Maryland, vor etwa 110 Millionen Jahren. Ein kleiner gepanzerter Dinosaurier ist vor kurzem aus dem Ei geschlüpft. Er ist erst knapp 30 Zentimeter lang und damit ein Winzling, verglichen mit seinen Eltern, die über 6 Meter lang werden können. Das Wetter ist an diesem Tag schlecht. Wind kommt auf und das Dino-Baby stapft missmutig und noch ein wenig tapsig im feuchten Sand nahe des Flusses herum, um nach Pflanzen zu suchen.

Dann donnert es plötzlich und heftiger Regen setzt ein. Das unerfahrene Dino-Baby, das gerade einen leckeren Happen weicher Uferpflanzen entdeckt hat, bemerkt die drohende Gefahr nicht. Als es lautes Rauschen hört und den Kopf hebt, ist es auch schon zu spät: Der Fluss schwillt so schnell an, dass es sich nicht mehr retten kann und von den Wassermassen mitgerissen wird.

Einige Stunden später hört der Regen auf. Der Kadaver des ertrunkenen Dino-Babys treibt auf dem Wasser. Erst einige Tage später, schon halb verwest, sinkt er auf den Grund des Flusses in den Schlick und wird langsam zugedeckt.


So oder so ähnlich muss es sich vor 110 Millionen Jahren tatsächlich zugetragen haben (und nein, als Drehbuchautor für die nächste Serie “Walking with Dinosaurs” sollte ich mich nicht verpflichten lassen). Das zeigt ein überaus ungewöhnliches Fossil, das 1997 in Maryland gefunden und jetzt detailliert beschrieben wurde.

Ungewöhnlich an diesem Fossil sind gleich zwei Dinge: Zum einen handelt es sich um einen sehr jungen Dinosaurier, der vermutlich gerade erst aus dem Ei geschlüpft war. Solche fossilen Babies sind eher selten – vermutlich auch deswegen, weil große Dinosaurier natürlich leichter zu finden sind als kleine.

Zum anderen aber ist die Art des Fossils ungewöhnlich. Normalerweise finden wir ja versteinerte Knochen von Dinosauriern. Dabei werden die Skelettknochen in Schlamm oder ähnliches Material eingeschlossen, und während der Schlamm versteinert, dringen Mineralien in die Knochen ein und ersetzen diese. (Manchmal sogar mit so schicken Mineralien wie Opal – da gibt es zum Beispiel den berühmten opalisierten Plesiosaurier; Bild stelle ich hier lieber nicht rein, weil ich sonst womöglich Copyright-Ärger bekomme.)

Bei unserem Dino-Baby war das aber anders. Dort wurden die Knochen nicht durch Mineralien ersetzt. Stattdessen fand man Abdrücke von Teilen des Tieres (insbesondere von den Schädelplatten). Andere Teile des Tieres verrotteten, nachdem sie bereits im Schlamm eingeschlossen waren (ich hoffe, ich habe das richtig verstanden, für Taphonomie und Geologie bin ich kein Experte), und wurden dann hinterher durch andere Materialien ersetzt – wenn ich Wikipedia richtig verstehe, nennt man sowas auf deutsch einen “Steinkern” (im Englischen spricht man einfach von einem “cast” = “Abguss”).

Hier ein paar Bilder des Fossils:

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Links seht ihr das Fossil, rechts überlagert eine Skizze der Knochen beziehungsweise ihrer Abdrücke. (Jetzt könnt ihr, wenn ihr wollt, gleich die praktische Dino-Karte benutzen, die ich neulich verlinkt habe.)
Oben seht ihr erstmal den Abdruck des Kopfes (hd), darunter die Schulter (sc) und links davon den Arm mit Oberarm (hu), Elle (ul) und Speiche (ra). Die Rippen (rb) sind ziemlich gut zu sehen, während man beim Fuß (pe) mit dem Zehenknochen (un) schon sehr genau hingucken muss.

Vom Kopf seht ihr den Abdruck der Oberseite, der Rest entspricht aber einer bauchseitigen Ansicht. Das liegt daran, dass das Tier auf dem Rücken lag. Vom Kopf ist der Abdruck erhalten, aber kein Abguss (“Steinkern”), der Rest des Körpers dagegen liegt als Abguss vor.

Der neu entdeckte Dinosaurier hat auch einen eigenen Namen bekommen: Propanoplosaurus marylandicus (Vor-Panoplosaurus aus Maryland). Vor-Panoplosaurus deswegen, weil der Abdruck der Knochenplatten des Kopfes den Platten des Nodosauriers Panoplosaurus ähnelt, der neue Dino aber älter ist. (Das “pro” soll aber deswegen nicht gleich suggerieren, dass es sich um den direkten Vorfahren handelt.) So sieht so ein Panoplosaurus aus:

Panoplosaurus 055.JPG
By ContyOwn work, CC BY 3.0, Link

Wie gesagt, Fossilien von Dino-Babies (vor allem so kleinen wie diesem hier) sind ziemlich selten. Propanoplosaurus erlaubt uns also, ein bisschen über die Entwicklung der gepanzerten Dinosaurier vom Jungtier zum Erwachsenen herauszubekommen. Da die Knochenplatten des Kopfes einen guten Eindruck der Kopfform geben, haben die Paläontologinnen die Kopfform mit anderen Nodosauriern (also verwandten Panzerdinos) verglichen. Dazu haben sie markante Punkte des Kopfpanzers verglichen und dann einer mathematischen Analyse (principal component analysis) unterzogen, die sie sozusagen nach möglichst charakteristischen Merkmalen sortiert. Das hier kommt dabei heraus:

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Dabei seht ihr einige Schädel schematisch eingezeichnet. Die einzelnen Datenpunkte entsprechen unterschiedlichen Fossilien (die werden immer mit einem Museumskürzel und ner Nummer versehen, unser Propanoplosaurus ist ganz links US National Museum of National History, Nummer 540686 – so ziemlich jeder Dino-Artikel hat irgendwo so ein Abkürzungsverzeichnis). Fällt euch etwas auf, wenn ihr überlegt, dass es sich um ein Baby handelt?

Richtig: Bei fast allen Tierbabies ist die Schnauze vergleichsweise kurz und der Kopf und Schädelbereich groß. Das ist ja auch gerade das, was wir als niedlich empfinden. Bei den Nodosauriern war dies aber anscheinend tendenziell anders – unser Baby hat, relativ gesehen, die längste Schnauze und den kleinsten Schädel. Entzückte “ach-wie-süß”-Ausrufe dürfte also ein Propanoplosaurus-Baby nur in begrenztem Maße hervorrufen können (obwohl man vermuten kann, dass die Augen relativ groß waren, weil das bei den meisten Tieren so ist – niedliche Kulleraugen gab’s also vielleicht schon).

Noch etwas anderes ist interessant – einer der Zehen”abgüsse” zeigt an der Spitze etwas, das wie ein Abguss einer Art Kralle aussieht. Der Zehenknochen sieht – zumindest im körpernahen Teil – dem eines ausgewachsenen Nodosauriers ziemlich ähnlich, von denen kennt man aber keine derartigen “Krallen”. Es ist denkbar – wenn auch sehr spekulativ – dass diese Kralle so etwas Ähnliches wie ein “Eizahn” ist, mit dem einige Vögel, Krokodile und andere Tiere sich aus dem Ei befreien.

Alles in allem auf jeden Fall ein interessantes Fossil, auch wenn das zugehörige Tier ein tragisch kurzes Leben führte.


Stanford, R., Weishampel, D., & Deleon, V. (2011). The First Hatchling Dinosaur Reported from the Eastern United States: Propanoplosaurus marylandicus (Dinosauria: Ankylosauria) from the Early Cretaceous of Maryland, U.S.A. Journal of Paleontology, 85 (5), 916-924 DOI: 10.1666/10-113.1

Kommentare (9)

  1. #1 Pinky
    16. September 2011

    T_T

  2. #2 MartinB
    17. September 2011

    Taschentuch-reich…

  3. #3 Pinky
    18. September 2011

    (°_°) … (^_^)

  4. #4 Dirk
    19. September 2011

    Gibt es eigentlich hier zu bald einen Eintrag aus erster Hand? Man findet ja schließlich nicht jeden Tag einen Ichthyosaurier in der Nachbarschaft.

    Ansonsten lese ich hier wirklich gerne, man wird bei jedem Beitrag gut unterhalten und lernt noch was. So soll es sein.

    Grüße vom Bankplatz
    Dirk

  5. #5 MartinB
    21. September 2011

    Mal schauen…

  6. #6 MartinB
    21. September 2011

    @Dirk
    Habe mal ein bisschen gegoogelt, aber auch nur die immer gleiche Pressemeldung gefunden. Prof. Joger hat im Moment vermutlich wichtigeres zu tun, als mir Einzelheiten zu erzählen, aber irgendwann wird es ja eine echte Beschreibung des ganzen geben (wie man auf der Dino-Mailing-Liste zu sagen pflegt: W4TP (wait for the paper))

  7. #8 MartinB
    13. Oktober 2011

    @roel
    Das ist wieder ein anderer Fund – ein jugendlicher Raubsaurier, vermutlich aus dem Verwandtschaftskreis von Megalosaurus.
    Spektakulär gut erhalten.

  8. #9 roel
    13. Oktober 2011

    @MartinB ja habe ich gesehen, dass das ein anderer Saurier ist. Und der ist sogar noch etwas älter.