Elektronen am Doppelspalt sind seltsam: Statt brav durch einen der beiden Spalte zu fliegen, fliegen sie irgendwie durch beide gleichzeitig und wechselwirken quasi mit sich selbst, das haben wir letztes Mal gesehen. Noch seltsamer dürfte es also werden, wenn man den Elektronen ein paar mehr Freiheiten lässt, statt sie durch einen ollen Doppelspalt zu zwingen.
Machen wir das Leben unseres Elektrons also ein bisschen interessanter. Was passiert zum Beispiel, wenn wir einen dritten Spalt dazunehmen? Dann müssen wir entsprechend die drei Amplituden addieren: A(1,x)+A(2,x)+A(3,x), und dann quadrieren (und es ergeben sich mehr Inteferenzterme).1 Und wenn wir einen vierten, fünften, sechsten, hundertsten oder tausendsten Spalt öffnen? Dann müssen wir die Amplitude für alle Spalten nehmen und die alle erst addieren und dann quadrieren.
1Dass das tatsächlich genauso funktioniert und nicht irgendwelche komplizierteren Dinge passieren, hat man letztes Jahr experimentell noch einmal geprüft; Details hat Jörg (ziemlich unterhaltsam) beschrieben.
Und wenn wir einen zweiten Schirm hinter den ersten stellen und in den auch Löcher bohren? Dazu nummeriere ich jetzt die Spalten auf den Schirmen durch, der erste Schirm bekommt den Namen S und hat die Spalte S1, S2 usw., der zweite T1, T2 usw. Das sieht dann so aus (ich habe nicht alle Möglichkeiten eingezeichnet, sonst erkennt man überhaupt nix mehr):
(Upps, da ist eine gestrichelte Linie von S3 nach S4 – die hat da nichts zu suchen, denkt sie euch bitte weg.)
Damit wir jetzt nicht den Faden verlieren, schreibe ich die bisherige Amplitude A(1,x) etwas anders: Das Elektron startet an unserer Quelle Q (da, wo es ausgesandt wird), fliegt von da zum Spalt S1 und dann weiter nach x. Es gibt also einen Pfeil für das erste Wegstück, genannt A(Q,S1), und einen für das zweite Wegstück, der heißt entsprechend A(S1,x).
Wenn das Elektron erst von Q nach S1 fliegt und dann von S1 nach x, dann müssen beide Ereignisse passieren, damit das Elektron auch am Ende ankommt. Nach unseren Regeln heißt das, dass ich die beiden Pfeile multiplizieren muss:
A(1,x) = A(Q,S1) A(S1,x)
Ich male das nicht nochmal mit Pfeilen hin – ich hoffe einfach, dass nach dem letzten Mal klar ist, wie das geht (sonst guckt noch mal nach).
Mit zwei Schirmen hintereinander gibt es jetzt eine Amplitude
A(Q,S1)A(S1,T1)A(T1,x)
dafür, dass das Elektron von der Quelle erst durch den Schlitz S1 fliegt, dann durch T1, und dann nach x. Weil die drei Ereignisse nacheinander passieren müssen, werden die einzelnen Amplituden wieder multipliziert.
Für jede andere Kombination von Spaltdurchflügen (erst S3, dann T117) gibt es einen entsprechenden Term. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass das Elektron bei der Quelle Q losfliegt und bei x ankommt, ist die Summe über alle Möglichkeiten (Das schreibe ich jetzt aber mit LaTeX):
Sieht beängstigend aus? Ist es eigentlich gar nicht. Ihr könnt es so lesen:
“Um von Q nach x zu kommen, muss das Elektron entweder von Q nach S1 nach T1 nach x fliegen oder von Q nach S2 nach T1 nach x oder … oder von Q nach S1 nach T2 nach x oder …”
Pluszeichen stehen ja für “oder” – denn unterschiedliche Möglichkeiten werden addiert – Malzeichen für erst … dann ….
Also: Wir addieren alle Möglichkeiten, bei denen das Elektron durch den Spalt T1 geht (mit allen Möglichkeiten für S), dann alle, bei denen es durch T2 geht und so weiter. Das ergibt dann die gesamte Wahrscheinlichkeitsamplitude dafür, von Q nach x zu kommen.
Diesen Ausdruck müssen wir jetzt quadrieren (das gibt natürlich einen ziemlichen Wust), um die Wahrscheinlichkeit zu bekommen.
Und wenn wir einen dritten Schirm dazunehmen? Dann müssen wir über alle Möglichkeiten addieren, erst von der Quelle zum ersten zu kommen, dann vom ersten zum zweiten, dann vom zweiten zum dritten, dann vom dritten zum Ziel.
Und nehmen wir einen vierten, fünften, sechsten usw. Schirm hinzu, dann geht das immer so weiter. Das können wir treiben, bis wir unendlich viele Schirme haben. Und wenn wir uns vorstellen, dass jeder dieser Schirme unendlich viele Löcher hat, dann bleibt von den Schirmen letztlich nichts mehr übrig – aber die Logik unserer Berechnung ändert sich überhaupt nicht.
Und damit sehen wir, dass wir für ein frei herumfliegendes Elektron die gesamte Amplitude, um von einem Startpunkt Q zum Ziel x zu kommen, dadurch bekommen, dass wir die Amplitude für jeden einzelnen möglichen Weg ausrechnen und über all diese Wege addieren:
A(Q ,x) = Summe über alle Wege W von A(Q,x auf Weg W)
Diese Wege nennt man auch die “Pfade” – und sie geben dem “Pfadintegral” ihren Namen.
Eine Sache habe ich bisher (um die Sache nicht schon am Anfang zu kompliziert zu machen) unterschlagen: Ein “Pfad” kennzeichnet hier (anders als im Alltagsgebrauch) nicht bloß, auf welchem Weg das Elektron sich von Q nach x bewegt, sondern auch, wann es an einem bestimmten Punkt des Pfades ist. Ein “Pfad” ist also eine Wegbeschreibung mit Zeitangabe. Bewegt sich das Elektron beispielsweise auf geradem Weg von Q nach x, dann gibt es auch dafür unendlich viele Möglichkeiten – seine Geschwindigkeit kann die ganze Zeit konstant sein, oder es kann erst mit hoher, dann mit niedriger Geschwindigkeit fliegen, usw.
Wichtig ist, dass dabei auch Startpunkt und Zielpunkt zeitlich festgelegt sind – die Amplitude A(Q,x) ist also die dafür, dass ein Elektron, das zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Q startet, an einem bestimmten späteren Zeitpunkt bei x ankommt. Ich schreibe die Zeitargumente nicht extra mit hin – wenn ihr relativistisch denkt, dann steht das x (und das Q) für den Vierervektor aus t und x.
Ich fasse das erst einmal grob in Worten zusammen: Wenn ich wissen will, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Elektron von Q nach x kommt (mit genau definiertem Anfangs- und Zielzeitpunkt), dann betrachte ich alle denkbaren Pfade, die das Elektron nehmen kann, egal wie seltsam sie aussehen (auch den heftigen Zick-Zack-Pfad oben im Bild), berechne für jeden dieser Pfade die Wahrscheinlichkeitsamplitude (also den zugehörigen Pfeil), hänge alle diese Pfeile hintereinander zur Gesamtamplitude, und dann quadriere ich das Ergebnis, um die Wahrscheinlichkeit zu bekommen.
Wir summieren also die Amplitude über alle denkbaren Pfade. Das ist eigentlich schon alles, was wir brauchen, und dieser Teil könnte hier zu Ende sein. (Wie man die Amplituden berechnet, erkläre ich beim nächsten Mal.)
Ich will das Ganze hier aber ausnahmsweise mal als Formel hinschreiben, weil es zum einen gar nicht so schlimm ist und weil ihr dann – auch wenn ihr mit Formeln sonst nicht so viel am Hut habt – vielleicht verstehen könnt, warum Physikerinnen Formeln genauso “lesen” können wie Texte. Aber keine Angst, wir machen das Schritt für Schritt.
Nennen wir den Pfad, den das Teilchen geht, W (wie “Weg”). Dann müssen wir, wie eben erklärt, die Amplituden für alle diese W’s zusammenzählen. Weil es unendlich viele mögliche Pfade gibt, schreiben Mathematikerinnen das als Integral. (Wenn ihr keine Integrale mögt, denkt euch einfach jedes mal statt “Integral” das Wort “Summe” – das Integralzeichen ist ja ohnehin als langgezogenes S wie “Summe” entstanden, hat sich der gute Leibniz schön ausgedacht.) Statt “Summe über alle W” schreiben wir also kurz
Das D sagt uns, dass es eben das ist, was danach kommt, über das wir integrieren sollen, in diesem Fall also das W. (Man nimmt hier ein großes schick geschwungenes D, weil das Integrieren für alle denkbaren Pfade ein bisschen knifflig ist, weil es unendlich viele Möglichkeiten gibt.) Man kann das “D” also einfach als “über alle” lesen, dann steht hier “Integral über alle W” (oder “Summe über alle W”, wenn ihr das lieber mögt).
Und was sollen wir aufaddieren? Die Amplituden A(W) für jeden einzelnen Pfad. Das sähe also so aus:
Dabei brauche ich in die Klammer vom A den Ursprung Q und das Ziel x nicht mit reinzuschreiben, weil ja alle Pfade von Q nach x gehen. Wenn wir wollen, können wir das aber ans Integral mit dranschreiben:
Da steht also: Summiere (oder integriere) die Amplitude über alle möglichen Pfade von Q nach x.
Diese Amplituden sind ja, wie beim letzten Mal erklärt, Pfeile, die wir in der schicken mathematischen Schreibweise mit dem kleinen e schreiben können. Wir können also schreiben
L(W) ist die Länge des Pfeiles zum Weg W, S(W) sagt uns den Winkel.
Netterweise ist hier aber L(W) immer gleich 1 – die Pfeile haben alle die Länge 1. Warum? Stellt euch vor, wir würden das Elektron dazu zwingen, einen bestimmten Pfad W* zu gehen – alle anderen Pfade versperren wir. (Im Bild mit den vielen Schirmen und Spalten oben bekommt dann jeder Schirm genau einen Spalt, und irgendwie zwingen wir das Elektron auch noch zu einer bestimmten Geschwindigkeit.) Dann kann das Elektron nur genau diesen Weg gehen und keinen anderen. Die Wahrscheinlichkeit (nicht die Amplitude, sondern die echte Wahrscheinlichkeit), dass es dann am Ziel ankommt, ist wie groß?
Genau, sie ist gleich 1 – wenn das Elektron nur eine Möglichkeit hat, dann muss es die eben nehmen, wir sind also sicher, dass es diese Möglichkeit nimmt, also ist die Wahrscheinlichkeit 1.
Wenn wir jetzt die anderen Möglichkeiten wieder dazunehmen, dann hat sich aber an der Amplitude für den Pfad W* nichts geändert – der war vorher möglich und ist es jetzt immer noch. Weil das Argument für jeden beliebigen Pfad W* gilt, ist also L(W)=1, für jeden Pfad.
Damit bleibt übrig
Wenn man die Formel so Stück für Stück zusammensetzt, ist sie gar nicht so schlimm, oder? Es steht dasselbe drin, was ich hier auch in Worten erklärt habe, nur ein bisschen kompakter.
Diese Formel ist das berühmte Feynmansche Pfadintegral. Wenn man die Naturkonstanten wieder einbaut, bekommt der Winkel noch einen zusätzlichen Faktor:
S(W) hat also dieselbe Einheit wie ħ. Da das das Plancksche Wirkungsquantum (geteilt durch 2 π) ist, hat es die Einheit einer Wirkung – Energie mal Zeit. Die Größe S(W) heißt auch tatsächlich die Wirkung. Sie war in der klassischen Physik schon lange bekannt, spielt aber hier auch in der Quantenmechanik eine zentrale Rolle.
Damit haben wir die Theorie des Pfadintegrals eigentlich abgehandelt. Bevor wir den Sprung zur Quantenfeldtheorie machen, wollen wir aber zumindest eine Idee bekommen, was denn bei so einem Pfadintegral herauskommt. Das gibt mir außerdem die Gelegenheit, ein uraltes Versprechen einzulösen.
Doch davon wollen wir im nächsten Teil erzählen…
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