Neulich habe ich erzählt, wie die Kladistik die Paläontologie revolutioniert hat. Sie beruht auf der Logik der Evolution, bei der Abstammungslinien systematisch rekonstruiert werden. Das sollte sich eigentlich auch in der Namensgebung der Tiere widerspiegeln, aber das erweist sich als schwieriger als man vielleicht denkt.

Wie man Tiere klassifiziert
Vermutlich habt ihr alle in der Schule gelernt, dass man Tiere in verschiedene Gruppen einteilt. Die Grundidee stammt von Carl von Linne, aus einer Zeit, als noch kaum jemand an Evolution zu denken wagte und man annahm, alle Tierarten1 wären unmittelbar von Gott geschaffen.

1Vieles von dem, was ich hier schreibe, gilt natürlich genauso für Pflanzen wie für Tiere. Da ich aber von Botanik und Paläobotanik leider herzlich wenig verstehe (weiß jemand ein spannendes Einführungsbuch?), beschränke ich mich lieber gleich auf Tiere.

Linne war stark von Aristoteles’ Logik beeinflusst. Laut Aristoteles muss man zur Definition einer Sache angeben, welche kleinstmögliche Gruppe (lateinisch “genus proximum”) sie einschließt und welche spezielle Besonderheit (“differentia specifica”) sie hat. Beispielsweise könnte ich definieren “Snooker ist eine Form des Billard (genus proximum), bei der mit 22 Kugeln nach folgenden Regeln gespielt wird (differentia specifica):…” Aus dieser Logik heraus schuf Linne die binominale Nomenklatur (nein, nicht für Billard, sondern für Tiere, Pflanzen und Mineralien – letzteres hat sich nicht recht durchgesetzt), bei der man also eine Gattung und eine Art angibt, um eine Art zu charakterisieren.

Beispielsweise ist Plateosaurus engelhardti eine Art der Gattung Plateosaurus und unterscheidet sich eben von Plateosaurus gracilis. Häufig kommt es aber auch vor, dass eine Art sich so stark von allen anderen unterscheidet, dass sie auch eine eigene Gattung besitzt – beispielsweise Deinonychus mit der einzigen Art D. antirrhopus. (Ich habe hier bewusst nicht Homo sapiens als Beispiel gewählt – erstens macht das jeder, zweitens ist da nicht so klar, welche und wie viele Arten es gibt bzw. gab. Historisch sind die Dino-Beispiele natürlich falsch, von Dinosauriern wusste von Linne nichts (wenn man mal von Vögeln absieht.))

Natürlich war von Linne klar, dass es noch weitere Einteilungsmöglichkeiten geben musste. Katzen und Hunde sind sich beispielsweise ähnlicher als Katzen und Mäuse, und Katzen, Hunde und Mäuse wiederum ähneln einander stärker als Vögeln, Schlangen oder gar Insekten.

Von Linne fasste deshalb ähnliche Gattungen zu größeren Gruppen zusammen – um die Sache nicht zu sehr zu verkomplizieren, liste ich hier das System auf, das sich später durchgesetzt hat, auch wenn es ein bisschen von von Linnes Originalsystem abweicht. In diesem System gibt es zunächst sieben Hierarchieebenen (die ihr alle in der Schule lernen musstet, wenn euer Biounterricht etwas taugte). In dieser Klassifikation würde man den Plateosaurus engelhardti etwa so einteilen (und so wurde es bis in die 80er Jahre gemacht):
Art: engelhardti
Gattung: Plateosaurus
Familie: Prosauropoden
Ordnung: Saurischia
Klasse: Reptilia
Stamm (Phylum): Wirbeltiere (Vertebrata)
Reich: Tiere (Animalia)

Die Evolution verwischt die Grenzen
Soweit alles schön und übersichtlich. Im Laufe der Zeit stellte man aber fest, dass das System so nicht ausreichte: Beispielsweise kann man die Prosauropoden mit den Sauropoden (den klassischen Dinos mit langem Hals und Schwanz) in eine größere Gruppe zusammenfassen, die heute Sauropodomorpha heißt. Die müsste man irgendwo zwischen Familie und Ordnung unterbringen. genauso kann man die Saurischia (Echsenbeckendinosaurier) mit den Ornithischia (Vogelbeckendiosaurier) zu einer größeren Gruppe (den Dinosauriern1) zusammenfassen, die dann zwischen Ordnung und Klasse liegen müsste.

1Wenn Ihr noch ältere Dinobücher habt, dann werdet ihr dort lesen, dass die Dinosaurier keine natürliche Gruppierung darstellen und dass sich Ornithischier und Saurischier unabhängig voneinander entwickelten. Inzwischen weiß man aber, dass das nicht stimmt – die Dinosaurier bilden eine evolutionäre Gruppierung (und sind damit in der Sprache, die wir gleich einführen werden, monophyletisch).

Entsprechend führte man Zwischenstufen ein: Infraordnungen, Überfamilien, Kohorten (ganz selten auch Legionen und Divisionen), Subphyla und und und. Allein für die Ordnung hat man 14 Stufen eingeführt, von der Gigaordnung über Mirordnung und Minordnung bis hinunter zur Parvordnung. Wer will, findet eine Übersicht bei Wikipedia. Das macht die Sache ziemlich schwer zu durchschauen.

Außerdem bleibt das System willkürlich: Sollen nun die Prosauropoden eine Unterordnung sein, und die größere Gruppe der Sauropodomorphen eine Ordnung? Oder sind die Prosauropoden lieber eine Familie, damit zwischen der größeren Gruppe der Sauropoden und der Klasse der Reptilien noch Platz ist für die Gruppe der Dinosaurier, der Archosaurier, der Archosauromorpha und der Diapsida? (Alles Gruppen die die Prosauropoden quasi in immer größeren Kreisen einschließen.) Wie soll man das entscheiden? Warum sind beispielsweise die Primaten mit ihren etwa 200 Arten eine Ordnung, aber die Käfer mit ihren vermutlich mehr als 500000 Arten (das sind zehnmal mehr, als es Wirbeltiere gibt) ebenfalls? Gibt es ein wissenschaftliches Kriterium dafür, was eine Ordnung ist oder eine Familie?

Archaeopteryx 2.JPG
Von Ballista at the English language Wikipedia, CC BY-SA 3.0, Lien

Und noch etwas anderes kam hinzu, das noch schwerwiegender war als die Komplexität des Systems: Die Evolution verwischt die Grenzen zwischen den Gruppierungen. Vögel bilden beispielsweise eine eigene Klasse, Reptilien eine andere. Was tut man aber mit einer Zwischenform wie dem Archaeopteryx (Bild von Wikipedia)?
Gehört der schon zu den Vögeln? Wenn ja, was ist dann mit einem nahen Verwandten, der aber noch etwas dichter an den Dinosauriern dran ist, beispielsweise Troodon? Auch schon Vogel oder noch Reptil? Je lückenloser die Fossilienfunde wurden (und der Übergang von den Dinos zu den Vögeln ist ziemlich gut bekannt), um so schwieriger wurde die Abgrenzung.

Letztlich entstehen in der Evolution neue Klassen wie die Vögel aus einzelnen Arten oder Gattungen. Wie soll man so etwas in der Nomenklatur sinnvoll einbeziehen? Was ist überhaupt die Rechtfertigung für die Linnesche Einteilung?

Für von Linne, der nur einen Bruchteil der heute bekannten Tierarten kannte, war es relativ einfach zu sehen, dass es Tiergruppen gibt, deren Mitglieder einander morphologisch nahe sind – alle Vögel sind warmblütig und legen Eier und haben Federn und teilen sehr viele Skelettmerkmale miteinander. Aber wann genau verließ nun ein Reptil seine Klasse und wurde zum ersten Vogel? Man merkt schnell, dass es schwierig wird, hier eine Grenze zu ziehen.

Man sieht, das Schema nach von Linne ist zwar im Ansatz elegant, verliert seine Eleganz allerdings, je mehr man über die Biologie und die Evolution weiß. Letztlich ist es nicht geeignet, die Evolution widerzuspiegeln, in der es keine scharfen Grenzen gibt.

Die phylogenetische Nomenklatur
Beim letzten Mal hatte ich ja erklärt, dass man heutzutage Stammbäume von Tieren mit den Methoden der Kladistik erstellt. Dabei entstehen baumartige Diagramme, die die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Tierarten darstellen, aber nicht direkte Abstammungslinien (weil man die nie sicher sein kann). Hier mal ein sehr schönes Kladogramm der Dinosaurier (geklaut bei naturalsciences.org)

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Ganz rechts oben seht ihr die Vögel – und damit exemplarisch noch einmal den Grund des Ärgers. Wenn die Raubsaurier (Theropoden) nach der Linne-Klassifikation vielleicht eine Unterordnung, dann sind die Tetanurae eine Superfamilie, die Maniraptoren eine Familie, und in der drin stecken – die Vögel, also eine ganze Klasse. Evolutionär gesehen ergibt es wenig Sinn, die Vögel aus der Gruppe der Maniraptoren auszugliedern, denn sie haben mit diesen viele Merkmale gemeinsam. Und wie oben schon gesagt, ist es eigentlich unmöglich, eine klare Grenze zwischen den Raubsauriern und den Vögeln zu ziehen. Wo soll die Familie der Maniraptoren aufhören und die Klasse der Vögel anfangen?

Vom evolutionären Stammbaum aus betrachtet, ergibt eine Klassifikation nur Sinn, wenn sie evolutionäre Einheiten als Ganzes betrachtet. Da man den evolutionären Ablauf oft auch als Phylogenese bezeichnet, brauchen wir eine phylogenetische Nomenklatur, eine, die der Evolution Rechnung trägt.

Natürlich möchte man nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten – weil es schwer ist, Grenzen zu ziehen, könnte man jetzt auf die Idee kommen, man sollte überhaupt keine Gruppierungen verwenden, aber es ist hoffentlich offensichtlich, dass es unpraktisch ist, wenn man über Gruppen wie “Vögel” gar nicht mehr reden kann.

Und die Evolution schreitet ja auch voran und “erfindet” neue Merkmale, die es vorher nicht gab. Beispielsweise wäre es doch vielleicht sinnvoll, eine Gruppe aller gefiederten Tiere zu definieren. Irgendwo im Kladogramm wird dieses Merkmal zum ersten Mal auftauchen, und da können wir dann unsere Gruppe anfangen lassen. Alle Tiere, die jetzt von der ersten gefiederten Art abstammen, teilen zunächst dieses Merkmal – in der Sprache vom letzten Mal sind Federn eine Synapomorphie.

Nach dieser Logik setzt man also immer einen Schnitt an einem Punkt des Kladogramms an und fasst alle Tiere, die “oberhalb” dieses Punktes sitzen (die also von dem hypothetischen Tier, das an diesen Punkt gehört, abstammen) zu einer Gruppe zusammen. Diese Gruppe ist dann “monophyletisch” – sie hat nur einen Stamm. Die Vögel sind beispielsweise eine monophyletische Gruppe, die Ornithopoden ebenfalls:

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Allerdings können sich Kladogramme natürlich auch ändern – beispielsweise, wenn man neue Fossilien findet. Deshalb ist es wichtig, dass man eine Definition für monophyletische Gruppen findet, die möglichst stabil ist. Meistens tut man dies über zwei (gelegentlich auch mehr) Arten und sagt beispielsweise “Die Dinosaurier sind die kleinstmögliche Klade, die sowohl Megalosaurus als auch Iguanodon enthält”:

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Gelegentlich verwendet man auch – so wie oben bei den Federn – apomorphie-basierte Definitionen. Die haben allerdings – gerade in der Paläontologie – den Nachteil, dass das entsprechende Merkmal bei einigen Fossilien dann vielleicht nicht erhalten ist.

Nicht-monophyletische Gruppen

Andere vertraute Gruppen sind allerdings nicht monophyletisch – die “klassischen” Dinosaurier beispielsweise sind es nicht, weil von ihnen ja die Vögel abstammen. Fast man also alle Dinosaurier außer den Vögeln zusammen, dann muss man im Kladogramm zwei Schnitte setzen – einen dort, wo die Dinos anfangen, einen dort, wo die Vögel anfangen. Dieser zweite Schnitt ist – wie oben erläutert – noch ein bisschen willkürlicher als der erste. Die so definierten “Dinosaurier” sind dann keine monophyletische Gruppe, sondern sie sind “paraphyletisch”:

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Paraphyletische Gruppen haben nicht nur eine Synapomorphie (also ein gemeinsames Merkmal, dass sie alle von ihren Vorfahren unterscheidet), sie haben auch irgendein Merkmal, das sich bei der “abgeschnittenen” Gruppe weiterentwickelt hat – ein “primitives” oder “basales” Merkmal, also eine Plesiomorphie.

Paraphyletische Gruppen sind deswegen in der phylogenetischen Nomenklatur nicht gern gesehen – alle Gruppen (die man auch als “Kladen” bezeichnet) sollen monophyletisch sein.

Noch schlimmer als paraphyletische Gruppen sind die polyphyletischen Gruppen, bei denen man zwei Gruppen zusammenfasst, ohne ihre Verbindungsglieder dabeizuhaben – beispielsweise könnte man Vögel und Säugetiere zur Gruppe der “Warmblüter” zusammenfassen; da die beiden dieses Merkmal aber höchstwahrscheinlich unabhängig voneinander entwickelt haben, ist das evolutionär betrachtet vollkommen unsinnig. Polyphyletische Gruppen beruhen typischerweise auf konvergenten Merkmalen, also eben solchen, die sich mehrfach unabhängig entwickelt haben.

Also: In der phylogenetischen Nomenklatur verwendet man nur monophyletische Bezeichnungen. Wenn wir also die Dinosaurier als Gruppe definieren wollen, dann bleibt uns nichts übrig, als auch die Vögel dazuzuzählen. Nach dieser Logik sind Vögel Dinosaurier. (Und das mag ein Grund sein, warum gerade Dinoforscher die phylogenetische Nomenklatur gern verwenden.)

Warum Menschen Fische sind
Nach der gleichen Logik allerdings sind Menschen Fische. Sie stammen nämlich – wie alle Landwirbeltiere – von Verwandten der Quastenflosser ab, die definitiv zu den Fischen gehören. Die Gruppe der Fische ohne Landwirbeltiere ist also paraphyletisch und damit pfui-bäh.

Man sieht schon, dass man sich nach dieser Logik von einigen vertrauten Tuergruppen verabschieden muss. Ein anderes Beispiel sind die Reptilien. Nach “klassischer” Sicht stammen ja Säugetiere und Vögel beide von urtümlichen Reptiliengruppen ab – die Säugetiere von den “säugetierähnlichen Reptilien”, die Vögel von einer anderen Gruppe, die man früher als “Thecodonten” bezeichnete. Schaut man auf das entsprechende Kladogramm, so erkennt man, dass die “Reptilien” – wenn man versuchen würde, sie monophyletisch zu definieren und die Säugetiervorfahren mit einschließen würde – sowohl Säugetiere als auch Vögel und eigentlich alle Landwirbeltiere umfassen, die amniotische Eier legen:

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(Dieses schöne Bild stammt von der Seite von Tom Holtz, die sich jeder Dinophile umbedingt anschauen sollte.)

In diesem Kladogramm sind die jeweiligen Synapomorphien (also die neu entwickelten Merkmale) mit eingetragen. Wie ihr seht, wurde der Begriff “Reptilien” jetzt so eingeschränkt, dass die Säugetiere und ihre Vorfahren nicht mehr dazuzählen – die Vögel aber sind natürlich enthalten, und das lässt sich bei einer monophyletischen Definition auch nicht vermeiden.

Und was wird nun aus Ordnung, Familie oder Klasse? Sie fallen in diesem Schema komplett weg. Es gibt nur Kladen, sonst nichts, und alle Kladen sind gleichwertig. Da es kein Kriterium gibt, nach dem man entscheiden könnte, ob eine Gruppe nun eine Ordnung sein soll oder nicht, wird dieser Begriff letztlich als unwissenschaftlich eingestuft und abgeschafft. Und das gilt für alle Linneschen Gruppen, mit Ausnahme der Art – die gilt nach wie vor als biologische Einheit, die definierbar ist (wenn es auch in der Biologie über 120 verschiedene Definitionen gibt, was nun genau eine Art sein soll).

“A T. rex by any other name…”
Und hier gibt es jetzt ein “kleines” Problem: Die klassische Nomenklatur nach von Linne verwendet ja das binominale Schema mit Gattung und Art. Eine “Gattung” ist aber keine wissenschaftlich definierbare Gruppe. Ein aktuelles Beispiel für die Probleme, die sich daraus ergeben können, ist die berühmte Fruchtfliege Drosophila melanogaster, das Lieblingstier der Genetiker (zusammen mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans). D. melanogaster ist nämlich nicht die “Typ-Species” der Gattung Drosophila, also die Species, die quasi definitionsgemäß in diese Gattung gehört (die heißt Drosophila funebris). Und genauere Untersuchungen der über 1500 Drosophila-Species und ihrer Verwandten zeigen, dass D. melanogaster eigentlich in die Gattung Sophophora gehört. Deswegen muss Drosophila melanogaster umbenannt werden, was die Genetiker natürlich in Aufruhr versetzt.

Das binominale Schema mit seiner Aristotelischen Logik passt eben nicht zur Evolution, die nur Arten als natürliche Gruppen kennt. Und viele Gattungen – wie eben Drosophila – enthalten ein Sammelsurium von Arten, die zusammen eben keine monophyletische Gruppe bilden.

Logischer wäre es, jede Art würde einen einzigen und eindeutigen Namen bekommen. Am besten wäre ein uninominales System, also eins, in dem jeder Name nur aus einem einzigen Teil besteht. Aber nachdem wir seit so etwa 250 Jahren das Linne-System benutzen, ist eine Umstellung natürlich nicht soo einfach.

Einige Leute haben vorgeschlagen, einen radikalen Schnitt zu machen und Gattungsnamen möglichst komplett wegzulassen. Aus Tyrannosaurus rex würde dann nur noch “rex” – was aber nicht funktioniert, denn es gibt zum Beispiel auch den Dino Othnielia rex, der würde dann auch “rex” heißen. Um das zu umgehen, könnte man hinter den Artnamen noch das Jahr der Benennung der Art setzen, und zusätzlich noch den benennden Autor, dann wäre die Sache eindeutig. Tyrannosaurus rex hieße dann “rex Osborne 1905”.

Nun ja – wissenschaftlich mag das ja ne Super-Idee sein. Aber zum einen wäre es nach dem Einführen des neuen Systems dann so, dass man für jede Art gleich zwei Bezeichnungen hätte (denn die alten Veröffentlichungen benennen sich ja nicht automatisch um). Zum anderen – stellt euch einen spannenden Dinofilm vor, mit dem Kommentar “Der rex Osborne 1905 lauert auf seine Beute. Vorsichtig beäugt er eine Herde horridus Marsh 1889, als plötzlich über seinem Kopf ein longiceps Marsh 1876 dahinschwebt.” Shakespeare hat zwar (sinngemäß) gesagt “A T. rex by any other name would be as cool”, aber so richtig überzeugend ist diese Lösung eher nicht.

Eine eindeutige und allgemein akzeptierte Lösung gibt es – noch – nicht, obwohl man seit Jahren am so genannten “Phylocode” arbeitet, der die Benennung von Arten und Kladen neu und eindeutig regeln soll. Die Idee des “Phylocode” wurde 1998 erfunden, und er sollte im Jahr 200n implementiert werden, wobei aber n anscheinend größer als 12 werden wird.

Eine Lösung könnte darin bestehen, die Idee aufzugeben, dass die Gattung mehr ist als ein Name. So wie zwei Leute beide Müller heißen können, obwohl der eine viel näher mit einer Frau Meier verwandt ist, so könnte man es auch einfach zulassen, dass zwei Fliegenarten beide Drosophila … heißen, auch wenn eine von ihnen enger mit Sophophora verwandt ist als die andere. Das ist zwar nicht optimal, aber vermutlich praktikabel.

Paraphyletische Gruppen sind nützlich
Verwendet man nur monophyletische Gruppen, ergibt sich noch ein anderes Problem: Nehmen wir das Buch “The Dinosauria” (das Standardwerk). Angesichts von etwas mehr als 1000 “Dinosaurier”-Arten und mehr als 8000 Vogel-Arten sollte das Buch logischerweise zu etwa 8/9 von Vögeln handeln. Tut es aber nicht. Häufig behilft man sich mit dem Konstrukt “non-avian dinosaur” (mein Deutsch reicht nicht aus, um das zu übersetzen – “nicht-vogelige Dinosaurier”???), aber so richtig glücklich ist das nicht.

Beim letzten Mal hatte ich ja als Beispiel für ein Kladogramm die Prosauropoden und ihre Verwandten herangezogen. Plateosaurus, Riojasaurus und Co. sind sich alle ziemlich ähnlich – in einigen Kladogrammen bilden sie aber keine monophyletische Gruppe, sondern sind einfach immer weitere Stufen auf dem Weg zu den Sauropoden. “Prosauropoden” wäre dann keine zulässige Klassifikation (deswegen hatte ich den Namen letztes Mal in Anführungsstriche gesetzt). Wenn man nun ein Buchkapitel über diese Gruppe schreiben will – was schreibt man dann? Man kann sich mit “basale Sauropodomorpha” behelfen, aber so richtig elegant ist das nicht. Ähnliches gilt auch für die berühmten “Thecodonten” – sie sind als Gruppe paraphyletisch, weil die fortgeschritteneren Gruppen wie Dinos ausgeklammert wurden.

Und was tut ein Herpetologe – wenn er eben wirklich nur die “klassischen” Reptilien (mit Schuppen und so) erforscht, aber Vögel langweilig findet. Ist er dann ein Basal-Herpetologe?

Paraphyletische Gruppen sind also durchaus nützlich. Man sollte sie deshalb vielleicht nicht vollkommen abschaffen, sondern als “informelle” Gruppierungen beibehalten.

Und neben diesen eher praktischen Erwägungen gibt es noch ein anderes Problem: Betrachten wir als Beispiel dieses Kladogramm der Archosaurier (wieder von Tom Holtz):

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Oben rechts zweigen sich die Dinosaurier ab, direkt davor steht Silesaurus. Silesaurus und die allerersten Dinosauriern (wie Eoraptor) sind sich sehr ähnlich. Trotz dieser extremen Ähnlichkeit kann man beide nicht in eine monophyletische Gruppe zusammenfassen, die nicht auch Raben, Eulen und Brachiosaurier umfasst. Entsprechend gilt ein urtümlicher Dinosaurier nach dieser Logik als näher verwandt mit einem Raben als mit einem Silesaurus, obwohl er mit Sicherheit nie mit dem Vogel verwechselt werden würde.

Obwohl die phylogenetische Nomenklatur also wesentlich eher der evolutionären Logik entspricht als die klassische nach von Linne, hat sie sich (vermutlich auch wegen dieser Probleme) noch nicht vollkommen durchgesetzt. Paraphyletische Gruppen sind oft nützlich, weil sie morphologisch ähnliche Tiere zusammenfassen, auch wenn sie “künstlich” einige Nachfahren ausklammern. Und Begriffe wie “Ordnung” oder “Familie” sind zwar letztlich nicht sauber zu definieren, geben aber trotzdem einen brauchbaren sozusagen “informellen” Eindruck von der morphologischen Ähnlichkeit der Tierarten, die man mit ihnen beschreibt.

Während die meisten Dino-Forscher die phylogenetische Nomenklatur verwenden, benutzen viele Paläontologen, die sich mit Säugetieren beschäftigen, immer noch eine Klassifikation im Linneschen Schema. Die Revolution ist also noch nicht zu Ende, und noch ist offen, welches Schema sich am Ende durchsetzen wird.

Kommentare (43)

  1. #1 miesepeter3
    21. Juni 2011

    Ich seh das schon, “ich Tarzan, Du Jane” ist wohl nicht mehr so richtig up to date.

  2. #2 jitpleecheep
    21. Juni 2011

    @MartinB: “”nicht-vogelige Dinosaurier”???”

    In etwas griffigerem Deutsch ‘Nichtvogeldinosaurier’, aber: ja, korrekt.

    Ansonsten wie üblich wieder ein sehr interessanter Artikel, danke.

    Und ich weiss, er hat langsam nen Bart, aber nochmal weil’s so schön ist: https://xkcd.com/867/

  3. #3 MartinB
    21. Juni 2011

    @jitpleecheep
    XKCD rocks!

  4. #4 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB: Schöner Artikel, danke! Ich hab’ mich schon länger gefragt, ob evolutionstheoretisch gesehen die Menschen eigentlich nicht auch zu den Reptilien gezählt werden müssten – jetzt weiss ich’s… 😉

    Wo du schon dabei bist, die ganzen Klassifikationsschemata zu erklären: machst du auch mal einen Ausflug zur Baraminologie der Kreationisten…? 😉

    @jitpleecheep: An den Comic musste ich auch sofort denken! Aber du warst schneller…

  5. #5 MartinB
    21. Juni 2011

    @Bjoern
    Bara- huh?
    Wikipedia sagt dazu
    “Die Inhalte der Baraminologie spielen in der wissenschaftlichen Forschung aus dem Bereich der Zoologie und Botanik keine Rolle.”
    Mehr habe ich dazu dann auch nicht zu sagen…

  6. #6 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB: Sarkasmus-Filter heute schlecht eingestellt…? War der Smiley nicht deutlich genug?

  7. #7 MartinB
    21. Juni 2011

    @Bjoern
    Nein, ich war nur etwas baff, was es alles gibt (und was du alles kennst…). Und fragte mich, ob du meintest, ich sollte hier mal ein bisschen mehr Kreationisten-bashing betreiben…

  8. #8 Thomas J
    21. Juni 2011

    @MartinB

    Woher kommt eigentlich deine Leidnschaft für Dinos?

    Meine Hochachtung für das breite Angebot auf deinem Blog.

  9. #9 Bjoern
    21. Juni 2011

    @MartinB:

    und was du alles kennst…

    So ziemlich meine ersten Internet-Erfahrungen habe ich in der Newsgroup talk.origins gesammelt – das erklärt wohl mein diesbezügliches Wissen, oder? 😉

    Und fragte mich, ob du meintest, ich sollte hier mal ein bisschen mehr Kreationisten-bashing betreiben…

    Nö, war sicher nicht als Aufforderung zum “bashing” gemeint – nur als kleiner Seitenhieb…

  10. #10 phaust
    21. Juni 2011

    toller Artikel.
    Aber er wirft eine große frage auf: Warum konnte mir ein Physiker das alles besser erklären alls mein Biolehrer in der schule?

  11. #11 Thomas J
    21. Juni 2011

    @phaust

    tja… wieviele von deinen Lehrern würdest du denn als gute Pädagogen qualifizieren? Liegt wohl daran…

  12. #12 MartinB
    22. Juni 2011

    @ThomasJ
    Zum Thema wie ich zu Dinos kam guckst du hier:
    https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/05/wie-ich-zum-dinoforscher-wurde-oder-wie-lauft-ein-t-rex-iii.php

    @phaust
    Vielleicht hat das was mit Enthusiasmus zu tun? Ich habe den Eindruck, ich erkläre um so besser, je mehr Spaß mir ein Thema macht. Außerdem habe ich keine gelangweilten Teenager vor mir sitzen… (Als Uni-Dozent kann man zumindest theoretisch annehmen, dass die Studis ein Mindestmaß an Motivation mitbringen – obwohl die besten Zuhörer, die ich je hatte, natürlich die bei der Kinder-Uni waren.)

    @Bjoern
    talk.origins? Grusel…

  13. #13 Geoman
    22. Juni 2011

    @ Martin Bäker

    Ich schätze Deine paläontologischen und (evolutions-)biologischen Ausflüge sehr, fachlich gehören sie zu den besten Beiträgen, die man hier auf Scienceblogs lesen kann. Nur wissenschaftshistorisch sind sie mir gelegentlich etwas zu einfach gestrickt, was darin zum Ausdruck kommt, dass Du wie viele Kladisten kladistische Gruppierungen für realer als systematische hälst:

    Der Grund dafür scheint mir nicht so sehr in der Methode zu liegen als in den Rahmenbedingungen der Entstehung der kladistischen Methode: Den frühen Kladisten standen die klassischen Systematiker nämlich als ausgesprochen feindlich gesinntes Establishment gegenüber. Der Paläontologe Richard Fortey (2002) beschreibt in seinem Buch »Leben – Eine Biographie« treffend die religiöse Dimension des damaligen Theorienstreits: »Der Gründervater der Kladistik, der deutsche Entomologe Willy Hennig, wurde zu einem weltlichen Heiligen erhoben. (…) Kollegen erkundigten sich mit gesenkter Stimme bei ihren Freunden ›Bist Du oder bist Du nicht?‹ Man wurde Kladist, wie man anderweitig Buddhist wurde.« Die Kladisten waren eine Art verschworene Bewegung, die sich den klassischen Systematikern weit überlegen fühlte. Ihre Methodik knüpfte schließlich an die Darwinsche Evolutionslehre an, während die klassische Systematik auf Linné zurückging und deshalb als vordarwinistisch betrachtet wurde. Von ambitionierten Kladisten wird daher immer wieder gefordert, die klassische Systematik weitgehend aufzugeben.

    Kurz: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Du auch so etwas Kladist geworden bist, wie andere Leute Buddhist geworden sind.

  14. #14 MartinB
    22. Juni 2011

    @Geoman
    Für deine Eindrücke kann ich nicht viel – habe ich im Artikel nicht genügend Probleme aufgelistet um klarzumachen, dass es sich um eine Methode handelt, nicht mehr?
    Für mich ist Kladistik wie Demokratie – schlecht, aber besser als die anderen Methoden.

  15. #15 nihil jie
    22. Juni 2011

    Naja.. wenn einem keine sinnvollen Namen einfallen kann man sie immer noch durchnummerieren 😉 z.B. A2501; B0945 oder P2386… für Primaten usw… *grins*

  16. #16 MartinB
    22. Juni 2011

    @geoman
    PS: Du verwechselst übrigens Kladistik und phylogenetische Nomenklatur, das sind zwei paar Stiefel (und deshalb auch zwei Artikel).

  17. #17 Rainer
    22. Juni 2011

    PS: Du verwechselst übrigens Kladistik und phylogenetische Nomenklatur, das sind zwei paar Stiefel (und deshalb auch zwei Artikel).

    Na ja, das erstaunt mich jetzt sehr. Ich hab mich nämlich mit diesem 2. Teil sehr viel schwerer getan als mit dem 1., und zwar gerade, weil ich den Eindruck hatte, dass dir selbst diese Unterscheidung nicht so recht gelungen ist. Ich hab mir jetzt nur mal ganz wenige Stellen rausgepickt. Hier wirds z.B. sehr deutlich:

    Vom evolutionären Stammbaum aus betrachtet, ergibt eine Klassifikation nur Sinn, wenn sie evolutionäre Einheiten als Ganzes betrachtet. Da man den evolutionären Ablauf oft auch als Phylogenese bezeichnet, brauchen wir eine phylogenetische Nomenklatur, eine, die der Evolution Rechnung trägt.

    Warum sollte man eine Klassifikation durch eine Nomenklatur ersetzen? Beides sind völlig verschiedene Dinge! Eine Klassifikation legt fest, was wir benennen wollen (alle Landwirbeltiere mit Schuppen?, alle mit Federn?, nur Monophyla?, oder auch Paraphyla?), eine Nomenklatur, wie wir es benennen.

    Also: In der phylogenetischen Nomenklatur verwendet man nur monophyletische Bezeichnungen.

    Du meinst vermutlich: In der phylogenetischen Nomenklatur vergibt man nur Namen an monophyletische Taxa. Es hat sich allerdings längst durchgesetzt, dies auch in der „klassischen“ Nomenklatur zu tun, zumal inzwischen geschätzte 90% aller Systematiker den Hennigschen Prinzipien folgen.
    Btw, für mich wird nicht deutlich, was genau du unter Linnescher oder klassischer Nomenklatur verstehst. Meinst du nur die Verwendung von Rängen wie Klasse, Ordnung, Familie? Nur die binominale Nomenklatur, die sich bekanntlich nur auf Arten erstreckt? Oder das verbindliche Regelwerk für die Benamsung von Tiertaxa von der Überfamilie bis hinunter zur Unterart, 1905 erstmals in Kraft getreten und aktuell als „International Code of Zoological Nomenclature“ in der 4. Auflage gültig? Letzteres lässt sich übrigens wunderbar mit der Kladistik vereinbaren, obwohl es die Verwendung von Rängen voraussetzt, die natürlich nicht objektivierbar sind. Diese dienen hier nur als Hilfsmittel, um die Namen einfacher zuzuordnen. Womit wir bei

    Eine eindeutige und allgemein akzeptierte Lösung gibt es – noch – nicht, obwohl man seit Jahren am so genannten “Phylocode” arbeitet, der die Benennung von Arten und Kladen neu und eindeutig regeln soll.

    sind. Wie gesagt, die derzeitigen Regeln für die Benennung von Taxa von der Überfamilie an abwärts gehen nicht auf Linné zurück sondern auf die Arbeit der „International Commission on Zoological Nomenclature“. Deren Regelwerk ist übrigens theoriefrei konzipiert und funktioniert daher unter dem kladistischen Paradigma genau so gut wie unter dem essentialistischen Linnés. Mit anderen Worten, eine eindeutige und allgemein akzeptierte Lösung gibt es schon lange, und der Phylocode ist ziemlich überflüssig, zumindest für die genannten unteren Ebenen.
    Für die oberen Ebenen könnte der Phylocode brauchbar sein, da es dort bisher keinerlei Regelwerk gibt. Andererseits könnte das gleiche Ziel erreicht werden, indem man den ICZN-Code auf die oberen Ränge ausdehnt.

    Während die meisten Dino-Forscher die phylogenetische Nomenklatur verwenden, benutzen viele Paläontologen, die sich mit Säugetieren beschäftigen, immer noch eine Klassifikation im Linneschen Schema.

    Zum Schluss auch hier noch mal die Verwechslung von Nomenklatur und Klassifikation. Daher weiss ich jetzt nicht, was die Säuger-Paläontologen wirklich machen. Verwenden sie Ränge? Verwenden sie Paraphyla? Oder verwenden sie einfach, wie es all diejenigen Zoologen, die sich mit den paar Millionen lebenden Arten befassen, in ihrer ganz überwältigenden Mehrheit „immer noch“ tun, die ICZN-Nomenklatur?

    Uups, das war deutlich länger als gedacht. Nix für ungut!

    Rainer

  18. #18 MartinB
    22. Juni 2011

    @Rainer
    Eigentlich sind es glaube ich drei Dinge, die man unterscheiden sollte
    – Kladistik als Methode zur Stammbaumrekonstruktion
    – Klassifikationsschema
    – Nomenklatur
    Vielleicht daher die verwirrung – ich habe Klassifikation und Nomenklatur sozusagen in eins verhackstückt, was vielleicht unklug war.

    Und dann hast du genau recht: Die phylogenetische Nomenklatur verwendet also rein monophyletisches Klassifizierungsschema; das habe ich hier synonym verwendet – tut mir Leid, wenn das Verwirrung gestiftet hat.

    Unter Linne verstehe ich sowohl das binominale Schema als auch die Einteilung nach Rängen.

    Die Säuger-Paläontologen verwenden – jedenfalls in den Büchern, die ich dieses Jahr gelesen habe und die ein paar Jahre alt waren (ich glaube 2004 und 2006) noch das alte Schema mit Rängen und allem, die dann auch paraphyletisch sind.

  19. #19 nihil jie
    22. Juni 2011

    Nachtrag 🙂

    Die sollten sich ein Beispiel an den Sci-Fi Machern nehmen 😉 in Star-Trek Voyager gibt es auch ein zarter versuch das mit den Nummern… z.B. die hier Spezies 8472

  20. #20 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Zur Namensgebung, zur Bildung von Namenskonventionen an sich:
    Namen sollten in komplexeren Systemen, und dementsprechend zu beschreibende Objekte sind meist in diesen zu finden, “eigentlich eher nicht” eine Information tragen, die nähere Spezifika, bspw. zur Herkunft oder zum Verwendungszweck, benennen.

    Namen sind Schall und Rauch, man fährt oft recht gut damit, wenn man eines der o.g. Objekte benennt, wie es sich dem Erkenntnissubjekt (oberflächlich betrachtet) darstellt.

    Gießt man in die Namen zu viel Bedeutung, hat man irgendwann den Salat und es kommt zu Inkonsistenzen, die bei einer Bedeutungsänderung nun einmal eintreten.

    Man behilft sich hier meist mit der Mehrschichtigkeit, ein Name hier, ein Name da, aber hintergründlich setzt man Attribute, die bedeutungstragend sind.

    Inkonsistenzen bei der Namensvergabe, also wenn diese Namen Bedeutungen tragen, die nicht mehr gewünscht sind, lassen sich nämlich nur schwierig tilgen. – Anscheinend hat man hier solche Probleme.

    Namen sind keine Schlüssel!

    MFG
    Dr. Webbaer

  21. #21 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Für mich ist Kladistik wie Demokratie – schlecht, aber besser als die anderen Methoden.

    Wobei die Demokratie nicht schlecht ist, sondern einigen nur so scheint, wenn sie im Dreieck Marktwirtschaft und persönliche Freiheiten steht.

    Die Kladistik fährt im Gegensatz zur Demokratie, wie oben beschrieben, eine Vereinfachungsstrategie.

    MFG
    Dr. Webbaer

  22. #22 Geoman
    22. Juni 2011

    So ins Blaue formuliert stört mich auch die Vereinfachung (es gibt nur Verzweigungen mit zudem nur zwei Ästen) an der Kladistik. Was macht die Kladistik, wenn sich zwei Arten aus unterschiedlichen kladistischen Gruppen erfolgreich kreuzen? Hat man dann eine polyphyletische Art?

  23. #23 MartinB
    22. Juni 2011

    @Geoman
    Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).

    Arten dürfen aber natürlich paraphyletisch sein.

  24. #24 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).

    Und wenn’s Arten sind, die sich nicht in einem einfachen Baumgefüge einordnen lassen, sieht’s halt mau aus. – Also: Namen und Bedeutung bestmöglich trennen, Bedeutungen ändern sich, Webbären bleiben.

  25. #25 Dr. Webbaer
    22. Juni 2011

    @MartinB
    Aus aktuellem Anlass, Sie hatten sich hier kontextfremd ein wenig unfroh verlautbart, Dr. W würde schon gerne mit Ihnen zusammen in die Schichten “Namen + Bedeutung” gehen wollen: Können die dbzgl. Konzepte vielleicht doch bei Ihnen zusammen angegangen und erörtert werden?

    Niemand hat etwas gegen die Kladistik oder andere namensbestimmende Systeme, wo genau ging hier Dr. W fehl I.E.?

    MFG
    Dr. Webbaer

  26. #26 roel
    22. Juni 2011

    @MartinB Super Beitrag!
    Für Dinos habe ich mich mal vor Urzeiten (passt ja) interessiert und habe in irgendeinem Keller noch ziemlich alte Bücher über Dinos. Vielleicht nehme ich mir mal Zeit und vergleiche die mit neueren Ausgaben, wird bestimmt spannend.

  27. #27 Geoman
    22. Juni 2011

    @ MartinB schrieb:

    “Wenn sich zwei Arten kreuzen, waren es keine Arten (nach dem einfachen biologischen Artbegriff).”

    Bei all Deinem erstaunlichen biologischen Wissen irritiert mich manchmal Deine Ahnungslosigkeit. Ca. 20% aller Pflanzenarten und 10% aller Tierarten bastardieren in der ‘freien Natur’. In Gefangenschaft sind es bei Tieren noch viel mehr. Nach Deinem ‘einfachen biologischen Artbegriff’ wären das dann alle keine Arten… Da kommt Freude auf, denn Dompfaff und Stieglitz wären dann z. B. keine Arten.

  28. #28 Theres
    23. Juni 2011

    @Geoman
    Auch hier hilft ein Blick in die Wikipedia schon weiter … und nein, ist kein Widerspruch, selbst wenn die Nachkommen nicht steril sind nicht. Auf diese Weise können neue Arten entstehen.
    “Hybridbildung ist auch bei natürlichen Evolutionsprozessen biologischer Arten von Bedeutung und damit für die Etablierung genetischer Vielfalt innerhalb der Arten. Während die Entstehung neuer Arten durch Art-Hybridisierung bei Höheren Pflanzen häufig und schon lange bekannt ist, war sie bei Tieren lange Zeit eher selten beobachtet worden. Natürliche Arthybridisierung tritt aber durchaus im gesamten Tierreich auf. ”

    Sorry, Theres, unser unerfindlich agierender Spamfilter hat zugeschlagen

  29. #29 MartinB
    23. Juni 2011

    @geoman
    Seufz – warum schrieb ich denn “einfacher” Artbegriff und habe irgendwo im Artikel auf die über 120 bekannten Definitionen verwiesen?
    Aber auf dem Genauigkeitslevel, auf dem man sich in der Paläontologie meist bewegt, sind das nutzlose Haarspaltereien. Bei den Paläoanthropologen sieht es vermutlich anders aus, denn da ist die “Auflösung” so groß, dass man vermutlich schon eher auf Populationsniveau gucken muss.

    @Wb
    Wie schon dort geschrieben – an Diskussionen mit Ihnen habe ich kein Interesse mehr.

  30. #30 Geoman
    23. Juni 2011

    @MartinB

    Wenn Sie wissen, dass der Artbegriff alles andere als “einfach” ist, ja dass es sogar fraglich ist, ob es überhaupt Arten gibt, dann schreiben Sie nicht solchen Unsinn. Der von mir favorisierte Artbegriff lautet übrigens, ganz schlicht, dass Arten keine biologischen oder biologisch definierbare Entitäten, sondern so etwas wie Tendenzen sind.

  31. #31 Dr. Webbaer
    23. Juni 2011

    Shakespeare hat zwar (sinngemäß) gesagt “A T. rex by any other name would be as cool”, aber so richtig überzeugend ist diese Lösung eher nicht.

    Hier besteht möglicherweise noch Erläuterungsbedarf.

    Ansonsten, klar, die Evolution funktioniert wie ein “Etwas ist, weil es ist und es ist so, wie es ist, weil es so ist, wie es ist.”, also umgangssprachlich chaotisch, was dann in die Namensgebung einfließen darf, aber nicht kann – und insofern sind andere beigegebene (und immer auch spekulative) Attributangaben (neben dem willkürlich gewählten Namen) erforderlich.

    HTH
    Dr. Webbaer

  32. #32 MartinB
    23. Juni 2011

    @geoman
    Genau. Bis sich die Biologen nicht über einen wasserdichten Artbegriff einigen, lassen wir es mit der Kladistik, auch wenn die davon – wie erläutert – wenig berührt wird…

    Arten sind so etwas wie “Tendenzen”? Na das ist mal ne wissenschaftliche präzise Definition, ich bin schwer beeindruckt.

  33. #33 Dr. Webbaer
    24. Juni 2011

    Arten sind so etwas wie “Tendenzen”? Na das ist mal ne wissenschaftliche präzise Definition, ich bin schwer beeindruckt.

    Das war keine “wissenschaftliche präzise Definition”, sondern die Kritik an einer dementsprechenden Definition. – Letztlich stellt Geoman die Unschärfe der nicht präzise bestimmbaren Artenbildung heraus.

    Ist eine Beobachtung, die für viele Bereiche gilt, man stochert halt herum und erkennt nach Gutdünken Entitäten. – Was nicht weiter schlimm ist, die Kladistik bspw. darf gerne weiterleben, aber man muss halt wissen, dass es Krücken sind, die mehr oder weniger erfolgreich genutzt werden.

  34. #34 Geoman
    24. Juni 2011

    Vielen Dank Dr. Webbaer besser hätte ich mich nicht verteidigen können!

    Die meisten Biologen haben in der Regel schon davon gehört, dass es unterschiedliche Artdefinitionen gibt, der oder andere weiß sogar dass sie sich widersprechen, trotzdem sind die meisten Biologen davon überzeugt, dass es Arten als reale Entitäten gibt. Deswegen habe ich provizierend geschrieben, dass Arten eher Tendenzen sind, oder als solche definiert werden sollten. In der Praxis kann es trotzdem in der Regel ganz nützlich sein, so zu tun als gäbe es Arten. Aber wenn es um die Reichweite von Modellen etc geht, sollte man sich immer bewusst sein, dass dies eine Verkürzung und Vereinfachung ist.

  35. #35 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Ja, natürlich gibt es verschiedene Artdefinitionen, habe ich doch selbst geschrieben. Und ja, das ist eine Vereinfachung. Wie immer in der Wissenschaft muss man sich fragen, ob es eine zulässige Vereinfachung ist – und für die hier diskutierten Probleme ist es das, weil die nicht so fein aufgelöst werden können.
    Ein schwammiges “Arten sind Tendenzen” hilft wenig.

  36. #36 Dr. Webbaer
    24. Juni 2011

    Es wäre halt nicht schlecht gewesen utilitaristische Sichtweisen als solche klar zu kennzeichnen, eine kleine Randnotiz hier, eine Einschränkung dort, nichts weiter, dann wären denkbarerweise Geoman und womöglich auch Papa Webbaer glücklich mit dem Vortrag geworden …

    An Ihrem Lehrvorhaben, lieber Herr Bäker, sollten hier keine Zweifel kommentarisch entwickelt werden, aber Sätze wie “Die Revolution ist also noch nicht zu Ende, und noch ist offen, welches Schema sich am Ende durchsetzen wird.” sind unscharf, weil sich Nichts am Ende durchsetzen wird.

    HTH
    Dr. Webbaer (der zudem immer gerne zu einer rechtzeitigen Reflektion über Namen, Sachen und Verhalte rät – soz. unabhängig von Allem)

  37. #37 Geoman
    24. Juni 2011

    Ich kann Dr. Webbaer nur zustimmen, es sind Überschriften wie “die unbekannte oder die unvollendete Revolution” und weniger große Teile der beiden Beiträge, die sofort Widerspruch provozieren, weil sie auf Überschätzung und mangelnde Reflexion des vorgestellten Modells hindeuten.

  38. #38 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Ich habe es ja oben schon gesagt: Für deine Interpretationen kann ich nix.
    Kladistik ist eine Revolution in der Biologie/Paläontologie, die phylogenetische Nomenklatur ist et

  39. #39 georg
    24. Juni 2011

    @Geoman

    Es gibt Kommentatoren, deren Widersprechen bei bestimmten Themen eher für die Qualität des betreffenden Textes spricht.

    Das nennt man dann einen dialektischen Widerspruch.

    mfg georg

  40. #40 Geoman
    24. Juni 2011

    @ MartinB

    Die Bestimmungsbuchliteratur im Felde wird diese Revolution unbeschadet überstehen.

  41. #41 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    Mein Kommentar wurde irgendwie zerstückelt, macht aber anscheinend nichts.

    Ach so, die Bestimmungsbücher überstehen das unverändert. Na dann. Die Ingenieurwissenschaft hat die Allg. RT auch relativ kaltgelassen, trotzdem war die ART eine Revolution.

    Ansonsten wäre es hilfreich, sich mal zu einigen, was denn nun die Kritik sein soll:
    Dass ich “Kladist” geworden bin wie andere Buddhist,
    dass die Kladistik mit der Kreuzung von Arten Probleme haben könnte,
    dass ich einen naiven Artbegriff habe,
    dass ich Unsinn schreibe,
    dass es Arten nicht wirklich gibt,
    dass die Überschrift falsch gewählt ist,
    dass die Kladistik keine Revolution ist, weil die Bestimmungsbücher von ihr nicht berührt werden.
    Jeder Kommentar ein neuer Kritikpunkt – da drängt sich ein bisschen der Verdacht des Nörgelns um des Nörgelns willen auf.

  42. #42 Geoman
    24. Juni 2011

    @ MartinB

    Aus den ‘Nörgeleien’ hätten Sie eine schöne Einleitung machen können, die zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass Linnesche Taxa genauso real oder natürlich sind wie Hennigsche Kladen, beide aber für bestimmte Zwecke nützlich sind. Was dann auch zwanglos erklärt hätte, weshalb die revolutionäre Kladistik die bis traditionelle Systematik auch 50 Jahre nach ihrer Erfindung nicht verdrängt hat.

  43. #43 MartinB
    24. Juni 2011

    @geoman
    “weshalb die revolutionäre Kladistik die bis traditionelle Systematik auch 50 Jahre nach ihrer Erfindung nicht verdrängt hat.”
    So schwer ist es eigentlich gar nicht, den Unterschied zwischen Kladistik und phylogenetischer Nomenklatur/Systematik zu verstehen.
    Die Kladistik als Methode der Rekonstruktion von Phylogenien hat sich bereits durchgesetzt.