Als wir unsere Helden das letzte Mal verließen, hatten sie gerade die möglichen Beinstellungen eines Tyrannosaurus untersucht, auf verschiedene Arten die Höchstgeschwindigkeit abgeschätzt und waren dabei, eine Veröffentlichung vorzubereiten. Doch eine kleine e-mail änderte die Lage.

Ziemlich genau ein Jahr, nachdem ich John Hutchinson besucht hatte, bekam er wieder Besuch – diesmal von Steve Gatesy von der Brown University in den USA. Steve und John hatten schon öfters zusammengearbeitet und sich dabei ebenfalls mit dem Laufen von zweibeinigen Dinos beschäftigt. Vieles, was sie gemeinsam überlegt hatten, fand sich in ganz ähnlicher Weise auch in dem wieder, was ich mit John ausgeknobelt hatte, und nun stand John vor einem kleinen Dilemma: Zwei Veröffentlichungen schreiben, die in gewisser Weise einen gemeinsamen Methodenkern hatten, aber nicht so recht zusammenpassten? Oder ließen sich die unterschiedlichen Ansätze (inhaltlich erkläre ich das gleich) vielleicht zusammenführen?

Und so bekam ich besagte mail, in der John zaghaft anfragte, ob ich etwas dagegen hätte, mein Programm mit diesem anderen Ansatz zusammenzuführen und daraus eine neue Veröffentlichung zu schreiben.

Einerseits war das natürlich schade – aber auf der anderen Seite war ich auch, ehrlich gesagt, ziemlich gebauchpinselt. Stellt euch vor, ihr habt eine Kollaboration mit, sagen wir, Werner Heisenberg, und der fragt euch eines Tages, ob ihr Einwände habt, die Kollaboration thematisch etwas zu verändern, damit auch Wolfgang Pauli dabei sein kann. O.k. – ist leicht übertrieben, aber der Name Gatesy dürfte jedem, der sich irgendwie mit Dino-Biomechanik beschäftigt, ein Begriff sein. Hinzu kam, dass mir der neue Denkansatz auch ziemlich gut gefiel. Entsprechend enthusiastisch fiel meine Antwort aus.

Damals nahmen wir an, dass es ein paar Monate dauern würde, eine Veröffentlichung fertigzubekommen – bis sie aber tatsächlich erschien, vergingen drei Jahre; es lagen zwei Ablehnungen des Artikels dazwischen und unzählig viele Varianten der Berechnungen (Biologen sind nämlich extrem detailverliebt – während ich als Physiker sagen würde, dass es bei so einem Knochen für ein ausgestorbenes Lebewesen auf den Millimeter nicht ankommen sollte, waren John und Steve immer wieder dabei, hier, da und dort noch den einen oder anderen Parameter zu ändern, was dann jedesmal wieder ein paar Millionen neue Beinkonfigurationen zu berechnen gab.) Und email gab es – es ist schon ein kleines Wunder, dass wir aufgrund des mailaufkommens nicht auf sämtlichen Spamfiltern der Welt gelandet sind – die wir mit großer Begeisterung hin und her und hin und her schickten; angesichts der vielen Neu, Neu-Neu und Neu-Neu-Neuberechnungen gab es mail-Betreffzeilen wie
newer draft
next draft
version 17
New version and figure 3
latest and greatest?
final 1.5BW dataset
Doin the timewarp
Halfway to the wall
Simulations – the next generation
Final (?) results
Final final figures?
Is the ring found?
Latest final absolutely last ultimate results
…too many mails
plugging along
finally!
Simulations reloaded

Aber keine Sorge – ich werde diesmal nicht die gesamte Historie nacherzählen und euch den Inhalt aller 1100 Mails in meinem Ordner ausführlich schildern.

Stattdessen werfen wir direkt einen Blick auf die Arbeit und ich erzähle euch, was die neue Idee von John und Steve war und was dabei herauskam.

Der Titel der Arbeit enthält die Kernidee (ein Klick führt direkt zum frei verfügbaren pdf):
“Constraint-based exclusion of limb poses for reconstructing theropod dinosaur locomotion”
Übersetzen könnte man das etwa als “Ausschluss von Beinpositionen durch Zwangsbedingungen zur Rekonstruktion der Bewegung theropoder Dinosaurier”.

Die Idee von Steve und John, die über das, was wir bisher gemacht hatten, hinaus ging, bestand darin, das Problem umzudrehen. Sucht man eine optimale Beinstellung, so wie wir es bisher gemacht hatten, dann weiß man hinterher natürlich immer noch nicht, ob diese Beinstellung in der Realität auch verwendet wurde. Vielleicht gab es ja andere Gründe für einen T. rex, eine bestimmte Beinstellung nicht zu verwenden.

Stattdessen guckten wir nun, welche Beinstellungen überhaupt in der Schrittmitte möglich waren und welche sich durch physikalische, biologische oder geometrische Argumente ausschließen ließen. Dieser Zugang ist zunächst mal etwas systematischer und hat den Vorteil, dass er sich nicht auf ein “Optimum” konzentriert von dem man nicht weiß, ob es auch real war. Ein solches Optimierungskriterium müsste man, damit es glaubhaft ist, ja zunächst an lebenden Tieren prüfen, aber dazu ist die Datenbasis zu dünn. Außerdem fokussiert das Optimum sehr stark auf einen Aspekt, nämlich die Höchstgeschwindigkeit.

Die Beinstellungen kennzeichnen wir wieder so, wie wir es schon im zweiten Teil gemacht haben, durch die Winkel der jeweiligen Gelenke. (Wir beschränken uns auch hier wieder auf zwei Dimensionen.)

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Vernachlässigen wir die Winkel an den Zehen (unter der Annahme, dass der Fuß hier auf dem Boden aufliegt, so dass die Kräfte in diesem Bereich irrelevant sind), dann haben wir vier denkbare Winkel: Hüfte, Knie, Knöchel und der Winkel zwischen Mittelfuß und Zehen (“metatarsophalangeal angle” = Metatarsus=MIttelfuß, phalanx=Finger/Zeh). Da der Fuß unten horizontal auf dem Boden liegt, ist einer von diesen Winkeln von den anderen drei abhängig – das kennt ihr schon vom Dino-Konfigurator (den jetzt wieder zu aktivieren vermutlich eine gute Idee ist).

Zum Glück haben wir genau drei Parameter, die unsere Beinstellung kennzeichnen. Das heißt, dass wir einen dreidimensionalen Parameterraum zeichnen können, in dem jeder Punkt einer denkbaren Beinstellung entspricht. (Real haben wir immer ganzzahlige Werte für die Winkel – in Grad – verwendet, so wie auch schon im 3. Teil. Als Physiker war ich ja der Ansicht, man sollte die jeweiligen Bereiche, die sich dann ergeben, in der Einheit Grad3 angeben, aber das fanden meine beiden Koautoren zu abgefahren.)

Jetzt gehen wir ganz systematisch vor: Wir überlegen uns immer schärfere Bedingungen, die an die Beinstellung gestellt werden können (das sind die “constraints” aus dem Titel) und schauen, welche Beinstellungen dann möglich sind und welche nicht. Dabei schneiden wir aus dem Raum der möglichen Beinstellungen immer mehr verbotene Bereiche heraus, ähnlich wie ein Bildhauer einen Steinblock bearbeitet.

Wenn ihr euch das Bein als Strichmodell wie im Dino-Konfigurator vorstellt, dann sind zunächst mal alle Winkel zwischen 180° (voll gestreckt) und 0° (voll angewinkelt) für jeden der drei Winkel Knie (knee), Hüfte (hip) und Knöchel (ankle) möglich. Unser Anfangs-Block sieht also so aus:

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Einige Winkel sind aber natürlich absurd – beispielsweise kann der Kniewinkel nicht 1° betragen, denn dann würden Ober- und Unterschenkel nahezu parallel nebeneinander liegen (wenn euch das nicht gleich klar ist, nutzt den Dino-Konfigurator – und nein, ich bekomme kein Geld für jede Konfiguration…) dazu ist das Bein ein bisschen zu dick. Schaut man sich die Gelenke genauer an, so kann man aus ihnen so etwa den Bewegungsspielraum ablesen – dafür waren natürlich meine beiden Biologen-Kollegen zuständig. Der Hüftwinkel beispielsweise lag zwischen 25 und 135 Grad – noch weiter nach vorn oder hinten konnte der Oberschenkel nicht zeigen, ohne das Gelenk auszukugeln.

Berücksichtigt man diese Bewegungsmöglichkeiten, dann schrumpft der Raum der Möglichkeiten etwas zusammen:

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Dabei ist hier und im Folgenden der jeweilige Bereich aus dem vorigen Bild schattiert eingezeichnet, außerdem Cartoons typischer Beinstellungen, die im jetzt verbotenen Bereich liegen.

Auch die nächste Randbedingung ist ziemlich simpel: Wenn ein T. rex nicht immer mit einem Spaten herumlief, dann müssen alle Knochen und Gelenke logischerweise über dem Boden liegen. Konfigurationen, wo das Knie oder der Knöchel unter der Grasnarbe (o.k., Gras gab’s damals nicht, also Farnnarbe) liegen, sind offensichtlich ausgeschlossen:

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(Findet ihr das bis hierhin trivial? Ist es letztlich auch, trotzdem ist es schon sinnvoll und die Intuition fördernd, einmal ganz systematisch zu gucken, welche Posen denn nun durch welchen Effekt ausgeschlossen werden. Und keine Sorge, gleich wird es deutlich weniger trivial.)

Wir interessieren uns ja für die Schrittmitte. Dabei muss der Schwerpunkt über der Fußmitte liegen – die entsprechenden Bereiche sind im ersten Bild oben als CoM (Schwerpunkt) und CoP (Ansatzpunkt der Bodenkraft) gekennzeichnet. Diese Bedingung schneidet eine Scheibe aus dem Konfigurationsraum heraus (wenn wir gefordert hätten, dass der Schwerpunkt exakt über der Fußmitte liegen muss und wenn wir die Lage des Schwerpunktes genau kennen würden, dann bliebe jetzt nur noch eine zweidimensionale Fläche übrig.):

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Als nächstes kommen die Muskeln ins Spiel: Bei allen Zweibeinern sind in der Schrittmitte bestimmte Muskeln aktiv – im Knie beispielsweise die Extensoren, die das Knie strecken. Konfigurationen, bei denen im Knie die Beugemuskeln aktiv wären, sind verboten, denn dann würde das Knie ja weiter gebeugt werden, was nicht zur Schrittmitte passt. Ähnliche Bedingungen gelten auch für die anderen Muskeln (mathematisch heißt das, dass die Biegemomente das richtige Vorzeichen haben müssen):

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Erinnert ihr euch noch an Teil III? Da hatte ich die seltsamen, nach vorn gekippten Konfigurationen wie (40,115,180) erwähnt – so etwas beobachtet man bei Vögeln niemals. Wir hatten zunächst keine rechte Idee, was gegen diese Posen spricht, aber dann hatte Steve einen Geistesblitz: Die Kraft am MTP-Gelenk (ganz unten am Fuß) wird durch eine Sehne übertragen, deren Ansatzpunkt oberhalb des Knöchels sitzt. Das angreifende Moment am MTP-Gelenk kann deshalb niemals größer werden als das am Knöchel, denn das Moment muss ja übertragen werden. Diese Bedingung schließt die vorgekippten Stellungen ganz elegant aus:

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Von den ursprünglichen knapp 6 Millionen Beinstellungen sind jetzt nur noch 51273 übrig (wohlgemerkt, jede Stellung ist repräsentativ für einen Bereich von einem Grad für jeden Winkel – als Physiker hätte ich wie gesagt lieber geschrieben, dass das zugängliche Volumen auf 51273 Grad3 verkleinert wurde).

Beim Laufen liegt der Schwerpunkt in der Schrittmitte ja nicht am höchsten Punkt – als nächste Randbedingung verlangten wir deshalb, dass die Hüfthöhe weniger als 95% der maximalen Hüfthöhe bei gestrecktem Bein betragen sollte (das ist sehr vorsichtig geschätzt). Damit fallen ein paar weitere Posen weg, aber noch etwa 50000 bleiben übrig:

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Und jetzt schlugen wir die Brücke zu den Rechnungen aus dem letzten Teil, indem wir die notwendige Muskelmasse mit einbezogen. Wir setzten eine Obergrenze von 5% der Körpermasse für jeden Muskel an – anders als beim letzten Mal, wo wir ja eine Gesamtmasse verwendet hatten. Und jetzt kann man fragen, wieviele Konfigurationen übrig bleiben, wenn man eine bestimmte Bodenkraft (die Kraft, mit der man sich vom Boden abstößt, kurz GRF genannt, siehe die letzten Teile) annimmt. Bei einer GRF von 1 (in Einheiten der Körpermasse=”body weight”=BW) bleiben noch 27210 Posen übrig:

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Nimmt man dagegen GRF=1,5 an (das ist immer noch nur recht langsames Laufen – bei GRF von 1,6 beginnt das Laufen gerade, eine Schwebphase zu haben, wie wir im zweiten Teil gesehen haben) schrumpft der Konfigurationsraum dramatisch zusammen, auf nur noch 2391 Posen (von denen die beste eine GRF von 1,87 erreicht):

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Wie ihr seht, ist von dem anfänglichen großen Konfigurationsblock nicht viel übrig.

Zwei Fragen stellen sich jetzt vermutlich unmittelbar:
1. Sind 2391 Posen viel? Oder wenig?
2. Kann man diese ganze Rechnerei irgendwie überprüfen?

Fangen wir mit der zweiten Frage an. Eine Live-Aufnahme eines T. rex hatten wir leider nicht, weil die Physik-Abteilung ja immer noch keine Zeitmaschine gebaut hat (was machen so Physiker eigentlich den ganzen Tag?). Aber es gibt ja heute noch schnell laufende Zweibeiner – Strauße zum Beispiel. Und von denen gibt es zumindest ein paar beim Laufen gemessene Beinstellungen.

Wir nahmen also typische Werte für einen Strauß und wiederholten die ganze Rechnung. Wenn wir keinen Mist gebaut hatten, dann sollten die gemessenen Posen möglichst innerhalb unseres erlaubten Bereichs liegen. Hier das Ergebnis:

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Links seht ihr wieder den zugänglichen Bereich für die Schrittmitte – er hat eine andere Form, weil der Strauß andere Beinproportionen hat, rechts daneben ein paar Beinstellungen. Die beiden experimentell beobachteten Konfigurationen (1 und 2) liegen im erlaubten Bereich. (Auch für einen Emu fanden wir noch einen Messpunkt, auch der passte ins erlaubte Volumen für Emus, dafür haben wir aber nicht nochmal ein Bild gemacht.) Die anderen dargestellten Posen sind aber beim Strauß nach unseren Rechnungen alle ebenfalls theoretisch möglich, wenn er eine GRF von 1,5 erreichen will. Der erlaubte Bereich für den Strauß ist also viel größer als für den T. rex.

Und das ist dann auch eine erste Teilantwort auf die erste Frage: 2391 Posen sind wenig. Um herauszufinden, wie wenig es wirklich sind und ob das nur und vor allem an der Größe des T. rex liegt, habe ich mein Programm noch fleißig weiter gequält und andere Tiere eingefüttert. Am Ende hatte ich die Rechnung für folgende Dinosaurier (einschließlich heutiger Vögel) gemacht (in Klammern jeweils die angenommene oder gemessene Körpermasse):
Tyrannosaurus (6583kg), Kürzel Tyr
Allosaurus (1400kg), Kürzel Allo
Gorgosaurus (jugendlich, 200kg), Kürzel Gor
Velociraptor (20kg), Kürzel Vel
Strauß (64,9 kg), Kürzel Str
Emu (27,2kg), Kürzel Dro
Perlsteißhuhn (0.406kg), Kürzel Eud
Für alle diese Tiere brauchten wir Mess/Schätzwerte für die Größen der einzelnen Knochen, Muskellängen etc. War ein ziemlicher Datenwust, der als Tabelle im paper zu finden ist. Und keine Sorge, ich zeige jetzt nicht den ganzen Konfigurationsraumkram für jeden davon.

Interessant ist ja nach wie vor die Frage, wie man denn den großen Unterschied zwischen Strauß und T. rex bei der Anzahl der Konfigurationen bewerten soll. Um das etwas besser zu quantifizieren, haben wir folgendes gemacht: Wir haben für jede der sieben Arten geguckt, wieviele Konfigurationen zur Verfügung stehen, wenn man einen bestimmten Wert für die GRF fordert. Damit Unterschiede durch verschiedene Bewegungsspielräume an den Gelenken oder durch unterschiedliche Verhältnisse der Knochenlängen nicht ins Gewicht fallen, haben wir die Zahl der Konfigurationen auf die Anzahl normiert, die ohne die Randbedingung “beschränkte Muskelmasse” möglich ist (also für den T. rex auf die etwa 50000). Ist der Wert 1, dann fallen also durch die Randbedingung keine Konfigurationen weg, ist der Wert klein, dann sind nur noch wenige übrig, ist er Null, sind es gar keine mehr. Das hier ist das Ergebnis:

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Ihr erkennt, dass der T. rex ein Extremfall ist. Beim 1,4 Tonnen schweren Allosaurus stellt selbst die Anforderung GRF=1,5 noch keine dramatische Einschränkung dar, beim Gorgosaurus sind auch noch höhere Werte problemlos möglich. Generell gilt, dass die Kurve um so weiter rechts abfällt, je leichter das Tier ist.

Das sieht man auch an den maximal möglichen Werten der GRF, die wir ebenfalls für die unterschiedlichen Arten berechnet haben:

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Ihr erkennt, dass die “echten” Dinosaurier alle etwa auf einer Linie liegen – je größer die Masse, desto kleiner der Maximalwert der GRF. Die Vögel zeigen keinen solchen Trend – eventuell sind es auch nur Strauß und Emu , die hier herausfallen, denn das Perlsteißhuhn liegt ja auch auf der Linie. Zumindest bei den zweibeinigen Dinos sind also Masse und maximale Bodenkraft direkt miteinander verknüpft.

Noch ein weiteres Ergebnis zeigt, dass der T. rex deutlich aus dem Rahmen fällt: Ich hatte ja mehrfach hervorgehoben, dass das Bein beim Laufen eingeknickt sein muss, weil der Schwerpunkt niedrig ist. Wie tief kann das Bein maximal eingeknickt sein, wenn man eine Kraft vom 1,5fachen des Körpergewichts als GRF aufbringen will (ungefähr die Grenze, bei der eine Schwebphase möglich ist)? Das zeigt dieses Bild, bei dem die maximal mögliche Beinbeugung (in Prozent der Länge des durchgestreckten Beins) gegen die Masse aufgetragen ist:

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Man erkennt, dass die Vögel alle sehr niedrig liegen – das liegt vermutlich an dem kurzen Oberschenkel. Die mittelgroßen Dinos – egal ob Velociraptor oder Allosaurus – könnten ihre Beine zu etwa 60% einknicken und dabei noch einen GRF-Wert von 1,5 erreichen. Der T. rex liegt mit einem maximalen Einknicken von 85% auffällig darüber. Auch hier zeigt sich wieder, dass er vermutlich nicht mehr wesentlich größer werden könnte, ohne die Fähigkeit zum Laufen (nicht Gehen!) vermutlich völlig zu verlieren. Es ist ja auch auffällig, dass die großen fleischfressenden Dinosaurier alle etwa dieselbe Maximalgröße hatten – T. rex, Giganotosaurus, Carcharodontosaurus, eventuell auch Spinosaurus (und ein paar weniger gut bekannte wie Epanterias und Saurophaganax), alle mit einer Länge von 12-14 Metern. (Falls jemals ein größerer Theropode gefunden wird, wäre es natürlich extrem spannnend, ihn mit diesen Methoden hier zu analysieren.)

In der abschließenden Diskussion schließlich haben wir die Ergebnisse unter verschiedenen Aspekten noch einmal beleuchtet. Das will ich hier nicht in allen Einzelheiten wiederholen, weil es zu einem guten Teil ein Vergleich dieser Ergebnisse mit denen anderer Arbeiten ist – die jetzt alle auch noch zu erklären, bin ich zu faul. Aber das letzte Bild will ich euch nicht vorenthalten, denn es fasst das Gesamtergebnis der Studie in Bezug auf T. rex noch einmal schön zusammen:

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Unter A seht ihr noch mal einen Ausschnitt des Konfigurationsraums mit dem erlaubten Bereich für GRF=1,5. Mögliche Beinstellungen aus dem Randbereich seht Ihr in B – ihr erkennt, dass die sich nicht dramatisch unterscheiden, was noch einmal deutlich macht, wie eng der Bereich ist.

Teilbild D zeigt eine Pose in der Mitte des Bereichs, die auch diejenige ist, mit der sich die höchsten GRF-Werte erzielen lassen. Dabei sind drei ausgewählte Positionen des Schwerpunkts farblich markiert. Links davon in Teilbild C ist der maximale GRF-Wert für die drei unterschiedlichen Schwerpunktpositionen aufgetragen – nur wenn der Schwerpunkt relativ dicht an der Hüfte liegt, lassen sich Werte größer als 1,5 erzielen. Die horizontale Achse in diesem Bild ist die Höhe der Hüfte über dem Boden, also ein Maß dafür, wie stark das Bein gebeugt ist. Mit weit vorn liegendem Schwerpunkt kann das Bein also stärker gebeugt werden (der Oberschenkel wird etwas horizontaler), aber die maximale Kraft ist klein. Die fünf Zahlen im Bild gehören zu den 5 explizit gezeichneten Beinstellungen.

Insgesamt haben wir also auf systematische Weise untersucht, welche Beinstellungen ein T. rex in der Schrittmitte verwenden kann. Wir haben gesehen, dass schon bei moderat hohen Kräften nur noch wenige Stellungen übrig bleiben, und dass sich T. rex hier von kleineren Dinosauriern und Vögeln unterscheidet. Die maximal mögliche Kraft ist – mit Ausnahme von Strauß und Emu – gut mit der Körpermasse korreliert. Einen expliziten Wert für die Höchstgeschwindigkeit haben wir nicht noch einmal abgeschätzt, aber im letzten Teil hatte ich ja schon gezeigt, dass der bei etwa 40km/h lag.

Das paper schließt mit dem Statement:

A unique benefit of this approach is its transparancy and repeatability… We hope that our case study will stimulate paleobiologists to find new ways to move the field forward to more objectivity and lucidity.
[Ein einzigartiger Vorteil dieser Methode ist ihre Transparenz und Wiederholbarkeit… Wir hoffen dass unsere Fallstudie Pläobiologen dazu anregen wird, neue Wege zu finden, dieses Forschungsgebiet in Richtung auf mehr Objektivität und Klarheit voranzutreiben.]

Wenn ihr noch einmal zum ersten Teil zurückblickt, dann stimmt ihr hoffentlich zu, dass diese Behauptung hier nicht ganz abwegig ist – statt vage über Beinproportionen zu spekulieren, haben wir ganz systematisch untersucht, was möglich war und was nicht. Bisher allerdings habe ich die Methode noch nirgendwo anders angewandt gesehen – vielleicht, weil die dahintersteckenden Rechnungen doch ein wenig abschreckend aussehen mögen.

Für’s erste ist diese Geschichte damit am Ende – auch wenn ich natürlich hoffe, irgendwann neue Projekte mit John und Steve verfolgen zu können. Dass das Ganze viel Spaß gemacht hat, ist hoffentlich deutlich geworden. Und ganz persönlich gesehen zeigt die Geschichte noch etwas anderes: Manchmal schafft man es mit Glück und Anstrengung, sich einen Traum zu erfüllen. Um mich daran immer zu erinnern, gibt es in meinem Wohnzimmer seitdem eine Ecke, die so aussieht:

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Kommentare (12)

  1. #1 Roland
    18. Mai 2011

    Ist das nur bei mir so, daß die ersten zehn Abbildungen fast-schwarz auf schwarz dargestellt werden?

  2. #2 JLN
    18. Mai 2011

    2391 Posen entsprechen im Schnitt pro Winkel einer Variation von etwas mehr als 13°. Das ist nun wirklich noch überschaubar.

    Gratuliere, zu der Publikation wie auch zu einer hochinteressanten Artikelserie auf SB!

  3. #3 rectus
    18. Mai 2011

    @MartinB,
    wiedermal ein extrem interessanter Artikel. Aber:

    Bei allen Zweibeinern sind in der Schrittmitte bestimmte Muskeln aktiv – im Knie beispielsweise die Extensoren, die das Knie strecken. Konfigurationen, bei denen im Knie die Beugemuskeln aktiv wären, sind verboten, denn dann würde das Knie ja weiter gebeugt werden, was nicht zur Schrittmitte passt.

    Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt zum Horst zu machen, ändert das hier https://www.biowiss-sport.de/fopro_lomb.htm daran etwas? Und gibt es auch Druckversionen von Deinen Beiträgen?
    mfg rectus

  4. #4 stl
    19. Mai 2011

    @MartinB
    So schön beschrieben … faszinierend und eingängig, vor allem die Bilder. Eine Druckversion würde mich auch interessieren.

  5. #5 MartinB
    19. Mai 2011

    @Roland
    Also bei mir sind die Abbildungen farbig und gut zu erkennen. Im Zweifel findest du sie aber auch im pdf des Artikels.

    @rectus
    Soweit ich das verstehe (ich finde die Seite mit ihrem Nominalstil extrem schwer zu lesen) eher nein – dort geht es ja darum, dass ein bestimmter Muskel abhängig von den randbedingungen eventuell seine Rolle zwischen Extensor und Flexor wechseln kann. Was ich argumentiere, ist etwas anderes: Wenn ich beim laufen das bein einknicke, dan bremse ich dabei die Abwärtsbewegung des Schwerpunktes, bis ich am tiefsten Punkt ankomme und dann das Bein wieder strecke. Dabei wirkt auf den Schwerpunkt die ganze Zeit eine Kraft nach oben – also muss es ein Extensor-Muskel sein, der hier eine Rolle spielt.
    Es mag natürlich sein, dass mit einem ähnlichen Mechanismus wie in dem Link andere Muskeln als Extensoren an der Beschleunigung beteiligt sind, als bisher gedacht. Aber für die notwendige Zwangsbedingung müsste dann ja irgendwoher eine Gegenkraft kommen, die auch Muskelmasse braucht. Ich sehe im Moment nicht, dass man damit die Muskelmasse kleiner bekommen kann (aber garantieren tue ich das nicht, dafür bin ich nicht Experte genug).

    Druckversion der Artikel – ja, das wäre nett, aber unser MT-System gibt sowas nicht her. Falls jemand ein Skript mt2latex o.ä. schreiben will.

  6. #6 Derich
    19. Mai 2011

    eine tolle Artikelserie, vielen Dank für solch eine gelungene Aufbereitung der Wissenschaft… und wo war nochmal der flattrbutton bei dir? 😉
    Danke – das Lob aktivierte leider den Spamfilter. Flattr hab ich nicht, braucht man sowas?

  7. #7 miesepeter3
    19. Mai 2011

    @Martin B.

    Auch ich find den Artikel sehr interessant, habe aber nicht alle Einzelheiten verstanden.
    Ich bin zwar kein Experte für die Fortbewegung von Vögeln, aber wenn ich in meinem Garten sitze, so ist es fast unvermeidbar, den Vögeln, die durch den Garten wuseln, nicht zuzusehen. Dabei fiel mir auf, dass bei etwa gleich großen Vögeln (Taube, Elster,Amsel) trotz möglicherweise auch gleich großen Knochen sehr unterschiedliche Fortbewegungsarten festzustellen sind (Trippeln, Hüpfen, Laufen).
    Wie kann man dann nur an den Knochen feststellen, wié damals tatsächlich gelaufen wurde.
    Oder ist das wieder “nur” ein solche Bewegungen waren möglich, andere nicht?
    Aber so ganz genau……… eher nicht?

  8. #8 MartinB
    19. Mai 2011

    @miesepeter3
    Generell gilt, dass kleine Tiere mehr Möglichkeiten haben als große – das merkt man eben auch an der Fortbewegungsweise. Hüpfen ist insbesondere bei mittelgroßen Tieren eher effizient – ich hatte das hier mal ansatzweise erklärt:
    https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/01/von-grossen-und-kleinen-tieren.php

    Bei sehr großen Dinos kann man Hüpfen als Bewegungsform deswegen eigentlich ausschließen. Generell kann man wirklich gute Hüpfer auch am Skelett erkennen, weil die meist Knochen haben, die den Hebelarm am Fuß vergrößern.
    Auch Spuren zeigen, dass Dinos gelaufen/gegangen sind.

  9. #9 miesepeter3
    19. Mai 2011

    Ich stell mir gerade einen 15 Tonner Hüpfer vor……….
    Die Erde bebt und die Kochen knacken.
    Danke für die Antwort.

  10. #10 MartinB
    19. Mai 2011

    @miesepeter
    Wobei man allerdings dazu sagen muss, dass man Anfang des 20 Jh. durchaus überlegt hat, dass T. rex und Konsorten Känguruartig hüpfen, weil man keine anderen zweibeinigen Tiere mit langem schweren Schwanz kannte und ja dachte, der Rücken wäre eher vertikal orientiert.

  11. #11 Florian
    23. Februar 2012

    Hallo Herr Dr. Bäker,
    ich bin zwar kein Physiker, aber ein Dino-Fan allemal (zumindest ein bischen).
    Eine Bemerkung zum Schaubild “Relative Maximum GRF” möchte ich trotzdem machen;
    Sie haben ja aufgezeigt, dass ein Strauss oder ein Emu “aus der Reihe tanzen” und nur das Perlhuhn eine equivalente Energie aufwenden muss um zu laufen…
    Anyway; was mir dazu einfällt ist dass sowohl Stauss als auch Emu keinen meterlangen
    Schwanz haben; es heisst ja in der fachliteratur auch, dass Dinos ihre Schwänze zum
    ausbalancieren hatten; entgegengesetzt haben grosse Laufvögel dafür ihre Flügelstummel/ Büsche– deshalb haben letztere generell einen weiter vorn liegenden Schwerpkt.
    Winzige zweibeinige Dinos wie der Ur-Dino Coelophysis (o.ä.) hatten zwar auch einen langen Schwanz– dieser dürfte aber (schätzungsweise) keinen grossen Anteil an der Körpermasse dieses [Fliegengewichts unter den] Dinos gehabt haben.
    Daher rühren auch die physisch ähnlichen Eigenschaften beim Gehen wie beim perlhuhn oder anderen kleinen Laufvögeln, oder?
    Gruß, Florian.

  12. #12 MartinB
    24. Februar 2012

    @Florian
    Ja, das spielt hier eine Rolle. Generell haben Vögel eher kurze Oberschenkel, die gerade beim gehen eher horizontal oder fast horizontal gehalten werden, um die Füße unter den weiter vorn liegenden Schwerpunkt zu bringen.

    Anhand der Datenlage ist aber nicht zu sagen, ob alle Vögel auf einer Linie liegen, die einfach flacher verläuft als die der Dinos, wobei sich beide Linien an einem Punkt kreuzen, oder ob kleine Vögel generell auf die “Dino-Linie” fallen würden. Ich vermute eigentlich, dass das erste richtig ist, denn auch kleine Dinos haben tendenziell lange Oberschenkel und einen Schwanz, der den Schwerpunkt nach hinten verschiebt.