Symbiosen mit Bakterien sind ja nichts Ungewöhnliches: Ohne unsere Darmbakterien hätten wir einige Verdauungsprobleme, Tiere wie Kühe könnten ohne Bakterien keine Zellulose verarbeiten, und die Mitochondrien in unseren Zellen (die für die Energieproduktion zuständig sind) stammen vermutlich auch von Bakterien ab. Eine besonders komplexe Symbiose gibt es allerdings bei der Zitrusschmierlaus (Planococcus citri): Sie lebt in Symbiose mit zwei ineinander verschachtelten Bakterien.
Eine Zitrusschmierlaus ist ein ziemlich unscheinbares Insekt, das sich von Pflanzensäften ernährt und nur wenige Millimeter groß wird. Wikipedia hat ein Bild (bei dem nicht klar ist, ob es sich um genau diese oder eine nahe verwandte Art handelt, aber wir wollen mal nicht pingelig sein, diese kleinen Krabbelviecher sehen doch eh alle gleich aus…):
By Christian Fischer, CC BY-SA 3.0, Link
P. citri (das tippt sich schneller als Zitrusschmierlaus) lebt in Symbiose mit einem Bakterium mit dem Namen “Candidatus Tremblaya priceps”. (Bei Wikipedia habe ich gelernt, dass Bakterien den “Ehrentitel” Candidatus bekommen, wenn man sie nicht in einer Kultur züchten kann – das Züchten ist aber eigentlich Voraussetzung, damit ein Bakterium einen Namen bekommen kann.) Die meisten Läuse, die sich von Pflanzensaft ernähren, haben irgendeine Symbiose mit Bakterien, vor allem, weil es für sie schwierig ist, an hinreichend viele essentielle Aminosäuren heranzukommen.
Zur Erinnerung: Aminosäuren sind die Grundbausteine der Proteine. Man unterscheidet zwischen essentiellen Aminosäuren, die man mit der Nahrung aufnehmen muss, und nicht-essentiellen, die der Körper selbst herstellen kann. Wenn ein Tier mit der Nahrung nicht genügend essentielle Aminosäuren bekommt, dann kann es sich die von geeigneten Bakterien holen, mit denen es in Symbiose lebt und für die diese Aminosäuren eben nicht essentiell sind. Essentielle Aminosäuren werden ihrerseits durch Proteine hergestellt, die als Enzyme (also Reaktionsbeschleuniger) dienen. Typischerweise geschieht dies in mehreren Reaktionsschritten, für die verschiedene Proteine benötigt werden.
T. princeps, der Symbiont von P. citri, ist allerdings ein besonderes Bakterium: Es hat ein extrem kleines Genom mit nur knapp 140000 Basenpaaren in der DNA, die schlappe 121 Proteine codieren. Unter diesen Proteinen sind einige, die zu den typischen Rekationspfaden gehören, mit denen Bakterien essentielle Aminosäuren bauen. Allerdings hat T. princeps ein kleines Problem: für den Zusammenbau essentieller Aminosäuren fehlen in jedem der Reaktionspfade ein paar Proteine. (Das bekommt man durch Genanalyse heraus: Man schaut sich die DNA an und liest mit Hilfe des berühmten genetischen Codes ab, welche Proteine das Bakterium zusammenbauen kann.)
Somit kann T. princeps die notwendigen essentiellen Aminosäuren nicht zusammenbauen, was natürlich ein Problem ist. Die Lösung ist ein weiterer Symbiont: Im Inneren von T. princeps lebt ein kleineres Bakterium namens Candidatus Moranella endobia als Symbiont. M. endobia ist zwar kleiner als T. princeps, hat aber ein fast viermal größeres Genom. So sieht diese verschachtelte Symbiose (Bakterium im Bakterium im Insekt) aus:
Das Graue ist das Gewebe der Laus P. citri, das Blaue sind die großen Bakterien T. princeps mit den kleineren M. endobia in modischem Rot. Grün ist der Zellkern von P. citri.
Bekommt nun also T. princeps seine essentiellen Aminosäuren von M. endobia? Nein, ganz so einfach ist es nicht, denn auch M. endobia kann die wichtigen essentiellen Aminosäuren leider nicht zusammenbauen. Auch ihm fehlen ein paar der notwendigen Proteine, um die Reaktion ablaufen zulassen.
Zusammen allerdings sieht die Sache anders aus: Die beiden können einige der essentiellen Aminosäuren herstellen, wenn jeder einen Teil seiner passenden Proteine beisteuert. Dieses Bild zeigt, wie das in etwa funktioniert:
Im Diagramm steht jedes Kürzel für ein Protein, der Reaktionspfad führt von einem zum nächsten, bis am Ende eine Aminosäure (zum Beispiel Tryptophan) steht.
Der Reaktionspfad zum Tryptophan braucht eine ganze Menge Schritte, für die die Proteine AroG bis AroC und TrpE bis TrpB zuständig sind. Die Synthese fängt mit Proteinen von T. princeps an, dann steuert M. endobia ein paar bei (die Lila markierten Proteine können jeweils beide Bakterien herstellen), dann ist wieder T. princeps dran, dann wieder M. endobia, noch einmal T. princeps und am Ende M. endobia. Ziemlich kompliziert, das Ganze.
Phenylalanin können nicht mal die beiden Bakterien zusammen herstellen, das können sie nur unter Beteiligung der Laus selbst, die das Protein für den letzten Schritt bereitstellt.
Vollkommen offen ist zur Zeit, wie die Bakterien den Prozess koordinieren: Welche Reaktion findet wo statt? Welche Substanzen werden wie transportiert? Betrachtet man wieder das Tryptophan, so müssen entweder die Proteine oder die Zwischenprodukte der Synthese zwischen den beiden Bakterien in geeigneter Weise ausgetauscht werden. Wie und wo welcher Schritt stattfindet, weiß im Moment niemand.
Interessant ist das ganze nicht nur, weil es so schön komplex ist. Interessant ist natürlich auch die Frage, wie sich diese enge Vernetzung zwischen den drei Lebewesen evolutionär entwickeln konnte. Da die Bakterien aber hierzu nur vorhandene Gene verlieren mussten, ist das sehr gut vorstellbar – weniger Proteine herstellen zu müssen, ist für ein Bakterium ja vorteilhaft, man kann sich also leicht vorstellen, dass es einen Selektionsdruck dahin gibt, Teile der Proteinsynthese auszulagern, weil es weniger Aufwand bedeutet. Womöglich (diese Spekulation ist jetzt von mir) gibt es eine Art evolutionäres “Wettrennen” zwischen beiden Bakterien, bei denen jedes möglichst viel Proteinsynthesearbeit auf das andere “abwälzt”, wobei aber natürlich diejenigen Bakterienkombinationen, bei denen beide Bakterien ein bestimmtes Protein nicht mehr herstellen können, zum Aussterben verurteilt sind (ja, ich schreibe das hier teleologisch, aber es funktioniert natürlich per Mutation/Selektion). Danach kann man spekulieren, dass in der Zukunft entweder T. princeps oder M. endobia die Fähigkeit zur Herstellung von zum Beispiel TrpG verlieren wird – ihr könnt ja in ein paar Hundert oder Tausend Jahren mal nachgucken…
Und schließlich kennen wir ja – wie am Anfang schon erwähnt – mit den Mitochondrien in unseren Zellen eine andere sehr enge Symbiose zwischen Bakterien; vielleicht kann uns die unscheinbare Zitrusschmierlaus mit ihrer Symbiose eine Idee geben, wie diese für das Leben entscheidende Verzahnung entstanden ist.
McCutcheon, J., & von Dohlen, C. (2011). An Interdependent Metabolic Patchwork in the Nested Symbiosis of Mealybugs Current Biology, 21 (16), 1366-1372 DOI: 10.1016/j.cub.2011.06.051
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