Wenn es um aktuelle Wissenschaft geht, ist die Zeitschrift Nature sicher eine der ersten Adressen – viele meiner Artikel gehen auf Veröffentlichungen oder Kurzmeldungen in Nature zurück. Jede Woche veröffentlicht Nature auch eine kurze, meist humorvolle Science-Fiction-Geschichte, die ich aber üblicherweise nicht lese. Eine dieser Geschichten hat jetzt einen ziemlichen Entrüstungssturm hervorgerufen.
Es geht um Womanspace (übrigens auch ohne Nature-Bezahlzugang lesbar). Darin erzählt Ed Rybicki, wie er und einer seiner Freunde von seiner Frau zum Einkaufen geschickt wurden, dabei aber letztlich erfolglos blieben. Schließlich entwickeln die beiden die Theorie, dass Frauen nicht nur eine andere Einkaufsstrategie verfolgen als Männer (dazu gleich mehr), sondern dass sie beim Einkaufen ein Paralleluniversum betreten, in dem sie Dinge kaufen können, die Männern eben nicht zugänglich sind.
Diese stereotype Männer-Frauen-Klassifizierung an sich könnte Autor oder Editor vielleicht schon merken lassen, dass diese Geschichte eventuell nicht ganz so lustig ist. Die Stereotypen werden ganz explizit in der Geschichte adressiert:
At this point I must digress, and mention, for those who are not aware, the profound differences in strategy between Men Going Shopping and Women Going Shopping. In any general shopping situation, men hunt: that is, they go into a complex environment with a few clear objectives, achieve those, and leave. Women, on the other hand, gather: such that any mission to buy just bread and milk could turn into an extended foraging expedition that also snares a to-die-for pair of discounted shoes; a useful new mop; three sorts of new cook-in sauces; and possibly a selection of frozen fish.
An dieser Stelle muss ich kurz abschweifen und für alle, die sich darüber nicht im Klaren sind, die grundlegenden Unterschiede in der Strategie von Männern-die-einkaufen, und Frauen-die-einkaufen erklären. In jeder allgemeinen Einkaufssituation sind Männer auf der Jagd: Das heißt, sie sind in einer komplexen Umgebung mit wenigen klaren Zielen, erreichen diese, und verschwinden. Frauen dagegen sammeln: So dass jede Mission um nur Brot und Butter zu kaufen sich in eine ausgedehnte Sammelexpedition verwandeln kann, bei der auch noch ein paar unwiderstehliche und herabgesetze Schuhe, ein nützlicher Mop, drei Sorten von Saucen und eine Auswahl an gefrorenem Fisch erwischt werden.
Autsch. Kurzes nachdenken könnte eigentlich zeigen, dass dieser Unterschied nichts mit dem Geschlecht zu tun hat, sondern mit etwas ganz anderem. Mein Vater, der ein passionierter Bastler war, kam aus dem Baumarkt immer mit allem Möglichen wieder (und sagte immer “das brauche ich irgendwann” – tatsächlich kramte er dann oft Jahre später ein irgendwann mal erstandenes Teil aus einem Schrank und rettete damit so manche Handwerkerei), als teenager neigte ich dazu, im Aquariengeschäft immer mehr mitzunehmen, als ich ursprünglich geplant hatte usw. Mit dem Geschlecht hat das nicht viel zu tun, sondern einfach damit, dass man beim Einkaufen von Dingen, mit denen man sich oft beschäftigt, einfach mehr Möglichkeiten sieht.
Dem Autor aber kommt diese Idee nicht – es kann sicher nicht sein, dass seine Frau einfach die Fähigkeit zum sammelnden Einkaufen erworben hat, weil sie es eben häufig tut. Stattdessen muss ein Paralleluniversum postuliert werden, denn Frauen sind nun mal ganz anders. (Eigentlich erwähnt der Autor diese Tatsache sogar implizit, am Anfang der Geschichte schreibt er, dass er und sein Kumpel einen kleinen Abstecher planten, “to drool over new electronic goodies in Harvey Norman” [“um nach den neusten elektronischen Spielereien bei Harvey Norman zu lechzen” – kennt jemand ne wirklich gute Übersetzung für “drool over”?], aber irgendwie merkt er nicht, dass das letztlich genau dasselbe ist.)
Aber dieses ziemlich dümmliche Stereotyp ist es nicht allein. Kurz darauf liest man folgenden Satz
Have you never had the experience of talking to your significant female other as you wend your way through the complexity of a supermarket…
Hatten Sie niemals das Erlebnis, dass Sie mit ihrer weiblichen besseren Hälfte sprachen, während Sie sich durch die Komplexität eines Supermarktes manövrierten…
Wenn ihr diesen Satz vollkommen harmlos findet, dann lest ihn nochmal. Immer noch harmlos? Dann seid ihr mit ziemlicher Sicherheit männlichen Geschlechts – nur wenige weibliche Nature-Leser dürften diese Erfahrung so gemacht haben. Aber vielleicht lesen Frauen ja auch kein Nature – sie sind ja zu sehr mit Einkaufen beschäftigt.
Ist das alles nicht wieder ein bisschen überzogen? Da publiziert einer einen humorigen Artikel über Geschlechterdifferenzen, und schon regen sich wieder irgendwelche FeministInnen auf? Falls ihr so denkt, dann habe ich hier einen netten Kommentar von Paul Anderson (den ihr auch auf der Nature-Seite findet):
Finally Mr Gee, since Nature seems not to be discriminating about what fiction it publishes, I have three stories of my own you might wish to consider publishing in future issues of Nature:
– Gayspace (a hilarious tale of how gay people access parallel dimensions to look fabulous)
– Blackspace (a hilarious tale of how black people access parallel dimensions to be fast sprinters)
– Jewspace (a hilarious tale of how Jewish people access parallel dimensions to save money)
Schließlich, Mr. Gee [der verantwortliche Editor, MB], da Nature ja anscheinend keine strengen Maßstäbe an die zu veröffentlichenden Geschichten anlegt, habe ich drei eigene Geschichten, die Sie vielleicht in einer zukünftigen Nature-Ausgabe veröffentlichen wollen:
-Schwulspace (eine urkomische Geschichte darüber, wie Schwule Paralleldimensionen betreten, um toll auszusehen)
-Schwarzspace (eine urkomische Geschichte darüber, wie Schwarze Paralleldimensionen betreten, um toll schnell zu sprinten)
-Judspace (eine urkomische Geschichte darüber, wie Juden Paralleldimensionen betreten, um Geld zu sparen)
Die wäre sicher alle nicht besonders gut angekommen, oder?
In der aktuellen Ausgabe hat Nature zwei kritische Leserbriefe (hier und hier) veröffentlicht – seitdem wächst die Zahl der Kommentare zum Artikel ziemlich schnell (anscheinend bin ich nicht der einzige, der die SF-Geschichten nicht liest). Man darf gespannt sein, ob und wie Nature reagieren wird.
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