Elefanten haben bekanntlich ziemlich große, rundliche Füße. Auf den ersten Blick sehen sie vielleicht ziemlich langweilig aus, ungefähr wie eine dicke Säule. Tatsächlich aber haben sie viele raffinierte Besonderheiten. Eine davon ist die sechste Zehe.

Von den allerersten Landtieren (wie Acanthostega) abgesehen, haben alle Landwirbeltiere fünf Zehen, viele auch weniger. Einige Wirbeltiere haben eine zusätzliche “Zehe”, die in Wahrheit ein umfunktionierter Handwurzelknochen ist – das bekannteste Beispiel ist sicher der “Daumen des Panda” (folgt dem Link für ein paar hübsche Bilder).

Dass auch Elefantenfüße eine ähnliche Struktur haben, ist schon seit 1710 bekannt. Details wurden aber erst jetzt von einer englischen Forschergruppe entschlüsselt. (Naja, nicht irgendeine englische Forschergruppe, sondern eine Gruppe des Royal Veterinary College, angeführt von John Hutchinson, den aufmerksame Leser dieses Blogs natürlich kennen. Er hat mir auch freundlicherweise eine Kopie des Papers geschickt, denn ein online-Science-Abo kann sich unsere Uni nicht leisten, das ist anscheinend Größenordnungen teurer als das für nature.)

Was ist nun so besonders am Elefantenfuß? Füße kann man biologisch gesehen in drei Gruppen einteilen: Menschen und Bären sind plantigrad, sie setzen beim Gehen die gesamte Fußsohle auf. Es gibt eine Ferse, die – mit einem kleinen Polster dazwischen – Bodenkontakt hat. Hunde und Katzen sind digitigrad, sie setzen beim Gehen und Laufen nur die Zehen auf, der Mittelfuß ist also vertikal oder schräg orientiert, aber nie parallel zum Boden wie bei uns, wenn der Fuß aufsetzt. Ballett-Tänzerinnen und Huftiere sind unguligrad, sie laufen auf den äußersten Zehenspitzen (wobei Ballett-Tänzerinnen daran evolutionär nur ungenügend angepasst sind).

Schaut man sich einen Elefantenfuß an, so scheint auf den ersten Blick ziemlich offensichtlich, dass Elefanten plantigrad sind (dieses schöne Bild stammt von Wikipedia):

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Die Fußsohle ist ziemlich breit und nur vorn sind Zehen zu sehen – also ein klarer Sohlengänger? Schaut man etwas genauer hin, dann sieht man aber ein Gelenk oben am Fuß, der auf die Melone tritt. Das ist das “Handgelenk” – es zeigt, dass der Säulenfuß des Elefanten nur von den Handwurzel- und Fingerknochen gebildet wird. Der Elefant ist also anatomisch ein Zehengänger, aber mit einem ungewöhnlich großen Polster hinter den Zehen wie bei einem Sohlengänger.

Sohlengänger haben den Vorteil, dass sie eine große Kontaktfläche mit dem Boden haben. Gerade bei schweren Tieren wie Elefanten sorgt das dafür, dass der Druck auf dem Boden vergleichsweise klein ist (irgendwo habe ich mal gelesen, dass es wegen des weichen und großen Fußpolsters nicht besonders weh tut, wenn einem ein Elefant auf den Fuß tritt), so dass der Elefant auf weichem Boden auch nicht so leicht einsinkt. Außerdem dämpft das Sohlenpolster den Schritt und verringert so die Belastung von Knochen, Sehnen und Muskeln.

Auf der anderen Seite hat das Gehen und Laufen auf den Zehen auch einiges für sich – die Hebelkräfte auf die Zehen sind kleiner (wenn man unseren Fuß als Hebel betrachtet, dann sieht man, dass die Zehen am Hebel ganz schön weit vorn sitzen und deswegen schon ziemliche Lasten tragen) und es ist einfacher, elastische Energie zu speichern. Das kann man schön bei Pferden sehen: Wenn der Huf den Boden verlässt, dann schnellt das Zehengelenk zurück, weil dort eine Sehne Energie speichert. (Bei uns gibt es allerdings auch elastische Energiespeicherung, nämlich im Fuß selbst (der ja gewölbt ist) und auch in der Achillessehne.)

Mit ihrem Fuß können Elefanten die Vorteile von beiden Techniken nutzen. Dieses Bild zeigt sehr schön die Fußstruktur in Vorder- und Hinterfuß:

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Die Kürzel bezeichnen dabei die einzelnen Knochen. Für uns hier besonders interessant sind ph=prehallux und pp=prepollex, das sind nämlich die “sechsten Zehen” der Elefanten.

Diese Extra-Zehen wurden bisher nur wenig erforscht – die meisten Forscher taten sie als eher unwichtige Anhängsel ab, insbesondere auch deswegen, weil man davon ausging, dass es sich um (eventuell mineralisierte) Knorpel-Strukturen handelt, also nicht um “echte” Knochen. Die detaillierte Untersuchung zeigte aber, dass das so nicht richtig ist. Die Extra-Zehen entstehen zwar zunächst als Knorpel, das tun andere Knochen aber auch. Viele Knochen in unserem Körper wachsen nämlich endochondral (zu deutsch: Im Knorpel) – es entsteht erst ein Knorpel-Vorläufer, der dann zu Knochen umgebaut wird, beispielsweise in unseren Armen und Beinen. (Die alternative ist das direkte Knochenwachstum – das findet sich beispielsweise embryonal in unseren Schädelknochen.)

Dieses Zwei-Schritt-Verfahren sorgt dafür, dass der Knochen bereits während des Wachsens belastet werden kann – Knorpel (insbesondere, wenn er mineralisiert ist, also eine keramische Komponente aus Kalziumphosphat enthält) ist sehr gut geeignet, um Drucklasten aufzunehmen. Ist der Knorpel erst einmal da, wird er stückweise abgebaut und durch Knochen ersetzt, aber immer so, dass der Knorpel-Knochen dabei belastbar bleibt. Das ist einer der großen Vorteile, wenn man ein Wirbeltier ist – Krebstiere beispielsweise müssen ihr Außenskelett abwerfen, weil es nicht mitwachsen kann.

Zurück zu den Extra-Zehen: Sie entstehen also ebenfalls als Knorpel, der dann mineralisiert. Im Laufe des Elefantenlebens wird er dann aber zu Knochen umgebaut – allerdings in einer ungewöhnlichen Art. Normalerweise hat die Knorpelstruktur eine Vorzugsrichtung (die man zum Beispiel an der Orientierung der knorpelbildenden Zellen erkennt) – in den Extra-Zehen ist das aber nicht so. Entsprechend wird auch der Knorpel ziemlich ungerichtet zu Knochen umgebaut, und es entsteht ein schwammartiger (spongiöser) Knochen mit vielen Hohlräumen. Hier eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme:

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Solchen spongiösen Knochen findet man zwar häufig – das bekannteste Beispiel dürfte der Oberschenkelkopf sein (hier ein Bild von der Queen-Mary-University, London):

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Allerdings ist meistens der Knochen gerichtet und die einzelnen Knochenbälkchen (Trabeculae genannt) sind mechanisch in etwa passend zur äußeren Last angeordnet. (Erschreckenderweise war einer der ersten Links, die ich fand, einer zu answersingenesis, wo natürlich das “ingenious design” dieser Struktur hervorgehoben wird. Seufz.) Bei den Extra-Zehen der Elefanten dagegen ist die Struktur ziemlich irregulär, wie ihr oben im Bild sehen könnt. (Aber der intelligente Designer hat sich da bestimmt ganz doll viel zu überlegt…)

O.k., nun wissen wir also, dass es sich bei den Extra-Zehen um eine ungewöhnliche Art von Knochen handelt. Entstanden sind sie aus Sesamknochen – kleinen Knochen, die in Sehnen liegen und deren Hebelarm vergrößern (bekanntestes Beispiel ist die Kniescheibe.). Aber warum hat der Elefant diese Extra-Zehe? Wie funktioniert sie?

Am einfachsten wäre es natürlich, man würde einen Elefanten herumlaufen lassen und dabei den Fuß röntgen oder mit Ultraschall analysieren. Das ist aber leider so nicht machbar, weil die Elefantenhaut am Fuß extrem dick ist – Ultraschall dringt nicht vernünftig durch; röntgen könnte man nur mit gesundheitsschädlicher Strahlendosis. Stattdessen musste man auf eine indirekte Analyse zurückgreifen: Es wurden Füße von Elefantenkadavern verwendet und in einem CT so manipuliert, dass die Bewegung der Knochen aufgenommen werden konnte. (Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass die Muskeln dann keinen Einfluss mehr haben.)

Mechanisch gesehen kann man sich zwei Funktionen vorstellen: Zum einen könnten die Extra-Zehen als starre Lastaufnehmer wirken, die einfach einen Teil der Gewichtskraft übernehmen. Alternativ könnten sie sich unter Belastung auch bewegen und so eher als Hebel wirken.

Tatsächlich ist beides richtig, wie die CT-Bilder (oben der Vorder- unten der Hinterfuß) zeigen:

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der Extra-Zeh am Vorderfuß (pp=prepollex) bewegt sich nahezu nicht, der am Hinterfuss (ph=prehallux) rotiert dagegen; genauer gesagt rotiert vor allem das Ende des Prehallux, während der Teil, der direkt an den Fußknochen ansetzt, ebenfalls starr bleibt. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass die Knochen im Vorderfuß ja insgesamt vertikaler orientiert sind. Beide Extra-Zehen helfen aber auf jeden Fall bei der Stabilisierung des Fußpolsters und entlasten die Zehen. Unklar ist bisher, wie genau die an den Extra-Zehen ansetzenden Muskeln wirken, denn das ließ sich durch diese Experimente ja nicht herausfinden.

Um die Sache abzurunden, enthält die Arbeit schließlich noch eine kurze Analyse der Evolution des Elefantenfußes. Die Vorfahren der Elefanten waren echte Sohlengänger, was für vermutlich häufig im Wasser lebende Tiere ja auch vorteilhaft ist. Mit zunehmender Körpermasse orientierte sich der Fuß dann immer mehr in die Zehengänger-Position, weil dadurch die Belastung der Knochen abnahm, die so mehr Druck- und weniger Biegelasten aufnehmen mussten. Dabei sorgte ein großes Fußpolster weiter dafür, dass der Druck unter der Sohle nicht zu groß wurde. Dieses Polster wiederum wurde durch die “Extra-Zehen” gestützt. Dieses Bild zeigt einen vereinfachten Stammbaum (genaue gesagt, ein zeitaufgelöstes Kladogramm) der Elefanten mit Fußskeletten:

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Obwohl man keine fossilen Extra-Zehen gefunden hat, lassen sich an den Fußknochen vieler Elefanten-Vorfahren Ansatzstellen finden, die denen heutiger Elefanten ähneln. Die größeren Ur-Elefanten (so etwa ab dem Deinotherium, dem mit den Stoßzähnen im Unterkiefer) hatten also vermutlich ähnliche Extra-Zehen wie die heutigen Elefanten.

Apropos Fossilien: Die Füße der Elefanten sind natürlich auch und gerade für Dino-Forscher interessant, denn auch die großen Sauropoden hatten ganz ähnliche Säulenfüße – ausführlich verbloggt bei TetZoo. Bei denen hat man bisher keine Anzeichen solcher Extra-Zehen gefunden – vermutlich wird man jetzt Ausschau halten, ob sich auch dort irgendwelche Strukturen finden lassen, die das Fußpolster in ähnlicher Weise gestützt haben.

Die Extra-Zehen der Elefanten sind aber nicht nur selbst biomechanisch interessant – sie zeigen auch, dass es selbst bei scheinbar altbekannten und vertrauten Tieren immer noch eine Menge Neues zu entdecken gibt, wenn man nur genau hinschaut.


Hutchinson, J., Delmer, C., Miller, C., Hildebrandt, T., Pitsillides, A., & Boyde, A. (2011). From Flat Foot to Fat Foot: Structure, Ontogeny, Function, and Evolution of Elephant “Sixth Toes” Science, 334 (6063), 1699-1703 DOI: 10.1126/science.1211437

Kommentare (4)

  1. #1 Boron
    18. Januar 2012

    Hey, cool! Ein zoologischer Artikel, wo’s mal nicht um Dinos geht 🙂

  2. #2 MartinB
    18. Januar 2012

    @Boron,
    Hey – ist ja deutlich nicht der erste.

  3. #3 BreitSide
    18. Januar 2012

    xxx

  4. #4 Hans-Joachim Gregor
    82140 Olching
    18. Juni 2015

    Guter Artikel. Werde sofort nachsehen, ob Deinotherium einen 6.Zehen hat – das Vieh ist für mich kein Elefant! Bin Molassespezialist, daher mein Interesse. Danke, H.-J. Gregor