Die Physik des Higgs-Teilchens ist ziemlich verrückt: Es bremst andere Teilchen, so dass sie eine Massebekommen, das Vakuum ist voller Teilchen, einige Teilchen werden von anderen gefressen, ach ja, Tachyonen spielen auch noch eine Rolle dabei.
Im ersten Teil haben wir gesehen, dass das Higgsteilchen den Materieteilchen ihre Masse verleiht. Dazu muss aber das ganze Vakuum mit dem Higgsfeld angefüllt sein. Wie das geht? Das – und noch einiges mehr – schauen wir uns jetzt an.
Das Higgs-Vakuum
“Vakuum ist, wenn da gar nichts ist, und wenn man ne Maus reintut, sie trotzdem drin krepiert.” So eine Definition, die ich irgendwann vor ewigen Zeiten mal im Fernsehen gehört habe. Wenn wir alles weggeräumt haben, was sich wegräumen lässt, dann bleibt Vakuum übrig.
Vakuum ist aber nicht leer – dank der seltsamen Quanteneffekte passieren im Vakuum ständig irgendwelche Dinge, es bilden sich für Bruchteile von Sekunden beispielsweise Teilchen-Antiteilchen-Paare. Im Vakuum steckt immer auch eine gewisse Energie, oft als Nullpunktsenergie bezeichnet – die kann man allerdings dem Vakuum nicht entziehen, auch wenn euch windige Pseudowissenschaftler etwas anderes erzählen wollen, das klappt nur in der Science Fiction.
Damit wir überall ein Higgs-Feld haben, muss das Vakuum also mit diesem Feld angefüllt sein – wir denken, dass es Vakuum ist, aber in Wahrheit ist noch jede Menge Higgs drin. Aber wo soll die Energie für das Higgs-Feld herkommen?
Auch dafür haben sich die Physiker etwas einfallen lassen: Das Higgs-Feld hat eine höhere Energie, wenn es gleich Null ist. Das häufig hierzu gezeigte Bild sieht so aus:
By Gonis from es, CC BY-SA 3.0, Link
Man spricht auch oft vom “Sombrero-Potential” (oder “mexican hat”). Aufgetragen ist hier nach oben die Energie gegen den Wert des Higgs-Feldes. Das Higgs-Feld hat hier zwei Komponenten, deswegen ist das Bild dreidimensional. In der Mitte, wo das Feld gleich Null ist, ist die Energie höher als in der “Rinne” der Hutkrempe. Ein Feldwert gleich Null ist also instabil, genau wie eine Kugel, die ihr auf die Mitte des Sombreros setzt. Die Kugel würde ja bei der leichtesten Störung herunterrollen und schließlich irgendwo in der Hutkrempe liegen bleiben. (Weil der Hut mit Kugel in der Mitte symmetrisch ist, aber mit Kugel in der Krempe nicht mehr, spricht man oft auch von einer “spontanen Symmetriebrechung”).
Ein solches Verhalten lässt sich relativ leicht in eine Quantenfeldtheorie einbauen, man muss nur ein einziges Vorzeichen in der zentralen Formel umdrehen, nämlich da, wo die Masse steht. Genau gesagt wird aus einem +m2 ein -m2.
Was das bedeutet? Das bedeutet, dass das Higgs-Feld ein Feld ist, bei dem das Massenquadrat negativ ist. Und damit wird die Masse selbst mathematisch imaginär (denn wenn m2 negativ sein soll, dann geht das nur, wenn m ein Vielfaches der imaginären Einheit √(-1) ist). Das Higgs-Feld ist deshalb kein gewöhnliches Feld – das klingt jetzt wie Science Fiction, ist es aber nicht -: es ist tachyonisch. Tachyonen sind ja hypothetische Teilchen, die überlichtschnell fliegen können; das habe ich neulich ausführlich diskutiert. Dort habe ich allerdings den Aspekt, auf den es hier ankommt, nicht so stark betont: Ein einfaches Tachyon-Feld ist instabil.
Das sehen wir ja an dem Sombrero-Bild oben: Dadurch dass das Vorzeichen am Massenterm negativ ist, ist der Sombrero direkt am Nullpunkt nach unten gekrümmt – wieder nach oben krümmt er sich wegen weiterer Terme, die die Wechselwirkung des Higgsfeldes mit sich selbst beschreiben. (Mathematisch sind das höhere gerade Potenzen des Higgsfeldes, also z.B. hoch 4.)
Aus irgendeinem Grund, der mir absolut nicht klar ist, wird dieser Aspekt bei Diskussionen des Higgs-Mechanismus selten hervorgehoben. Es ist aber nicht daran zu rütteln: Das ursprüngliche Higgsfeld ist ein Tachyon-Feld.
Aber bevor ihr jetzt anfangt, euer überlichtschnelles Telefon zu planen oder die erste Zeitmaschine zu konstruieren (oder das CERN zu verklagen, weil finstere Forscher dort eine Zeitmaschine bauen), hier die schlechte Nachricht: Tachyonen habt ihr nur, solange das Higgsfeld verschwindet und euer Vakuum noch am Nullpunkt in der Mitte des Sombreros sitzt.
Wenn nämlich das Higgsfeld im Sombrero in die Krempe gerollt ist, dann krümmt sich dort ja alles ganz regulär nach oben:
Sobald sich also das endliche Higgsfeld im Vakuum ausgebildet hat, ist es vorbei mit den Tachyonen – wenn ihr jetzt das Feld anregen wollt, dann tut ihr das ja um den momentanen Wert, die Energie erhöht sich also bei der Anregung, und damit ist die Masse, die ihr für eure Anregung messt, ganz normal positiv.
Man muss also begrifflich ziemlich aufpassen (und vermutlich habe ich irgendwo in diesem Text auch geschlampt): Das Higgsfeld ist das ursprüngliche Feld, das sich vor der Symmetriebrechung (wenn wir noch im Mittelpunkt des Sombreros sind) wie ein Tachyon benimmt und dabei instabil ist. Nach der Symmetriebrechung hat das Higgsfeld einen bestimmten Wert, der überall im Vakuum derselbe ist. Energetisch hat es jetzt sein Minimum angenommen. Es ist die Wechselwirkung mit diesem Feld, die den Teilchen ihre Masse verleiht.
Wenn ihr dieses Feld jetzt anregt, dann hat diese Anregung eine höhere Energie, entspricht also einem Teilchen mit positiver Masse. Dieses Teilchen ist das Higgsteilchen, das man am Cern zu finden versucht. Es entspricht einer Bewegung der Kugel um die aktuelle Mimimumslage herum in Richtung auf die Mitte zu oder von der Mitte weg – in der Richtung ist die Kurve brav nach oben gekrümmt und das Higgsteilchen hat deswegen eine positive Masse. Ihr seht damit auch, dass uns die Masse des Higgsteilchens etwas über die Form des “Sombreros” verrät – deswegen ist sie ein wichtiger Parameter im Standardmodell, den man gern kennen würde.
“Aber Moment mal – man könnte doch auch in der Hutkrempe entlang rollen, das kostet dann doch gar keine Energie?”
Gute Frage. (Und wie jeder weiß bedeutet “gute Frage” zumindest bei Vorträgen auf Deutsch entweder “Ich hatte gehofft, dass das jemand fragt, weil ich jetzt zeigen kann, dass ich darauf ne schlaue Antwort habe” oder “Ich hatte gehofft, dass das niemand fragt, weil ich darauf keine schlaue Antwort habe”. Heute trifft hoffentlich der erste Fall zu.)
Das Rollen entlang der Hutkrempe ist eine Änderung des Higgs-Feldes ohne Energieänderung. Es entspricht einem masselosen Elementarteilchen und ist ursprünglich ein Grund dafür gewesen, warum man das Higgs-Feld überhaupt eingeführt hat. Aber dazu muss ich nochmal wieder etwas ausholen. (Allgemeines Aufseufzen bei der Leserschaft…)
Die Masse der Eichbosonen
Erinnert ihr euch an die W- und Z-Bosonen aus dem ersten Teil? Das sind die, mit denen der ganze Ärger losging, weil die nur an die linkshändigen Teilchen koppeln und nicht an die rechtshändigen.
W- und Z-Boson selbst haben aber auch eine Masse, sogar eine ziemlich große. Und auch das ist eigentlich gar nicht zulässig.
W und Z werden auch als “Eichbosonen” bezeichnet, weil man sie mit Hilfe von so genannten “Eichtheorien” beschreiben kann (die ich auch mal erklärt habe, ich bin ja der Erklärbär). Die Wechselwirkungsteilchen in Eichtheorien müssen – ähnlich wie die Materieteilchen im letzten Teil – auch masselos sein. Für das Photon stimmt das, nicht aber für das W- und Z-Teilchen, denn die haben eine Masse. Und das führt leider wieder zu einer Menge Ärger: In einer Eichtheorie mit massiven Eichbosonen werden alle möglichen Größen bei der Berechnung unendlich und – noch schlimmer – Wahrscheinlichkeiten addieren sich nicht mehr zu Eins auf (vornehm sagt man dazu “Verletzung der Unitarität”, weil das besser klingt als “Die Theorie ist so mies, dass nicht mal die einfachsten Sachen stimmen.”)
Für diese Teilchen können wir aber nicht denselben Mechanimus verwenden wie für unsere Materieteilchen und sie einfach ans Higgsfeld koppeln lassen. Das hängt wieder mit der Helizität (oder Chiralität, ich bleibe schlampig und unterscheide das nicht) zusammen.
Ähnlich wie die Materieteilchen haben Photon, W und Z auch einen Spin, man kann sich also auch bei ihnen vorstellen, dass sie sich wie kleine drehende Kugeln verhalten. Ihr Spin hat aber einen anderen Wert – während die Materieteilchen Spin 1/2 haben (in Einheiten von ? (“h-quer”), was die Physiker aber aus Faulheit nie dazu sagen), haben die Eichbosonen einen Spin von 1.
Der Spin eines Photons hängt mit einer Größe zusammen, die ihr vielleicht aus dem Alltag kennt, nämlich mit der Polarisation von elektromagnetischen Wellen. In einer elektromagnetischen Welle zeigen das elektrische und das magnetische Feld ja immer senkrecht zur Ausbreitungsrichtung – es gibt zwei unabhängige Polarisationsrichtungen, beispielsweise E-Feld nach oben/unten oder E-Feld nach vorn/hinten. (Und das kann man zum Beispiel ausnutzen, um 3D-Filme ins Kino zu bringen.)
Man kann sagen, dass Photonen des einen Polarisationstyps linkshändig sind, die des anderen rechtshändig.1 Photonen haben also – wie unsere Materieteilchen – zwei mögliche Helizitäten.
1Damit das sauber passt, braucht man zirkular polarisiertes Licht, aber das ist jetzt nur eine technische Feinheit, die ihr ignorieren dürft, ich schreibe das hier nur hin, damit die Experten nicht nörgeln.
Massive Teilchen mit Spin 1 wie das W und das Z haben aber drei mögliche Werte für die Helizität – man kann sie vereinfacht als rechtshändig, linkshändig und Null bezeichnen.
Und das bringt jetzt ein Problem mit sich: Wenn wir nämlich den Higgs-Mechanismus aus dem ersten Teil verwenden wollten, um ursprünglich masselose Eichbosonen mit einer Masse zu versehen, dann fehlt denen eine Möglichkeit für die Helizität – nur durch den Higgsmechanismus könnten sie zwar eine Masse bekommen, aber keinen zusätzlichen Helizitätswert (man spricht auch vom “Freiheitsgrad” – das häufig verwendete Physikerwort für Zahl von Möglichkeiten). Mit dem einfachen Higgsmechanismus können wir keine massiven Teilchen mit Spin 1 aus masselosen Teilchen mit Spin 1 bekommen, denn die könnten nie eine Helizität von Null haben.
Reale W’s und Z’s können das aber – das weiß man aus der alten Theorie der V-A-Kopplung, die ich letztes Mal kurz erwähnt habe. Mit nur zwei Werten der Helizität würden die Vorhersagen der Theorie nie mit dem Experiment übereinstimmen.
Da wir zwei W-Bosonen (mit + und -) und ein Z-Boson haben, fehlen uns also drei Freiheitsgrade, um aus masselosen Ausgangs-Teilchen “unsere” W’s und Z’s zu machen. Wo sollen wir die nun wieder hernehmen?
Die aufopferungsvollen Higgsteilchen
Na klar, das Higgs bringt die Rettung. Denkt noch mal an den Sombrero von eben. Wir hatten uns gefragt, was mit dem Rollen entlang der Krempe ist. Das kostet keine Energie und entspricht deshalb einem masselosen Teilchen. Dieses Teilchen ist eigentlich überflüssig, denn es gibt in unserer Welt kein Teilchen, dass einer solchen Anregung des Higgsfeldes entspricht. Wir haben also hier ein Teilchen zu viel. Dieses Teilchen hat keinen Spin und damit nur einen Freiheitsgrad.
Hmm – erst hatten wir drei Freiheitsgrade zu wenig bei den W’s und Z’s, hier haben wir einen Freiheitsgrad zu viel. Und jetzt beginnt die große Trickserei, die mathematisch deutlich weniger weit hergeholt aussieht, als sie jetzt in der Erklärung klingen wird.
Aus einem masselosen Boson (mit zwei Freiheitsgraden) und einem ebenfalls masselosen Sombrero-Hutkrempen-Entlangroll-Teilchen mit einem Freiheitsgrad können wir ein massives Vektorboson mit 3 Freiheitsgraden zusammenbauen (2+1=3). Dass das tatsächlich funktioniert, klingt erstmal ziemlich weit hergeholt, aber es ist so. Man sagt auch, dass das Boson ein masseloses Higgsteilchen “frisst” und so eine Masse bekommt. (Sehr schöne Bilder und eine ähnliche Erklärung wie hier findet ihr bei Quantumdiaries.)
Was bei diesem “Fressen” passiert, kann man grob so umschreiben: Das Higgsfeld wechselwirkt mit den Bosonen. Wenn es einen von Null verschiedenen Wert bekommt, dann lassen sich die Formeln, die das Verhalten des masselosen Higgsfeldes und des bis jetzt noch masselosen Bosons so umschreiben, dass sie aussehen wie die Formel für ein Boson mit Masse, wobei der Higgsterm wegfällt. Beide Beschreibungen sind also gleich gut. (Genauso wie wir im ersten Teil zwei Möglichkeiten hatten, die Masse der Materieteilchen zu beschreiben: Mit einem Propagator mit Masse oder mit einem Propagator ohne Masse und den vielen Kringeln.)
Weil wir aber drei Bosonen haben, die eine Masse bekommen sollen, müssen wir drei masselose Higgsteilchen haben, die sich fressen lassen, eins für das Z und je eins für das W+ und das W–. Dazu müssen wir unseren Sombrero um zwei Dimensionen erweitern, was dann etwas schwer zu zeichnen ist. Ihr müsst euch vorstellen, dass ihr entlang der Hutkrempe in drei senkrechte Richtungen rollen könnt.
Wir fangen an mit einem Higgsfeld mit vier Komponenten (die nenne ich jetzt nicht Higgs-Teilchen, weil der Name ja schon belegt ist), die alle gleich Null sind. Zwei der Higgsfeld-Komponenten sind elektrisch geladen (eine positiv, eine negativ, die werden nachher von den beiden W’s gefressen), zwei sind elektrisch neutral (eine verfuttert das Z, aus der anderen wird unser gutes altes Higgs-Teilchen).
Und wir fangen an mit vier masselosen Bosonen. Vier? Wieso vier und nicht drei? Das vierte Boson wird unser Photon werden, das bekommt aber keine Masse weil es kein Higgs zum Fressen abbekommt. Zwei der Bosonen sind neutral (die werden Photon und Z), zwei sind geladen, das werden die W’s.
Unser Higgsfeld mit seinen vier Komponenten kann mit diesen vier Bosonen wechselwirken (und tut das in Form einer Eichtheorie). Aber das Higgsfeld mit seinem Wert von Null ist instabil, weil es ja ein Tachyonfeld ist.
Das ursprüngliche Vakuum mit Higgsfeld Null geht deshalb in ein Vakuum über, in dem der Higgsfeld-Wert ungleich Null ist, so wie die Kugel in die Krempe rollt. Das Vakuum verändert sich also (deshalb auch der Titel dieses Textes.) In unserem vierdimensionalen Sombrero gibt es jetzt nicht eine, sondern drei Richtungen entlang der Hutkrempe, also drei masselose Teilchen. Zwei davon sind geladen und werden von den beiden W’s gefressen.
Eine der beiden anderen neutralen Higgs-Komponenten verbindet sich mit einem der beiden neutralen Bosonen und bildet das Z-Boson. (Das ist etwas vereinfacht, in Wahrheit ist das Z-Boson eine Mischung aus den beiden ursprünglichen neutralen, und das Photon ebenfalls – deswegen nennt man das ganze auch “elektroschwache Theorie”, weil Elektromagnetismus – das Photon – und schwache Kernkraft – die Bosonen – gemeinsam auftreten.) Die andere Higgs-Komponente ist die in radialer Richtung, bei der sich die Energie ändert (also die, die nicht in der Krempe läuft, sondern senkrecht dazu). Die ist jetzt das Higgs-Teilchen, das man am CERN gern finden möchte.
In Summe haben wir also angefangen mit 4 masselosen Bosonen (8 Freiheitsgrade) und 4 Komponenten des Higgsfeldes (macht zusammen 12 Freiheitsgrade). Am Ende, nachdem die Bosonen ihre Higgse gefressen haben, haben wir drei massive Bosonen (9 Freiheitsgrade), ein Photon (2 Freiheitsgrade) und ein massives Higgs-Teilchen (kein Spin, also 1 Freiheitsgrad). Macht wieder 12, die Summe stimmt also.
Ist das nicht ziemlich weit hergeholt?
Das klingt nun wirklich alles ziemlich konstruiert, oder? Das Vakuum ist voll von Higgs, Bosonen fressen andere Higgsfelder, Materieteilchen bekommen ihre Masse durch Wechselwirkung mit dem Higgs-Vakuum – sieht schon arg an den Higgsen herbeigezogen aus, oder?
Ist es auch. Und ich stimme mit jedem überein, der sagt, dass schöne physikalische Theorien anders aussehen. Deswegen hat es wohl auch so lange gedauert, bis das Standardmodell in dieser Form fertig war – diese ganzen Mechanismen, die ich hier so nett beschreibe, müssen ja alle sauber mathematisch hergeleitet und in ihren Konsequenzen überprüft werden. (Das nur als kleiner Hinweis für die, die mir jetzt mails schicken wollen, in denen sie ihre persönlichen Raumzeit-Oszillations-Vakuolen-Theorien oder was auch immer anpreisen wollen – rechnet’s durch, sonst taugt es nichts – und nein, ich habe keine Lust, für euch eure tolle Idee mathematisch zu berechnen. (Ja, solche mails bekommt man als Blogger…))
Gibt es denn irgendwelche Hinweise darauf, dass das alles so stimmt?
Zunächst mal gibt es ein paar indirekte Hinweise: Die so aufgestellte Theorie stimmt extrem gut mit den Beobachtungen überein. Man hat auf der Basis dieser Theorie die Existenz der Z-Teilchen vorhergesagt und z.B. – wie von der Theorie gefordert – festgestellt, dass das Z schwerer ist als die W’s. Auch einige Eigenschaften des Zs wurden richtig vorhergesagt. Außerdem löst das Higgsteilchen noch ein anderes kleines Problem: Berechnet man die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Teilchenreaktionen, bei denen W-Teilchen entstehen (nämlich die Erzeugung eines W+-W–-Paares aus einem Elektron und einem Positron) dann ergibt sich rechnerisch bei hohen Energien Unsinn – gibt es dagegen das Higgs-Teilchen, so kommt ein vernünftiger Wert heraus.
Trotzdem sind das alles nur indirekte Hinweise auf das Higgsteilchen. Und weil es einerseits ein zentraler Bestandteil der Theorie ist, aber andererseits auch konzeptionell schon ziemlich kompliziert, sind solche indirekten Hinweise natürlich zu schwach. Deswegen sucht man ja am LHC auch nach dem Higgsteilchen. Wenn derartig involvierte und raffinierte Konzepte (spontane Symmetriebrechung, nicht-verschwindender Feldwert eines tachyonischen Feldes im Vakuum, Massen durch Feldkopplung) rein theoretisch abgeleitet und dann experimentell bestätigt werden können, wäre das sicherlich ein Triumph der theoretischen Physik.
Wenn es dagegen nicht gefunden wird, dann wird man ins mächtig Grübeln kommen. Wahrscheinlich wird man nach Variationen des Standardmodells suchen (vielleicht solchen, in denen das Higgsfeld etwas anders funktioniert), aber vielleicht muss man auch deutlich mehr an theoretischer Physik über Bord schmeißen – am Ende könnte das Standardmodell oder das ganze Konzept der Eichtheorie sich als zwar brauchbare Näherung, aber konzeptionell als fehlerhaft erweisen.
Das Higgs-Teilchen zu finden ist also durchaus einige Anstrengungen wert. Wenn es gelingt, belegt das das Konzept der Eichtheorien, gibt uns eine Antwort auf die Frage, wie die Materie einen Teil ihrer Masse bekommt (die Masse von Protonen und Neutronen ist zu einem guten Teil auch durch die Bindungsenergie festgelegt), und wir verstehen die Natur des Vakuums besser. Die Suche nach dem Higgs lohnt sich also auf jeden Fall.
Das Higgs und die Strings
Aus aktuellem Anlass hier noch eine kleine Nachbemerkung: In der aktuellen Ausgabe von “Nature” kann man (neben einem leicht fragwürdigen Ausflug in die Traditionelle Chinesische Medizin) einen Artikel lesen, nach dem das Higgs-Teilchen aus der Stringtheorie vorhergesagt werden kann, und zwar in genau dem Massenintervall, in dem auch die Werte vom CERN liegen. Nun ja – ich bin sehr skeptisch. Es ist ja schon erstaunlich, dass die Stringtheoretiker seit Jahrzehnten versuchen, Teilcheneigenschaften vorherzusagen und dass es ihnen genau in dem Moment gelingt, wo tatsächlich ein neues Teilchen (möglicherweise) gefunden wurde. Einen ziemlich bösartigen Text zum Thema könnt ihr bei Peter Woit (einem der schärfsten Gegner der Stringtheorie) lesen.
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