Die Quantenmechanik ist voll von unanschaulichen Konzepten, allen voran die berühmte Unschärferelation und natürlich die “geheimnisvolle” Verschränkung. Dass diese beiden Konzepte zusammenhängen, wurde letztes Jahr von Jonathan Oppenheim und Stephanie Wehner gezeigt. Damit das zumindest einigermaßen anschaulich wird, betreiben wir heute die Quantenmechanik als Glücksspiel.
Diese Idee mit dem Spiel ist leider nicht von mir, sondern schon etwas älter, und wird anscheinend heutzutage von Quantentheoretikern gern verwendet, um die Theorie zu analysieren. Ich erkläre hier erstmal die Spielregeln (die sind auf den ersten Blick etwas wirr) und dann spielen wir das Spiel im Rahmen der klassischen Physik. Danach schauen wir dann, ob wir mit Hilfe der Quantenmechanik einen höheren Gewinn einfahren können.
Das Ratespiel
Unser Spiel trägt den schönen Namen Clauser-Horne-Shimony-Holt-Spiel (meist kurz CHSH-game genannt). Dabei spielen zwei Spieler (traditionell Alice und Bob genannt) gegen einen Fragesteller. Alice und Bob dürfen sich vor dem Spiel absprechen, eine gemeinsame Strategie planen, Gegenstände austauschen oder machen was immer sie sonst tun wollen. (Ich hoffe, das hat jetzt niemand missverstanden…) Wenn das Spiel allerdings beginnt, dann werden sie in getrennte Räume gesperrt, zwischen denen keine normale Kommunikation mehr möglich ist, am besten an zwei verschiedenen Ecken der Galaxis.
Das Spiel funktioniert nun wie folgt: Der Fragesteller schickt sowohl an Alice als auch an Bob jeweils eine Nachricht, die aus einem einzigen Bit besteht, also entweder Null oder Eins. Alice und Bob kennen ihre eigene Nachricht, aber nicht die des anderen.
Beide müssen dann dem Spielleiter antworten. Um zu sehen, wann sie gewinnen oder verlieren, mache ich erstmal eine Tabelle, die zeigt, wann die beiden das Spiel gewinnen:
Alice bekommt | Bob bekommt | Alice antwortet | Bob antwortet |
---|---|---|---|
0 | 0 | 0 | 0 |
0 | 0 | 1 | 1 |
0 | 1 | 0 | 0 |
0 | 1 | 1 | 1 |
1 | 0 | 0 | 0 |
1 | 0 | 1 | 1 |
1 | 1 | 0 | 1 |
1 | 1 | 1 | 0 |
Also: Alice und Bob gewinnen, wenn beide dasselbe antworten, es sei denn, sie haben beide eine 1 als Nachricht bekommen, dann gewinnen sie, wenn ihre Antwort unterschiedlich ausfällt. Stellt euch vor, ihr seid Alice und habt eine Null bekommen, dann wisst ihr, dass Bob dasselbe antworten sollte wie ihr. Wenn ihr allerdings eine Eins als Symbol bekommen habt, dann wisst ihr nicht, ob Bob dasselbe oder das Gegenteil antworten muss, um zu gewinnen.
Eine weitere Sache wisst ihr noch: Im Mittel kommen alle vier Kombinationen der Fragen (0 oder 1 für Alice und Bob) jeweils gleich häufig vor – der Fragesteller kann euch also nicht “austricksen”, indem er sich irgendwie an eure Strategie anpasst (man könnte ihn auch durch zwei Münzwürfe ersetzen).
Am besten denkt ihr einen Moment darüber nach, mit welcher Strategie (die sie ja vorher absprechen dürfen) Alice und Bob am besten fahren und wieviel sie dabei gewinnen.
(Denkpause)
Spielt man das Spiel im Rahmen der klassischen Physik, dann sieht man relativ schnell, dass man wohl am besten fährt, wenn sich Alice und Bob im Vorfeld darauf einigen, immer dasselbe zu antworten – in drei von vier Fällen gewinnen sie, nur wenn beide eine 1 als Frage bekommen, verlieren sie. Die beste Gewinnstrategie erreicht also eine Quote von 75% oder 3/4.
Wenn ihr mehr gewinnen wollt, dann müsst ihr die Quantenmechanik zur Hilfe nehmen. Dazu müssen wir mal wieder einen kleinen Ausflug in die Quantenwelt machen – zur Abwechslung verwenden wir heute mal keine Elektronen, sondern Licht.
Polarisation
In der klassischen Physik betrachten wir Licht ja als eine elektromagnetische Welle, in der das elektrische und magnetische Feld (E und B im Bild) senkrecht aufeinander und senkrecht zur Bewegungsrichtung sind:
By SuperManu – Self, based on Image:Onde electromagnetique.png, CC BY-SA 3.0, Link
Das elektrische Feld kann dabei in unterschiedliche Richtungen zeigen oder auch entlang der Welle rotieren. Hier betrachten wir den einfachsten Fall, bei der das elektrische Feld entlang der Welle immer in dieselbe Richtung zeigt – das nennt man eine polarisierte Welle (genauer gesagt “linear polarisiert”, aber andere Fälle interessieren uns hier nicht). Licht das aus einer Glühlampe kommt, ist nicht polarisiert, aber das, das von eurem Computermonitor zurückstrahlt, schon (es sei denn, ihr habt einen Röhrenmonitor). Der Monitor verwendet nämlich sogenannte Polfilter, um zu steuern, wie hell oder dunkel ein Bildpunkt ist (das ist auch wieder spannende Physik – aber das erkläre ich ein anderes Mal).
Ein solcher Polfilter lässt nur Licht durch, dessen E-Feld in die “richtige” Richtung zeigt, so wie dieses Bild (von Wikipedia) hier zeigt:
Fffred~commonswiki CC BY-SA 3.0, Link
Dabei geht der Teil des Lichts verloren, der senkrecht zur Durchlassrichtung polarisiert ist. Ist das Licht nicht genau senkrecht, sondern unter einem Winkel zum Polfilter, dann kommt ein Teil des Lichts hinter dem Polfilter an, ein Teil wird verschluckt. Beispielsweise kommt bei einem Lichtstrahl, der unter 45° zur Polarisationsebene des Polfilters polarisiert ist, genau die Hälfte der Energie durch den Polfilter, die andere Hälfte wird verschluckt. Die allgemeine Formel für den Anteil der Energie, die durchkommt, wenn Polarisation des Lichtes und Orientierung des Polfilters um einen Winkel α gegeneinander verdreht sind, ist cos2α. Ist α gleich 0, dann ist der Wert also 1, ist α gleich 90°, ist α gleich 22,5°, dann ist der Wert 0.853 (dieser Zahlenwert wird später noch wichtig werden).
Photonen und Unschärfe
Licht besteht ja aus einzelnen Lichtteilchen, den Photonen. Photonen in einem polarisierten Lichtstrahl sind selbst natürlich auch polarisiert. Was passiert, wenn ein Photon auf einen Polfilter trifft? Es kann sich nicht in zwei Photonen aufspalten, sondern muss sich entscheiden – entweder das Photon geht komplett durch, oder es wird absorbiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Photon durchkommt ist wieder genau gleich cos2α – damit ist sichergestellt, dass im Mittel über sehr viele Photonen am Ende genau die korrekte Verteilung der Energie herauskommt, die man auch in der klassischen Physik misst.
Wenn also ein einzelnes Photon mit einer bestimmten Polarisation auf einen Polfilter trifft, der um 45° gegen die Polarisationsebene geneigt ist, dann hat das Photon eine 50%-Chance, durchzukommen und eine 50%-Chance, absorbiert zu werden. (Die Situation ist ganz analog zum berühmten und vielzitierten Doppelspaltexperiment, bei dem Elektronen auf einen Doppelspalt geschickt werden.)
Ich schreibe das hier in symbolischer Form so:
(↑) = ½ (↖) + ½ (↗)
Dabei gibt der Pfeil in Klammern die Polarisationsrichtung an und die Zahl die Wahrscheinlichkeit.1 Die Formel besagt, das, was oben in Worten steht: Ein Photon mit senkrechter Polarisation hat eine 50%-Wahrscheinlichkeit, unter 45° in der einen Richtung polarisiert zu sein, und eine 50%-Wahrscheinlichkeit für die andere Polarisation unter 45°. (Falls euch diese Symbolschreibweise – oder Formeln generell – nicht so behagt, dann könnt ihr die auch überspringen; ich hoffe, die Grundidee wird trotzdem deutlich.)
1Achtung, dies ist keine in der Quantenmechanik übliche Schreibweise, dort verwendet man spitze Klammern, die aber nicht direkt die Wahrscheinlichkeiten angeben. Diese Notation ist speziell nur für diesen Text gedacht.
Das Messergebnis (kommt das Photon durch – ja oder nein) kann also nicht vorhergesagt werden, sondern lediglich seine Wahrscheinlichkeit. Das ist ein Beispiel für die berühmte Unschärferelation: Die Unschärfe äußert sich hier darin, dass wir, auch wenn wir den Zustand des Photons vor der Messung genau kennen, nicht vorhersagen können, welchen Zustand wir hinterher messen werden. Das wird später noch sehr wichtig werden.
Anmerkung: Häufig wird die Unschärferelation ja an Hand von zwei unterschiedlichen Messgrößen wie Energie und Impuls erläutert (hab ich auch mal so gemacht) – in der Arbeit, um die es hier geht, wird aber darauf hingewiesen, dass man diese Art der Unschärfe eigentlich besser als Komplementarität bezeichnen sollte, während die “echte” Unschärfe eben für diesen Fall vorbehalten sein sollte.
Verschränkte Photonen
Um die Nichtlokalität in der Quantenmechanik zu verstehen (und unsere Gewinnchancen beim Ratespiel auf mehr als 75% zu erhöhen), müssen wir die berühmte “Quantenverschränkung” anschauen. Mit polarisierten Photonen kann man die aber schnell verstehen (nun ja, wirklich “verstehen” kann man sie nicht, aber man kann verstehen, was wann passiert).
Dazu erzeugen wir durch einen speziellen Quantenprozess (wie der funktioniert, spielt hier keine Rolle, wichtig ist nur, dass so etwas mühelos geht) zwei Photonen, von denen wir sicher wissen, dass sie in genau derselben Weise polarisiert sind (beispielsweise mit Schwingungsebene in senkrechter Richtung). Die Photonen werden dabei “verschränkt”, so dass ihre Zustände miteinander verbunden bleiben. Um zu sehen, was das genau bedeutet, trennen wir die beiden Photonen und schicken eins zu Alice, das andere zu Bob. Wenn Alice und Bob die Photonen durch einen senkrecht orientierten Polfilter schicken, dann kommt bei beiden das Photon durch. Das ist wenig überraschend und wäre in der klassischen Physik nicht anders.
Als nächstes lassen wir Alice und Bob den Polfilter um 45° (in dieselbe Richtung) drehen. Nach dem, was ich oben über die Unschärfe gesagt habe, und angesichts der Tatsache, dass wir ja wissen (oder zu wissen glauben…), dass beide ein Photon mit einer Polarisation in senkrechter Richtung bekommen, müssten wir erwarten, dass das Photon bei Alice mit 50% Wahrscheinlichkeit durch den Filter kommt und mit 50% Wahrscheinlichkeit nicht. Das gleiche gilt für Bob.
Und tatsächlich, so ist es auch. Mysteriös wird es erst, wenn wir die Ergebnisse der beiden vergleichen: Eigentlich sollte jede Messung bei beiden zufällig sein, aber tatsächlich stellen wir fest, dass Bob immer genau dann ein durchkommendes Photon misst, wenn auch Alice es gemessen hat. Obwohl also das erste Experiment zu zeigen scheint, dass das Photon bei Bob definitiv im Zustand “senkrecht polarisiert” ankommt, wird die (doch eigentlich vollkommen zufällige) Entscheidung, was Bob bei gedrehtem Polfilter misst, davon beeinflusst, was Alice misst (ich nehme hier mal an, dass Alice ihre Messung zuerst macht – diese Annahme spielt keine echte Rolle, denn das Problem ist symmetrisch).
Damit der Widerspruch zur anschaulichen Vorstellung ganz deutlich wird, hier nochmal die Gedankenkette (ziemlich analog zu der in den Feynman Lectures, Vol. 3, Kap. 18, dort lediglich mit etwas anderen Polarisationszuständen):
1. Messen Alice und Bob beide mit senkrechtem Polfilter, so finden beide immer, dass ihr Photon senkrecht polarisiert ist.
2. Daraus folgt, dass das Photon auf seinem Weg zu Bob tatsächlich senkrecht polarisiert ist.
3. Trifft ein senkrecht polarisiertes Photon auf einen Polfilter unter 45°, dann wird es mit 50% Wahrscheinlichkeit durchgelassen, mit 50% Wahrscheinlichkeit absorbiert. Welcher Fall eintritt, ist zufällig.
4. Messen Alice und Bob beide mit Polfiltern unter 45°, dann beobachten beide entweder ein durchkommendes oder ein absorbiertes Photon.
5. Da Bob immer ein unter 45° durchkommendes Photon misst, wenn Alice es unter 45° misst, ist das Photon auf dem Weg zu Bob eindeutig im Zustand “polarisiert unter 45°”.
Und dabei ist 5. ein Widerspruch zu 2, den ein Photon kann nur einen eindeutigen Polarisationszustand haben. (Falls jemand das überlegt: Nein, man kann das Problem auch nicht dadurch lösen, dass man dem Photon erlaubt, sich verschiedene Zustände gleichzeitig zu “merken”.)
Das lässt sich auch in der Symbolschreibweise sehr schön deutlich machen. Wir haben jetzt zwei Photonen und können diesen Zustand einfach so schreiben: (A:↑ B:↑) – die Buchstaben stehen natürlich für das Photon von Alice und Bob.
Da Alice und Bob weit voneinander entfernt sind, sollte man annehmen, dass man das auch schreiben kann als (A:↑) (B:↑). Und wenn man dann die Regel oben einsetzt, dann bekommt man am Ende
(A:↑) (B:↑) = ¼ (A:↖) (B:↖) + ¼ (A:↖) (B:↗)+ ¼ (A:↗) (B:↖)+ ¼ (A:↗) (B:↗)
Dabei wären die Messungen von Bob und Alice unabhängig voneinander. Das ist aber genau nicht das, was wir beobachten – also ist die Annahme, dass (A:↑ B:↑)=(A:↑) (B:↑) ist, falsch. Die Photonen sind “verschränkt” und ihre Zustände bleiben miteinander verbunden.
Richtig ist deshalb
(A:↑ B:↑) = ½ (A:↖ B:↖) + ½ (A:↗ B:↗)
Entweder messen beide die eine, oder die andere Polarisation. (Wie gesagt, diese Notation ist mit Vorsicht zu genießen – anders als bei der tatsächlichen Notation der Quantenmechanik kann man hier nicht ohne weiteres Dinge addieren, ausmultiplizieren etc., sondern nur genau dann, wenn es stimmt.)
Das ist die Nichtlokalität in der Quantenmechanik – irgendwie scheinen sich die beiden Photonen “abzusprechen”, wie sie bei der Messung polarisiert sein sollen. Wichtig ist dabei zu beachten, dass man die Merkwürdigkeit nur feststellen kann, indem man die Messergebnisse von Alice und Bob vergleicht; jeder für sich stellt nichts besonderes fest. Man kann also auf diese Weise keine Signale von Alice zu Bob schicken, die Bob direkt auswerten oder ablesen könnte. Trotzdem sind die beiden Photonen miteinander verbunden – diese Verbindung ist die “Verschränkung”. (Und das Experiment hier ist eine Variante des berühmten Einstein-Podolski-Rosen-Experiments.)
“Steerability”
Im folgenden nehmen wir an, dass Alice ihre Messung immer vor Bob macht.1 Wenn Alice sich entscheidet, ihren Polfilter senkrecht zu stellen, dann weiß sie, dass jetzt auch Bobs Photon im entsprechenden Zustand ist. Stellt sie ihren Polfilter auf eine 45°-Stellung und ihr Photon kommt durch, dann weiß sie, dass jetzt auch Bobs Photon im entsprechenden Zustand ist. (Und wenn ihr Photon nicht durchkommt, dann ist Bobs Photon im entsprechend anderen Zustand.)
1Falls jemand einwendet, dass das wegen der Relativitätstheorie nicht möglich ist, wenn der Abstand zwischen beiden raumartig ist – das soll er ja sein, damit sie keine Signale austauschen können – stimmt schon; die Situation ist aber vollkommen symmetrisch und die Annahme vereinfacht lediglich die Diskussion. Physikalisch ändert sich nichts, wenn es Bob ist, der die erste Messung macht. Und nein, die Relativitätstheorie wird dadurch nicht widerlegt.
Alice kann also den Zustand des Photons bei Bob durch ihre Messung beeinflussen (auch wenn diese Beeinflussung wie schon gesagt nicht ausreicht, um ein Signal zu schicken). Diese Eigenschaft eines Quantensystems wird in der Veröffentlichung “Steerability” (Steuerbarkeit) genannt. Sie ist der Schlüssel zur quantenmechanischen Gewinnstrategie (wir wollten ein Spiel gewinnen, ich hoffe, ihr erinnert euch noch…).
In Symbolschreibweise können wir wieder schreiben:
(A:↑ B:↑) = ½ (A:↖ B:↖) + ½ (A:↗ B:↗)
Misst Alice jetzt (A:↖), dann weiß, sie, dass das Photon von Bob im Zustand (B:↖) ist. Misst Bob jetzt mit einem Polfilter unter demselben Winkel, dann misst er diesen Zustand. Misst Bob jetzt dagegen wieder mit Polfilter in senkrechter Orientierung, dann gilt wieder die Unschärfe und Bob misst in 50% der Fälle ein durchkommendes Photon (B:↑) und in 50% der Fälle ein nicht-durchkommendes Photon (B:→)
Misst Bob dagegen unter einem anderen Winkel, dann verhalten sich die Wahrscheinlichkeiten nach der Formel, die ich oben angeben habe: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Photon durchkommt, ist cos2α.
Umgekehrt gilt dasselbe: Wenn Alices Photon nicht durchkommt, dann weiß sie, dass es im Zustand (A:↗) ist. Damit hat sie Bobs Photon in den Zustand (B:↗) “gesteuert”. Misst Bob jetzt mit einem Polfilter im Winkel α, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Photon nicht durchkommt, auch wieder cos2α.
Fazit des Ganzen: Misst zuerst Alice das Photon, danach Bob, und stehen die Polfilter der beiden in einem Winkel von α zueinander, dann erhalten sie dasselbe Ergebnis (Photon kommt bei beiden durch oder eben bei beiden nicht) mit einer Wahrscheinlichkeit von cos2α.
Irgendwie stelle ich beim Erklären dieser quantenmechanischen Phänomene immer fest, dass es komplizierter ist, als ich vorher dachte, ich hoffe, ihr könnt noch folgen, denn jetzt haben wir es fast geschafft.
Bessere Gewinnchancen
Um unsere Gewinnchancen zu verbessern, müssen wir jetzt “nur noch” das anwenden, was wir gerade gesehen haben.
Alice und Bob dürfen ja vor dem Spiel Photonen austauschen. Das tun sie auch. Für jede Runde des Spiels bereiten sie ein paar geeignet verschränkter Photonen vor, und zwar im Zustand
½ (A:↑ B:↑) + ½ (A:→ B:→)
Diesen Zustand kann man ebenfalls leicht präparieren.
Die Gewinnstrategie sieht jetzt wie folgt aus:
Bekommt Alice vom Fragesteller eine Null, dann stellt sie ihren Polfilter senkrecht, also auf einen Winkel von 0°, bekommt sie eine 1, stellt sie ihn auf 45° im Uhrzeigersinn.
Bob nimmt andere Winkel: Bekommt er vom Fragesteller eine Null, dann stellt er seinen Polfilter genau zwischen 0° und 45° – also auf einen Winkel von 22,5°, ebenfalls im Uhrzeigersinn. (Sagte ich nicht ganz oben, dass der Winkel nochmal wichtig wird?) Bekommt er dagegen eine 1, dann stellt er den Polfilter auf -22,5°, also gegen den Uhrzeigersinn.
Wir machen wieder eine Tabelle, um zu sehen, was passiert. Dabei trage ich die eingestellten Winkel und ihre Differenz ein. In die letzte Spalte kommt dann die Wahrscheinlichkeit, dass Alice und Bob ein übereinstimmendes Ergebnis messen (nach der Formel cos2α):
Alice bekommt | Bob bekommt | Alices Winkel | Bobs Winkel | Winkeldifferenz | Wahrscheinlichkeit Übereinstimmung |
---|---|---|---|---|---|
0 | 0 | 0° | +22,5° | 22,5° | 0.853 |
0 | 1 | 0° | -22,5° | 22,5° | 0.853 |
1 | 0 | 45° | 22,5° | 22,5° | 0.853 |
1 | 1 | 45° | -22,5° | 67,5° | 0.147 |
Alice und Bob geben jeweils die Antwort 1, wenn das Photon gemessen wurde, und 0, wenn es absorbiert wurde.
In den ersten drei Fällen, in denen laut Spielregeln ja beide dieselbe Antwort geben sollen, tun sie dies mit einer Wahrscheinlichkeit von 85,3%. Im letzten Fall, in dem sie eine unterschiedliche Antwort geben sollen, geben sie dieselbe Antwort nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 14,7%. Die Gewinnchance ist also auch hier 85,3%. Insgesamt gewinnen sie also immer mit dieser Chance und damit liegt ihre Gewinnchance mehr als 10% höher als im klassischen Fall. Wir haben also unser Ziel erreicht und die Quantenverschränkung ausgenutzt, um das Spiel zu gewinnen.
Nichtlokalität und Unschärfe
Wie sieht man nun an diesem Spiel den Zusammenhang zwischen Nichtlokalität und Unschärfe?
Die Nichtlokalität hat zwei Aspekte: Der erste ist die “Steuerbarkeit”: Alice kann durch ihre Messung sicherstellen, dass Bobs Photon in einem von zwei Zuständen ist (und kann herausfinden, in welchem). Die Quantenmechanik ist in diesem Sinne eine Theorie mit maximaler Steuerbarkeit. Wäre die Steuerbarkeit geringer, dann könnte Alice den Zustand von Bobs Photon vielleicht nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zustand zwingen. Insofern hilft die Steuerbarkeit, um eine Nichtlokalität zu erreichen.
Auf der anderen Seite steht die Unschärfe. Die verhindert es, dass Bob bei einer Messung unter einem anderen Winkel als Alice immer ein übereinstimmendes oder vorhersagbares Ergebnis bekommen kann. Um die Gewinnchancen weiter zu erhöhen, müsste man entsprechend die Unschärfe abmindern.
In der Arbeit zeigen Oppenheim und Wehner, dass die Quantenmechanik nicht stärker nicht-lokal sein kann (also man nicht mehr an Gewinn aus dem Spiel herausholen kann) ohne gleichzeitig die Unschärfe abzuschwächen. Der Titel der Arbeit lautet dementsprechend auch (übersetzt): “Die Unschärferelation bestimmt die Nichtlokalität der Quantenmechanik”.
Um das mathematisch sauber zu beweisen, verwenden sie nicht bloß das CHSH-Spiel, sondern eine ganze Klasse von unterschiedlichen Spielen (von denen die hier gezeigte Variante die einfachste ist) und von unterschiedlichen denkbaren Theorien und analysieren, wie generell die Gewinnchance von der Unschärfe einerseits und der Steuerbarkeit andererseits abhängt. Apropros “abhängen” – abgehängt wurde ich in diesem Teil des papers auch, weil die verwendete Mathematik eine extrem verdichtete Nomenklatur verwendet, mit der ich gar nicht vertraut bin. So sieht beispielsweise die Formulierung der Unschärferelation aus:
Habe ich in der Form zumindest noch nie gesehen.
Für die detaillierte Herleitung der Ergebnisse muss ich deshalb auf die Veröffentlichung selbst verweisen, eine halbwegs anschauliche Erklärung habe ich auch sonst nirgends im Netz finden können. Ich hoffe, ich habe trotzdem einen kleinen Einblick geben können, warum die Unschärfe die Nichtlokalität bestimmt, und habe dabei nicht zu viele Fehler eingebaut.
PS: Hallo Manea, wie du siehst, habe ich es schließlich doch noch geschafft, den Artikel zumindest ansatzweise zu verstehen – kostete aber einen Haufen Hirnschmalz.
Jonathan Oppenheim, & Stephanie Wehner (2010). The uncertainty principle determines the non-locality of quantum
mechanics Science 19 November 2010: Vol. 330 no. 6007 pp. 1072-1074 arXiv: 1004.2507v2
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