der sich am Staugeschehen beteiligt. Gemittelt über viele Menschen ist das Verhalten gut vorhersehbar, obwohl das Verhalten einzelner Menschen natürlich nicht so leicht vorhergesagt werden kann. (Diese Idee wurde auf brillante Weise in Asimovs Psycho-Historiker-Serie umgesetzt – wer die nicht kennt, sollte sie sich sofort besorgen.)
In unserer alltäglichen Welt merken wir also nicht viel von den Effekten der Quantenmechanik, und zwar einfach deshalb, weil sie sich meist statistisch so herausmitteln, das unsere gute alte vertraute klassische Physik herauskommt. Genausowenig wie man aus der Tatsache, dass es lauter Menschen sind, die da im Stau stehen, schließen kann, dass ein Stau Gefühle hat, gern ins Kino geht oder ungern allein ist (nur weil das für die Menschen zutrifft, die ihn bilden), genausowenig kann man aus der Tatsache, dass zum Beispiel ein Kristall aus Elektronen und anderen Quantenteilchen besteht, schließen, dass ein solcher Kristall als Ganzes geheimnisvolle Quanteneigenschaften hat.
So, nach diesem eher allgemeinen Vorgeplänkel nun zu den beliebtesten Sätzen über Quantenmechanik:
Die Quantenmechanik zeigt, dass jede Messung das Ergebnis beeinflusst.
Quantenmechanische Teilchen (wie Elektronen) können nicht in jedem Fall durch unsere gewohnten Alltagsbegriffe beschrieben werden. Beispielsweise kann man oft nicht genau angeben, wo sich ein Elektron befindet – nicht, weil man es bloß nicht weiß, sondern weil der Ort des Elektrons nicht eindeutig bestimmt ist. Im Detail habe ich das anderswo beschrieben – letztlich ist daran allein nicht viel Geheimnisvolles; Elektronen sind (meist) ausgedehnte Objekte, genauso wie z. B. Wasserwellen.
Hier will ich das quantenmechanische Verhalten an einem einfachen Beispiel anschaulich machen – stellt euch eine Münze vor, ganz normal, mit Kopf und Zahl. Eine klassische Münze hat genau zwei mögliche Zustände: Entweder Kopf liegt oben oder Zahl liegt oben. Eine quantenmechanische Münze (Ein “Quantentaler”) dagegen (so etwas gibt es nicht, es gibt aber quantenmechanische Objekte, die sich ganz ähnlich verhalten wie der Quantentaler) muss nicht im Zustand “Kopf” oder “Zahl” sein, sie kann auch in einem unentschiedenen Zwischenzustand (Häufig “Überlagerungszustand” genannt) sein – sozusagen halb Kopf, halb Zahl (oder auch dreiviertel-einviertel).
Allerdings kann ich den Quantentaler in diesem Zustand nicht beobachten – wenn ich den Zustand des Talers messe (indem ich draufgucke), dann sehe ich immer entweder Kopf oder Zahl. Vom Zustand des Talers hängt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ich Kopf oder Zahl sehe – was bei einer einzelnen Messung passiert, ist aber vollkommen zufällig.
Wenn die Münze also in einem solchen Zwischenzustand ist und ich draufgucke, dann zwinge ich sie in einen der beiden Zustände – Kopf oder Zahl. (Das ist der berühmte “Kollaps der Wellenfunktion” in seiner einfachsten Form.)
Ist die Aussage, dass jede Messung das Ergebnis beeinflusst, also richtig? Die Antwort lautet “Nein”! Wenn ich nämlich den Quantentaler gerade jetzt im Zustand “Kopf” beobachtet habe, dann ist er auch in diesem Zustand. Wenn ich ihn einen Moment später wieder beobachte (vorausgesetzt, niemand hat sie angefasst und so seinen Zustand verändert), dann ist er hinterher immer noch in diesem Zustand, bei der zweiten Messung werde ich also mit Sicherheit “Kopf” beobachten und niemals “Zahl”.
Fazit: Beeinflusst jede Messung das Ergebnis? Nein. Messungen können den Zustand eines Quantensystems beeinflussen – aber sie tun das nicht immer, sondern abhängig davon, in welchem Zustand das System ist und was ich messe. Was genau bei dieser “Messung” passiert, diskutieren wir weiter unten noch – dann werdet ihr auch sehen, dass makroskopische Objekte normalerweise eben nicht in solchen Überlagerungszuständen vorliegen.
Wir können nichts sicher wissen
Diese Aussage ist eng verwandt mit der davor – weil quantenmechanische Systeme (wie unser Quantentaler) in diesen merkwürdigen Überlagerungszuständen sein können (die man ja nicht direkt beobachten kann), wird daraus oft geschlossen, dass man eben nie genau wissen kann, was ein Quantensystem gerade tut.
Aber das Münzbeispiel zeigt schon, dass das nicht stimmt: Wenn ich “Kopf” gesehen habe, dann liegt “Kopf” oben. Mit Sicherheit.
Und noch ein zweiter Punkt kommt hinzu: Auch wenn ich nicht mit Sicherheit weiß, in welchem Zustand meine Münze ist, kann ich trotzdem manche Dinge mit Sicherheit ausschließen: Wenn es eine klassische “Kopf”-“Zahl”-Münze ist, dann wird auf keinen Fall “Baum” oben liegen oder “Nashorn”.
Dass man über ein Objekt etwas nicht mit Sicherheit weiß, heißt noch lange nicht, dass man gar nichts darüber weiß. (Diese Erkenntnis hat nichts mit Quantenmechanik zu tun, wird aber oft hier hereingemischt.) Ich habe das neulich in einem Kommentar drüben bei Florian so veranschaulicht:
Wenn einer erzählt, er habe ein Perpetuum mobile erfunden, dann weiß ich, dass das Blödsinn ist, genauso wie du weißt, dass es Blödsinn ist, wenn die einer erzählt, er könnte auf dem Einrad mit bloßen Händen sechs afrikanische Wasserbüffel jonglieren und dabei dreistimmig Dvoraks Neunte pfeifen.
Und wenn wir die oben angesprochene Statistik ausnutzen, dann können wir viele Dinge auch sehr genau wissen – beispielsweise, dass im Bild die Ohren der Nachrichtensprecherin genau da sind, wo sie sein sollten; auch wenn irgendwo mal ein Elektron aus der Reihe tanzt. Die Statistik wird’s richten.
Fazit: Können wir nichts sicher wissen? Doch, können wir.
Alles hängt mit allem zusammen
Um zu verstehen, woher diese Aussage kommt, brauchen wir zwei “Quantentaler”. Diese werden in zwei Kisten gelegt, wo wir sie nicht beobachten können. (Wenn wir sie beobachten, dann zeigen sie, wie oben erklärt, entweder “Kopf” oder “Zahl” – wenn wir sie nicht beobachten, dann können sie auch in einem Überlagerungszustand sein.)
Wir verwenden jetzt eine quantenmechanische Prozedur (die man tatsächlich realisieren kann, allerdings mit Elektronen, nicht mit Münzen, das “Wie” erkläre ich hier aber nicht), um die beiden Quantentaler in ganz spezieller Weise zu präparieren: Sie zeigen immer entgegengesetzte Symbole, wenn man sie anguckt. Mache ich also die eine Kiste auf und sehe “Kopf”, dann weiß ich, dass ihr auf dem anderen Quantentaler “Zahl” sehen werdet, wenn ihr eure Kiste aufmacht. (Wieder ein Fall in der Quantenmechanik, wo man etwas sicher weiß – die sind gar nicht so selten…)
Wir präparieren die beiden Kisten und transportieren sie (dazu leihen wir uns mal wieder eine Space-Jet bei Perry Rhodan (Bullet (du warst doch der Moskito-Fan, oder?) darf auch nen Moskito-Jäger nehmen (schon wieder zu viele Klammern?))) nach Alpha Zentauri. Die geheimnisvolle “Verbindung” zwischen den beiden Münzen funktioniert auch über diese Entfernung – wenn wir vorher verabreden, wann jeder von uns seine Kiste öffnet, dann können wir sicherstellen, dass kein Signal (mit Lichtgeschwindigkeit oder langsamer) Zeit hatte, vom einen Ort zum anderen zu reisen. Wenn ich jetzt meine Kiste öffne und Kopf sehe, dann weiß ich, dass der andere Taler “Zahl” zeigen wird, wenn ihr ihn anguckt, auch wenn kein Signal (mit Lichtgeschwindigkeit) die Möglichkeit hatte, in dieser Zeit von mir zu euch zu kommen.
“Na und?”, mag einer fragen. Wenn die beiden Taler beim Abflug richtig hingelegt wurden, dann ist das doch klar – einer lag die ganze Zeit mit “Kopf” oben, der andere mit “Zahl”. Mit ausgeklügelten Tricks kann man aber nachweisen, dass das so nicht sein kann – die beiden Münzen liegen jeweils in einem Überlagerungszustand vor und “entscheiden” sich erst, wenn man eine Kiste öffnet und reinguckt. (Auch hier bitte ich euch, mir das einfach zu glauben – das Stichwort hierzu heißt EPR-Paradoxon.)
Also: Auf irgendeine geheimnisvolle (und diesmal meine ich das Wort vollkommen ernst) Weise sind die beiden Quantentaler so verbunden, dass eine Messung an einem der beiden festlegt, in welchem Zustand der andere sich befindet – egal wie weit die beiden voneinander entfernt sind, und anscheinend mit beliebig hoher Geschwindigkeit. Man nennt diesen Zustand “Verschränkung”.
Na, das klingt doch schon ziemlich esoterisch, oder? Allerdings gibt es da ein kleines Problem – die geheimnisvolle Abstimmung unserer Quantentaler wird in dem Moment wirksam, wo ich einen von ihnen angucke. Sobald ich das tue, entscheidet sich, welcher Quantentaler Kopf und welcher Zahl anzeigt, und danach ist ihre geheimnisvolle Verbindung nicht mehr vorhanden.
Aber wann genau entscheidet sich das? Was genau ist das “Angucken” des Talers? Was passiert da? Das ist das “Messproblem” in der Quantenmechanik – es gibt zur Zeit keine klare Antwort darauf, sondern nur verschiedenen Hypothesen – die allerdings in ihren praktischen Konsequenzen übereinstimmen.
Der Messprozess findet dann statt, wenn unser Quantentaler mit einem “hinreichend großen” System in Wechselwirkung tritt. Wann genau ein System “hinreichend groß” ist, ist nicht so klar – für praktische Zwecke kann man sagen, dass ein System, das selbst nach den Regeln der klassischen Physik beschrieben werden kann, wohl hinreichend groß ist. Man spricht hier von Dekohärenz (weil verschränkte Zustände auch “kohärent” sind (danke an mar o für die Korrektur der kleinen Schlampigkeit hier) – der genaue Unterschied zwischen “kohärent” und “verschränkt” braucht uns hier aber nicht zu interessieren – wichtig ist nur, dass die Dekohärenz die Verschränkung zerstört.). Bei Wikipedia kann man nachgucken, wie lange es dauert, bis ein Quantenzustand seine “Kohärenz” verliert. Ein Elektron in der Luft benötigt eine Billionstel Sekunde dafür, schwerere Objekte noch weniger.
Für alle praktischen Zwecke heißt das, dass man die Quantentaler nur dann verschränkt halten kann, wenn man sie perfekt von der Umwelt isoliert. Das ist auch ein Grund, warum solche Phänomene erst seit ein paar Jahren richtig intensiv untersucht werden – diese Isolierung herzustellen ist sehr schwierig (und ist eins der Hauptprobleme, wenn man sogenannte “Quantencomputer” bauen will, die die Verschränkung ausnutzen, um Sachen auszurechnen).
Zwischenfazit: Ist alles mit allem verbunden? Vielleicht. Aber wegen der Dekohärenz ist die Verschränkung von Quantenzuständen nach kürzester Zeit nicht mehr nachweisbar. Wer also beispielsweise Homöopathie über Quantenverschränkung erklären will, muss erklären, wie die Wassermoleküle über Tage verschränkt bleiben können, obwohl sie eigentlich in Billionstel Sekunden ihre Verschränkung verlieren sollten. Die Tatsache, dass wir Verschränkungsphänomene im Alltag nie beobachten, deutet schon darauf hin, dass die Dekohärenz sehr wirksam ist.
Wie gesagt, vom praktischen Gesichtspunkt her ist mit der Dekohärenz die Sache eigentlich schon erledigt. Guckt man etwas fundamentaler hin, dann muss man sich aber fragen: Was genau passiert denn bei diesem ominösen “Messprozess”? Was steckt dahinter?
Wir müssen das hier nicht in allen Einzelheiten diskutieren, sondern können uns auf zwei grundsätzlich unterschiedliche Ideen beschränken (ich vereinfache hier ziemlich, um die Grundideen klarzumachen – ein bisschen mehr habe ich hier darüber geschrieben. Wer noch mehr wissen will, kann beispielsweise bei Wikipedia nachschauen, allerdings auf recht sportlichem Niveau. ):
Variante 1: Es gibt ein (bisher unbekanntes) objektives Kriterium, das entscheidet, ob ein Messprozess stattfindet. Beispielsweise hat Roger Penrose die Idee, dass der Messprozess mit der Gravitation zusammenhängt. John Wheeler hatte die Idee, dass es das Bewusstsein ist, das hier eine Rolle spielt (dazu gleich noch mehr). Wenn diese Idee richtig ist, dann verschwindet die Verschränkung bei einer “Messung” tatsächlich – es ist also nicht “alles mit allem” verbunden, weil der Messprozess das verhindert.
Variante 2: Da ja alles aus Teilchen besteht, die nach der Quantenmechanik beschrieben werden müssen, verschränkt sich der Zustand des Quantentalers mit dem des Beobachters, der auf den Taler draufguckt, und dessen Zustand dann, wenn ihn jemand fragt, wiederum mit dem des Fragers und immer so weiter, bis alle Zustände von allem im Universum mit allem verschränkt sind.
Es gibt verschiedene Antworten, warum wir das nicht wahrnehmen (zum Beispiel die “Viele-Welten-Theorie”), aber die diskutiere ich heute nicht.
Bei der Dekohärenz verschwindet die Verschränkung also nicht wirklich, sondern die Teilchen verschränken sich mit anderen Teilchen im Universum. Und damit ist letztlich “alles mit allem verbunden”. Aber mit einem “kleinen” Haken: Unser Quantentaler ist nun also mit meinem Auge verschränkt und über mein Gehirn mit meinem Magen und damit auch mit dem was aus meinem Frühstücksmüsli geworden ist, das mit der Kuh, von der die Milch stammt, verschränkt ist und so weiter. Ein Elektron in meinem Körper ist also zwar mit dem Quantentaler verschränkt, aber eben auch mit allem anderen im Universum. Und dadurch verschwindet die Verschränkung mit dem Quantentaler in all den vielen anderen Verschränkungen bis zur Unkenntlichkeit (“Alle diese Verschränkungen werden verloren sein, wie Tränen im Regen….”).
Und deshalb werden wir von der Verschränkung auch nie etwas merken – die Dekohärenz ist für alle praktischen Zwecke immer noch wirksam, einfach dadurch, dass wir nicht alles über alle Teilchen im Universum wissen. Um die Verschränkung der Quantentaler irgendwie ausnutzen zu können, müssten wir alle anderen Verschränkungen genau kennen und herausrechnen. Gerade weil in dieser Interpretation wirklich alles mit wirklich allem verbunden ist, ist die spezifische Verschränkung zwischen genau zwei Quantentalern nicht mehr aus diesem unendlichen Verschränkungswirrwarr herauszufiltern.
Ich möchte das noch auf eine andere Art deutlich machen, denn einen ähnlichen Effekt gibt es auch in der klassischen Physik: Nehmt an, die Welt würde sich rein nach den Gesetzen der klassischen Physik verhalten. Alles wäre vollkommen deterministisch nach den Newtonschen Axiomen. Wenn ich jetzt ein Wort sage, dann bringe ich die Luftmoleküle zum Schwingen. Diese wiederum stoßen auf die Moleküle meines Schreibtisches, die dann die Schwingungen weitergeben an den Fußboden und immer so weiter. Und nach ein paar Tagen oder Wochen ist ein winziger Teil der Schwingungsenergie aus dem gesprochenen Satz übergegangen auf ein Palmblatt in Indien. Weil also auf diese Weise alles mit allem verbunden ist, ist es total plausibel, dass ein indischer Weiser seinen Finger auf das Palmblatt legt und herausbekommt, dass ich “Gummistiefel” gesagt habe.
Falls ihr das wirklich plausibel findet, hätte ich da ein paar günstige Schwingkristalle im Angebot, mit denen ihr in die Vergangenheit schauen könnt, wenn ihr euch nur richtig einstimmt. (Den passenden Meditationskurs könnt ihr bei mir auch gleich mitbuchen…)
Falls ihr es dagegen nicht plausibel findet – eben! Natürlich geht die Schwingungsinformation in all dem anderen Chaos vollkommen unter – und genauso ist es auch mit der Kohärenz in der Quantenmechanik.
Fazit: Ist Alles mit allem verbunden? – Vielleicht, aber leider nicht so, dass man irgendetwas damit anfangen kann. Für alle praktischen Zwecke schlägt die Dekohärenz zu. Deswegen muss man auch enormen Aufwand treiben, um Kohärenzeffekte aufrechtzuerhalten, wenn man einen Quantencomputer bauen will.
Der Geist beeinflusst die Materie
Das können wir kurz abhandeln (erleichtertes Aufseufzen bei allen…). Dieser Satz beruht auf der Idee von Wheeler, nach der der Messprozess genau dann stattfindet, wenn er jemandem “bewusst” wird. Das ist sozusagen die quantenmechanische Variante von Keats’
I am the eye with which the Universe
Beholds itself and knows itself divine;
Diese Idee wird oft mit dieser hübschen Grafik veranschaulicht:
Immerhin gibt es auch heute Physiker, die diese Ideen zumindest für denkbar halten – beispielsweise Anton Zeilinger (von dem gleich noch die Rede sein wird – die Quelle für dieses Zitat ist unten verlinkt):
Es könnte sogar sein, dass das Denken für die Welt konstitutiv ist. Ich würde auch das offen lassen, aber es könnte durchaus sein.
Allerdings gibt es für diese Idee (so hübsch sie auch sein mag) keinerlei Hinweise. Zum einen wäre es schon erstaunlich, wenn “Bewusstsein” eindeutig festzustellen wäre – man hätte ja auf diese Weise ein objektives Kriterium dafür, ob ein Lebewesen bewusst ist oder nicht. Nach allem, was die moderne Hirnforschung weiß, ist Bewusstsein aber eher ein Kontinuum – ansonsten müsste es einen genau definierten Zeitpunkt geben, zu dem ein Baby bewusst wird, den man über Quantenexperimente herausfinden könnte. Das scheint schon mal sehr zweifelhaft und ist für mich persönlich ein ausreichender Grund, diese Ansicht abzulehnen.
Selbst wenn die Idee aber richtig wäre – nur weil das bewusste Wahrnehmen eines Quantenzustands entscheidet, dass ein Quantentaler einen eindeutigen Zustand einnimmt, ist das keine echte “Beeinflussung” – ihr könnt ja nicht entscheiden, welcher Zustand das ist. Egal wie sehr ihr euch das wünscht – ihr könnt radioaktive Atome nicht dazu bringen, langsamer zu zerfallen. (Jedenfalls gibt es für solche Effekte genau keine Evidenz, und sie widersprechen zum Beispiel der Relativitätstheorie, denn dann könntet ihr ja “echte” Information übertragen, wenn ihr euch zum Beispiel für “Kopf” entscheidet.)
Fazit: Beeinflusst der Geist die Materie? Nahezu mit Sicherheit nicht (jedenfalls nicht auf die hier angesprochene quantenmechanische Weise – dass mein Denken meine Entscheidungen und damit die Materie beeinflussen kann, ist natürlich trivialerweise richtig, aber hier nicht von Interesse). Aber selbst wenn Wheeler recht hätte, heißt das nicht, dass der “Geist” dadurch in irgendeiner Weise beeinflussen kann, was tatsächlich passiert und welcher Quantenzustand realisiert wird. (Eine sehr spannende Umsetzung dieser Idee findet sich aber in der Science Fiction – um niemandem das Lesevergnügen kaputtzumachen (das ist nämlich schon ein gewisser Spoiler), schreibe ich den Titel des Romans in Mikroschrift am Ende des Artikels.)
Alles ist Information
Eine Aussage dieser Art wird vom Quantenphysiker Anton Zeilinger propagiert, z.B. in diesem Interview. Er sagt dort “[Information] ist genauso primär wie die sachlich-materielle Ebene.”
Diesen Schluss zieht er – wenn ich das richtig verstehe – aus der Tatsache, dass beispielsweise beim “Kollaps der Wellenfunktion” eben kein physikalisches Signal übertragen wird. Es gibt mehrere solcher “informationstheoretischer” Ansätze zur Interpretation der Quantenmechanik, auch wieder schön bei Wikipedia gelistet.
Wichtig ist aber zu beachten, dass Zeilinger der Information denselben Stellenwert einräumt wie der materiellen Ebene – er sagt also nicht “Alles ist Information” sondern “Information ist genauso wichtig/fundamental wie Materie”. Information ganz ohne Materie ist ja auch schwer vorstellbar – die Information muss ja irgendwo oder in irgendwas stecken; Informationen gibt es nicht ohne irgendein physikalisches Objekt, das sie trägt. (Die Information bei der Verschränkung wird zwar nicht von einem physikalischen Objekt übertragen, soweit wir wissen, aber auch sie kann natürlich nur an den Quantentalern untersucht werden – ganz ohne Materie geht es also nicht.)
Nun, dass Information genauso primär ist wie die materielle Ebene, kann man vielleicht so sehen – ich selbst wäre mit diesem Begriff vorsichtig. Der Informationsbegriff ist ohnehin schon doppelt belegt: Im Alltag bedeutet er nicht ganz dasselbe wie in der Physik. Physiker sind ja gut darin, Alltagsbegriffe umzudefinieren und damit die Allgemeinheit zu verwirren (Begriffe wie “Wirkung” oder “Arbeit” zum Beispiel). So ist es auch mit “Information”: Wenn ich sage “Die Scienceblogs sind die tollste Website”, dann hat das sicher einen gewissen Informationswert (auch wenn die Erkenntnis ziemlich trivial ist). Wenn ich dagegen sage “Hju Fheumledgowf tafe plw kwgbrpo Gkphjaq”, ist der Informationsgehalt eher klein, oder? Der physikalische Informationsbegriff dagegen sagt genau das Gegenteil – das “g” im Wort “Scienceblogs” zum Beispiel trägt wenig Information, weil ihr leicht vorhersagen konntet, welcher Buchstabe nach “Scienceblo” kommen würde – während Ihr das “w” in “Fheumledgowf” nicht hättet vorhersagen können. Die physikalische (oder auch informationstheoretische) Definition ist also schon sinnvoll (und hat etwas mit Entropie zu tun), aber eben nicht ganz die, den wir im Alltag benutzen.
Da jetzt noch eine dritte quantenmechanische Ebene draufzusatteln, erscheint mir nicht gerade glücklich. Zumindest sollte man von “Quanteninformation” sprechen, denn beim Kollaps einer Wellenfunktion (oder der Quantenteleportation) wird ja gerade keine Information im üblichen Sinn übertragen – man kann damit keine les- oder auswertbare Nachricht senden. (Und das nimmt der Aussage schon mal einen guten Teil der Möglichkeiten, die man gern in sie hineininterpretiert.) Manchmal wünsche ich mir, Physiker wären mehr wie Biologen, die für jede Feinheit ein Extra-Wort haben (man muss dann zwar so Worte wie “Postzygapophyse” lernen, aber dafür ist dann auch klar, was gemeint ist) – aber Biologen interessiert halt immer das Spezielle im Allgemeinen, Physiker das Allgemeine im Speziellen…
Damit übrigens niemand Herrn Zeilinger für seine esoterischen Ideen vereinnahmt, hier gleich noch ein wichtiges Zitat hinterher:
Man muss nur aufpassen: Gerade solche Gedankengänge werden sehr oft von Leuten verwendet, die behaupten, das unterstreiche irgendwelche mystischen oder esoterischen Gedanken. Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Aber in der Fragestellung darf man natürlich durchaus radikal sein.
Fazit: Ist alles Information? Höchstwahrscheinlich nicht. Der “Information” mag nach einigen Interpretationen der Quantenmechanik ein größerer Stellenwert zukommen, als man es im Allgemeinen dachte. Selbst wenn das so ist, ist der Informationsbegriff, der dahinter steckt, sicherlich nicht genau der, den wir im Alltag verwenden.
Die Quantenphysik sagt, dass alles möglich ist
Auch das habe ich schon mal gehört – oft im Zusammenhang mit zum Beispiel der Viele-Welten-Theorie: Jede denkbare Welt ist auch möglich. Nun ja, die Antwort hierauf lautet schlicht “Nein” – solange die anderen möglichen Welten auch nach unseren (oder ähnlichen) Naturgesetzen funktionieren, solange wird es auch dort Dinge geben, die nicht funktionieren können – ein perpetuum mobile zum Beispiel dürfte in keiner Parallelwelt funktionieren. Im Rahmen der Naturgesetze erlaubt die Quantenmechanik zwar auch sehr unwahrscheinliche Prozesse. Aber auch das war schon in der klassischen Physik so: Auch in der klassischen Physik können sich die Splitter der gerade runtergefallenen Kaffetasse durch thermische Fluktuationen ganz von selbst wieder zu einer heilen Tasse zusammensetzen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist so klein, dass es aber besser ist, Kehrblech und Schaufel zu holen, statt ein paar Milliarden Milliarden… Milliarden Jahre zu warten.
Fazit: Ist alles möglich? Nein. Und selbst unwahrscheinliche Dinge, die in der Quantenphysik möglich sind, sind immer noch unwahrscheinlich – deswegen beobachten wir solche Dinge ja auch nie.
Aber hier stand so oft “vermutlich”. Könnte es nicht doch sein, dass…?
Zugegeben, die Interpretation der Quantenmechanik ist nicht vollkommen verstanden, und es könnte sein, dass zum Beispiel “Information” wichtiger ist, als wir im Moment denken. “Es könnte sein” ist aber kein besonders guter Ratgeber – es könnte zum Beispiel auch sein, dass nächsten Dienstag kurzfristig andere Naturgesetze gelten, die dazu führen, dass sich jedes Exemplar des Buchs “Mechanisches Verhalten der Werkstoffe” in pures Gold verwandelt. Da es noch nie “nächster Dienstag” war, können wir das nicht absolut ausschließen – also besser, ihr geht in die nächste Buchhandlung, und kauft euch ein Exemplar ($$$$$$$), man kann ja nie wissen.
Naturwissenschaft (und gerade Physik) ist immer eine Extrapolation von Bekanntem auf Unbekanntes – man leitet Gesetze aus Experimenten ab, von denen man dann annimmt, dass sie eben auch über exakt diese Experimente hinaus Gültigkeit haben. Es ist niemals sicher, dass das so ist. Es ist immer möglich, dass die Naturgesetze in Wahrheit nur eingeschränkte Gültigkeit haben. Aber solange nichts dafür spricht, dass das so ist, solange geht man sinnvollerweise davon aus, dass es nicht so ist. Und die Tatsache, dass ihr gerade an einem Computer sitzt (den man ohne Anwendung von Thermodynamik, Quantenmechanik und Elektrodynamik nicht hätte entwickeln können), spricht dafür, dass das ganz vernünftig ist.
Gesamtfazit: Die Quantenmechanik ist eine faszinierende Theorie, die in vieler Hinsicht unserem Alltagsverstand widerspricht. Sie ist auch noch nicht in allen Details verstanden und ihre Interpretation macht Kopfzerbrechen. Viele der Phrasen, die man immer wieder hört, haben einen wahren Kern – aber die Schlussfolgerungen, die gern daraus gezogen werden, sind meistens falsch.
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Der Roman mit der quantenmechanischen Realitätsbeeinflussung ist Stephen Baxters “Timelike Infinity” – danke an KommentatorIn Xeelee, der/die mir im November den Lesetipp gab.
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