Das Wort “Spiritualität” hat auf den Scienceblogs keinen guten Klang. Meist wird es synonym mit “Geschwurbel” verstanden – “Spiritualität” ist anscheinend, wenn man nicht genau weiß, was man sagen will, das aber ganz doll wichtig findet. Hier mal ein Beispiel:
“Die Atlantis Energie Code Phyolen sind sehr feine Schwingende… Energieimpulse und regen unsere innere Kraft, Ausdauer, Gesundheit, Liebe, Spiritualität, Wahrheit und Erfolg wieder an.”
Beim Lesen solcher Texte kann man ja förmlich spüren, wie sich die Neuronen gegen das Verarbeiten des Inhalts wehren. Und tippt man mal bei google “Spiritualität” ein, dann findet man in der Anzeigenspalte “Exzellentes Hellsehen”, “Wage den Blick in die Zukunft”, “Erwarte dein Wunder” und ähnlichen Kram.
Dass ich angesichts all dessen – und auch noch hier auf den Scienceblogs – eine Lanze für die Spiritualität brechen will, dürfte deshalb schon ein wenig überraschend erscheinen.
Was ist überhaupt “Spiritualität”? Die tollen feinstofflich schwingenden Zukunftsvorhersage-Dingsbumse lassen nichts gutes erahnen – aber tatsächlich haben die modernen “Esoteriker” das Wort in seiner Bedeutung ein bisschen zweckentfremdet.
Fragen wir lieber das Füllhorn irdischen Wissens (Wikipedia):
Spiritualität … bedeutet im weitesten Sinne Geistigkeit und kann eine auf Geistiges aller Art oder im engeren Sinn auf Geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtete Haltung meinen. Spiritualität im spezifisch religiösen Sinn steht dann auch immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit.
Ähnlich definiert “Esowatch” (ich zitiere “Esowatch”! Ob’s jetzt wieder ne Beschwerde beim Uni-Präsidenten gibt?) den Begriff “Spiritualität”, legt allerdings den Fokus etwas stärker auf die übernatürlichen Aspekte.
Spiritualität…bezeichnet … religiöse oder außerhalb einer Religion ausgeübte Hinwendung zu übernatürlichen Wesen (Gott, Götter) und andererseits eine Weltanschauung, die Phänomenen eine über materielle Eigenschaften hinausgehende oder Materie-ablehnende Geistigkeit zuordnet. Spiritualität umfasst auch die Suche und Sehnsüchte nach einer “geistigen” Verbindung zum Transzendenten, einem Jenseits oder einer Unendlichkeit.
Um es gleich vorwegzuschicken: Ich habe nicht vor, in diesem Text irgendwie “materie-ablehnend” (was immer das heißen soll – “Elektronen find ich doof” oder “Weg mit Gluonen – Freiheit für die Quarks”??) zu argumentieren. Ich habe auch nicht plötzlich meine Vorliebe für die Physik und die Naturwissenschaft vergessen. Trotzdem sehe ich eine Rolle für die Spiritualität.
Spiritualität im weitesten Sinne ist die Beschäftigung mit dem menschlichen Geist, und zwar – anders als in der Naturwissenschaft – introspektiv, also durch Selbstbeobachtung. Aber sollte ich als Naturwissenschaftler nicht lieber zu den Neurowissenschaftlern gehen, wenn ich etwas über den Geist (oder das Bewusstsein) erfahren will?
Natürlich kann und sollte man das tun. Und als Materialist gehe ich auch fest davon aus, dass geistige Prozesse der Beschreibung durch die Naturwissenschaft vollkommen zugänglich sind – prinzipiell ist alles, was ich denke und fühle, durch das Zusammenspiel der Neuronen, Neurotransmitter, Synapsen und so weiter festgelegt und beruht letztlich auf der Wechselwirkung von Elektronen und anderen Elementeilchen. Ob man diese Beschreibung jemals vollständig erreichen wird, weiß ich nicht – aber ich sehe kein prinzipielles Hindernis.
Nur darf man eines nicht vergessen: Die Naturwissenschaft beschreibt die Natur – sie sollte aber nicht mit der Natur verwechselt werden. Die Beschreibung ist nicht das Beschriebene, wie ein berühmtes Bild von Magritte zeigt. (Aus nervigen Copyright-gründen hier nur ein Link…) “Dies ist keine Pfeife” – es ist nämlich ein Bild einer Pfeife, aber das Bild ist nicht die Pfeife selbst.
Und genauso ist es natürlich auch ein Unterschied, einen Geisteszustand wie ein Gefühl wissenschaftlich zu beschreiben oder es zu erleben. Selbst das lässt sich wieder wissenschaftlich nachweisen, denn in beidem Fällen werden unterschiedliche Hirnareale aktiviert. Auch wenn das Subjektive also einer objektiven Beschreibung zugänglich ist, hat es seine eigene Qualität, die Objektiv zwar beschrieben, aber nicht erlebt werden kann.1
1Bei den Philosophen gibt es hier eine endlose Diskussion über die Frage der “Qualia” – also genau des subjektiven Empfindens, und ob diese einer wissenschaftlichen Beschreibung zugänglich sind oder ob es Aspekte der “Qualia” gibt, die jemand, der sie nicht erlebt, niemals nachvollziehen kann. Lesetipp hierzu: D. Dennett, “Sweet Dreams” und auch der berühmte Aufsatz von T. Nagel “What is it like to be a bat?”. Meine Meinung hierzu ist einfach: Ich glaube, dass prinzipiell alle Aspekte der “Qualia” auch wissenschaftlich erfasst werden können, dass es aber trotzdem natürlich nicht dasselbe ist, Qualia zu erleben wie ihre Beschreibung zu kennen.
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