Spiritualität in diesem Sinne ist also der Versuch, durch Selbstbeobachtung etwas über das Universum zu erfahren, und zwar darüber, wie das Universum in unserem Kopf entsteht und wie unser Kopf das Universum schafft. Beide bedingen sich gegenseitig, so wie im klassischen Yin-Yang-Bild:
Von Gregory Maxwell – From Image:Yin_yang.png, converted to SVG by Gregory Maxwell., Gemeinfrei, Link
Das Universum bestimmt unseren Geist, aber umgekehrt bestimmt unser Geist das (von uns wahrgenommene) Universum.
Im Buddhismus heißt es auch “Form ist Leere, Leere ist Form” – wobei das Wort für Leere, “Sunyata”, nicht einfach “das Nichts” bedeutet, sondern besagen soll, dass die Dinge “substanzlos” sind – nichts kann allein stehen, sondern alles wird immer durch die umliegende Welt geschaffen, und weil diese sich ständig ändert, haben die Dinge keine echte “Substanz”, keine Dauerhaftigkeit. Dies gilt auch und ganz besondes für unser “Ich” – das “Ich” ist letztlich nur ein Konstrukt, das uns eine Kontinuität vorgaukelt, die nicht wirklich da ist. Wo ist der MartinB, der als Kind Dinofilme geguckt hat, oder der irgendwann studiert hat oder der heute morgen einen Kaffee getrunken hat? Und wo ist jetzt, in diesem Moment, die Grenze zwischen “mir” und “dem Rest der Welt”? Je schärfer man hinsieht, um so mehr verwischt die Grenze.
Etwas Ähnliches habt ihr alle vermutlich schon erlebt, wenn ihr in irgendeiner Tätigkeit vollkommen versunken seid – bei mir passiert das oft beim Programmieren und manchmal auch beim Schreiben. (Neudeutsch sagt man dazu wohl “Er ist im Tunnel”.) Und während man vollkommen versunken ist, gibt es kein ich und kein da draußen mehr – ich könnte sagen “Es programmiert”.
Eine wichtige Voraussetzung für einen solchen Zustand ist, dass man die Dinge annimmt, wie sie sind. Wenn mich das Programmieren nervt, wenn ich denke “Wenn doch das Programm endlich fertig wäre”, dann steht mein “Ich” mir im Weg. “Ich bin genervt”, sage ich – eigentlich müsste ich eher sagen “Das Genervtsein erschafft mich”, denn in diesem Moment werde ich ja vor allem durch diesen Geisteszustand definiert. (Hier gibt es übrigens spannende Parallelen zu den Ideen von D. Dennett in “Consciousness Explained”.)
Wenn ich aber “im Tunnel” bin, dann ist die Welt so, wie sie ist – der Fokus liegt nur auf den Dingen, die da sind; hier ist ein Konstruktor zu programmieren, dort muss ich eine neue Header-Datei anlegen. Es gibt kein “Genervtsein” oder sonst etwas mehr. Wichtig ist also, die Welt anzunehmen, und nicht die eigenen Gedanken, Vorstellungen oder sonst etwas auf die Welt zu übertragen – “dies ist schlecht”, “das ist nervig”.
Ein ähnlicher Zustand wird häufig beim Meditieren angestrebt – allerdings mit dem kleinen “Extra”, dass man nicht nur in der Meditation versinken, sondern sich dabei gleichzeitig noch dieses Zustandes bewusst werden soll. Dennoch soll man auch hier versuchen, die inneren Zustände nicht nach Außen zu übertragen. Im Buddhismus heißt diese Idee, weil sich das “Selbst” verliert, entsprechend das “Nicht-Selbst”. Weil man keine eigenen Vorstellungen und Werte mit sich herumschleppt, könnte man auch von einem Zustand der “Armut” sprechen – und vielleicht gewinnt jetzt ein anderer Ausspruch plötzlich an Bedeutung: “Selig sind die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.” (So jedenfalls die Interpretation von Meister Eckhart.)
Weia – jetzt habe ich nicht nur buddhistische Lehren, sondern sogar die Bibel zitiert – da denkt ihr alle gleich an das böse “R”-Wort: Religion auf den Scienceblogs?
Keine Panik.
Religionen sind ja normalerweise Erlösungslehren – sie sagen uns, was wir tun müssen, damit unsere “Seele” erlöst werden kann. In diesem Sinn ist der Buddhismus eine etwas ungewöhnliche Religion (viele bezeichnen ihn ja auch eher als Philosophie oder Weltbild) – er sagt uns, dass wir erlöst werden, wenn wir erkennen, dass es die “Seele” und unser “Ich” nicht gibt. Da ist nichts, was erlöst werden müsste. Es gibt nur das Universum jetzt und hier, von dem ein Teil irrigerweise versucht, ein abgegrenztes Subjekt namens MartinB zu sein. Diesen MartinB zu “erlösen” ist unmöglich – dazu müsste man ihn erst einmal zu etwas Dauerhaftem machen, aber das geht in einem sich ändernden Universum nicht – “Form ist Leere, Leere ist Form”.
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