Vor siebzig Millionen Jahren, in der Kreidezeit, lag Alaska noch weiter nördlich als heute, etwa auf dem 78. Breitengrad (das entspricht dem nördlichen Teil von Grönland und ist wenn ich richtig gerechnet habe, nur etwas mehr als 1000 Kilometer vom Pol entfernt). Auch wenn es in der Kreidezeit wesentlich wärmer war als heute, dürfte es damals dort sehr kalt und natürlich auch monatelang dunkel gewesen sein, so dass Pflanzen sicher nicht zu üppig wuchsen. Trotzdem lebten dort Dinosaurier. Bisher war man sich nicht sicher, ob sie dort nur den Sommer verbrachten und dann in wärmere Gefilde zogen – eine neue Untersuchung zeigt aber, dass sie höchstwahrscheinlich dort überwinterten.
Die untersuchten Dinosaurier waren Edmontosaurier (im Zuge der komplexen Nomenklaturgeschichte der Dinosaurier kennt ihr Edmontosaurus vielleicht auch unter dem Namen Anatosaurus, Anatotitan oder (wenn ihr in sehr alte Dinobücher guckt) Trachodon). Edmontosaurier zählen zu den Entenschnabeldinosauriern (Hadrosauriern) und sahen so aus:
By user ArthurWeasley/I, CC BY 2.5, Link
Sie waren definitiv Pflanzenfresser. Welche Pflanzen sie genau mit ihrem Entenschnabel abweideten ist nicht so klar (man hat zwar Mumien mit Pflanzenresten im Magen gefunden, aber es ist zum einen nicht klar, ob die wirklich den Mageninhalt darstellen, zum anderen ist es auch möglich, dass das Tier verhungert ist und so kurz vor seinem Tod nicht unbedingt seine typische Nahrung gefressen hat). Dass sie aber Pflanzen fraßen, zeigt der Schnabel ziemlich deutlich:
By Ballista at the English language Wikipedia, CC BY-SA 3.0, Link
Der vordere Teil war zahnlos, also vielleicht zum Rupfen oder Schneiden geeignet, weiter hinten seht ihr die für Hadrosaurier typischen Zahnbatterien mit mehreren Hundert Zähnen.
Edmontosaurus – mit bis zu 13 Metern Länge ein durchaus beachtliches Tier – war zu seiner Zeit im westlichen Nordamerika weit verbreitet – es gab ihn in Kanada (Edmonton ist die Hauptstadt der Provinz Alberta), Alaska und dem Norden der USA. Die kanadischen Edmontosaurier lebten in deutlich niedrigeren Breitengraden. Hier eine kleine Karte von zwei der Fundstellen – eine polare, eine in gemäßigten Breiten:
Aus Chinsamy et al. s.u.
Sind die Polar-Edmontosaurier gewandert, so wie es auch andere Dinos taten? Oder harrten sie tatsächlich in der Nähe des Nordpols aus?
Zwei unterschiedliche Indizienketten geben die – wahrscheinliche – Antwort. Zum einen kann man sich die Knochen der Edmontosaurier angucken. Knochen haben ja eine komplizierte Struktur und wenn man sie unter dem Mikroskop anschaut, dann kann man viel über das entsprechende Tier erfahren.
Der Knochen der Edmontosaurier hat eine fibro-lamellare Struktur, die von schnellem Wachstum zeugt (folgt dem Link, wenn ihr mehr wissen wollt). Allerdings ist die Struktur nicht gleichmäßig. Es gibt zwei unterschiedliche Arten des fibro-lamellaren Knochens, die sich abwechseln:
Aus Chinsamy et al. s.u.
“R” kennzeichnet die sogenannte “retikuläre” Struktur, “C” steht für “circumferential”. Ihr erkennt, dass die retikuläre Struktur unregelmäßiger aussieht. Das ist ein Indiz dafür, dass dieser Knochen schneller gewachsen ist – beim fibro-lamellaren Knochen wird ja erst ein lockeres Gerüst gebildet und dann aufgefüllt; die unregelmäßigere und lockerere Struktur des retikulären Knochens erzeugt mehr Zwischenräume für’s Wachstum und erlaubt so höhere Wachstumsgeschwindigkeiten.
Angesichts der Größe dieser Bereiche und typischer Wachstumsgeschwindigkeiten von Knochen kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass diese Bereiche sich jeweils einmal im Jahr bilden – ähnlich wie die Wachstumsringe von Bäumen. Damit kann man nebenbei die Frage beantworten, wie alt denn so ein Edmontosaurus etwa war: Der größte untersuchte Edmontosaurus, der etwa zu 65% ausgewachsen war, hatte wohl eine Körperlänge von etwa 8 Metern und brauchte 8 Jahre, um die zu erreichen.
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Wachstum im Winter vollständig aufhörte – dann müsste man spezielle Linien in den Knochen sehen (sogenannte LAG=lines of arrested growth), die sind aber nicht vorhanden. Das spricht dafür, dass das Wachstum in der hellen Jahreszeit schnell war (retikulärer Knochen) in der dunklen langsam (C-Struktur).
Damit ist natürlich immer noch nicht geklärt, ob das langsame Winterwachstum für Edmontosaurier normal war oder den besonderen Bedingungen in Norden geschuldet wurde. Hier hilft zunächst ein Vergleich mit den etwas weiter südlich lebenden Edmontosauriern. Deren Knochenstruktur unterschied sich statistisch deutlich von der der polaren Verwandten. Die Struktur war hier zum Teil knochenabhängig, mit wechselnden Bereichen im Schienbein, aber nicht im Oberschenkel. Es gab auch Exemplare, die nur den schnell-wachsenden retikulären Knochen hatten.
Damit steht schon einmal fest, dass die Polar-Edmontosaurier es schwerer hatten als ihre in wärmeren Gefilden lebenden Verwandten. Trotzdem ist es natürlich denkbar, dass sie im Winter wegen notwendiger langer Wanderungen langsamer wuchsen. Dagegen sprechen allerdings Fossilienfunde in (moderat) warmen polaren Küstengebieten, hinter denen Berge lagen. Hier wurden Edmontosaurier in Sedimenten begraben, die durch Schmelzwasser von den Bergen entstanden. Unter diesen waren auch junge Tiere. Es erscheint unwahrscheinlich, dass diese jungen Edmontosaurier während der starken Schneeschmelze schon so weit im Norden waren, wenn sie weiter südlich überwinterten und erst eine Wanderung hinter sich bringen mussten.
Beides spricht also dafür, dass Edmontosaurier tatsächlich in der Nähe des Pols überwinterten. Dass ihnen das nicht leicht fiel, sehen wir am langsamen Knochenwachstum während des Winters – hier gab es vermutlich weniger zu fressen und die Kälte bedeutete eine zusätzliche Belastung.
Chinsamy A, Thomas DB, Tumarkin-Deratzian AR, & Fiorillo AR (2012). Hadrosaurs Were Perennial Polar Residents. Anatomical record (Hoboken, N.J. : 2007) PMID: 22344791
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