Zur Zeit der Dinosaurier lebten im Meer die Mosasaurier – Lebewesen, die unserer Vorstellung von Meeresdrachen oder Seeschlangen schon ziemlich nahe kamen. Bilder zeigen Mosasaurier meist mit einem sich schlängelnden Körper und einem Schwanz mit einem langen schmalen Flossensaum.
Hier ein Beispiel von Wikipedia (leider mit teilweise verdecktem Schwanz):
Von Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Eigenes Werk, CC BY 3.0, Link
Wenn der Schwanz der Mosasaurier tatsächlich so aussah, dann schwammen sie vermutlich wie Aale oder heutige Seeschlangen, also mit schlängelnden Bewegungen des Körpers, wobei der Körper typischerweise eine ganze “Wellenlänge” der Bewegung oder mehr gleichzeitig macht, wie dieses Bild zeigt:
By Dmitry Bogdanov – Originally from ru.wikipedia; description page is/was here., Public Domain, Link
Dieses Bild einer Seeschlange (wieder von Wiki) zeigt das noch einmal sehr schön am lebenden Tier:
Von Craig D – https://www.flickr.com/photos/craigd/3903394880/, CC BY-SA 2.0, Link
Dieses altvertraute Bild der Mosasaurier wurde jetzt gründlich erschüttert. Neue Fossilienfunde und eine detaillierte Analyse zeigen, dass Mosasaurier vermutlich ganz anders aussahen und schwammen.
Was sind Mosasaurier?
Mosasaurier sind eine ziemlich kurzlebige Gruppe von meeresbewohnenden Reptilien. Sie entwickelten sich gegen Ende der Kreidezeit, vermutlich aus den Aigialosauriern, die wiederum mit den Waranen verwandt waren:
By FunkMonk (Michael B. H.) – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Die genauen Abstammungsverhältnisse sind allerdings nicht geklärt – insbesondere ist es möglich, dass auch die Schlangen eng mit den Mosasauriern verwandt sind oder sich sogar aus ihnen entwickelten. Auf jeden Fall waren die Vorfahren der Mosasaurier Tiere, die den heutigen Waranen ähnelten und auch mit ihnen verwandt waren.
Mosasaurier verbreiteten sich relativ schnell am Ende der Kreidezeit, vielleicht begünstigt durch das Verschwinden der Ichthyosaurier und Pliosaurier. Sie waren Fleisch bzw. Fischfresser – die meisten von ihnen hatten spitze Zähne, wie das für Meeresräuber typisch ist, aber Globidens hatte eher rundliche Zähne, die sich zum Knacken von harten Panzern eigneten (sowas nennt man Durophagie); angesichts der großen Zahl von Ammoniten, die in der Kreidezeit im Meer schwammen sicher eine nützliche Anpassung. Die Mosasaurier starben am Ende der Kreidezeit mit den Dinosauriern und sehr vielen anderen Tiergruppen aus.
Der Schwanz der Mosasaurier
Mosasaurier hatten ziemlich lange Schwänze, die, so dachte man früher, relativ gerade verliefen (obwohl man schon 1920 Hinweise auf eine leichte Biegung des Schwanzes gefunden hatte). Man schloss daraus, dass sie keine Schwanzflosse hatten wie Haie oder Ichthyosaurier, sondern eben eher wie Aale oder Seeschlangen schwammen.
In den letzten Jahren aber änderte sich das Bild: 2007 wurde ein Mosasaurier der Gattung Plotosaurus beschrieben [1], der einen deutlich fischähnlichen Körper hatte, der an Kopf und Schwanz zulief und in der Mitte am “dicksten” war (ein “fusiformer” Bauplan). Der Schwanz war am Ende nach unten gekrümmt, was darauf hindeutete, dass er eine Schwanzflosse trug. Plotosaurus ist allerdings ein sehr später und sehr weit fortgeschrittener Mosasaurier. Bei “primitiveren”1 Mosasauriern ging man nach wie vor von einer eher aalähnlichen Körperform aus.
1wer die Anführungsstriche verstehen will, muss hier gucken.
Irgendwann in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts (das genaue Datum ist nicht bekannt) bekam das Naturkundemuseum von Los Angeles ein sehr gut erhaltenes Fossil eines Mosasauriers der Gattung Platecarpus, das im Jahr 2010 neu analysiert und beschrieben wurde [2]. Dabei fiel auf, dass der Schwanz eine Krümmung nach unten zu haben schien:
Aus [2]
Platecarpus ist ein wesentlich primitiverer Mosasaurier als Plotosaurus – hatten vielleicht alle Mosasaurier nach unten gebogene Schwänze und damit vermutlich auch eine richtige Schwanzflosse? Wie genau hat sich das entwickelt und wie kann man das herausbekommen – nicht jeder Mosasaurus ist so gut erhalten wie der Platecarpus hier, bei dem sogar Teile der Innereien versteinert wurden.
Wirbel biegen Schwänze
Die Lösung ist – wenn man erstmal drauf gekommen ist – naheliegend [3]: Ein nach unten gebogener Schwanz ist sicherlich deswegen nach unten gebogen, weil die Schwanzwirbel an der Biegung entsprechend geformt sind, nämlich oben länger als unten, so dass die Wirbel keilförmig waren und sich eine Krümmung ergab. Es wäre also eine gute Idee, Mosasaurier-Schwanzwirbel mit den Wirbeln anderer Meeresbewohner zu vergleichen.
Dafür nimmt man zum einen Aale (falls die Mosasaurier doch eher denen ähneln) und zum anderen Haie. Haie haben nämlich auch eine Schwanzflosse, bei der sich der Schwanz in einer Flossenhälfte fortsetzt, allerdings in der oberen. Hier eine Übersicht über Haischwanzformen, bei der man erkennt, dass es die obere Hälfte ist, die stärker ausgeprägt ist:
Von Chris huh, translated by Achim Raschka (talk) – Eigenes Werk, Gemeinfrei, Link
Bei den meisten anderen Fischen mit ähnlicher Schwanzflosse wie den Thunfischen endet die Wirbelsäule in der Schwanzmitte und die eigentliche Flosse ist an dünnen “Strahlen” (fin rays) befestigt:
By Urville Djasim from The Netherlands – Skelet tonijn / Tuna fish skeleton, CC BY-SA 2.0, Link
Deswegen bieten sich also Haie als Vergleich an.
Lindgren und seine Kollegen vermaßen also diverse Mosasaurier-, Hai,- Aal- und außerdem noch Waranskelette (jedenfalls die Schwanzwirbel), um zu sehen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es jeweils gibt. Ach ja, ein Krokodil und eine Seeschlange wurde auch noch vermessen – wenn man eh schon mal dabei ist…
Weil ein Waran und ein Mosasaurus doch ein bisschen unterschiedlich groß sind, bot es sich an, die Messungen zu normieren – es wurde also die Länge und Breite der Wirbel relativ zur Wirbelhöhe gemessen. Ein Wert für die Länge von 3 beispielsweise sagt, dass der Wirbel dreimal so lang wie hoch war.
Die Wirbel in den Schwänzen der Warane waren typischerweise ziemlich lang und wurden nach hinten hin länger, wie diese Grafik hier zeigt:
Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei einer Seeschlange oder einem Kaiman. Beim Aal dagegen werde die Wirbel nach hinten hin ebenfalls länger, sind aber insgesamt etwa so lang wie hoch:
Bei Haien dagegen ergibt sich eine U-förmige Kurve – es gibt einen Bereich des Schwanzes, wo die Wirbel besonders kurz sind, außerdem sind sie generell kürzer als hoch:
Und hier nun ein paar Mosasaurier zum Vergleich:
Auch hier sind die Wirbel eher kurz und nicht vergleichbar mit denen der Warane oder Seeschlangen. Die U-Form sieht man beim Mosasaurus relativ gut, bei Clidastes ist sie eher weniger ausgeprägt.
Ob Wirbel eher lang oder eher kurz sind, sagt natürlich etwas über die Beweglichkeit aus. Eine Giraffe beispielsweise kann ihren langen Hals bei weitem nicht so gut krümmen wie ein Strauß, weil sie nur 7 Halswirbel hat. Wenn der Schwanz an einer Stelle relativ kurze Wirbel hat, dann ist er dort also entsprechend beweglich. Das wiederum spricht dafür, dass er an dieser Stelle stärker bewegt wurde als davor und dahinter, und das wiederum spricht gegen eine aalartige Schwimmbewegung, wo sich ja die “Sinuswelle” gleichmäßig über den Körper bewegt.
Aber das ist natürlich sehr indirekt argumentiert – ein direkter Hinweis auf eine Schwanzflosse wie beim Hai ist das nicht, dazu muss man auf die Form einzelner Wirbel gucken. Wenn ein Wirbel keilförmig ist (also beispielsweise oben länger als unten) und wir legen mehrere hintereinander, dann ergibt sich – wie oben schon gesagt – eine Abwärtskrümmung des Schwanzes. Dieses Verhältnis von Wirbelober- zu -unterseite wurde nun also wieder gemessen, und zwar für Haie und Mosasaurier. Der Schwanz wurde dazu jeweils in Bereiche eingeteilt und dann das Verhältnis gemittelt. Das hier kommt dabei heraus (Selachier sind Haie):
Bei den Mosasauriern ist das Verhältnis immer größer-gleich eins, die Wirbel sind also oben länger als unten, so dass der Schwanz nach unten gekrümmt sein sollte. Zieht man zum Vergleich die Haie heran, dann ist das Verhältnis – ääh, auch größer als 1? Sind Haischwänze jetzt plötzlich nach unten gekrümmt?
Nein, keine Sorge, sind sie nicht. Die Autoren haben – der besseren Vergleichbarkeit wegen – den Hai umgedreht, so dass seine Schwanzkrümmung in dieselbe Richtung zeigt wie beim Mosasaurus (das aber leider nicht explizit in die Bildunterschrift geschrieben, und so arme Blogger verwirrt. Eine kurze mail-Nachfrage bei Johan Lindgren half hier weiter – immer wieder faszinierend, wie schnell man dank e-mail Antworten auf Wissenschaftsfragen von Experten bekommt…). Haischwänze sind also in Wirklichkeit nach oben gekrümmt – es sei denn, der Hai schwimmt mit dem Bauch nach oben.
Nach diesen Daten sollte man also erwarten, dass Mosasaurierschwänze tatsächlich nach unten gekrümmt waren, wenn auch unterschiedlich stark. Beim Dallasaurus war der Schwanz allenfalls ganz leicht nach unten gekrümmt, bei Mosasaurus und Plotosaurus dagegen stäker. Damit ihr das evolutionär einordnen könnt, hier ein Kladogramm:
Ihr seht also, dass die “fortgeschritteneren” Mosasaurier immer stärker gebogene Schwänze bekamen.
Zusätzlich schauten die Autoren bei den Hai- und Mosasaurierschwänzen auch noch auf die Fortsätze oben und unten an den Wirbeln. Hier ein Bild von einem geröntgen Haischwanz (umgedreht, deswegen zeigt der “up”-Pfeil nach unten) und einem Mosasaurier im Vergleich:
Ihr erkennt, dass die Fortsätze an den Wirbeln stellenweise geknickt verlaufen. Auch hier ergibt ein Vergleich von Hai und Mosasaurier, dass die Mosasaurierschwänze nach unten geknickt waren.
Das Ergebnis: Ein neuer Schwanz für Meeresdrachen
Und hier schließlich die Schwanzformen, die aus diesen Untersuchungen und den Fossilien abgeleitet wurden, wobei die Flossenform selbst natürlich hypothetisch bleibt, denn anders als bei Ichthyosauriern hat man bei Mosasauriern keine so schönen Abdrücke gefunden:
Insgesamt ergibt sich, dass die fortgeschritteneren Mosasaurier stärker gekrümmte Schwänze und dementsprechend vermutlich auch größere Schwanzflossen hatten. Die Wirbel wurden dabei tendenziell kürzer und der Bereich, der vermutlich am stärksten bewegt wurde und für das Schlagen der Schwanzflosse zuständig war, wurde schmaler. Ganz ähnliche Verhältnisse beobachtet man übrigens auch bei Walen – bei denen sitzt die Wirbelsäule allerdings mittig in der Schwanzflosse.
So etwa könnte so ein “neuer” Mosasaurier (hier Platecarpus aus [2]) ausgesehen haben:
Die Mosasaurier waren also keine “Seeschlangen”, sondern eher “Waranhaie”.
[1] JOHAN LINDGREN, JOHN W.M. JAGT, MICHAEL W. CALDWELL
A fishy mosasaur: the axial skeleton of Plotosaurus (Reptilia, Squamata) reassessed
Lethaia, Volume 40, Issue 2, pages 153-160, June 2007
(ich geb’s zu – davon habe ich (weil kein Zugriff) nur den Abstract und die Besprechung in der Quelle [3] gelesen.)
[2] Johan Lindgren, Michael W. Caldwell, Takuya Konishi, Luis M. Chiappe
Convergent Evolution in Aquatic Tetrapods: Insights from an Exceptional Fossil Mosasaur
PLoS ONE 5(8): e11998. doi:10.1371/journal.pone.0011998
[3] Lindgren, J., Polcyn, M., & Young, B. (2011). Landlubbers to leviathans: evolution of swimming in mosasaurine mosasaurs Paleobiology, 37 (3), 445-469 DOI: 10.1666/09023.1
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