Was sind eigentlich Naturgesetze? Wie “funktionieren” sie? Wie entdeckt man neue Naturgesetze? Was tut die Physik, wenn sie die Welt “erklärt”?
All das sind Fragen, die sich vermutlich jeder, der sich für Physik interessiert, schon mal gestellt hat.
1964 wurde der Physiker Richard Feynman eingeladen, die sogenannten “Messenger Lectures” zu halten, eine Vorlesungsreihe an der Cornell Universität. Seine Vorträge befassen sich mit genau diesen Fragen und wurden später im Buch “The Character of Physical Law” (deutsch: “Vom Wesen physikalischer Gesetze”) veröffentlicht.

Das Buch befasst sich in sieben Kapiteln mit unterschiedlichen Aspekten von Naturgesetzen. Weil es sich lohnt, die einzelnen Ideen darin etwas genauer anzuschauen, wird diese Rezension etwas länger und ich verteile sie auf mehrere Teile.

Das Gravitationsgesetz

Feynman beginnt mit dem Gravitationsgesetz, und zwar mit dem Newtonschen Gravitationsgesetz (also ohne Komplikationen durch die Allgemeine Relativitätstheorie). Das Gesetz besagt bekanntlich, dass sich zwei Massen m und M gegenseitig mit einer Kraft anziehen, die entlang ihrer Verbindungslinie wirkt und proportional zu den Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands ist:
F = -G mM/r2
Feynman erläutert (stark vereinfacht) wie Newton mit Hilfe der Keplergesetze für die Planetenbahnen dieses Gesetz aufstellte. Aus dem Gravitationsgesetz lassen sich die Keplergesetze ableiten und es lassen sich Vorhersagen ableiten – beispielsweise konnte Newton erklären, dass der Mondabstand und die Dauer eines Mondumlaufs um die Erde in einem bestimmten Zusammenhang stehen mussten – genau dem, den man beobachtete.

Überträgt man das Gesetz auf andere Himmelskörper, so bestätigt es sich auch da – beispielsweise bei den Jupitermonden. Allerdings nicht ganz – gelegentlich waren die Jupitermonde etwas vor, gelegentlich etwas hinter ihren vorhergesagten Positionen. Entweder stimmte etwas mit dem Gravitationsgesetz nicht, oder ein anderer Faktor war im Spiel. Olaus Roemer erkannte, dass die Monde immer dann “hinterherhinkten”, wenn Jupiter besonders weit von der Erde entfernt war, und dass sie “vorauseilten”, wenn Jupiter dicht an der Erde war. Daraus schloss er, dass es das Licht ist, das mit endlicher Geschwindigkeit unterwegs ist und so die Abweichungen bewirkt.

An diesem einfachen Beispiel kann man sehen, dass ein Naturgesetz es erlauben kann, andere Naturgesetze zu finden. Dazu muss man aber “Vertrauen” in das Gesetz haben – Roemer hätte ja auch sagen können “O.k., das Gravitationsgesetz wirkt beim Jupiter nicht so ganz”, und sich einen Korrekturterm einfallen lassen können, der die Beobachtungen beschreibt.

Feynman fährt fort mit der Beschreibung des Gravitationsgesetzes in unterschiedlichen Zusammenhängen, erläutert die Entdeckung des Neptun, die Bewegung von Sternen in Doppelsternen, Sternhaufen und der Milchstraße, und erläutert auch, wie das Gravitationsgesetz im Labormaßstab gemessen werden konnte.

Er schließt mit einer wichtigen Beobachtung:

But the most impressive fact is that gravity is simple. It is simple to state the principles completely and not have left any vagueness for anybody to change the ideas of the law. It is simple, and therefore it is beautiful. It is simple in its pattern. I do not mean it is simple in its action–the motions of the various planets and the perturbations of one on the other can be quite complicated to work out, and to follow how all those stars in a globular cluster move is quite beyond our ability. It is complicated in its actions, but the basic pattern or the system beneath the whole thing is simple. This is common to all our laws; they all turn out to be simple things, although complex in their actual actions.
[Am beeindruckendsten ist, dass die Gravitation einfach ist. Es ist einfach, die Prinzipien vollständig auszudrücken und keinerlei Unklarheit übrig zu lassen, mit denen jemand die Idee hinter dem Gesetz ändern könnte. Es ist einfach und deshalb ist es schön. Es hat ein einfaches Muster. Ich meine nicht, dass seine Auswirkungen einfach sind – die Bewegungen der verschiedenen Planeten und ihre gegenseitigen Störungen können ziemlich schwierig zu berechnen sein, und auszurechnen, wie sich alle Sterne in einem Kugelsternhaufen bewegen ist jenseits unserer Fähigkeiten. Seine Auswirkungen sind kompliziert, aber das zugrundeliegende Muster unter dem Ganzen ist einfach. Das haben alle unsere Gesetze gemeinsam; sie haben sich alle als einfach herausgestellt, auch wenn ihre Auswirkungen komplex sind.]

Mathematik und Physik
Physikalische Gestze sind immer mathematisch. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich Feynman vor allem mit der Rolle der Mathematik in der Physik.
Warum muss man überhaupt Mathematik verwenden? Mathematik ist doch nur eine Sprache – kann man die Gesetze nicht anders formulieren?
Feynman sagt dazu ganz klar “Nein” – Mathematik ist mehr als nur eine Sprache, sie ist eine Sprache plus eingebauter Schlussfolgerungsmechanismen. Er erläutert dies im Detail, indem er das zweite Keplergesetz herleitet, das besagt:
“Ein von der Sonne zum Planeten gezogener “Fahrstrahl” überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen.”

Kepler-second-law.svg
Keplergesetz, von Harp  CC BY-SA 3.0, Länk

Er zeigt, wie man dieses Gesetz aus dem Newtonschen Gravitationsgesetz bekommen kann. Ohne mathematische Argumentation wäre das schwierig, denn bei der Herleitung müssen Flächen verglichen werden, wozu man wiederum die Gesetze der Geometrie braucht.

Es folgt eine Passage, an die ich mich immer besonders lebhaft erinnern werde. Feynman diskutiert die Frage, ob die Vorgehensweise in der Physik, wie die der Mathematik, axiomatisch ist, ob man also von einem bestimmten Satz von Aussagen anfängt und dann von dort aus immer weitere Sätze ableitet.

Er beginnt mit einem Vergleich der babylonischen und der griechischen Mathematik (wobei er sich darüber im klaren ist, dass das der komplexen historischen Wahrheit nicht unbedingt entspricht). Die Griechen waren Axiomatiker, sie versuchten (wie in Euklids “Elementen”), alle mathematischen Aussagen aus einem möglichst einfachen Satz von Anfangsannahmen (den Axiomen) abzuleiten. Die Baylonier dagegen hatten eine große Menge bekannter Aussagen, von denen sie ausgehen konnten. Wenn sie etwas herleiten oder berechnen wollten, dann nahmen sie sich diejenigen Sätze, die sie gerade brauchten, ohne sich besonders um die Rückführung auf Axiome zu kümmern.

Ich erinnere mich deshalb so gut an diesen Abschnitt, weil ich beim Lesen dachte “Ja, und jetzt wird Feynman erklären, dass die Physik axiomatisch ist wie die Mathematik der Griechen und dass wir immer versuchen sollten, alles auf grundlegende Anfangsannahmen zurückzuführen” (und kam mir dabei ziemlich schlau vor, vermute ich). Und dann las ich:

In physics, we need the Babylonian method.
[In der Physik brauchen wir die babylonische Methode.]

Das war durchaus ein kleiner Schock – dank vieler Physikvorlesungen und -bücher, die häufig die Axiome der jeweiligen Theorien hinschrieben und diskutierten, hatte ich diese Vorgehensweise für die einzig wahre gehalten.

Aber warum soll das so sein? Warum sind Physikerinnen besser babylonisch als griechisch?

Wenn man über das zweite Keplergesetz nachdenkt, dann stellt man schließlich fest, dass dieses Gesetz impliziert, dass der Drehimpuls des Systems erhalten bleibt. Die Drehimpulserhaltung findet man aber nicht nur in Systemen mit Gravitation, sondern auch anderswo (auch wenn sie bei elektromagnetischen Feldern dann etwas komplizierter wird, weil die Felder selbst auch einen Drehimpuls haben). Dieses Prinzip der Drehimpulserhaltung ist also umfassender als das Gravitationsgesetz, steckt aber in ihm drin. Es ist deshalb schwierig, das Gravitationsgesetz als Axiom zu nehmen und die Drehimpulserhaltung – das ist redundant. Und das Gravitationsgesetz wiederum war eine große Hilfe bei der Entwicklung der Idee, dass es eine Drehimpulserhaltung geben könnte, die Idee der Drehimpulserhaltung kann aus dem Gravitationsgesetz gewonnen werden – obwohl sie umfassender ist als das Gravitationsgesetz selbst. Physikalische Gesetze gelten oft auch für Fälle, für die wir sie zunächst nicht hergeleitet haben – ein Aspekt, auf den Feynman immer wieder zurückkommt.

Ein anderer Aspekt ist, dass es sehr verschiedene Darstellungen desselben Gesetzes geben kann. Das Gravitationsgesetz kann man beispielsweise auch mit Hilfe von Potentialen (also der Energie) oder über das Prinzip der kleinsten Wirkung darstellen. Alle drei Darstellungen sind mathematisch äquivalent, das kann man zeigen. Aber sie sind nicht physikalisch äquivalent – jede Formulierung betont eine bestimmte Größe, die das System beschreibt. Wenn wir mit Hilfe des Gravitationsgesetzes andere Gesetze suchen oder wenn wir das Gravitationsgesetz mit anderen Theorien in Einklang bringen wollen, dann sind die unterschiedlichen Formulierungen unterschiedlich hilfreich.

Auch wenn es vielleicht eines Tages (wenn wir eine “Weltformel” haben) möglich ist, die physikalischen Gesetze axiomatisch hinzuschreiben – bis dahin ist es besser, möglichst viele verschiedene Wege zu kennen, um die Gesetze aufzuschreiben und dann je nach Problemstellung den besten davon zu nehmen.

Kommentare (41)

  1. #1 Bjoern
    24. Juli 2011

    Gute Auswahl für die Rezension – das Buch kann ich auch nur empfehlen! 🙂 Und genau die Stellen, die du oben angesprochen hattest (Mathematik als “Sprache plus eingebauter Schlussfolgerungsmechanismen” und die “babylonische Methode” in der Physik) fand ich übrigens auch am faszinierendsten im 2. Kapitel. Das Kapitel würde ich übrigens auch den zahllosen Leuten im Internet empfehlen, die meinen, sie hätten eine alternative physikalische Theorie entwickelt – das einzige, was noch fehlen würde, wäre eine konkrete mathematische Ausformulierung, aber weil sie ja in sowas schlecht seien, würden sie das den Physikern überlassen… 😉

    (Allerdings stecken übrigens hin und wieder auch kleinere Fehler im Buch. So behauptet Feynman z. B. im ersten Kapitel, die Formel (plus das 2. Newtonsche Gesetz) wäre “alles Wissenswerte über das Gravitationsgesetz”, was nicht ganz stimmt – er hat nämlich das Gesetz nur für den Betrag der Kraft formuliert statt vektoriell, hat also nirgends gesagt, dass die Kraft in Richtung der Verbindungslinie der beiden Körper wirkt; und er hat noch nicht mal explizit gesagt, dass die Kraft anziehend wirkt! Beides folgt erst im 2. Kapitel. Und es finden sich noch andere kleinere Schnitzer (vielleicht erst bei der Übersetzung entstanden?) wie z. B. “Die Fallgeschwindigkeit auf der Erde beträgt … rund fünf Meter pro Sekunde”. Da ich das Buch schon mehrfach gelesen habe, befinden sich inzwischen im Schnitt auf jeder zweiten Seite Bleistift-Anmerkungen von mir… 😉 )

  2. #2 Dr. Webbaer
    24. Juli 2011

    Ein hübscher und bemühter Artikel!

    In physics, we need the Babylonian method.
    [In der Physik brauchen wir die babylonische Methode.] (Feynman)

    Das war durchaus ein kleiner Schock – dank vieler Physikvorlesungen und -bücher, die häufig die Axiome der jeweiligen Theorien hinschrieben und diskutierten, hatte ich diese Vorgehensweise für die einzig wahre gehalten. (Dr. B)

    Das muss in der Tat ein Schock für den Inhaltemeister gewesen sein, hat sich dieser doch in früheren Statements zur Epistemologie ganz anders angehört. – Dr. W empfiehlt hier auch die Kenntnisnahme des Konstruktiven Empirismus (van Fraassen), der ganz grob besagt, dass empirisch adäquate (“Babylonisches Vorgehen”) Theorien auf dem Markt bereitstehen und sich wissenschaftlich und politisch (!) zu bewähren haben.

    Ist das verstanden, klappt’s auch mit den Physiklehrerinnen! 😉

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. #3 mar o
    24. Juli 2011

    Ich habe das Buch bisher nicht gelesen, aber ich denke schon, dass die Physik eher den axiomatischen Weg einschlägt. Zumindest trifft das hier nicht zu:

    Wenn sie etwas herleiten oder berechnen wollten, dann nahmen sie sich diejenigen Sätze, die sie gerade brauchten, ohne sich besonders um die Rückführung auf Axiome zu kümmern.

    Die meisten großen Entdeckungen liefen doch nach dem Schema ab, empirische Tatsachen auf fundamentale Prinzipien (=Axiome) zurückzuführen.

    Bsp Newton: die empirischen Kepler’schen Gesetze werden auf ein Grundgesetz zurückgeführt

    Bsp SRT: die Lorentzkontraktion war bekannt, das geniale an der SRT war, das Axiom einzuführen, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen Bezugssystem konstant ist und daraus neue Aussagen abzuleiten (wie E=mc²)

    Bsp QM: Heisenberg konnte die empirischen Regeln der alten QM zurückführen auf die nicht-Kommutativität der Observablen

    Bsp2 QM: Dirac konnte aus seiner Gleichung die Existenz von Antiteilchen vorhersagen

    Oder habe ich beim Unterschied zwischen axiomatischer und babylonischer Mathematik jetzt was falsch verstanden?

  4. #4 SonicBoom
    25. Juli 2011

    Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass die Vorlesungen online (z.B. auf Youtube) verfügbar sind.

    Schon blöd, wenn man da erst draufkommt nachdem man das Buch gelesen hat (so wars zumindest bei mir).

  5. #5 Grüzi
    25. Juli 2011

    @ Name auf Verlangen entfernt
    Ganz großes Kino.
    Sie trauen sich tatsächlich, die Ereignisse in Norwegen als billige Werbung für ihre “Astrologische Praxis” zu instrumentalisieren.
    https://markustermin.wordpress.com/2011/07/22/anschlage-in-norwegen/
    Da braucht man schon besondere Charaktereigenschaften. Aber wenns ein paar Euro bringt…

  6. #6 Grüzi
    25. Juli 2011

    @ Name auf Verlangen entfernt
    Ganz großes Kino.
    Sie trauen sich tatsächlich, die Ereignisse in Norwegen als billige Werbung für ihre “Astrologische Praxis” zu instrumentalisieren.
    https://markustermin.wordpress.com/2011/07/22/anschlage-in-norwegen/
    Da braucht man schon besondere Charaktereigenschaften. Aber wenns ein paar Euro bringt…

  7. #7 Name auf Verlangen entfernt
    25. Juli 2011

    Was für ein Unsinn. Da die Mathematik axiomatisch ist, ist die mathematische Physik, die wir haben, es notwendigerweise ebenso. Oder wißt ihr etwa, was Gravitation ist, abgesehen von den mathematischen Formeln?

  8. #8 Grüzi
    25. Juli 2011

    @ Name auf Verlangen entfernt
    Ganz großes Kino.
    Sie trauen sich tatsächlich, die Ereignisse in Norwegen als billige Werbung für ihre “Astrologische Praxis” zu instrumentalisieren.
    https://markustermin.wordpress.com/2011/07/22/anschlage-in-norwegen/
    Da braucht man schon besondere Charaktereigenschaften. Aber wenns ein paar Euro bringt…

  9. #9 Name auf Verlangen entfernt
    25. Juli 2011

    @ Grüzi: bleiben Sie topic. Auch hier in den SB gibt es zwei Artikel über die Anschläge. Es ist normal, daß man darüber schreibt.

  10. #10 Dr. Webbaer
    26. Juli 2011

    @Termin
    Sie haben da etwas nicht verstanden, die Mathematik stellt sich gerne auf Axiome, auch wenn komplexe Axiomatik zu Widersprüchlichkeit führen kann oder muss; die Physik kann (nach Feynman: “und soll”) diese Ansprüche und Probleme ausklammern und sich wie eine Erfahrungswissenschaft verhalten.

    Wie verhält es sich mit der Astrologie, wie stabil ist dort zurzeit die Axiomatik?

    MFG
    Dr. Webbaer

  11. #11 Name auf Verlangen entfernt
    26. Juli 2011

    @ Webbaer: keine Diskussion hier über Astrologie. Verstanden habe ich Sie schon richtig, und sage ja eben: wie soll eine Physik mathematische Axiomatik ausklammern, wenn sie auf rein mathematischem Boden operiert – muß man ja nicht aufzählen … Lorentz Transformationen und so … das kommt einer Ignoranz der eigenen Grundlagen gleich, und genau das ist die Krise der Gegenwarts-Physik, nichts für Onkel-Feynman Anekdoten. Sonst stehen wir da, wie die überschuldeten Staaten z. Zt.: predigen Wasser und trinken Wein …

    Das ist übrigens nicht meine eigene Ansicht allein, auch Leute vom Fach, solche, die es sich erlauben können, sprechen es offen aus: “Vom Urknall zum Durchknall”, Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 – Alexander Unzicker, das ist was für den Büchersommer, ansatzweise … auch – wie oft schon erwähnt Lee Smolin …

  12. #12 Name auf Verlangen entfernt
    26. Juli 2011

    Übrigens gut zu beobachten hier, wobei natürlich der religiöse Impetus besonders dramatisch durch den Begriff “Seele” auffällt:

    https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2011/07/der-kampf-um-die-seele-der-wissenschaft.php

    “Exakte Vorhersagen so wie wir sie bisher gewohnt waren, scheinen mit den Multiversen nur mehr seltenen Spezialfällen möglich zu sein. Brian Greene selbst sieht die Sache optimistischer.Vielleicht lässt sich eben einfach nicht alles so exakt vorhersagen?”

  13. #13 MartinB
    26. Juli 2011

    @Bjoern
    Ja, der Satz, dass man jetzt “alles” über das Gravitationsgesetz wisse, missfiel mir auch. Der andere Satz soll wohl bedeuten “Ein Körper fällt in der ersten Sekunde 5Meter” (in der zweiten 15, in der dritten 25 usw.)

    @Wb
    “Das muss in der Tat ein Schock für den Inhaltemeister gewesen sein, hat sich dieser doch in früheren Statements zur Epistemologie ganz anders angehört.”
    Nein, das war während meiner Studienzeit – in den letztej Jahren hat sich meine Einstellung nicht wesentlich geändert…

    @mar o
    Ich meinte das Statement etwas anders: Beim Anwenden von Theorien auf Probleme ist die axiomatische Technik oft nicht hilfreich, sondern es ist besser, viele alternative Formulierungen zu kennen – jeder, der Physikaufgaben gelöst hat, weiß, dass man manchmal ein Kräftegleichgewicht verwendet, manchmal Energieeraltung, manchmal Lagrange, je nach Problemstellung, auch wenn alle äquivalent sind.

    @MT
    “Was für ein Unsinn”
    Na, dann tun Sie doch sich und uns allen den Gefallen, den Unsinn auf meiner Internetseite in Zukunft nicht mehr zu lesen – ich lese Ihre Seite ja auch nicht…
    Und dort bei sich können Sie auch nach Herzenslust mit dem Webbär diskutieren – hier stört das…

  14. #14 MartinB
    26. Juli 2011

    @SonicBoom
    Danke für den Hinweis – ich habe das erst germerkt, als ich den letzten Teil geschrieben habe, deswegen ist der Hinweis jetzt dort…

  15. #15 Frank Wappler
    27. Juli 2011

    mar o schrieb (24.07.11 · 19:40 Uhr):
    > Die meisten großen Entdeckungen liefen doch nach dem Schema ab, empirische Tatsachen auf fundamentale Prinzipien (=Axiome) zurückzuführen.

    Dieser Auffassung kann man entgegensetzen, dass “empirische Tatsachen” nicht einfach gegeben sind (d.h. sobald man sich mit Physik eingehender beschäftigt, als es das bloße Lösen irgendwelcher Schulaufgaben erfordern mag), sondern erst aus Beobachtungsdaten gewonnen werden müssen.

    Entsprechend ging großen Entdeckungen im Allgemeinen die Festsetzung von Bewertungsoperationen voraus, die auf gegebene Beobachtungsdaten anzuwenden waren, um “empirische Tatsachen” überhaupt erst festzustellen.

    Bsp. Newton u.a.: Die Definition von “Masse” als Messgröße (um einen gegebenen Beteiligten dahingehend zu quantifizieren, wie andere — je nach Abstand — zu ihm hin beschleunigen) führte zu Entdeckungen betreffend die Verteilung solcher “Massen”.

    Bsp. SRT (Kinematik): Die Definition von “Dauer” als Messgröße (im Zusammenhang mit der Definition der Messgröße “Geschwindigkeit”) erlaubte die Messung von “mittleren Lebensdauern” von instabilen Teilchen, und damit verbundene Entdeckungen hinsichtlich ihrer Zerfalls-“Kanäle”.

    Bsp. SRT (Dynamik): Die Definition von “Energie” als Messgröße (im Zusammenhang mit der Definition der Messgröße “Dauer”) ging Entdeckungen zur Umwandelbarkeit von verschiedenen “Energie-Formen” voraus.

    Bsp. QM: Die (systematische) Definition von nachvollziehbaren Messgrößen erlaubt die
    (systematische) Ermittlung von Messwerten aus gegebenen Beobachtungsdaten; ganz allgemein.

    p.s.
    Soweit ich Feynmans “The Character of Physical Law” gelesen habe, wird die Festsetzung von Messgrößen dort so gut wie nicht thematisiert. (Es wird dort z.B. einfach angenommen, dass eine Abschirmung in einem bestimmten Versuch eine bestimmte Anzahl von Schlitzen hätte, ohne das darauf eingegangen wird, dass und wie sich diese Anzahl aus den gegebenen Beobachtungsdaten des Versuches als Messwert überhaupt erst gewinnen lässt.)
    Vermutlich ist das Ganze sowieso nur als Begleittext zum Physikaufgaben-Lösen gedacht …

  16. #16 Dr. Webbaer
    27. Juli 2011

    @Wappler
    Kurz zu Ihrem Lieblingsterm ‘Messgröße’, ohne dem kaum ein Beitrag von Ihnen auszukommen scheint: Messgrößen sind Bestandteile von Theorien, Theorien haben “Theorienfreiheit” und sollten außer Konsistenz und empirischer Adäquatheit keinerlei Pflichten tragen – wobei sogar hier Gnädigkeit gezeigt werden kann.

    Für ein Werk “Wapplers Physiklehre: So isses!” wird sich jedenfalls ganz absehbarerweise keine größere Leserschaft finden – Ihre bisherigen Statements zugrundegelegt.

    @Inhaltemeister
    Der Schreiber dieser Zeilen meinte diesem Artikel und seinem Vorgänger ( -> https://www.scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/07/das-leben-ist-ein-ponyhof.php ) entnehmen zu können, dass Sie sich büchermässig gerade eingraben und fitten. – Sie dürfen natürlich gerne weiterhin von historischen Schocks berichten, auch wenn aktuelle Schocks vielleicht den einen oder anderen Leser stärker interessieren würden…

    MFG
    Dr. Webbaer

  17. #17 Frank Wappler
    28. Juli 2011

    Dr. Webbaer schrieb (27.07.11 · 12:01 Uhr):
    > […] Messgrößen sind Bestandteile von Theorien

    (… insbesondere in der Physik, wo Messwerte nicht von vornherein wie reine Zahlen gegeben sind, sondern erst auf bestimmte, nachvollziehbare Weise aus gegebenen Beobachtungsdaten zu ermitteln sind …)

    > Theorien […] sollten außer Konsistenz und empirischer Adäquatheit keinerlei Pflichten tragen

    Wie soll denn “empirische Adäquatheit” einer bestimmten Messgröße beurteilt werden??
    Was soll dabei verglichen werden?

    Nennt man nicht viel mehr bestimmte Erwartungswerte “empirisch adäquat” (oder “empirisch inadäquat”), im Vergleich zu gegebenen Messwerten? …

  18. #18 Bullet
    28. Juli 2011

    insbesondere in der Physik, wo Messwerte nicht von vornherein wie reine Zahlen gegeben sind, sondern erst auf bestimmte, nachvollziehbare Weise aus gegebenen Beobachtungsdaten zu ermitteln sind

    Unterschied zwischen den beiden gefetteten Worten?

  19. #19 MartinB
    28. Juli 2011

    @Wb
    Ja, und in dem Artikel steht auch, dass ich die hier erscheinenden Artikel vorbereitet habe – falls Sie also nicht annehmen, dass ich gerade eine Zeitmaschine erfunden habe, muss alles, was ich hier an Artikeln freischalte, vor meinem Urlaub entstanden sein…

    @Bullet
    Bewunderung für deinen Willen, dich damit auseinanderzusetzen…

  20. #20 Frank Wappler
    28. Juli 2011

    Bullet schrieb (28.07.11 · 10:15 Uhr):
    > [… Messwerte … Beobachtungsdaten …]
    > Unterschied zwischen den beiden […] Worten?

    Der Unterschied zwischen den entsprechenden Begriffen ist:
    nach Messwerten muss man fragen.

    Ähnlich dem Unterschied zwischen der Fähigkeit, gegebene Worte zu lesen, und dem Interesse, sich damit als Text auseinanderzusetzen.

  21. #21 Bjoern
    28. Juli 2011

    @FW:

    nach Messwerten muss man fragen.

    Wen?

  22. #22 Frank Wappler
    29. Juli 2011

    Bjoern schrieb (28.07.11 · 17:54 Uhr):
    > [nach Messwerten muss man fragen.] Wen?

    Sich selbst zuerst.
    D.h. denjenigen, dem unmittelbar nachvollziehbar sein sollte, dass, und unter welchen Voraussetzungen, man auf die entsprechende Frage kommen kann.
    Denjenigen, dem man am ehesten zutraut, die entsprechende Frage (auch gegenüber eventuellen anderen) wiederholen zu können bzw. (in Äußerungen von anderen) wiederzuerkennen.

    Und nicht zuletzt natürlich diejenigen, denen Beobachtungsdaten gegeben sind, auf die sich die fragliche Bewertung bezieht; bzw. die über die Resourcen verfügen, eine solche Bewertung vorzunehmen und mitzuteilen.

  23. #23 Dr. Webbaer
    30. Juli 2011

    @Wappler

    Wie soll denn “empirische Adäquatheit” einer bestimmten Messgröße beurteilt werden??

    An Hand der Theoretisierung, stimmen theoretisierte Messgrößen nicht mit der Theorie, die diese liefert, man verzeihe den Neoplasmus, gemessen überein, dann ist die Theorie und die durch diese bestimmten Messgrößen als empirisch inadäquat zu betrachten. [1]

    Damit Dr. W hier richtig verstanden wird: Die Theorie selbst wird so zwar zur Anomalie, aber verliert nicht zur Gänze an Wert. – Es werden dann Zweifel gehegt und man würde gerne andere kommen lassen. 🙂

    Dbzgl. gilt es sich zu fitten und eben nicht in eine Unbestimmtheit zu verfallen, die esoterisch ist und sein muss.

    Zudem gilt natürlich: Es gibt keine Induktion in der Welt oder nur im Projektiven…

    HTH
    Dr. Webbaer

    [1] Sie scheinen hier lockerer, aber die Welt frisst dann eben die Theorie bezeiten…

    PS: Man muss halt kleine Brötchen backen – wie der zurzeit im Ponyhof in Büchern eingegrabene Inhaltemeister.

  24. #24 mar o
    30. Juli 2011

    @MartinB:
    Ok, die “babylonische” Technik ist so gesehen sicher die allgemeinere, weil sich alle Physiker ihrer bedienen. Viele Physiker bedienen sich ihr aber bei der Suche nach Axiomen. Oft kann man aus diesen Axiomen dann neue Erkenntnisse ableiten, nutzt also die “griechische” Methode. Ich finde die Dichtomie deshalb schon etwas konstruiert und würde nicht sagen, dass die Methode der Physik jetzt die eine oder andere wäre.

  25. #25 Dr. Webbaer
    30. Juli 2011

    @mar o
    Axiome sind in der Physiklehre nur Krücken und haben demzufolge keine sichere Entsprechung in der Natur. Darum wird eben herumgestochert. Wenn Sie einige systemphilosophische Überlegungen versuchen, könnte das schnell klar werden.

  26. #26 mar o
    31. Juli 2011

    @Wb:
    Und was ändert das in Bezug auf das Thema hier? Die Physik stellt mathematische Modelle auf, die sich ähnlich wie die Realität verhalten. Ob die Axiome, aus denen ich über mein Modell neue Erkenntnisse über das Verhalten der Realität ableite, Entsprechungen in der Natur haben, ist dafür irrelevant.

  27. #27 MartinB
    31. Juli 2011

    @mar o
    Ganz klar, bei der Suche nach neuen Gesetzen hilft die Idee, einfache neue Axiome zu finden, die mit den bisherigen Fakten vereinbar sind. Das kommt aber erst in zwei Wochen dran (Kapitel 7).
    Ich glaube nicht, dass Feynman sagen will, dass Axiome nie zu irgendetwas nütze sind. Auf der anderen Seite sieht man aber immer wieder (und darauf kommt er auch noch mehrfach zurück), dass es oft nützlich ist, viele Formulierungen desselben Sachverhalts zu kennen. Was sind zum Beispiel die Axiome der klassischen Mechanik? Die newtonschen? Oder das Prinzip der kleinsten Wirkung? Oder die Hamilton-Formulierung? Kann man alle als Axiome nehmen und dann jeweils die anderen herleiten. Mehr ist hier nicht gemeint.

  28. #28 Dr. Webbaer
    31. Juli 2011

    @mar o
    Es wurde die axiomatische Methode der “babylonischen Methode” gegenübergestellt. Dass Krücken nützlich sind, steht außer Frage. Die “babylonische Methode” ist sozusagen die notwendige Übermethode. – Nur das Festbeißen am Axiom scheitert manchmal am Experiment und kann denkbarerweise, also möglicherweise immer scheitern.

  29. #29 Frank Wappler
    1. August 2011

    Dr. Webbaer schrieb (30.07.11 · 18:28 Uhr):
    > [Theorien […] sollten außer Konsistenz und empirischer Adäquatheit keinerlei Pflichten tragen]
    >
    stimmen theoretisierte Messgrößen nicht mit der Theorie, die diese liefert, man verzeihe den Neoplasmus, gemessen überein, dann ist die Theorie und die durch diese bestimmten Messgrößen als empirisch inadäquat zu betrachten.

    Fehlt in deinem Wortschatz etwa das Wort “Messwert” bzw. der Begriff “Element des Wertebereiches einer Messgröße”??

    Meinst du, dass eine gegebene Theorie als “empirisch inadäquat” zu betrachten ist, falls irgendein bestimmtes Element des Wertebereiches einer Messgröße (die im Rahmen der gegebenen Theorie “geliefert” bzw. definiert ist) nicht ein Element eben dieses Wertbereiches wäre?

    Oder meinst du, dass eine gegebene Theorie als “empirisch inadäquat” zu betrachten ist, falls sie (mindestens) eine Messgröße “liefert” bzw. definiert, deren Wertebereich mehr als ein einzelnes Element enthält?

  30. #30 Dr. Webbaer
    4. August 2011

    @Wappler
    So wie die Messgröße (herbei-)theoretisiert vorliegt, so liegt auch der Messwert von Theorien abhängig vor, und zwar von derjenigen oder denjenigen, die die Messgröße definiert (oder definieren). – Liegt der Messwert den Theorien entsprechend im beabsichtigten Wertebereich vor, gilt die Theorie bis auf Weiteres als empirisch adäquat.

    Jede Aussage, wie also auch jede Lehre, über einen Sachverhalt ist aus Sicht des Systematikers erst einmal oder primär immer als Aussage einer Person(enmenge) über einen Sachverhalt zu verstehen.

    Ihre im letzten Absatz gestellte Frage lässt Onkel Dr. W wieder ein wenig an Ihrem Grundverständnis zur Sache zweifeln. Sicherlich würde es helfen, wenn Sie bspw. logisch wie Dr. W vortragen könnten, also volksnah ohne populistisch zu werden, und das Spockige ein wenig zurückfahren könnten.

    Sie scheinen irgendwie auf der Suche zu sein, Dr. W bleibt interessiert,
    MFG
    Dr. Webbaer

  31. #31 Dr. Webbaer
    4. August 2011

    Nachtrag:
    “Theorien sind nie vollständig.” – hilft das ein wenig, wenn wir es mit der Natur zu tun haben?!

  32. #32 Frank Wappler
    5. August 2011

    Dr. Webbaer schrieb (04.08.11 · 14:46 Uhr):
    > So wie die Messgröße (herbei-)theoretisiert vorliegt

    … interessante Wortwahl.
    Es ist zu beachten, an wen man sich richtet, wenn man “Herbei!” ruft (bzw. schon gerufen hätte). Weil es doch um “Empirisches” gehen soll …

    > so liegt auch der Messwert von Theorien abhängig vor

    Die Abhängigkeit eines bestimmten Messwertes “von Theorien” besteht aber konkret und ausschließlich in der Abhängigkeit eines bestimmten Messwertes von der entsprechenden konkreten Messgröße, d.h. (Spoiler-Alarm!): vom Wie usw. …

    > Liegt der Messwert den Theorien entsprechend im beabsichtigten Wertebereich vor

    Sofern der Messwert überhaupt vorliegt, liegt er zwangsläufig im Wertebereich (der Messgröße, deren Messoperator auf gegebene Beobchtungsdaten angewandt werden musste, um den Messwert zu erhalten).

    > gilt die Theorie bis auf Weiteres als empirisch adäquat.

    Demnach ist jede Theorie “empirisch adäquat“.
    (?. Das war einfach. Zu einfach? …)

    p.s.
    > Jede Aussage, wie also auch jede Lehre, über einen Sachverhalt ist aus Sicht des Systematikers erst einmal oder primär immer als Aussage einer Person(enmenge) über einen Sachverhalt zu verstehen.

    Und wie unterscheidet der Systematiker denn, ob und in wie fern irgend jemandes Äußerungen überhaupt Aussagen zu einem bestimmten Sachverhalt darstellen, und nicht schlicht die jeweilige Person(enmenge) auszeichnen?
    (Oder kümmert das letztlich nur Physiker? …)

    p.p.s.
    > Sie scheinen irgendwie auf der Suche zu sein

    Hab da neulich was über “webkompetente Nutzer” gelesen. Sowas hätt ich wohl gern …

  33. #33 Dr. Webbaer
    5. August 2011

    @Wappler
    Es herrscht Theorienfreiheit (“Es ist zu beachten, an wen man sich richtet, wenn man “Herbei!” ruft (bzw. schon gerufen hätte). Weil es doch um “Empirisches” gehen soll …”), d.h. man kann seine Theorien frei entwickeln, sollte dabei die Empirie beachten und steht dann mit seiner Theorie auf dem wissenschaftlichen wie übrigens auch politischen Markt. Esoterische Theorien werden z.B. wegen geringer empirischer Belastbarkeit liegen gelassen, sind aber oft nicht wertlos. Sie werden es vielleicht ahnen, dass Dr. W hier dem Kontruktiven Empirismus (van Fraassen) anhängt.

    Wenn man dann seine Messgrößen hat, hat man das Problem des Messens und muss hier Zugeständnisse machen, da die Realität nicht vollständig theoretisierbar scheint. Das ist wohl auch irgendwie Ihr Thema.

    Wie kommen Sie darauf, dass unter diesen Bedingungen – die o.g. Unschärfe ausklammernd – jede Theorie empirisch adäquat wäre?

    Aussagen zu einer Sache oder einem Sachverhalt bleiben dieselben, wenn es um Personen geht. Man ist dann natürlich schnell bei Meta-Theorien und Dr. W hatte vor einiger Zeit sogar etwas über Meta-Meta-Theorien zu lesen. Da wird’s dann grell, auch weil Dr. W den Unterschied zwischen Meta-Theorien und dem “Doppelmeta” nicht annimmt.

    MFG
    Dr. Webbaer (webkompetent wie Nachbars Lumpi spitz)

  34. #34 Dr. Webbaer
    5. August 2011

    Nachtrag:
    Oder nuckelt’s daran, dass die Moderne Wissenschaftlichkeit anthropogen ist, dass utilitaristische Sichtweisen vorliegen? – Also aus Sicht des Schreibers dieser Zeilen ist die empiristisch angelegte und vom Anspruch her unabhängige “wahrheitssuchende” oder das Funktionierende suchende Wissenschaft schon ganz OK.

    Klar, man kann ohne besondere Fehler i.p. Schlussfolgerichtigkeit zu machen auch “eso” werden, ein Astrologe bspw. trägt hier hierzu manchmal recht erfrischend vor. Sowas wäre dann aber politisch oder politisch-wissenschaftlich abzulehnen, oder?

  35. #35 Frank Wappler
    5. August 2011

    Dr. Webbaer schrieb (05.08.11 · 15:18 Uhr):
    > Wie kommen Sie darauf, dass […] jede Theorie empirisch adäquat wäre?

    Kurz gefasst:
    Vorgabe 1 (Dr. Webbaer· 04.08.11 · 14:46 Uhr):
    > > > Liegt der Messwert den Theorien entsprechend im beabsichtigten Wertebereich vor, gilt die Theorie bis auf Weiteres als empirisch adäquat.

    Vorgabe 2 (Frank Wappler· 05.08.11 · 11:17 Uhr):
    > > Sofern der Messwert überhaupt vorliegt, liegt er zwangsläufig im Wertebereich (der Messgröße, deren Messoperator auf gegebene Beobachtungsdaten angewandt werden musste, um den Messwert zu erhalten).
    (… ja — das ist irgendwie mein spezielles Thema. Nicht umsonst nennt man ja Ausdrücke wie “-3 kg” oder “1,3 c” “unphysikalisch” bzgl. der Messgrößen “Masse” bzw. “Schnelligkeit”, weil ihr Aussehen zwar grob an Messwerte erinnert, aber verschieden vom Aussehen eines jeden entsprechend dargestellten Messwertes ist …)

    Lemma (Dr. Webbaer· 04.08.11 · 14:46 Uhr) usw.:
    > > dass jede “Messgröße (herbei-)theoretisiert” wird,
    bzw. dass es die wesentliche (bzw. alleinige) Aufgabe und Inhalt von Theorien ist, Messgrößen zu definieren und Zusammenhänge zwischen diesen aufzuzeigen.
    (Die Zusammenfassungen von bestimmten Werten, also ermittelte Messwerte oder Erwartungswerte, nennt man ja stattdessen “Modell”.)

    Konsequenz: s.o.

    > Es herrscht Theorienfreiheit […] d.h. man kann seine Theorien frei entwickeln

    Das schon; aber deswegen ist ja vielleicht nicht alles, was sich (wie eine “Meinung” i.A.) frei äußern lässt, schon eine Theorie und/oder möglicher Gegenstand der Beurteilung von “empirischer Adäquatheit“.

    Man entwickelt also Messgrößen frei (und betrachtet dann deren Zusammenhänge zwangsläufig).
    Aber nun ist ja nicht alles, was sich frei äußern lässt, die Definition einer bestimmten Messgröße (also eines bestimmten, nachvollziehbaren Messoperators, der auf gegebene Beobachtungsdaten anwendbar ist) …

    > sollte dabei die Empirie beachten und steht dann mit seiner Theorie auf dem wissenschaftlichen wie übrigens auch politischen Markt.

    Das wohl; aber ein Markt ist ja kein … Multiversum.

    > Esoterische Theorien werden z.B. wegen geringer empirischer Belastbarkeit liegen gelassen, sind aber oft nicht wertlos.

    Da sind mir zwar keine Beispiele mit konkreten Messgrößen bzw. Messwerten geläufig …
    (Was ich den entsprechenden Äußerungen gelegentlich abgewinnen kann, betrifft eher die bloße Motivation und allgemeine Prinzipien für die Konstruktion von Messgrößen. Etwa: Man ruft nur denjenigen ein “Herbei!” zu, von denen man ggf. auch im Gegenzug ein “Herbei!” befolgen würde.)
    … insofern könnte man den Fall “Keine Messgröße, Null Messwerte” in der konsequenz oben separat behandeln.

    > Sie werden es vielleicht ahnen, dass Dr. W hier dem Kontruktiven Empirismus (van Fraassen) anhängt.

    Der Hinweis ist nett; so wie meistens kann es aber ziemlich dauern, bis man einen Zugang findet. (Vor ‘ner Weile hatte ich mal Gelegenheit, in “Grünbaum” zu blättern. Hmm … &)

    > Nachtrag: […] dass die Moderne Wissenschaftlichkeit anthropogen ist,

    Was die RT betrifft, kommt m.E. dieser Aspekt, der doch insbesondere in Einsteins eigenen Darlegungen ganz wesentlich scheint, in Didaktik und Praxis viel zu kurz.

    Wie schon auf Feynmans Büro-Tafel geschrieben stand (und nach seinem Ableben so fotografiert wurde, wobei man nicht ganz sicher sein kann, wer es denn überhaupt dahin geschrieben hatte):

    what I cannot create
    I cannot understand

    .

  36. #36 Dr. Webbaer
    6. August 2011

    @Wappler
    Wie der Name schon sagt, ist die Theorie eine Sicht und damit vom Standpunkt des Beobachtenden und vom Beobachtenden selbst abhängig.
    Und auch die sog. physikalischen Gesetze sind Theorien, wenn auch welche mit besonderen Eigenschaften.

    MFG
    Dr. Webbaer (der sich immer noch fragt, was Sie eigentlich ins Auge gefasst haben, klar, die RT wird wohl noch die eine oder andere Anpassung erleben…)

  37. #37 Dr. Webbaer
    6. August 2011

    * Standort

    So heißt es wohl. 🙂

  38. #38 Frank Wappler
    7. August 2011

    Dr. Webbaer (06.08.11 · 12:51 Uhr) schrieb:
    > Wie der Name schon sagt, ist die Theorie eine Sicht und damit [… Ockham sei Dank! …] vom Beobachtenden selbst abhängig.

    Dann ist (oder: wäre) “Theorie” offenbar ein gänzlich unpassender Name für die Konstruktion und Betrachtung von “Maßen”;
    die an sich zwischen allen Beteiligten genau so einvernehmlich sein sollten, wie die (reellen oder Booleschen) Werte, die damit jeweils zu erhalten sind,
    wenn diese einvernehmlichen Maße darauf angewandt werden, was von jedem Beobachtenden selbst abhängt.

    > Und auch die sog. physikalischen Gesetze […]

    Was ist das Erlernen von Gesetzen schon, verglichen mit deren Begründung.

  39. #39 Dr. Webbaer
    7. August 2011

    Dann ist (oder: wäre) “Theorie” offenbar ein gänzlich unpassender Name für die Konstruktion und Betrachtung von “Maßen”

    Warum? Die Theorie benötigt das “sehende” Erkenntnissubjekt und dessen sozialen Verbund, die Theorien werden zwischen denjenigen (für ihren eigenen Fortbestand) erfolgreich geteilt, die ähnliche Voraussetzungen haben.
    vgl. auch das gute alte Höhlengleichnis

    Zudem gibt es ja auch die Theorie, dass die Natur sich durchgehend konstant verhält und andere Erkenntnissubjekte anderswo eine ähnliche Naturlehre erkennen, wenn auch mit anderen Schwerpunkten, aber mit ähnlichen Theorien (und ähnlichen Maßstäben). – Zumindest könnten die Meta-Theorien über Theorien gleich sein. 😉

    MFG
    Dr. Webbaer

  40. #40 Frank Wappler
    8. August 2011

    Dr. Webbaer schrieb (07.08.11 · 12:10 Uhr):
    > Die Theorie benötigt das “sehende” Erkenntnissubjekt und dessen sozialen Verbund […]

    Soll das “den Gegenstand” von Theorien betreffen (zumindest von allen, bei denen es um Physik geht)?
    Das ist jedenfalls bei der RT ganz explizit durch die (anthropomorphisierende) Ansprache jedes einzelnen unterscheidbaren Beteiligten als “Beobachter” gegeben, dem (wie jedem anderen, und wie “dir und mir”) zugestanden wird, zumindest im Prinzip die Reihenfolge oder Koinzidenz seiner eigenen Beobachtungen zu beurteilen, und alle anderen Beteiligten wiederum beobachten und unterscheiden zu können.

    Das Zugeständnis (bzw. die Unterstellung) von nachvollziehbaren Fähigkeiten mit dem Ziel der Gewinnung einvernehmlicher Bewertungen (insbesondere von geometrischen Beziehungen zwischen Beteiligten) ist ja offenbar das Gegenteil einer “auschließlich vom einzelnen Beobachtenden selbst abhängigen Sicht“.

    Oder ging es dir (wie ich vermute) vielmehr nur um die Rezeption von fertigen “Theorien”, also deren eventuelle “Verbreitung im Marktplatz“? …

    > Zudem gibt es ja auch die Theorie, dass die Natur sich durchgehend konstant verhält

    Ich möchte, dass hier unterschieden und einzeln gewürdigt wird:

    – einerseits die zugrundeliegende, nachvollziehbare Messdefinition, wieVerhalten der Natur” (wenn nicht im Allgemeinen, dann zumindest in bestimmten Maßen) Versuch für Versuch bewertet werden könnte, um verglichen werden zu können, und

    – andererseits die Befunde solcher Bewertungen, oder auch die Erwartung, bestimmte Befunde zu erhalten.

    Zur Unterscheidung gehört auch, dass nur die Erwartung bestimmter Befunde (wie z.B. “durchgehende Konstanz“) experimentell getestet werden kann, und zwar nur unter Voraussetzung und Anwendung der entsprechenden zugrundeliegende Messdefinition;
    aber eben nicht die zugrundeliegende Messdefinition selbst.

    Und was unterscheidbar ist, sollte bitteschön auch verschieden genannt werden
    (wobei ich die Bezeichungen “Theorie” für Systeme von Messdefinitionen und “Modell” für Zusammenfassungen von Befunden für durchaus üblich halte. Aber es gibt eben auch viele, die diese Worte so nicht benutzen, sondern z.B. darauf bestehen, “Theorien testen” zu wollen, statt Modelle bzw. Hypothesen).

    > und andere Erkenntnissubjekte anderswo eine ähnliche Naturlehre erkennen

    Das ergibt sich jedenfalls bei der RT wohl zwangsläufig für jedes Erkenntnissubjekt, dass sich im “sozialen Verbund” begreift.

    > Zumindest könnten die Meta-Theorien über Theorien gleich sein.

    Angesichts der Kluft zwischen “Theorie” und “Modell” wirkt schon dieses eine “Meta” wie Haarspalterei …

  41. #41 Dr. Webbaer
    14. August 2011

    @Wappler
    Ein Modell repräsentiert eine oder mehrere Theorien und wird oft, muss es aber nicht, als Prüfstein genutzt. Man kann auch oft an die Theorie selbst ran, bspw. wenn diese als sog. Naturgesetz daherkommt.

    KA was jetzt genau gemeint gewesen ist; die Theorien über Theorien, also dass diese bspw. einen explanatorischen, einen deskriptiven und prädiktiven Anteil haben (der gegen Null gehen kann), sind schon ganz OK und ergonomisch.

    Nö, Dissens sieht der alte dicke Webbaer im Moment nicht.

    MFG
    Dr. Webbaer

    PS: Immer volksnah bleiben (ohne populistisch zu werden)!