Hand aufs Herz – die meisten Physikstudis (und auch viele Laien) träumen davon, neue Naturgesetze zu entdecken. Aber warum ist das so schwierig? Wie funktioniert das Entdecken neuer Gesetze überhaupt. Im letzten Kapitel seines Buches macht sich Feynman darüber Gedanken – Pflichtlektüre für alle, die schon immer die Wissenschaft umkrempeln wollen. (Und seit ich einen Blog habe, bekomme ich öfters mal eine mail von irgend jemandem, der eine neue “bahnbrechende” Idee hat, die Physik zu revolutionieren – auch hier in den Kommentaren ja keine Seltenheit.)
Nach einem kurzen Exkurs über die unterschiedlichen Arten von Teilchen, aus denen die Welt besteht (auf die müssen sich unsere Gesetze ja beziehen), geht Feynman zur Sache und erklärt, wie der Prozess funktioniert:
In general we look for a new law by the following process. First we guess it. Then we compute the consequences of the guess to see what would be implied if this law that we guessed is right. Then we compare the result of the computation to nature, with experiment or experience, compare it directly with observation, to see if it works. If it disagrees with experiment it is wrong. In that simple statement is the key to science. It does not make any difference how beautiful your guess is. It does not make any difference how smart you are, who made the guess, or what his name is – if it disagrees with experiment it is wrong.
[Im prinzip suchen wir neue Gesetze auf folgende Weise: Erst raten wir sie. Dann berechnen wir die Konsequenzen unseres Rateversuchs um zu sehen, was daraus folgen würde, wenn unser geratenes Gesetz stimmen würde. Dann vergleichen wir das Ergebnis dieser Berechnung mit der Natur, mit dem Experiment oder der Erfahrung, vergleichen es direkt mit mit der Beobachtung, um zu sehen, ob es klappt. Wenn es mit dem Experiment nicht übereinstimmt, ist es falsch. In diesem einfachen Satz steckt der Schlüssel zur Wissenschaft. Es spielt keine Rolle wie schön die Idee ist. Es spielt keine Rolle, wie klug man ist, wer die Idee gehabt hat oder wie sein Name lautet – wenn es mit dem Experiment nicht übereinstimmt, ist es falsch.
Diesen Abschnitt des Vortrags könnt ihr auch direkt auf Video anschauen. Man kann anscheinend die gesamten Vorträge bei Youtube finden – leider versagt die Seite zumindest bei mir und liefert ständig Fehlermeldungen, aber vielleicht seid ihr ja erfolgreicher.
Klingt ganz einfach und vermutlich auch ein bisschen naiv. Natürlich ist auch Feynman klar, dass es nicht immer so einfach ist, herauszufinden, ob etwas mit dem Experiment übereinstimmt oder ob eine Theorie tatsächlich eine bestimmte Vorhersage macht (und nicht durch eine Zusatzannahme dahin gebracht werden kann, eine andere Vorhersage zu machen). Trotzdem ist dieser Satz entscheidend – er enthält die Kernidee der Wissenschaft, wenn auch vereinfacht.
Feynman weist – fair den Experimentatorinnen gegenüber – gleich darauf hin, dass natürlich auch neue Phänomene entdeckt werden können, ohne dass jemand explizit danach gesucht hat. Sein Beispiel dafür ist das Myon – ein Elementarteilchen, von dem Rabi gesagt hat “who ordered that” (“wer hat das bestellt?”); andere Beispiele sind die Supraleitung oder der Quanten-Hall-Effekt.
Es ist auch nicht immer einfach, die Konsequenzen einer Theorie zu berechnen (Feynman zitiert die Yukawa-Theorie der Kernkraft, ein modernes Beispiel wäre die Berechnung der Massen von Elementarteilchen innerhalb der Quantenchromodynamik, die über 20 Jahre gedauert hat, bis man zu zufriedenstellenden Ergebnissen kam) oder diese Konsequenzen tatsächlich experimentell zu überprüfen – so wie mit der Stringtheorie, die messbare Vorhersagen vor allem in Bereichen macht, die experimentell nicht zugänglich sind. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt die Idee des Widerlegens einer Theorie durch Experimente der Kernaspekt der (Natur-)Wissenschaft.
Man kann auf diese Weise aber nur gut definierte und spezifizierte Theorien widerlegen. Vage Theorien, deren Konsequenzen sich nicht genau berechnen lassen, sind nicht überprüfbar, weil sie durch Experimente nicht widerlegt werden können, und deshalb zur Erklärung wertlos. Als Beispiel führt Feynman die Psychologie an: A hasst seine Mutter. Der Grund dafür ist natürlich, dass sie ihn als Kind nicht genügend umsorgt hat. Wenn sich aber herausstellt, dass sie sich sehr intensiv um ihn gekümmert hat, dann lag es wohl daran, dass sie A mit ihrer Liebe erdrückt hat. Auf diese Weise kann man immer alles erklären – und damit kann man gar nichts erklären.
Nachdem Feynman also dieses fiesen Seitenhieb auf die Psychologen abgelassen hat – gibt er zu, dass es in der Physik manchmal ganz ähnlich ist, beispielsweise im Zusammenhang mit bestimmten Symmetrien in der Elementarteilchenphysik, die eben oft gelten, aber nicht immer. Wenn man aber vorsichtig genug ist, dann kann man auf diese Weise trotzdem etwas herausfinden – auch wenn dieses “Herumtappen” natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
Und wie “rät” man nun neue Gesetze? Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Man kann zum Beispiel nicht einfach mit allen bekannten Naturgesetzen anfangen – denn die widersprechen sich. Irgendeins der bekannten Gesetze muss also fehlerhaft sein (vermutlich im Sinne eines Grenzfalls einer besseren Theorie). Aber welches? Als Beispiel führt Feynman an, dass viele Leute sagen “Vielleicht ist der Raum nicht kontinuierlich, sondern so eine Art Gitter.” Nette Idee – aber ziemlich offensichtlich und wenig hilfreich.
Um eine echte Idee daraus zu machen, die man auch prüfen kann, muss man sagen, was genau an die Stelle des Raumes (oder der Raumzeit) treten soll. Ein Punktgitter? Aber wie bekommt man mit dem Punktgitter Invarianz gegen Rotation, oder eine Übereinstimmung mit der Relativitätstheorie? Sollen wir die auch für falsch erklären? Dann aber müssen wir sagen, was an deren Stelle treten soll – und angesichts der überwältigenden Evidenz für die Relativitätstheorie dürfte das noch schwieriger werden.
Feynman selbst sagt etwas später, dass er nicht glaubt, dass der Raum kontinuierlich ist – aber da er keine Idee hat, wie es stattdessen sein könnte (die konsistent mit bekanntem Wissen wäre), nützt das nicht viel.
Die meisten Ideen, die – gerade von Nicht-Physikern – vorgebracht werden, haben eines dieser Probleme: Entweder sind sie zu unspezifisch und vage, so dass ihre Konsequenzen nicht berechnet werden können, oder sie stehen im Widerspruch zu bekannten Experimenten.
Vielleicht kann man ja etwas lernen, wenn man schaut, wie andere Naturwissenschaftler in der Vergangenheit neue Gesetze gefunden haben? Feynman wirft einen kurzen Blick auf Newton, Maxwell, Einstein und auf moderne Entdeckungen und stellt dabei eins fest: Die neuen Ideen, die zum Beispiel für Einstein oder Maxwell funktioniert haben, funktionieren heute nicht mehr. Warum nicht? Weil jede Physikstudentin sie bereits gelernt hat – würden sie funktionieren, hätte sie schon längst jemand erfolgreich angewendet.
Grundlegend neue Gesetze werden also immer auch grundlegend neue Ideen erfordern, wie man die bekannten Gesetze verändern oder erweitern muss – die alten Tricks funktionieren nicht mehr.
Feynman kommt anschließend noch einmal darauf zurück, dass wir in der Naturwissenschaft Gesetze immer in Bereichen anwenden, in denen wir sie noch nicht getestet haben. Als ein Beispiel führt er die Biologie an:
It is very hard to believe that the wiggling of the tentacle of octopus is nothing but some fooling around of atoms according to the known physical laws. But when it is investigated with this hypothesis one is able to make guesses quite accurately about how it works. In this way one makes great progress in understanding. So far the tentacle has not been cut off – it has not been found that this idea is wrong.
[Es ist schwer zu glauben, dass das Winden eines Oktopus-Tentakels nichts anderes ist als das Herumtoben von Atomen nach bekannten physikalischen Gesetzen. Aber wenn man es mit dieser Hypothese untersucht, kann man ziemlich genau erraten, wie es funktioniert. Auf diese Weise machen wir große Fortschritte im Verständnis, Bis jetzt wurde der Tentakel nicht abgetrennt – wir haben nicht entdeckt, dass die Idee falsch ist.
Wieder ein anderes Beispiel – hier auf den Scienceblogs ja oft beliebt: UFOs. Man kann nicht behaupten, dass Ufos unmöglich sind – sie sind nur sehr sehr unwahrscheinlich. In Feynmans Worten:
Listen, I mean that from my knowledge of the world that I see around me, I think that it is much more likely that the reports of flying saucers are the results of the known irrational characteristics of terrestrial intelligence than of the unknown rational efforts of extra-terrestrial intelligence.
[Hör mal, was ich meine ist das: Nach meiner Kenntnis der Welt um mich herum ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass die Berichte über fliegende Untertassen ein Ergebnis der bekannten irrationalen Eigenschaften irdischer Intelligenz sind als das von unbekannten rationalen Anstrengungen nicht-irdischer Intelligenzen.]
Aber ist es wirklich wahr, dass der einzige Test einer Theorie die Übereinstimmung mit dem Experiment ist? Was ist mit Dingen wie Einfachheit oder Schönheit? Als Beispiel führt Feynman die Maya an – nein, nicht weil sie den Weltuntergang vorhergesagt hätten – die astronomische Konstellationen oder Sonnenfinsternisse vorhersagen konnten, ohne eine Idee zu haben, dass da Planeten um die Sonne kreisen. Wenn da jemand ankäme, mit der Idee, die Planeten könnten doch um die Sonne kreisen, dann würden sie vermutlich sagen “Kannst du damit so gute Vorhersagen machen wie wir? Wenn nicht, was soll es dann?” (Erinnert mich ziemlich an diesen Text von mir.)
Aber unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben Phänomene (selbst unterschiedliche Beschreibungen derselben Theorie) können trotzdem wichtig und nützlich sein – das hatten wir schon in früheren Kapiteln gesehen. Wenn man eine neue Theorie erraten will, dann muss man ja eine alte Annahme fallen lassen oder erweitern – das mag in unterschiedlichen Formulierungen der Theorie unterschiedlich schwierig sein. Beispielsweise kann man vom Prinzip der kleinsten Wirkung relativ einfach zur Quantenmechanik weiterkommen (in der Pfadintegralformulierung) – dasselbe ist in anderen Formulierungen der klassischen Mechanik nicht so leicht umzusetzen (dafür funktionieren da wieder andere Techniken).
Und was ist mit einer “Weltformel”? Ist unsere Welt die einzig mögliche und logische, so wie das von einigen Stringtheoretikern angenommen wird (natürlich Jahrzehnte, nachdem Feynman die Vorträge gehalten hat)? Feynman sagt dazu
I believe that sounds like wagging the dog by the tail. … I do not think that you can get the whole thing from arguments about consistencies.
Ich glaube das klingt als ob der Schwanz mit dem Hund wedelt…. Ich glaube nicht, das man alles aus Schlüssen über Konsistenz ableiten kann.
Wird die Forschung ewig so weitergehen, mit immer neuen fundamentaleren Theorien? Vermutlich wird sie das nicht. Entweder werden wir eines Tages eine grundlegende Theorie finden, die keine Fragen mehr offen lässt (jedenfalls, was die fundamentalen Phänomene angeht), oder wir werden immer mehr Phänomene erklären können, so dass es nur winzige Unstimmigkeiten gibt, die immer schwieriger zu messen und zu erklären sind, und dann werden wir vielleicht irgendwann das Interesse verlieren und aufhören . (Manche mögen argwöhnen, dass wir mit dem Standardmodell diesen Punkt schon erreicht haben.)
Solange die Suche nach neuen Gesetzen weitergeht, solange werden wir immer wieder mutig von Bekanntem auf Neues schließen und dadurch neue Gesetze finden. Warum das überhaupt möglich ist?
I am going to give an unscientific answer. I think it is because nature has a simplicity and therefore a great beauty.
Darauf gebe ich eine unwissenschaftliche Antwort. Ich denke es liegt daran, dass die Natur Einfachheit besitzt, und deswegen große Schönheit.
Kommentare (21)