Einer der faszinierendsten Aspekte der Erforschung von Dinosauriern ist, dass es oft sehr interdisziplinär zugeht. Kombiniert man Kernphysik, Thermodynamik, Klimatologie, Geologie, Chemie, Physiologie, Entwicklungsbiologie und Paläontologie, kann man sogar etwas über das Verhalten der Dinos herausfinden.
Wer groß ist, muss auch viel essen. Elefanten futtern etwa 150kg oder mehr am Tag (je nach Kaloriengehalt). Die großen Dinosaurier des Erdmittelalters, die noch deutlich schwerer waren, hatten sicherlich einen wesentlich höheren Bedarf – wie hoch genau hängt von ihrem Stoffwechsel ab, aber man geht heutzutage schon davon aus, dass der Nahrungsbedarf eher dem von Säugetieren als von Reptilien nahekommt.
Hier mal als Beispiel ein Camarasaurus, ein typischer Vertreter der Sauropoden und im oberen Jura von Nordamerika ein ziemlich häufiger Geselle:
By Creator:Dmitry Bogdanov – dmitrchel@mail.ru, CC BY 3.0, Link
Vermutlich lebten diese Saurier in Herden, was den Nahrungsbedarf entsprechend steigert. Man kann sich also vorstellen, wie Herden von Camarasauriern so wie die heutigen Gnus durch die Flussauen (floodplains) zogen und alles futterten, was halbwegs grün war.
Da gibt es nur ein klitzekleines Problem: Das Klima in den Flussauen der Morrison-Formation im nordamerikanischen Oberjura hatte jahreszeitliche Trockenphasen. Während der Trockenheit dürfte es für große Sauropoden ziemlich schwierig gewesen sein, genügend Wasser und Nahrung zu finden, vor allem, wenn sie auch noch in Herden lebten.
Die Vermutung liegt natürlich nahe, dass sie das Problem auf die gleiche Weise gelöst haben wie viele heutige Tiere: Durch Wanderungen.
Schön, spekulieren kann man viel, aber ohne eine Zeitmaschine wird man das kaum belegen können, oder?
Eine solche Zeitmaschine haben amerikanische PaläontologInnen jetzt erfunden, oder besser gesagt, gefunden. Nein, nicht so eine:
Von ADC – Eigenes Werk. First upload to de.wikipedia 20:06, 23. Mai 2006 by de:User:Andre30c, Gemeinfrei, Link
sondern so eine:
Was ihr hier seht ist ein Wassermolekül. Wasser besteht bekanntlich aus zwei Wasserstoffatomen (deswegen heißt es ja auch “Wasser”…) und einem Sauerstoffatom (was eigentlich komisch ist, weil Wasser ja gar nicht sauer ist), die chemische Formel ist bekanntlich H2O.
Nicht alle Sauerstoffatome sind aber gleich, einige sind gleicher schwerer als andere. Sauerstoff gibt es in verschiedenen Varianten, so genannten Isotopen. Die unterscheiden sich chemisch nicht, sondern nur in der Zahl der Neutronen im Atomkern. Im handelsüblichen Sauerstoff kommt auf jedes der 8 Protonen im Atomkern ein Neutron, macht insgesamt 16 Kernbausteine. Deswegen nennt man dieses Isotop auch Sauerstoff-16, oder kurz 16O.
Es gibt aber auch eine Variante mit zwei “überzähligen” Neutronen, Sauerstoff-18 oder 18O. (Die dritte Variante 17O interessiert uns hier nicht.) Diese ist, wie gesagt, chemisch identisch, nur wegen der beiden Extra-Neutronen etwas schwerer.
Einem Wassermolekül ist es ziemlich egal, ob es ein 16O oder ein 18O enthält – solange die beiden Wasserstoffatome einen Sauerstoffpartner haben, sind sie zufrieden.
Physikalisch allerdings unterscheidet sich ein Wassermolekül mit 16O von einem mit 18O, weil das mit dem 18O so etwa 10% schwerer ist. Und das macht sich manchmal bemerkbar, beispielsweise, wenn Wasser verdunstet. Die “leichtere” Wasservariante verdunstet etwas schneller. Misst man das Verhältnis der beiden Sauerstoffisotope im Wasser, kann man deshalb Rückschlüsse auf die Temperatur ziehen. Das macht man beispielsweise mit Eisbohrkernen aus arktischen Regionen, um das Klima in der Vergangenheit zu erforschen.
Eis aus dem Jura haben wir aber nicht – was sollen uns also die Isotope im Wasser nützen? Nun, wir haben zwar kein Eis, aber wir haben etwas, das fast so gut ist: Kalziumkarbonat. Kohlendioxid (CO2) kann in Wasser gelöst werden und Kalziumkarbonat CaCO3 bilden – eins der drei Sauerstoffmoleküle im Kalziumkarbonat kommt dabei aus dem Wasser.
Anhand von Kalziumkarbonat in Sedimentgesteinen aus der Morrisonformation kann man also etwas über das damalige Verhältnis der Sauerstoffisotope und damit über die dortige Temperatur herausfinden.
Aber wie hilft uns das nun bei der Saurierwanderung?
Saurier müssen – wie die meisten Tiere – auch Wasser trinken. Und die Sauerstoffatome des Wassers werden dabei in ihren Körper eingebaut, beispielsweise in die Zähne. Schaut man sich also das Verhältnis von 16O und 18O in den Saurierzähnen an, so kann man auch daraus etwas über das Klima lernen, in dem sie gelebt haben. Und wenn die Saurier in der Morrison-Formation gelebt haben, dann sollte das Verhältnis dem Verhältnis entsprechen, das wir in den Sedimenten finden.
Raffiniert, oder? Die Raffinesse geht aber noch weiter. Zähne wachsen ja recht langsam. Der Sauerstoff im Zahnschmelz spiegelt deshalb sozusagen die Geschichte des Dinosauriers wieder – in den “neueren” Bereichen des Zahns findet sich das Verhältnis, das kurz vorm Tod des Dinos aktuell war, in den älteren Bereichen des Zahns dagegen das Verhältnis, dem er einige Monate vor seinem Tod ausgesetzt war. (Anders als bei uns wachsen Saurierzähne ja immer wieder nach – jahrzehntealte Zähne wird man deshalb in einem Sauriermaul nicht finden.)
Hier eine Skizze (aus dem paper) eines Sauropodenzahns:
Links seht ihr die Krone, rechts die Wurzel. Falls ihr euch wundert, dass die Zahnkrone den ältesten Zahnschmelz enthalten soll und die Wurzel den jüngsten: Das ist bei Zähnen so. Die wachsen ausgehend von der Stelle, die später mal die Spitze des Zahns werden soll. Diese Grafik hier zeigt das sehr schön für einen menschlichen Zahn
Ihr seht, dass die Stelle, die später die Krone wird, als erste da ist, die Wurzel wird als letztes angebaut. Die weiteren Details erspare ich uns hier – wenn ihr dem Link oben folgt, könnt ihr euch über Zahnentwicklung schlaulesen.
Man muss sich also das Verhältnis der Sauerstoffisotope an unterschiedlichen Stellen des Saurierzahns angucken und kann daraus Rückschlüsse darauf ziehen, welche Wassertemperatur im Trinkwasser so etwa geherrscht hat, als er diesen Teil des Zahns aufgebaut hat.
Und das hier kommt dabei raus (für unterschiedliche Zähne desselben Dinos):
Der älteste Teil (die Krone) des Zahns ist links im Bild, jüngere Teile rechts. Man erkennt deutlich, dass das Isotopenverhältnis sich ändert – 4-5 Monate vor seinem Tod wohnte der Camarasaurus noch in der Niederung, aber in den letzten Monaten hat sich das Verhältnis deutlich verschoben, was darauf hindeutet, dass er im einige Hundert Kilometer entfernten Hochland gelebt hat. (Die entsprechenden Gesteine aus den umliegenden Gegenden wurden auch untersucht und das gemessene Verhältnis passt gut zu den Hochlandregionen.)
Auf den ersten Blick überraschend ist, dass der untersuchte Zahn in der Morrison-Formation selbst gefunden wurde. Sollte dann nicht der gerade abgelagerte Teil des Zahns das hierzu passende Isotopenverhältnis haben, die Kurve also ganz rechts wieder nach oben gehen?
Nicht notwendigerweise. Zähne wachsen ja, wie gesagt, langsam. Es gibt eine Zeitverzögerung zwischen einer Änderung des Isotopenverhältnisses in der Nahrung und deren Entsprechung im Zahn. Die kennt man für Sauropoden natürlich nicht (dafür bräuchte man dann wohl doch den Delorean), aber bei heutigen Säugetieren beträgt sie einige Wochen. Wesentlich länger kann sie auch beim Camarasaurus nicht gewesen sein – wären es Monate, dann würde diese Verzögerung das Isotopensignal vollkommen verschmieren und unkenntlich machen. Es ist also zumindest plausibel, anzunehmen, dass der untersuchte Camarasaurus wenige Wochen vor seinem Tod noch im Hochland lebte und sich dann wieder in die Flussauen aufmachte, wo er dann umkam.
Seine Zähne und ziemlich viel wissenschaftliches Geschick verraten aber nach über 140 Millionen Jahren noch, wo er herumgetrieben hat.
Fricke, H., Hencecroth, J., & Hoerner, M. (2011). Lowland-upland migration of sauropod dinosaurs during the Late Jurassic epoch Nature DOI: 10.1038/nature10570
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