Vor 50 Jahren (am 8. September 1961) gab es an deutschen Kiosken einen neuen Groschenroman zu kaufen: “Unternehmen Stardust” – Band 1 der Science-Fiction-Serie “Perry Rhodan”. Die Macher hofften darauf, 30-50 Bände durchhalten zu können, aber es kam anders.
Aus 50 Heften wurden 50 Jahre – die aktuelle Heftnummer ist 2614. Am nächsten Wochenende wird der 50. Geburtstag auch gebührend gefeiert; ich selbst bin aber nicht dabei (ich bin diesen Monat genug rumgereist und solche Veranstaltungen sind auch nicht so ganz mein Geschmack).
Heftromane? Echt jetzt? So wie in “Schlossroman” oder “Jerry Cotton” oder “Landser”? Ist das nicht der Bodensatz der Trivialliteratur? Und war Perry Rhodan nicht diese Serie mit dem bösen faschistisch-imperialistischen Weltbild, in der die Terraner die Galaxis erobern? So zumindest wurde es Ende der Sechziger Jahre von der Sendung Monitor verbreitet und setzte sich in den Köpfen fest (und auch mein Deutschlehrer fand es sehr verwerflich, dass ich so etwas las).
Kann man so etwas wirklich lesen?
Ja, kann man. Klar – stilistisch sind die Hefte meist keine Meisterwerke, einige sind auch – kann man nicht anders sagen – wirklich ziemlich banal und langweilig. Und oft ist die Handlung tatsächlich ziemlich action-lastig, und gerade in den ersten Jahren ging es schon heftig militärisch zur Sache (nicht umsonst hatte Autor K.-H. Scheer den Beinamen “Handgranaten-Herbert”). Aber zwei Dinge zeichnen die Serie aus und machen sie trotz allem lesenswert: Zum einen ist es die schiere Größe der Serie – anders als bei zum Beispiel Jerry Cotton (eine Serie, die es auch auf über 2500 Hefte bringt – genaues weiß ich nicht, weil ich’s nie gelesen habe) ist die Handlung fortlaufend und auf einander aufbauend. Man muss als Leser zwar nicht alle 2600 Hefte im Kopf haben (das wären auch mehr als 150000 Seiten…), um einen Roman zu verstehen, aber ein grober Überblick über vergangene Hefte hilft schon, wenn in den 2500er-Bänden plötzlich wieder die “Meister der Insel” aus der Andromeda-Galaxis wichtig werden (die zugehörigen Hefte waren Band 200-300). Rückblenden, Querverbindungen, Umdeutungen von Dingen, die früher passiert sind, machen sicher einen Teil des Reizes aus.
Und ansonsten enthält die Serie ein Feuerwerk an Ideen – nahezu alles, was in der Science Fiction als Idee irgendwo auftaucht, findet sich auch in Perry Rhodan. Die Borg aus Star Trek sind ein müder Abklatsch der Posbis (der positronisch-biologischen Roboter, die in würfelförmigen Fragmentraumern fliegen – wer googelt, kann feststellen, dass es im Netz reichlich Spekulationen gibt, ob die Idee geklaut wurde), Elemente aus “Matrix” finden sich im Simusense-Netzwerk wieder (aber natürlich auch in älteren SF-Romanen, wie z.B. “Welt am Draht”), es wimmelt von Paralleluniversen, Alternativrealitäten, Superintelligenzen, Kosmokraten, Chaotarchen, Dienern der Materie, Rittern der Tiefe, Zeitreisen und Zeitschleifen, seltsamen Außerirdischen aller Art (freundliche Mausbiber, bedrohliche Schreckwürmer, intelligente Pflanzen, planetengroße Mobys) und und und…
Und natürlich gibt es Technik – Technik die wirklich begeistert. Während die Enterprise Jahre für ein paar Tausend Lichtjahre braucht, verfügt man im Perryversum (zumindest zwischenzeitig, im Moment haben höhere Mächte die Technik etwas zurückgefahren) über Überlichtantriebe, mit denen man einen Überlichtfaktor von mehreren zehn Millionen erreichen konnte – nach Andromeda in ein paar Monaten, und auch in M 87 und vielen anderen Galaxien hat Perry sich schon herumgetreiben – bis hin zur großen Leere (die Leerräume zwischen den Galaxienhaufen).
Wenn ihr die Serie nicht kennt, liegt natürlich die Frage nahe, wie das alles in das Menschenleben eines Perry Rhodan (der ja immerhin der Hauptheld ist und zwar nicht in jedem Heft, aber doch relativ häufig auftauscht) hineinpassen soll. Die Antwort ist einfach – relativ früh in der Serie lösen Perry et al. das sogenannte “galaktische Rätsel” und werden dafür damit belohnt, zum favorisierten Hilfsvolk einer Superintelligenz befördert zu werden. (Dass das nicht immer so toll ist, wie es klingt, stellt sich erst viel später heraus.) Dafür erhalten einige auserwählte Terraner die Unsterblichkeit – allerdings (sonst wäre es arg langweilig) nur die relative Unsterblichkeit: Sie altern nicht, können aber durch Waffen und ähnliches genauso ins Jenseits befördert werden wie jeder andere. Und so ist der gute alte Perry inzwischen etwas mehr als 3000 Jahre alt; genügend Zeit, um reichlich Abenteuer zu erleben. (Und einer seiner Gefährten, der gerade den Millionen-Jahre-Tunnel durchschritten hat, hat noch ein paar Jahre mehr auf dem Buckel.)
Also: Wenn ihr Literatur mit Anspruch sucht, seid ihr bei Perry sicher an der falschen Adresse. Wenn ihr aber gute und entspannende Unterhaltung sucht (ich lese die Hefte gern im Bus zur Arbeit – unter den leicht mitleidig-verwunderten Blicken mitfahrender SchülerInnen), die mit vielen interessanten Ideen aus dem Reich der Science-Fiction gewürzt ist, dann lohnt es sich sicher, mal bei Perry reinzulesen (und nein, ich bekomme keine Werbegelder).
Und jetzt bin ich doch neugierig: Wieviele Perry-LeserInnen (oder ehemalige) gibt es denn hier auf den Scienceblogs? Meldet euch doch kurz in den Kommentaren.
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