In der frühen Kreidezeit lebten in China zahlreiche vogelartige Dinosaurier. Ein besonders spektakulärer war Microraptor gui, der “Doppeldeckersaurier”. Ein neuer phantastischer Fossilfund zeigt jetzt, dass er sich auch von Vögeln ernährte.
Microraptor war ein sehr kleiner Dinosaurier – die Art Microraptor zhaoianus war inklusive Schwanz weniger als 50 Zentimeter lang. Microraptor gui, um den es hier geht, war etwas größer. Vor allem aber zeichnete er sich durch seine Flugfedern aus, die nicht nur an den Armen saßen, wie man das von heutigen Vögeln kennt, sondern auch an den Beinen. (Tatsächlich ist es sogar durchaus möglich, dass dies bei den ersten Vögeln weiter verbreitet war, als man denkt. Auch der berühmte Urvogel Archaeopteryx hatte vergleichsweise lange Beinfedern, die leider beim Präparieren der Beine zerstört wurden.)
Hier ein Bild von Microraptor (wie üblich bei Wikipedia geklaut):
Von Matt Martyniuk – Eigenes Werk, CC BY 3.0, Link
Mit den Flugfedern an den Hinterbeinen konnte Microraptor gui eventuell mit zwei Flügelpaaren fliegen oder gleiten – die Details sind umstritten, weil nicht so klar ist, wie genau die Federn an den Hinterbeinen gesessen haben – erste Rekonstruktionen, die den Microraptor mit seitlich abgespreizten Hinterbeinen zeigten, sind mit ziemlicher Sicherheit falsch, weil er sich dazu die Oberschenkel hätte auskugeln müssen, was im täglichen Gebrauch vermutlich evolutionär nachteilig gewesen wäre. Saßen die Federn allerdings seitlich an den Beinen, dann hätte ein Zurückklappen der Beine ausgereicht, um eine Tragfläche zu bilden. Auf jeden Fall verdankt der Microraptor diesen “Extraflügeln” den Beinamen “Doppeldecker-Dino”.
Das neue Fossil beleuchtet einen anderen Aspekt des Microraptor: Seine Ernährung. Das Fossil selbst ist ein ziemlich gut erhaltenes Skelett, allerdings mit wenig Spuren von Federn – Federn bleiben eben nur selten fossil erhalten:
Aus: O’Connor et al., s.u.
Ihr erkennt die langen Arme, die schon ziemlich vogelähnlich sind, und den großen Kopf, bei dem sogar ein Zungenbeinknochen (hy=hyoid) erhalten ist. Ebenfalls eingezeichnet sind die schwachen Abdrücke der äußeren Federn oder Protofedern (int=integument) – so genau kann man das hier nicht erkennen; im Englischen hat sich dafür der schöne Name “Dinofuzz” eingebürgert. 1
1Beim Googeln nach “Dinofuzz” schaltet ihr besser alle Eure Ironiemeter aus – man findet ziemlich weit oben einen Link auf eine Seite mit dem Titel “Have scientists finally found Dinofuzz” – vom “Institute for Creation Research”, das auf seiner homepage das schöne Motto “Biblical-Accurate-Certain” (Biblisch – genau – sicher) trägt.
In dunkelblau seht ihr in der Skizze die Knochen eingezeichnet, die das Fossil so besonders machen. Hier eine größere Darstellung:
Diese Knochen sind Arm- und Beinknochen (uln=Elle, rad=Speicher, hum=Oberarm, tmt=tarsumetatarsus, der lange Fußknochen von Vögeln). Obwohl man als Laie nicht so wahnsinnig viel erkennt, reichen diese Knochen (insbesondere die des Fußes) doch aus, um das Tier, dem sie mal gehörten, grob zu identifizieren. Sie gehörten zu einem Enanthornithen.
Enanthiornithen sind eine Gruppe von Vögeln aus der Kreidezeit, die uns heute – vor allem, weil sie noch Zähne besaßen – sehr urtümlich vorkommen. Man hat sie erst in den Achtziger Jahren entdeckt und ihnen ihren Namen (Enanthiornithes bedeutet “Gegenvögel”) gegeben, weil sie sich von allen anderen Vögeln in vieler Hinsicht und vor allem durch ihr Schultergelenk unterscheiden und sozusagen einen “Gegenentwurf” zum Bauplan “gewöhnlicher” Vögel darstellen. Auch in anderer Hinsicht unterschieden sie sich von heutigen Vögeln – sie wuchsen nach dem Schlüpfen zunächst sehr schnell, dann aber vermutlich über längere Zeit langsam, während heutige Vögel ihre Endkörpergröße insgesamt schnell erreichten. Auch ob sie einen so schnellen Stoffwechsel hatten wie heutige Vögel ist umstritten. Die Gegenvögel waren in der Kreidezeit ziemlich häufig, starben aber mit den (Nicht-Vogel-)Dinosauriern aus.
Das Fossil des Microraptor zeigt, dass er den Enantiornithen gefressen hat – was schon mal interessant ist, denn über die Speisepläne von Dinos kann man oft nur sehr indirekt über ihre Zähne Rückschlüsse ziehen. Die Knochen weisen keine Bissspuren auf, so dass der Gegenvogel vermutlich als Ganzes verschlungen wurde. Dafür spricht auch, dass die Knochen im Magen des Microraptor so orientiert sind, dass die Füße nach vorn zeigen – auch heutige Raubtiere, die Vögel als Ganzes verschlucken, tun dies mit dem Kopf voran. Man kann daraus – aber jetzt wird es spekulativ – auch schließen, dass der Microraptor den Vogel nicht als Aas gefressen hat, denn Kadaver zerfallen ja ziemlich schnell nach dem Tod.
Gegenvögel lebten auf Bäumen. Die Autoren der Arbeit ziehen nun den Schluss, dass auch der Microraptor auf Bäumen lebte und dort Vögel jagte. Das ist deswegen interessant, weil der Microraptor ja eng mit den Vorfahren der Vögel verwandt ist – wenn Raubsaurier wie er auf Bäumen lebten, dann taten das die Vogelvorfahren vermutlich auch. Das wiederum würde dafür sprechen, dass sich die Vögel aus Baumbewohnern entwickelt haben. (Der Streit darüber, ob Vögel ihre Flugfähigkeit als Baumbewohner oder Laufsaurier entwickelt haben, tobt seit langem unter den Paläontologen – in meinen Augen oft mit unnötigem Schwarz-Weiß-Denken, so als wären auch heutige Tiere entweder immer oder nie auf Bäumen zu finden.) So stellen sich die Autoren den baumjagenden Microraptor vor:
Diese Schlussfolgerung geht aber wohl doch etwas zu weit – auch Katzen fressen Vögel, sind aber trotzdem keine Baumbewohner. Ein Tier, das – gelegentlich – Vögel frisst, kann trotzdem ein Bodenbewohner sein. Immerhin können wir annehmen – wenn der Microraptor den Vogel tatsächlich gefangen hat – die Microraptoren agile und geschickte Jäger waren, die auch vor schneller Beute wie Vögeln nicht Halt machten. Man darf gespannt sein, was zukünftige Fossilfunde noch über ihre Lebensgewohnheiten an den Tag bringen.
O’Connor, J., Zhou, Z., & Xu, X. (2011). Additional specimen of Microraptor provides unique evidence of dinosaurs preying on birds Proceedings of the National Academy of Sciences, 108 (49), 19662-19665 DOI: 10.1073/pnas.1117727108
Kommentare (20)