“Nichts bewegt sich schneller als das Licht.” So wird eine der Kernaussagen der Relativitätstheorie oft wiedergegeben. Ganz richtig ist das aber nicht – und um das zu zeigen, gibt es heute überlichtschnelle Scheren, Lichtpunkte und astronomische Objekte.
Dabei geht es heute mal nicht um die – möglicherweise – überlichtschnellen Neutrinos oder um den überlichtschnellen Kollaps der Wellenfunktion in der Quantenmechanik, sondern um Phänomene, die man zumindest theoretisch mit den handelsüblichen Mitteln der klassischen Physik beobachten kann.
Lichtkegel
Fangen wir ganz einfach an: Wir knipsen eine Glühlampe (oder eine Energiesparlampe, wenn ihr denn umweltbewusst seid) an und dann gleich wieder aus. In alle Richtungen wird Licht ausgesandt, die “Lichtfront” bildet also eine Kugel. Der Radius der Kugel wächst, weil sich das Licht ja von der Lampe entfernt. Wie schnell wächst er? Offensichtlich mit Lichtgeschwindigkeit, denn das Licht fliegt mit Lichtgeschwindigkeit von der Glühlampe weg.
Wenn wir jetzt zwei einander gegenüberliegende Punkte der “Lichtkugel” beobachten, dann trennt diese nicht der Radius, sondern der Durchmesser der Lichtkugel. Es sieht für uns also so aus, als würden sich die beiden Punkte mit doppelter Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen.
Über dieses Phänomen hat schon Einstein nachgedacht und die sich kugelförmig ausbreitenden Lichtfronten sind für viele Gedankenexperimente in der Relativitätstheorie (wie üblich hier mit SRT=spezielle Relativitätstheorie abgekürzt) zentral.
Weil man sich die vierdimensionale Raumzeit ja immer etwas schwer vorstellen kann, veranschaulichen sich Physiker vieles gern mit einer Dimension weniger, also mit nur zwei Raumdimensionen. Dann bildet die Lichtfront einen Kreis, der sich ausdehnt. Tragen wir die Zeit in der vertikalen Richtung auf, so bildet sich ein Kegel, der sogenannte Lichtkegel. (Und der heißt auch in drei Raumdimensionen noch so, auch wenn er natürlich eigentlich ein Hyperkegel wäre.) So sieht der Lichtkegel aus (Bild gemeinfrei, modifiziert von Wikipedia)
Dieser Lichtkegel ist – gerade beim Übergang zur Allgemeinen RT – ein ziemlich zentrales Objekt. Solange wir davon ausgehen, dass nichts sich schneller als das Licht bewegen kann, heißt das, dass alles, was an der Spitze unseres Lichtkegels startet, den Kegel nicht verlassen kann. Mit Hilfe des Lichtkegels kann man deshalb schnell herausfinden, welche Ereignisse sich gegenseitig beeinflussen können: Nur solche bei denen das eine innerhalb des Lichtkegels des anderen liegt.
Wie war das jetzt mit der doppelten Lichtgeschwindigkeit? Wir sehen doch, dass der Lichtkegel (also der Durchmesser unserer Lichtkugel) mit 2c wächst (c ist wie immer die Lichtgeschwindigkeit). Also entfernt sich doch die eine Lichtfront von der anderen mit dieser Geschwindigkeit? Und das widerspricht doch der SRT?
Nein, tut es nicht. Das wusste schon Einstein und viele seiner Gedankenexperimente beruhen letztlich genau darauf: Da gibt es sehr häufig Züge, bei denen in der Mitte eine Lampe angezündet wird und dann überlegt wird, wann das Licht die Spitze und das Ende des Zugs erreicht.
Der SRT würde es nur dann widersprechen, wenn sich die eine Lichtfront von der anderen aus gesehen mit Überlichtgeschwindigkeit entfernen würde, aber das tut sie nicht. Hier kommt die seltsame Vermischung von Raum und Zeit ins Spiel, die ich neulich erklärt habe. Sie sorgt dafür, dass die eine Lichtfront sich von der anderen aus gesehen auch nur genau mit Lichtgeschwindigkeit entfernt.
Betrachtet man nämlich unseren Lichtkegel aus der Perspektive eines Beobachters, der sich relativ zu uns bewegt, dann sieht dieser auch einen Lichtkegel – obwohl man eigentlich denken sollte, der Kegel wäre verzerrt, weil der Beobachter ja der einen Lichtfront hinterherläuft und sich von der anderen entfernt. Das ist aber nicht so – Zeitdilatation und Längenkontraktion sorgen dafür, dass ein Lichtkegel für alle ein Lichtkegel ist. Wie das genau geht, wäre dann wieder einen eigenen Text wert, heute wollen wir Überlichtgeschwindigkeiten.
Der tanzende Laser
Aber ihr wollt richtige Überlichtgeschwindigkeit sehen, oder? Ihr wollt sehen, wie irgendetwas einen Lichtstrahl überholt, stimmt’s? Das habe ich im Titel ja versprochen.
Auch das ist einfach. Denkt euch, ihr würdet im Weltall schweben (damit wir keinen Ärger mit der allgemeinen RT und so Dingen wie Schwerkraft bekommen). In 300000 Kilometern Entfernung vor euch schwebt ein gigantisches Stück Papier, ebenfalls mit einer Länge von 300000 Kilometern.
Ihr nehmt einen superstarken Laserpointer und richtet ihn auf die linke Kante des Papiers. Dann schwenkt ihr die Hand herum, bis der Laserpointer auf die rechte Kante zeigt. (Es dauert natürlich etwas mehr als zwei Sekunden, bis ihr das tatsächlich seht, weil das Licht ja erstmal zum Papier hin und dann von dort wieder zurück muss.) Der Lichtfleck auf dem Papier saust über die Papieroberfläche – wenn ihr eure Hand in weniger als einer Sekunde dreht, dann saust er in weniger als einer Sekunde über das Papier, also mit Überlichtgeschwindigkeit:
Hier könnt ihr jetzt Überlichtgeschwindigkeit “sehen”: Ihr seht ja, wie der Lichtfleck in weniger als einer halben Sekunde über das Papier rast (es dauert natürlich, bis das Licht wieder zu euch zurückkommt), und auch jemand, der auf dem Papier sitzt könnte den Lichtfleck mit Überlichtgeschwindigkeit an sich vorbeirasen sehen.
Auch das verletzt die SRT nicht – denn der Lichtfleck überträgt kein Signal vom einen Ende des Papiers zum anderen. Stellt euch vor, ihr sitzt an der linken Papierkante und wollt jemandem an der rechten Kante ein Signal schicken – es gibt nichts, was ihr mit “eurem” Lichtfleck machen könnt, das den Fleck am anderen Papierende beeinflusst. Ist ja eigentlich auch klar – der “Lichtfleck” ist ja kein echtes physikalisches Objekt – er besteht ja immer aus anderen Photonen.
Mit dieser Idee könnt ihr übrigens – zumindest im Prinzip – eine Versuchsanordnung bauen, die zeigt, dass der Lichtpunkt sich tatsächlich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegt (wenn euch das Hingucken nicht gut genug ist). Das ist ziemlich einfach und ich erwähne es hier nur, weil bei Diskussionen über die SRT in den Kommentaren gelegentlich behauptet wurde, man könne so etwas gar nicht messen. Wenn euch die Details nicht interessieren, könnt ihr direkt zur überlichtschnellen Schere springen.
Also: Ihr nehmt einen halbdurchlässigen Silberspiegel, also einen, der die Hälfte des einfallenden Lichts durchlässt und die Hälfte reflektiert. Der Silberspiegel sollte möglichst groß sein – vielleicht so 300000 km, dann braucht ein Lichtsignal genau eine Sekunde von einem Ende zum anderen. Unter den Spiegel packt ihr so viele Fotozellen, wie ihr euch leisten könnt, damit könnt ihr den Lichtpunkt verfolgen.
Am einen Ende des Spiegels haben wir einen weiteren kleinen Spiegel, der einen auftreffenden Lichtstrahl genau parallel zur Spiegelfläche ablenkt. Und dann stellt ihr euch mit einem superstarken Laser in 300000 Kilometer Entfernung von der Spiegelmitte auf und schwenkt den Laserpunkt einmal von einem Ende des Spiegels zum anderen, indem ihr die Hand bewegt – sagen wir, in einer halben Sekunde. Dann saust der Lichtpunkt mit doppelter Lichtgeschwindigkeit über die Spiegeloberfläche. (Das ist nicht ganz exakt, weil der Lichtweg zu den Rändern des Spiegels etwas länger ist, aber diese Komplikation könnt ihr getrost ignorieren – ihr könnt den Spiegel ja auch kleiner machen, dann müsst ihr nur genauer messen.)
Wenn euer Lichtstrahl auf den Silberspiegel auftrifft, wird er zunächst an einem Ende umgelenkt, denn dort steht ja der kleine Spiegel. Jetzt beginnt das Wettrennen – wer ist schneller am anderen Ende des Spiegels: Euer aktueller Laserpunkt oder der gerade umgelenkte Strahl? Während ihr den Laser schwenkt, messen die Fotozellen unter dem Spiegel die ganze Zeit den Laserpunkt – den reflektierten Teil des Strahls könnt ihr – das habe ich im Bild aber nicht eingezeichnet – auch noch mit Fotozellen verfolgen. Damit können wir sicherstellen, dass der Punkt tatsächlich die ganze Zeit über den Spiegel saust und nichts merkwürdiges tut.
Nach einer halben Sekunde schlagen dann die Fotozellen am Ende des Spiegels an – euer Lichtpunkt ist angekommen. Eine weitere Fotozelle, die den umgelenkten Lichtstrahl misst, reagiert dagegen erst eine halbe Sekunde später. Da ihr wisst, dass dieser Lichtstrahl von eurem Laserpointer stammt, habt ihr damit die Überlichtgeschwindigkeit klar gezeigt. (Und wer sich jetzt Sorgen macht, ob vielleicht die Raumkrümmung oder eine Verformung des Spiegels oder sonst irgendwas Ärger macht, der kann zum Beispiel weitere Lichtstrahlen nehmen um sicherzustellen, dass der Spiegel die ganze Zeit gerade bleibt usw.)
Fazit: Überlichtgeschwindigkeit kann man tatsächlich messen, und das alles im Einklang mit der SRT.
Die überlichtschnelle Schere
O.k., aber so ein Lichtpunkt ist ja nichts “echtes”. Können wir einen echten Effekt mit Überlichtgeschwindigkeit bekommen? Ja, wir können zum Beispiel unser Riesensegel in einer halben Sekunde von einem Ende zum anderen durchschneiden.
Die einfachste Möglichkeit hierfür ist es natürlich, einfach den Laser stark genug zu machen, aber wir benutzen lieber eine Schere – in diesem Fall eine Riesenschere.
Die besteht aus zwei Klingen, die in einem spitzen Winkel angeordnet sind. Eine Klinge lassen wir ortsfest (relativ zu dem, was wir zerschneiden wollen), die andere bewegen wir, beispielsweise mit halber Lichtgeschwindigkeit. Wenn wir das tun, bewegt sich der Schnittpunkt der beiden mit Überlichtgeschwindigkeit, wenn der Scherenwinkel nur klein genug ist. Diese kleine Animation veranschaulicht das:
Der Schnittpunkt legt eine wesentlich größere Strecke zurück als die Klinge. Damit können wir also zum Beispiel unseren Riesenspiegel zerschneiden, und zwar “überlichtschnell”.
Aber Moment mal – haben wir da nicht ein Problem? Nehmen wir an, ich sitze an einem Ende des zu zerschneidenden Spiegels und will euch am anderen Ende ein überlichtschnelles Signal schicken. Muss ich nicht einfach nur einen hinreichend stabilen Stift zwischen die Scherenblätter halten, den die nicht zertrennen können? Dann würde sich die Schere ja nicht schließen, das würdet ihr schon nach einer halben Sekunde merken, und wir haben die SRT verletzt.
Das wäre natürlich ziemlich ärgerlich für uns Physiker – da haben wir über Hundert Jahre mit der SRT gearbeitet, und jetzt blockiert einer ne Schere und unsere Theorie ist im Eimer?
Nein, ist sie nicht. Warum nicht?
Prüfen wir noch einmal die Annahmen, die in dem Scheren-Blockier-Experiment stecken: Wenn der Schnittpunkt nach oben wandert, dann sind ja unterschiedliche Stellen auf der Klinge gerade am Schneiden. Die Klingen schneiden deshalb, weil sich die eine im Bild von links nach rechts bewegt.
Wenn wir die Schere mit dem Stift blockieren, dann kann der Schnittpunkt der beiden Klingen nicht mehr weiter nach oben wandern, weil die Klingen ja blockiert sind, so das Argument. Aber es sind ja unterschiedliche Stellen der Klinge, die jeweils gerade schneiden. Damit eine Stelle oberhalb des blockierten Stifts “merkt”, dass die Klinge weiter unten blockiert wurde, muss eine Kraft durch das Material übertragen werden. Klarer wird das vielleicht, wenn man sich die Atome1 vorstellt, aus denen die Klinge besteht: Die fliegen am Anfang alle nach rechts. Ein Atom wird jetzt blockiert.
1Man muss nicht mit Atomen argumentieren – das Argument funktioniert auch mit den Mitteln der Kontinuumsmechanik, wo man annimmt, dass Materie kontinuierlich ist. Mit Atomen ist es aber meiner Ansicht nach etwas leichter einzusehen.
Damit das Atom oberhalb des Blockierten etwas von der Blockade “merkt”, muss vom unteren blockierten Atom eine Kraft übertragen werden. Und das wiederum geht nicht beliebig schnell, sondern nur mit Lichtgeschwindigkeit.
Die Atome oberhalb des Schnittpunktes werden sich also weiter bewegen. Dabei verbiegt sich dann die Klinge, aber um das Verbiegen zu bemerken, braucht ihr wieder ein Signal, und das geht wieder nur mit Lichtgeschwindigkeit.
Unsere überlichtschnelle Signalübertragung mit der blockierten Schere klappt also nicht – aber wir können eine interessante Folgerung daraus ableiten: Die SRT verbietet die Existenz von unendlich starren Materialien, die durch keine Kraft der Welt verformbar sind. (Das kann man natürlich auch einfacher sehen: Stellt euch eine Stange aus einem perfekt starren Material vor und haut mit dem Hammer auf ein Ende. Wenn das Material perfekt starr wäre, dann würde sich das andere Ende der Stange sofort verschieben – das passiert aber nicht, weil sich die Störung in der Stange nur mit Schallgeschwindigkeit ausbreitet.)
Nach all den vielen Gedankenexperimenten wäre es aber schick, auch mal “echte” Überlichtgeschwindigkeit zu beobachten, oder? Das geht – und gehört in der Astronomie inzwischen zum Alltag.
Quasare
Scheinbare Überlichtgeschwindigkeit kann man beobachten, wenn sich ein astronomisches Objekt – wie ein Quasar oder eine Supernova – mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu bewegt und dabei Material ausstößt. Florian hat vor einiger Zeit ein Beispiel hierfür ausführlich beschrieben. Deswegen ignoriere ich hier die astronomischen Details und erkläre nur, wie es prinzipiell funktioniert.
Stellt euch also vor, ein Quasar stößteinen Jet (also irgendwelches Material oder auch Licht, dass dann reflektiert wird) aus. Wählen wir die Geschwindigkeiten so, dass der Jet von uns aus gesehen genau unter 45° verläuft (Wikipedia rechnet es ausführlich für den allgemeinen Fall vor):
(Bild ist natürlich absolut nicht maßstabsgetreu.)
Wenn wir von der Erde aus gucken, dann dauert es eine Zeit, bis das Licht vom Quasar bei uns ankommt – sagen wir, es dauert 1 Jahr. Nehmen wir an, zu einer bestimmten Zeit erreicht uns der erste Lichtstrahl des Jets, der jetzt also noch ganz dicht am Quasar dran ist.
Eine Sekunde später hat sich der Jet ein Stück vom Quasar entfernt. Das Licht braucht jetzt aber weniger lange, um uns zu erreichen. Wenn der Jet zum Beispiel mit nahezu Lichtgeschwindigkeit (sagen wir 99,99%) dahinrast, dann braucht das Licht 0.7 Sekunden weniger (weil der Anteil der Geschwindigkeit in unsere Richtung 70% des Gesamtwertes ist, also 70% der Lichtgeschwindigkeit). Gleichzeitig entfernt sich der Jet in der Querrichtung um 0.7 Lichtsekunden vom Quasar (weil die Geschwindigkeitskomponente in der Richtung ebenfalls 70%c ist).
Von uns aus sieht es also so aus, als würde zu einem bestimmten Zeitpunkt der Jet entstehen. 0.3 Sekunden (weil das Licht 0.7 Sekunden früher eintrifft) später sehen wir, was der Jet nach einer Sekunde tut – da ist er aber schon 0.7 Lichtsekunden in Querrichtung unterwegs. Für uns sieht es also so aus, als würde er in 0.3 Sekunden eine Strecke von 0.7 Lichtsekunden zurücklegen, sich also mit mehr als doppelter Lichtgeschwindigkeit bewegen.
Solche scheinbare Überlichtgeschwindigkeit ist in der Astronomie inzwischen gang und gäbe und wird häufig beobachtet. Auch Gravitationslinsen, die ja quasi als Lupen wirken, können eine scheinbar überlichtschnelle Bewegung eines Objekts erzeugen.
Ihr seht also: Es gibt viele Möglichkeiten, “überlichtschnelle” Phänomene zu bekommen, die der Relativitätstheorie nicht widersprechen. Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn ein Signal überlichtschnell übertragen wird, wenn es mir also gelingt, echte Information überlichtschnell von einem Punkt zum anderen zu bringen. Abgesehen von den aktuellen überlichtschnellen Neutrinos gibt es allerdings bisher keine Hinweise, dass so etwas möglich ist.
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