Wenn ihr euch in eurem Alltag umschaut, werdet ihr feststellen, dass wir Menschen viele Dinge aus Metallen bauen – Regalträger, Autokarosserien, Türklinken, Gabeln und und und. Schaut man sich dagegen die belebte Natur an, so findet man Werkstoffe wie Holz, Knochen, Insektenpanzer, Schneckenschalen. Metalle (also Werkstoffe in metallischer Form) gibt es dagegen in der Natur eigentlich nicht. (Ich bin immer auf der Suche nach Ausnahmen – falls jemand welche kennt, wäre ich sehr dankbar für einen Tipp.)
Warum ist das eigentlich so? Gibt es dafür einen Grund?
Über diese Frage will ich hier ein bisschen nachdenken – ich sage gleich vorweg, dass ich keine perfekte Antwort habe (nicht dass noch jemand enttäuscht ist).
Damit keine Verwirrung aufkommt: Natürlich kommen in vielen biologischen Systemen chemische Elemente vor, die als Metalle klassifiziert werden, wie beispielsweise Eisen, Kupfer, Kalzium, Natrium usw. Worum es mir hier geht, sind Metalle in metallischer Form, mit den typischen Eigenschaften von Metallen wie guter elektrischer und thermischer Leitfähigkeit, Verformbarkeit, Glanz usw. So wie sie eben in Autos, Regalträgern und so weiter vorkommen.
Sind Metalle zu selten?
Metalle liegen ja meist nicht einfach auf dem Boden herum. Vielleicht sind sie einfach zu selten, als dass Lebewesen sie in genügender Menge gewinnen könnten?
Das Leben stammt ja bekanntlich aus dem Meer. Schaut man, welche Elemente wie häufig im Meerwasser vorkommen (Wikipedia weiß alles), dann stellt man fest, dass zu den häufigsten Metallen Kalzium gehört, das von z.B. Schnecken ja tatsächlich für den Bau ihrer Schalen genutzt wird (die bestehen aus Kalziumkarbonat). Unsere häufig verwendeten Metalle wie Eisen (als Basis von Stahl), Nickel, Titan und Aluminium sind dagegen wesentlich seltener. Sind Metalle also einfach zu selten?
Das mag sicher eine Rolle spielen. Auf der anderen Seite ist Magnesium ein ziemlich häufiges Element im Meerwasser – häufiger sogar als Kalzium. Magnesium (beziehungsweise Magnesiumlegierungen) wäre also ein Kandidat. Auch Mangan kommt zumindest an einigen Stellen häufig vor (die berühmten “Manganknollen“) – in diesen Regionen ist auch viel Mangan im Seewasser gelöst, behauptet zumindest die Internetseite Wisegeek. Mangan ist ein hartes, allerdings auch sprödes Metall. Aber auch die Keramiken, die in der Natur häufig verwendet werden, sind spröde; vollkommen abwegig ist die Idee also nicht.
Noch eine andere Möglichkeit kommt hinzu: Selbst wenn die Konzentration an Metallen im Meerwasser klein ist – vielleicht könnten Lebewesen sie ja aktiv, beispielsweise durch elektrische Felder, aus dem Wasser extrahieren.
Sind Metalle zu rostanfällig?
Metalle tendieren natürlich dazu, zu korrodieren. Gerade Magnesium ist dafür bekannt, korrosionsanfällig zu sein (dass der alte VW Käfer einen Motorblock aus Magnesium hatte, ohne an Korrosionsproblemen zu leiden, liegt angeblich daran, dass der Motor immer etwas ölig war – das habe ich aber nur vom Hörensagen, nagelt mich darauf bitte nicht fest). Es gibt allerdings auch ziemlich korrosionsbeständige Magnesiumlegierungen wie AZ91. Die enthält ein paar Prozent Aluminium, was im Meerwasser in kleinen Mengen auch vorkommt, aber wesentlich seltener ist als Magnesium; das könnte dann hier in einem biologischen System ein begrenzender Faktor sein. Eine Alternative wären Magnesium-Mangan-Legierungen, die auch korrosionsbeständig sind.
Mangan selbst wäre vielleicht auch eine Alternative – die einzigen Hinweise auf Manganlegierungen (die technisch sehr selten verwendet werden) habe ich leider hinter einer fiesen paywall gefunden.
Es zeigt sich aber, dass schon mit bekannten Legierungszusammensetzungen prinzipiell eine korrosionsbeständige Legierung in der Biologie denkbar wäre. Und wer weiß – vielleicht könnte die Evolution Legierungszusammensetzungen finden, auf die man als Werkstoffkundler nie kommen würde, weil man sie nie ausprobiert hätte? Kalziumkarbonat ist auch nicht gerade die erste Wahl, wenn man an Ingenieurskeramiken denkt.
Falls es Lebewesen gelingt, andere Metalle in größerem Maßstab zu gewinnen, fiele die Korrosionsproblematik dann vollkommen weg – Titan wäre zum Beispiel extrem gut geeignet (ist allerdings zwar in der Erdkruste häufig, im Meerwasser aber selten, weil es typischerweise als Titandioxid vorliegt).
Sind Metalle zu toxisch?
Zwar kommen Metalle als Spurenelemente im Körper vor, in größeren Mengen sind sie aber oft toxisch. Eisen, Aluminium, Nickel oder Chrom sind in größeren Mengen giftig. Auch Mangan kann in größeren Mengen neurotoxisch wirken. Zudem sind Metalle (in größeren Konzentrationen) auch oft krebserregend.
Kommen Metalle also deswegen in der Natur nicht vor? Ich bezweifle das. Dass Metalle toxisch wirken, liegt meist daran, dass sie mit Enzymen des Körpers in ungünstiger Weise wechselwirken, sie können beispielsweise als falsche Kofaktoren (also Enzymbestandteile) in Proteine eingebaut werden und dadurch deren Wirkung verändern. Würde ein bestimmtes Metall im Körper häufig vorkommen, dann kann man aber meiner Meinung nach davon ausgehen, dass sich die Enzyme in der Evolution entsprechend angepasst hätten.
Mein aktueller Metallfavorit Magnesium ist übrigens relativ unkritisch – deswegen gibt es ja auch Magnesiumtabletten, die ja angeblich gegen Muskelkrämpfe helfen sollen (bei mir klappt’s – aber als Einzelperson kann ich den Placeboeffekt nicht ausschließen).
Sind Metalle zu schwer?
Die meisten Metalle haben eine hohe Dichte – ein Kubikzentimeter Stahl wiegt etwa 8 Gramm, ein Kubikzentimeter Knochen dagegen nur etwa 2. Sind Metalle vielleicht einfach zu schwer?
Auf der anderen Seite sind Metalle natürlich auch ziemlich belastbare Materialien. Sie verformen sich unter einer gegebener Last weniger als eine gleich geformte Probe aus Knochen das tun würde (das heißt, Metalle sind steifer oder – vornehm ausgedrückt – sie haben einen höheren Elastizitätsmodul). Wenn wir über das Gewicht nachdenken, müssen wir diese Größen in Beziehung setzen.
Das zählt zum Standardrüstzeug der Ingenieurinnen. Wie genau Elastizitätsmodul und Dichte in Beziehung gesetzt werden müssen, hängt davon ab, wie eine Struktur belastet wird – bei reiner Zug- oder Drucklast ist die entscheidende Größe das Verhältnis E/ρ (ρ ist die Dichte), bei Biegebelastung dagegen √E / ρ. In der Natur ist Biegebelastung häufiger (sie dominiert beispielsweise die Knochen in unseren Extremitäten oder die Belastung von Baumstämmen). Vergleicht man nun √E / ρ für verschiedene Metalle mit dem Wert für Holz oder Knochen, dann stellt man fest, dass Titan-, Aluminium- und Magnesiumlegierungen alle etwa vergleichbar gut sind wie Holz und Knochen. Am Leichtbau liegt es also auch nicht.
Aber Moment mal – wenn Holz und Knochen gleich gut sind, warum sollte die Natur dann überhaupt Metalle verwenden? Warum nehmen wir eigentlich so gern Metalle? Was sind die Vorteile gegenüber anderen Werkstoffen?
Warum überhaupt Metalle?
Wir verwenden Metalle aus verschiedenen Gründen. Ihre Eigenschaften lassen sich durch Legieren relativ leicht beeinflussen. Bei vielen Legierungen kann man die Eigenschaften durch sogenannte “Wärmebehandlung” noch verbessern – beispielsweise kann man Stähle härten und anlassen und dadurch ihre Festigkeit und Dehnbarkeit sehr gut steuern. Diese Möglichkeit gibt es in der Natur so natürlich nicht, weil die wenigsten Tiere einen Ofen mit Temperaturen von ein paar Hundert Grad mit sich rumschleppen. Diese zweite günstige Eigenschaft von Metallen fällt also schon mal weg.
Ein zweiter Vorteil von Metallen ist ihre Schadenstoleranz. Lasst einfach mal einen Löffel und eine Tasse zu Boden fallen (ich empfehle den Theoretikeransatz, das nur als Gedankenexperiment zu tun, sonst gibt es Scherben). Metalle brechen nicht so leicht – sie verformen sich zunächst plastisch. Gerade bei Autos ist das praktisch – mit Metallen gibt es eine Knautschzone, die einen großen Teil der Energie abfängt.
In einem biologischen System wäre das aber vielleicht problematischer. Stellt euch vor, ihr hättet Knochen aus Metall und fallt unglücklich hin. Normale Knochen brechen in diesem Fall, aber sie verheilen auch wieder. Ein massiver Metallknochen dagegen wäre verbogen – um ihn wieder geradezubekommen, bräuchtet ihr entweder eine Richtbank (in freier Natur eher selten), oder ihr müsstet weite Teile des Knochens komplett ab- und wieder aufbauen, was vermutlich sehr lange dauern würde.
Aber Moment mal – unsere Knochen enthalten doch sogar einen spröden Werkstoff, nämlich eine Keramik (Hydroxyapatit, ein Kalziumphosphat). Warum ist das kein Problem? Die Antwort ist einfach: Das Hydroxyapatit liegt in einem Verbund vor, die einzelnen Keramikplättchen sind dabei winzig (wesentlich kleiner als ein Mikrometer).
Aber könnte man dasselbe nicht auch mit Metallplättchen machen? Klar, könnte man. Aber dann ist der Vorteil, den Metalle gegenüber anderen Werkstoffen haben, natürlich ein bisschen zunichte gemacht.
Und dieser Aspekt führt noch zu einem weiteren: Ein wichtiger Grund, warum wir heutzutage Metalle verwenden, besteht darin, dass wir Metalle erst zu Halbzeugen formen und dann weiter verarbeiten: Aus einem Barren wird ein Blech, das wird dann vielleicht nochmal umgeformt, usw. Für unsere großindustrielle Vorgehensweise ist das praktisch – eine Firma kann das Metall schmelzen, eine andere walzen, wieder eine andere weiterverarbeiten.
Die Natur geht aber anders vor: Sie baut Strukturen gleich von vornherein in der Endform auf. Das funktioniert mit mikrokopischer Präzision, weil die “Maschinen” in der Natur Zellen sind, die kleiner sind als das was sie herstellen. Bei unserer Technik dagegen sind die Maschinen meist größer als die hergestellten Produkte – wir haben Schmiedehämmer, Pressen und so weiter. Für diese mehrfache Bearbeitung ist es natürlich gut, wenn man ein Material hat, das sich gut verformen lässt – Bauteile aus Keramiken kann man schlecht schmieden. Der Natur kann das aber egal sein, denn solche Prozessketten gibt es bei ihr nicht.
Fazit
Es gibt kein einzelnes k.o.-Kriterium, das Metalle aus biologischen Systemen ausschließt. Probleme wie geringe Häufigkeit, Korrosionsanfälligkeit oder Toxizität sind prinzipiell überwindbar – die Natur hat schon ganz andere Dinge entwickelt. Allerdings haben Metalle, wenn man genau hinsieht, gar nicht so viele Vorteile, wie man vielleicht im ersten Moment denkt. Viele der Gründe, aus denen wir Metalle verwenden, sind für die Natur irrelevant. Und so sind letztlich vielleicht Verbundwerkstoffe mit einer Keramik-Komponente (wie Knochen oder Schalen) für die Natur einfacher herzustellen. Vielleicht spielte auch der Zufall eine Rolle, und wenn die Evolution einen anderen Weg genommen hätte, dann hätten wir Magnesiumknochen und ich hätte in diesem Artikel versucht zu erklären, warum es in der Natur so wenig Keramiken gibt…
Die Grundidee zu diese Artikel stammt aus dem Buch “Von Grashalmen und Hochhäusern” von S. Vogel. Viele Beiträge haben auch fleißige Studis geliefert, mit denen ich dieses Problem immer in einer meiner Vorlesungen diskutiere. (Falls die alle meinen Blog lesen, muss ich mir ab nächstem Jahr was anderes einfallen lassen.)
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