Quantenfeldtheorie hat – na klar – was mit Quanten zu tun. Bevor wir ganze Quantenfelder beackern, schauen wir uns deshalb erst mal an, wie die Quantenmechanik für ein einzelnes Teilchen aussieht. Dazu habe ich vor längerer Zeit schon eine längere Serie geschrieben – für die Quantenfeldtheorie ist es aber praktischer, wenn wir die Quantenmechanik mit Hilfe so genannter “Pfadintegrale” beschreiben. (Und keine Angst, auch wenn ihr Integralrechnung in der Schule doof fandet, die Integrale beißen nicht – wir müssen nicht mal welche berechnen…)
Wir beginnen ganz “klassisch” – mit dem berühmten Doppelspaltexperiment, das ihr vermutlich alle schon mal irgendwo gesehen habt:
Ein Elektron (freigesetzt von einer Quelle Q) fliegt auf einen Detektorschirm zu, auf dem es einen Leuchtpunkt hinterläßt, so dass wir messen können, wo es sich aufhält. Auf dem Weg dorthin passiert es einen Doppelspalt, also zwei sehr schmale und eng nebeneinander liegende Löcher in einer ansonsten für Elektronen vollkommen undurchlässigen Platte (damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Zeichnung ist nicht mal annähernd maßstabsgetreu, der Doppelspalt muss extrem eng – in der Größenordnung von einem tausendstel Millimeter – sein, damit was passiert):
(Bild gemeinfrei, modifiziert von Wikipedia.)
Auf dem Leuchtschirm hinter dem Doppelspalt detektieren wir – wenn wir das mit vielen Elektronen machen, so wie im Bild – in diesem Fall ein Muster aus hellen und dunklen Streifen, also ein Interferenzbild. Nach den Regeln der klassischen Physik lässt sich das nicht erklären, denn das Muster bildet sich auch, wenn man die Elektronen einzeln durch den Versuchsaufbau schickt: Man sollte dann erwarten, dass Elektronen (die man sich klassisch wie kleine Kügelchen vorstellt) vor allem direkt hinter der ersten und der zweiten Öffnung auftauchen.
Mit der beobachteten Interferenz kann man argumentieren, dass Elektronen sich wie Wellen verhalten, und so wird das auch in so ziemlich allen Quantenmechanikbüchern gemacht. Muss man aber nicht. Man kann auch eine andere Betrachtungsweise verwenden, und das ist genau das, was wir hier tun.
Die Quantenmechanik erlaubt ja bekanntlich nur, Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen vorherzusagen (die im Grenzfall auch mal gleich 1 sein können, siehe auch hier). Unser Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, dass wir ein bei Q losgeschicktes Elektron am Ort x auf dem Schirm messen.
Die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung habe ich schon in einem ähnlichen Zusammenhang mal erklärt, ich zitiere mich einfach mal selbst:
1. Gibt es zwei unterschiedliche Wege, damit ein Ereignis eintreten kann, dann werden deren Wahrscheinlichkeiten addiert. Wenn ich beim Würfelspiel mit einer 5 oder 6 gewinne, dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür (1/6)+(1/6)=2/6=1/3.
2. Müssen, damit ein Ereignis passieren kann, zwei Einzel-Ereignisse nacheinander eintreten, dann werden deren Wahrscheinlichkeiten multipliziert. Wenn ich beim Würfeln gewinne, wenn ich zweimal hintereinander eine 6 würfele, dann ist die Wahrscheinlichkeit (1/6)⋅(1/6)=1/36.
Diese Regeln gelten auch in der Quantenmechanik, allerdings mit einer kleinen Komplikation: Wir berechnen zunächst nicht Wahrscheinlichkeiten, sondern kleine Pfeile, die man auf ein Blatt Papier malen kann(diese Idee stammt aus dem QED-Buch von Feynman). Die Wahrscheinlichkeit berechnet man dann aus der Länge dieses Pfeils.
Vornehm heißen die Pfeile Wahrscheinlichkeitsamplituden – ist ein schicker und viel wissenschaftlicher klingender Name, aber das ist auch schon alles.
Mathematisch sind die Amplituden komplexe Zahlen mit den üblichen Rechenregeln, die Wahrscheinlichkeit ist das Betragsquadrat der Amplitude. Details zum Rechnen mit komplexen Zahlen habe ich vor langer Zeit hier anschaulich erklärt.
Zu jedem denkbaren Einzelereignis (wie zum Beispiel “Das Elektron fliegt bei der Quelle Q los, fliegt durch Spalt 1 und landet dann bei x auf dem Schirm”) gehört ein solcher Pfeil. Wenn wir die Wahrscheinlichkeit für ein Gesamtereignis suchen, das aus mehreren Einzelereignissen bestehen kann (z.B. “Elektron fliegt von Q nach x”), dann verwenden wie die obigen Rechenregeln für Wahrscheinlichkeiten, nur jetzt für unsere Pfeile.
Wie das genau geht, sehen wir jetzt. Wir müssen (wegen der Wahrscheinlichkeitsregeln) Pfeile addieren und multiplizieren können. Um zwei Pfeile zu addieren, muss man ihre Enden einfach aneinanderhängen (mal wieder Zeit für die bewährte Kritzeltechnik) – das kennt ihr vermutlich als “Kräfteaddition” aus dem Schulunterricht (nein, nicht mein Gekritzel sondern das Aneinanderhängen von Pfeilen):
Multiplizieren von Pfeilen ist ein bisschen trickreicher. Dazu betrachten wir zunächst einen Einheitspfeil. Der zeigt genau nach rechts und hatte die Länge 1. Man stellt sich jetzt vor, jeder andere Pfeil entsteht aus diesem Einheitspfeil, indem man den Einheitspfeil dreht und entsprechend längt oder kürzt. Dieser Pfeil hier hat z.B. die Länge 2 und wurde um 45° gegen den Uhrzeigersinn gedreht (man dreht hier immer gegen den Uhrzeiger, das ist einfach Konvention):
Ihr seht also, dass wir Pfeile durch Angabe von zwei Zahlen eindeutig beschreiben können: Nämlich ihre Länge und den zugehörigen Winkel. Der Startpunkt des Pfeils interessiert uns dabei nicht (sonst bräuchten wir dafür auch noch zwei Zahlen) – wir lassen alle Pfeil am selben Ort losgehen, außer, wenn wir sie addieren, dann verschieben wir das Ende des einen an die Spitze des anderen, wie ich das oben gezeichnet habe.
Zwei Pfeile multipliziert man, indem man diese Vorschrift entsprechend zweimal anwendet:
(Achtung: das Multiplizieren funktioniert nur in zwei Dimensionen mit dieser speziellen Art Pfeile so, nicht mit dem, was man in der Mathematik als “Vektoren” kennt.)
Der erste Pfeil entspricht Drehung um 45° und in-die-Länge-Ziehen um Faktor 2, der zweite einer Drehung um 90° und in-die-Länge-Ziehen um einen Faktor 1/2, also ergibt sich ein Pfeil mit Länge 1 (2 mal 1/2), der nach links oben (45° plus 90°) zeigt.
Damit ich nicht immer “Pfeil der Länge L im Winkel φ” schreiben muss, bediene ich mich einer Kurzschreibweise. Die könnte zum Beispiel so aussehen Pf(L, φ), so dass also Pf(2, 45) den Pfeil der Länge 2 im Winkel von 45° gegen den Uhrzeigersinn gedreht bedeutet. Mathematikerinnen schreiben das aber anders, nämlich so:
Auf den ersten Blick sieht das sehr kompliziert aus – das liegt daran, dass wir es eigentlich mit komplexen Zahlen zu tun haben, für die diese Schreibweise unglaublich praktisch ist. Das braucht euch hier aber nicht zu kümmern – Mathematikerinnen lesen die Schreibweise als “L mal e hoch i phi”, aber ihr dürft auch “Pfeil der Länge L im Winkel phi” lesen und macht absolut nichts falsch (und verliert vielleicht sogar ein bisschen Respekt vor Formeln, das schadet nichts – Formeln sind auch nur ne Sprache).
Damit mathematisch alles passt, muss man den Winkel φ allerdings nicht in Grad, sondern in der Einheit “Bogenmaß” angeben. (Ein Winkel von 90° entspricht π/2 (also etwa 1,57) in der Einheit “Bogenmaß.) Da wir hier aber nicht wirklich rechnen wollen, spielt das keine große Rolle.
Für Pfeile gilt also folgende wichtige Rechenregel: Wenn ich zwei Pfeile multipliziere, dann muss ich ihre Längen miteinander multiplizieren (weil das ja Streckungs-Faktoren sind) und ihre Winkel addieren (weil ich ja erst um den einen, dann um den anderen Winkel drehe). In der schicken mathematischen Formelschreibweise heißt das
Aber auch wenn das mathematisch gefährlich aussieht – wenn ihr es euch mit Pfeilen veranschaulicht, ist es eigentlich harmlos. (Es zeigt aber, warum man die Schreibweise genau so wählt – beim Multiplizieren werden Exponenten ja addiert.)
So, und nun wieder zum Doppelspalt: Betrachten wir die Wahrscheinlichkeit, dass unser Elektron am Doppelspalt an einer bestimmten Stelle x gemessen wird, wenn nur Spalt 1 im Doppelspalt geöffnet ist. Die zugehörige Wahrscheinlichkeitsamplitude (also den Pfeil) nennen wir A(1,x), weil es die Amplitude ist, dass das Elektron durch Spalt 1 fliegt und bei x landet. Ist dagegen nur Spalt 2 offen, ergibt sich entsprechend eine Amplitude A(2,x). Die Wahrscheinlichkeit ergibt sich für beide Fälle als das Quadrat der Länge des Pfeils, wir zeichnen also ein kleines Quadrat mit der Amplitude als Kante:
Und für A(2,x) geht’s genauso:
Eine Wahrscheinlichkeit kann natürlich nie den Wert 2 haben – zeichnet sich so nur einfacher und ihr müsst euch nicht mit kleinen Zahlen rumschlagen. Denkt euch einfach, die Einheit der Wahrscheinlichkeit wäre hier Prozent, dann passt’s.
Genauer gesagt braucht man das Betragsquadrat: |A(1,x)|² und |A(2,x)|²
Sind beide Spalte geöffnet, müssen wir erst die Amplituden addieren (es sind ja zwei unterschiedliche Möglichkeiten) und dann für die Wahrscheinlichkeit das Ergebnis quadrieren (quadrieren=das Quadrat zeichnen):
Falls ihr nachrechnen wollt: Die eine Amplitude ist (1+i) mit Betragsquadrat 2, die andere (i) mit Betragsquadrat 1. Die Summe (1+2i) hat das Betragsquadrat (1+2i)⋅(1-2i)=5
Die Wahrscheinlichkeit ist also nicht einfach die Summe der einzelnen Wahrscheinlichkeiten, sondern sie ist größer, weil die beiden Pfeile in ähnliche Richtungen zeigen und wir erst addieren und dann quadrieren. Das sorgt dafür, dass wir nicht einfach zwei überlagerte “Blobs” (für die beiden Einzelspalte) beobachten, sondern ein echtes Interferenzmuster wie dieses hier:
(Bild von Wikipedia)
An den Stellen, wo wir wenige Elektronen sehen, zeigen die zugehörigen Pfeile entsprechend ungefähr in entgegengesetzte Richtungen, so dass der Gesamtpfeil sehr kurz (im Extremfall sogar Null) wird.
In Formeln ergibt sich (wobei der * das Komplex-Konjugierte bezeichnet): | A(1,x) + A(2,x)|² = |A(1,x)|² + |A(2,x)|² + A(1,x) ⋅ A*(2,x) + A*(1,x) ⋅ A(2,x)
Dank unserer Pfeiltechnik können wir ziemlich schnell verstehen, wie das Ergebnis des Doppelspaltversuchs zu Stande kommt. Dazu muss man nur eins wissen: Bewegt sich ein Elektron (wie hier) auf einem geraden Pfad zwischen zwei Punkten, dann rotiert sein Amplitudenpfeil mit konstanter Geschwindigkeit. (Wie man das verstehen kann, erkläre ich ein andermal, nehmt es am besten jetzt einfach als “Gesetz”.)
Wenn wir einen Punkt in der Mitte des Schirms anschauen, dann hat das Elektron auf beiden Wegen dieselbe Wegstrecke zurückzulegen, also rotieren die Pfeile genau im Gleichtakt:
Die Gesamtamplitude ist die Summe der beiden Pfeile – und weil sie auch am Endpunkt um denselben Betrag rotiert sind, zeigen sie in die selbe Richtung und der Gesamtpfeil (in rot) wird entsprechend lang. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron hier zu finden, ist also groß.
Anders sieht die Sache aus, wenn wir einen etwas weiter oben gelegenen Punkt betrachten. Auf dem oberen Weg hat das Elektron einen etwas kürzeren Weg, auf dem unteren einen etwas längeren. Der Pfeil für den oberen Weg rotiert also etwas weniger, der für den unteren etwas mehr:
Der Gesamtpfeil wird dadurch sehr kurz, weil beide Pfeile fast in entgegengesetzte Richtungen zeigen (und wenn ich nicht so schlampig gezeichnet hätte, würden sie sich exakt aufheben). Hier werden wir das Elektron also nur mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit finden.
Wenn wir weiter nach oben gehen, dann erreichen wir irgendwann den Punkt, wo der Pfeil des Elektrons auf dem unteren Weg eine volle Umdrehung mehr macht als auf dem oberen, so dass beide wieder in dieselbe Richtung zeigen. Hier finden wir dann wieder ein Maximum unserer Wahrscheinlichkeitsverteilung.
Ihr seht also, dass man mit dieser einfachen “Pfeilmethode” das Doppelspaltexperiment leicht erklären kann. Wir brauchen dazu keine “Wellenfunktionen” und müssen auch keine Schrödingergleichung lösen – es reicht völlig, kleine Pfeile zu zeichnen.
Nun haben Elektronen sicher etwas besseres zu tun, als immer nur durch Doppelspalte zu fliegen, auch wenn man beim Lesen von Texten zur Quantenmechanik manchmal diesen Eindruck bekommt. Was dann passiert, verrät euch der nächste Teil…
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