In der aktuellen Ausgabe der ZEIT gibt es ein ausführliches Interview mit Karl-Theodor zu Guttenberg. Darin geht es natürlich auch um seine mögliche Rückkehr in die deutsche Politik, aber vor allem erklärt er, wie es zu seiner Doktorarbeit voller Plagiate kommen konnte und welche Fehler er gemacht zu haben glaubt. Meines Erachtens hat er den Kern des Problems leider nicht verstanden.
Eine Kurzfassung des Interviews findet ihr übrigens hier, falls ihr gerade keine ZEIT griffbereit habt. Ich gebe hier erst einmal die für diesen Kommentar relevanten Punkte des Interviews wieder, bevor ich meinen Senf dazugebe.
Zunächst erklärt Guttenberg, wie es zu seiner seltsamen Doktorarbeit voller ungekennzeichneter Zitate kommen konnte. Für jedes der zu erstellenden Kapitel hatte er (mindestens) eine eigene Diskette und legte in den jeweiligen Dateien Textbausteine ab – selbstgeschriebene, von ihm selbst übersetzte und solche, die mit klassischem Copy-Paste direkt aus anderen Dokumenten eingefügt wurden. Die Dateien waren dann auch noch über mehrere Computer verstreut, so dass sich ein ziemliches Sammelsurium ergab, aus dem er dann am Ende seine Arbeit zusammenbaute.
Leider versäumte er es dabei, zu markieren, welche Textbausteine von ihm selbst und welche aus anderen Quellen stammten. Er sagt:
Ich war ein hektischer und unkoordinierter Sammler. Immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass etwas zu meinem Thema passt, habe ich es ausgeschnitten oder kopiert oder auf Datenträgern sofort gespeichert oder direkt übersetzt.
und an anderer Stelle, auf die Frage, was sein Fehler gewesen sei
Dass ich auf diesen Datenträgern sowohl an eigenen Texten gearbeitet als auch fremde Texte übernommen habe. Ich wollte diese Quellen später entsprechend aufarbeiten….
Ich wusste offensichtlich später auch nicht mehr, an welchem Text ich bereits selbst gearbeitet hatte, welcher Text mein eigener und welcher Text möglicherweise ein Fremdtext war.
Angesichts der stets wachsenden Überforderung verpasste er dann nach eigenen Aussage irgendwann den Moment, an dem er hätte sagen sollen “Ich schaffe es nicht”. Stattdessen fügte er die Arbeit zu einem ganzen zusammen, editierte die einzelnen Textbausteine und formte aus ihnen die Arbeit. Dazu sagt er
Insbesondere in der Endphase der Arbeit lag der Schwerpunkt nicht mehr auf der notwendigen wissenschaftlichen Sorgfalt, sondern auf Inhalt und Schlüssigkeit meiner Aussagen. Ich hätte mir die wissenschaftliche Kärrnerarbeit antun müssen.
Dass jemand anders für ihn an der Arbeit geschrieben hätte, bestreitet Guttenberg entschieden. Er habe auch nicht vorsätzlich getäuscht:
Wenn ich die Absicht gehabt hätte, zu täuschen, dann hätte ich mich niemals so plump und dumm angestellt, wie es an einigen Stellen dieser Arbeit der Fall ist.
Und später:
Es ist schon ein Unterschied, ob man eine Stelle aus einem fremden Werk komplett übernimmt und den Autor dann nirgends auftauchen lässt oder ob man den Autor tatsächlich ins Literaturverzeichnis aufnimmt und ihn, wenn auch fehlerhaft, in den Fußnoten benennt. In diesem Fall haben Sie keine Täuschungsabsicht.
Dass einzelne der von anderen übernommenen Textstellen in einzelnen Wörtern editiert wurden, diente nach seiner Darstellung auch nicht dazu, die Herkunft eines Plagiats zu verschleiern, sondern lag einfach daran, dass er eigene und fremde Texte nicht unterschied. Die Arbeit sollte als Ganzes wirken:
Ich habe eben diese fatale Schwerpunktverlagerung vorgenommen, weg vom Detail, hin zum großen Ganzen, so dass die Arbeit in ihrer Gesamtheit einfach schlüssig dasteht.
Soweit die Auszüge aus dem Interview, die den Kern hoffentlich korrekt wiedergeben. Was ist nun davon zu halten?
Natürlich kann ich nicht in Guttenbergs Kopf reingucken, aber ich sage ganz ehrlich, dass ich ihm seine Geschichte in weiten Teilen gern glaube. Wer einfach nur per Plagiat einen Titel erschleichen will, der kann das einfacher haben; vermutlich ist es nicht besonders schwer, zwei oder drei obskure nicht digitalisierte Doktorarbeiten aufzutreiben und zu einem neuen Frankenstein-Monster zusammenzunähen. Und die chaotische Arbeitsweise mit vielen Dateien und Bruchstücken mag ich auch gern glauben. Ebenso glaube ich gern, dass er seinen Fehler bereut, immer hin sagt er selbst an einer Stelle, ihm habe die Kraft gefehlt , sich einzugestehen, dass er es nicht mehr schafft.
Ich kann mit gut vorstellen, dass er zunächst bei dem einen oder anderen Abschnitt nicht mehr sicher war, ob er von ihm selbst stammt und sich dann sagte “Was soll’s” weil er die Mühe scheute, die Stelle zu suchen (oder sich sagte, er würde das in der Endphase tun), und dass er auf diese Weise immer tiefer in die Angelegenheit hineinrutschte, ohne dass es jemals einen Moment gab, an dem er merkte, dass er mehr plagiiert als zu schreiben.
Gerade bei der Einleitung wäre es doch wenig sinnvoll, Sätze wie (zitiert aus GuttenPlagWiki) diesen hier zu plagiieren:
Wie auch in anderen Politikfeldern, kann die Beschäftigung mit der Vergangenheit dazu beitragen, die Risiken und Chancen bestimmter politischer Maßnahmen realitätsgerechter zu beurteilen, Fehlperzeptionen zu erkennen und somit die verantwortlichen Akteure in die Lage zu versetzen, angemessen auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Was soll das bringen? So einen Satz hat jemand von der Wortgewandtheit eines Guttenbergs doch vermutlich ebenso schnell selbst geschrieben wie rüberkopiert. Das macht für mich seine Darstellung sehr plausibel: Irgendwo gab es ein paar Dateien zur Einleitung, in denen sich Versatzstücke wie dieses befanden, und die hat er dann zu einem ganzen zusammengefügt.
Es sind aber natürlich nicht nur solche simplen Satzbausteine, die übernommen wurden, sondern auch längere Abschnitte, die auch inhaltliche Wertungen enthalten, wie zum Beispiel Seite 381-382 – nicht das jemand denkt, ich hätte da irgendwas missverstanden. (Und ganz ehrlich, der Stil auf der Seite eignet sich zwar für einen Zeitungsartikel, aber in einer wissenschaftlichen Arbeit scheint er mir etwas fehl am Platz. Ich zitiere den Abschnitt jetzt hier nicht, da geht’s um Religion und dann zoffen sich alle in den Kommentaren nur darüber.)
Als Koautor eines Werkstoffkundebuchs kann ich beim Reingucken in das Buch bei einigen Passagen heute auch nicht mehr sagen, ob sie von mir sind oder von meinen Koautoren. (Wobei hier allerdings hinzukommt, dass jeder der drei Beteiligten alles gelesen und editiert hat, so dass sich der Stil stark angenähert hat, meine ganz persönlichen Stilelemente habe ich aus genau diesem Grunde auch eher wenig benutzt.) Aber bei einem bin ich mir sehr sicher: Auch in 20 Jahren werde ich nicht plötzlich glauben, dass ich das ganze Buch allein geschrieben habe.
Dass Guttenberg sich selbst erfolgreich eingeredet hat, alle nicht gekennzeichneten Passagen seien von ihm, selbst solche wertenden, wie die oben angeführte, halte ich deshalb für ein bisschen zweifelhaft. Sicherlich mag er beim Schreiben und Zusammenfügen bei einzelnen Stellen nicht mehr durchgeblickt haben, aber dass er sich auch in der Summe der ganzen Arbeit nicht klar war, dass sie voller Textpassagen ist, die nicht von ihm stammen, das kann ich mir nicht wirklich vorstellen, dazu gehört auf jeden Fall eine gewisse Vogel-Strauß-Politik. Nachdem er sich viele Male gesagt hatte “Quellen muss ich später einbauen und Zitate richtig kennzeichnen” dies dann einfach weitgehend zu unterlassen, dazu gehört wohl schon ein gewisser Vorsatz, der mit “Schwerpunktsverlagerung” nicht so ganz richtig beschrieben ist. Es scheint mir eher, als hätte er das nicht korrekte Kennzeichnen von Zitaten auch als “nicht so schlimm” empfunden, solange eben das Gesamtbild stimmt.
Und das führt mich zum zweiten und meiner Ansicht nach schwerwiegenderen Aspekt – und der ist auch der Grund für den Titel dieses Posts. Es sind diese beiden Sätze, in denen etwas deutlich wird, was auch an anderen Stellen des Interviews immer wieder durchscheint:
Ich hätte mir die wissenschaftliche Kärrnerarbeit antun müssen.
Die Wortwahl erinnert (jedenfalls mich, ob Guttenberg daran dachte, weiß ich nicht) an das Schillerzitat: “Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu tun.” (Falls es jemand nicht weiß: Ein Kärrner ist jemand, der einen Karren zieht, das Wort Kärrnerarbeit wird auch generell für harte aber wenig anspruchsvolle Arbeit verwendet.)
Ich habe eben diese fatale Schwerpunktverlagerung vorgenommen, weg vom Detail, hin zum großen Ganzen, so dass die Arbeit in ihrer Gesamtheit einfach schlüssig dasteht.
Guttenberg schwebte ein “großer Wurf” vor, ein ein sich stimmiges und umfangreiches Werk, dass den Leser wirklich beeindruckt (ist ihm ja angesichts der Note, die er bekam, auch gelungen), er wollte wohl eher der König sein als der Kärrner. Auch jetzt noch scheint er der Meinung zu sein, dass das der Kern einer (oder seiner) Dissertation sein sollte – das Zusammentragen der Zitate und Quellen ist eben nur “Kärrnerarbeit”, eigentlich hätte man sie machen sollen, aber das Gesamtergebnis kommt letztlich auch ohne das aus.
Und diese Einstellung verkennt, wie Wissenschaft funktioniert (und das ist der Grund, warum ich hier schreibe – meist halte ich mich von solchen Themen ja fern und schreibe lieber über Feldtheorien und so Zeugs). Wenn ein Schreinergeselle bei der Meisterprüfung einen fantastisch aussehenden Schrank vorführt, der ihm sofort die Bestnote einträgt, der aber nach zwei Wochen auseinanderfällt, weil der gute Geselle aus Zeitnot weder Schrauben noch Nägel, sondern nur ein bisschen Holzleim verwendet hat, dann würden wir den Satz “Ja, ich hätte mit die Kärrnerarbeit des Schrauben Eindrehens antun müssen” auch nicht als Entschuldigung gelten lassen, sondern ihm sagen, dass er offensichtlich nicht verstanden hat, was es bedeutet, einen Schrank zu bauen.
Auch das Schillerzitat gibt das eigentlich wieder – wenn die “Kärrnerarbeit” nicht geleistet wird, dann wird das Bauwerk des Königs auch nicht entstehen, so wenig eindrucksvoll die Arbeit des Kärrners auch ist, ohne ihn gibt es keine Steine und ohne Steine kein Bauwerk, sondern nur ein Luftschloss.
Wissenschaftliche Arbeiten bestehen nicht nur darin, ein schlüssiges Argument vorzutragen (ich schreibe jetzt als Naturwissenschaftler mit nur ein paar Semestern Philosophie im Hintergrund, aber ich denke, das, was ich hier schreibe, gilt auch und gerade in Geisteswissenschaften). Genau so wichtig ist es zu zeigen, wie man zu einer Schlussfolgerung kommt. Und dazu ist es eben auch notwendig zu erklären, welcher Gedanke aus welcher Quelle stammt, damit man nämlich jeweils nachvollziehen kann, wie wiederum dieser Gedanke begründet wurde. Wer nur das Endergebnis eines schlüssigen Gedankengebäudes abliefert, aber nicht sagt, wie und auf welcher Basis es zu Stande kam, der leistet der Wissenschaft keinen guten Dienst.
Gerade in den Geisteswissenschaften, in denen Meinungen ja – zu Recht – eine wichtigere Rolle spielen als in den Naturwissenschaften, ist es doch unerlässlich, jeden von anderen übernommenen Gedanken eindeutig als solchen zu kennzeichnen, damit nachvollzogen werden kann, was woher kommt. Wer das als “Kärrnerarbeit” bezeichnet, und meint, er könne dies auch weglassen und trotzdem ein “schlüssiges Ganzes” abliefern, der hat anscheinend etwas Fundamentales nicht verstanden. Die Arbeit hätte ja – bei korrekten Quellenangaben und Zitatkennzeichnungen – mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nicht so ausgesehen wie jetzt, nur mit ein paar Einrückungen für die Zitate und einem Haufen Fußnoten mehr, sondern es hätte eine völlig andere Arbeit sein müssen, weil er von anderen übernommene Stellen ja hätte bewerten und in seine eigenen Gedankengänge einbauen müssen.
Für Doktorarbeiten gilt dies natürlich noch in einer anderen Hinsicht: Schließlich soll die Arbeit benotet werden. Und da ist es logischerweise wichtig, dass die Gutachter genau wissen, welcher Gedanke vom Promovierenden selbst stammt und welcher von ihm aus Quellen entnommen wurde. Selbst in der Physik habe ich – vor allem bei Disputationen (dem Vortrag zur Doktorarbeit) – oft die Kritik gehört, der Promovierende habe nicht deutlich gemacht, was genau denn nun seine eigene Arbeit ist und welche Ergebnisse schon vorher da waren. Im Ingenieurbereich gibt es für diese Trennung immer ein eigenes Kapitel, das den “Stand der Technik” wiedergibt, so dass die Gutachter die Eigenleistung einordnen können.
Guttenberg hielt aber dies anscheinend auch nicht für notwendig und im aktuellen Interview habe ich nicht sehen können, dass er über diesen Punkt ernsthaft nachgedacht hätte.
Er streitet vehement ab, dass die Arbeit ein Plagiat ist, was gerade bei den Einleitungsabschnitten meiner Ansicht nach schwer aufrecht zu erhalten ist – obwohl ich ihm glauben mag, dass er nicht wirklich vorsätzlich und immer bewusst plagiiert hat. Guttenberg nennt das Nicht-Angeben der Quellen einen “schrecklichen Fehler”. Ich habe aber Zweifel, ob er tatsächlich erkennt, worin der Fehler besteht. Mein Eindruck ist, dass er zwar erkennt, dass er sich sozusagen dem “Ritual” des korrekten Zitierens hätte unterziehen müssen, aber nicht, dass das korrekte Zitieren einen Kern der wissenschaftlichen Arbeitsweise ausmacht – nicht, “weil man das so macht”, sondern, weil nur dadurch eine Arbeit überhaupt erst wissenschaftlich wird.
Abschließend möchte ich noch eins festhalten: Ich bin kein Jurist, kein Experte für juristische Doktorarbeiten, und gebe hier meine persönliche Einschätzung wider – ohne Anspruch darauf, dass sie wirklich korrekt ist und dass ich die Gedanken Guttenbergs wirklich richtig eingeschätzt habe. Was ihr hier liest ist ein Kommentar, nicht mehr.
Kommentare (89)