Es ist immer das gleiche: Da sitzt man bei seiner Lieblingssendung vorm Fernseher, futtert ein paar seiner Lieblingschips, aber ständig raschelt und knistert die Chipstüte. Warum eigentlich? Was passiert überhaupt beim Knistern?
Na, Lust auf ein paar kleine Experimente? Anlass dafür war übrigens diese Diskussion neulich.
Ihr braucht nichts weiter als ein paar unterschiedliche Folien – Frischhaltefolie beispielsweise ist gut geeignet (die ist meist aus Polyethylen, kurz PE, und ziemlich dünn – alternativ sollte auch eine Plastiktüte funktionieren – die knistern meist recht wenig) oder eben die Verpackung von Chips oder Gummibärchen. (Tja, jetzt müsst ihr wohl erstmal nen Haufen Naschzeug futtern – aber was tut man nicht alles für die Wissenschaft.)
Wenn ihr Glück habt, findet ihr einen Recycling-Code auf der Packung,
dann wisst ihr sicher, worum es sich handelt. Zum Vergleich mit PE ist Polypropylen (PP) gut geeignet. (Beim Polyethylen gibt es neben PE-LD auch noch PE-HD – beides ist Polyethylen, aber die unterscheiden sich darin, dass im LD (low-density)-Polyethylen die Molekülketten stärker verzweigt sind. PE-HD ist etwas fester und raschelt mehr.)
Neben dem Material unterscheiden sich die Folien auch in der Dicke, das ist aber schwerer herauszubekommen, weil die meist nicht draufsteht. Ich hatte das Glück, ein paar Musterfolien in die Finger zu bekommen, so dass ich genau weiß, mit welchen Folien ich spiele:
Eine Polypropylenfolie mit 20 Mikrometer Dicke
Eine Polyethylenfolie mit 50 Mikrometer Dicke
Einen Verbund aus diesen beiden Folienarten, bei dem beide verklebt wurden.
Erst einmal gilt es herauszufinden, was beim Knistern überhaupt passiert. Dafür nehmt ihr am besten die Folie, die am stärksten knistert. Bei mir ist das die dünne Polypropylenfolie.
Man kann natürlich die Folie einfach in der Hand hin- und- herbewegen, um das Knistern zu erzeugen, aber dabei sieht man nicht so gut, woher die Geräusche kommen. Nehmt eine möglichst stark knisternde Folie zwischen Daumen und Zeigefinger und lasst sie herunterhängen, so dass eine kleine “Delle” entsteht. Haltet die Folie am unteren Ende fest, dann geht es noch besser (konnte ich für das Foto nicht machen, weil ich nicht Zaphod Beeblebrox bin, deswegen ist die Delle relativ groß):
Wenn man versucht, die Delle langsam größer werden zu lassen indem man die Finger bewegt, dann stellt man folgendes fest: Geräusche entstehen vor allem, wenn das Ende der Delle kurz stehen bleibt, also sozusagen “arretiert” wird und sich dann sprunghaft löst – meist passiert das an einer Stelle, wo die Linie der Delle einen Knick hat:
Das gibt ein einzelnes Knack-Geräusch, sozusagen ein einzelner Knister. Die Folie wird dabei an diesen Stellen etwas geknickt. Wenn ihr die Folie mit den Fingern sehr langsam bewegt, dann könnt ihr auch merken, dass es auch da ruckartige Bewegungen der Folie sind, die Knister erzeugen.
Das ist ja auch ganz logisch – ein einzelner Knister ist ein sehr kurzer Schallimpuls, also eine sehr kurze Druckschwankung in der Luft. Die kann durch das “weiterschnappen” der Folie gut ausgelöst werden.
Wir halten also fest:
1. Knistern entsteht durch das ruckartige Lösen von verformten Bereichen (die “Arretierung”). Dabei knickt die Folie an diesen Stellen.
Aber warum knistern unterschiedliche Folien unterschiedlich stark?
Besonders stark knisterte bei mir die sehr dünne Folie aus PP. Das liegt zum einen daran, dass sie so dünn ist. Man braucht also nur wenig Kraft, um sie zu verformen, und es entstehen auch oft an anderen Stellen weitere “Dellen”, die dann ebenfalls arretieren und dann weiterschnappen – die Folie verformt sich also auch ungleichmäßig, was für zusätzliche Arretierungsstellen sorgte.
Eine dickere Folie (zum Beispiel von einer Aufschnittpackung) braucht dagegen mehr Kraft, um sie zu verformen – wenn man sie einfach so zwischen die Finger nimmt, dann schafft man es nicht, sie an vielen Stellen so zu verformen, dass sich Bereiche arretieren und dann lösen. Mit einer sehr dicken “Folie” (beispielsweise einem Schnellhefter aus Plastik, der schon keine echte “Folie” mehr ist) gibt es zum Beispiel gar kein Knistern mehr.
Auf der anderen Seite ist das Knistern einer etwas dickeren Folie (eine Chipstüte war zur Hand) lauter, besteht aber aus weniger Einzel-Knistern. Auch das ist einleuchtend – durch die größere Kraft beim Knicken wird die Luft stärker beschleunigt. (Es mag auch sein, dass die dickere Folie etwas gleichmäßigere Eigenschaften hat – mehr dazu unten -, das konnte ich aber nicht wirklich experimentell herausfinden.)
Also lernen wir daraus:
2. Dünne Folie begünstigt das Knistern, weil bereits kleine Kräfte ausreichen, um viele Dellen ins Material zu machen und sich entsprechend auch Knicke leichter bilden. Dafür sind Einzel-Geräusche bei dickerer Folie lauter, aber sie macht nicht so viele.
Aber auch Frischhaltefolie ist ziemlich dünn – trotzdem knistern sie weniger als zum Beispiel eine Chipstüte. Hier spielt das Material eine Rolle.
Frischhaltefolie fühlt sich sehr “weich” ein, während eine Chipstüte eher aus einer “härteren” Folie ist. Tatsächlich sind Frischhaltefolien aus Polyethylen, Chipstüten meist (jedenfalls die, in denen meine Lieblingschips kommen) aus Polypropylen. Polypropylen hat eine höhere Festigkeit und Steifigkeit als Polyethylen – bei der Verformung zu einer Delle wird bei höherer Steifigkeit mehr Energie gespeichert, die dann beim Knistern freigesetzt werden kann.
Der Grund dafür liegt in der chemischen Struktur. Polymere bestehen aus langen Kettenmolekülen, die miteinander verknäult sind. Für das mechanische Verhalten sind vor allem die Bindungen zwischen den Ketten wichtig. Beim Polyethylen sind die Ketten sehr einfach – sie bestehen aus einem Kohlenstoff-Rückgrat mit Wasserstoffatomen dran:
Von Mykhal, Public Domain, Link
Beim Polypropylen sind zusätzlich noch Seitengruppen (Methylgruppen) an jedem zweiten Kohlenstoffatom des Rückgrats befestigt:
Dubaj~commonswiki , Gemeinfrei, Link
Die zusätzlichen Seitengruppen verstärken die Bindungen zwischen den Ketten – sie machen ein Abgleiten der Ketten aneinander schwieriger, weil sie sich verhaken und sie sorgen für stärkere Anziehungskräfte durch schwache elektrische Kräfte (die so genannten van-der-Waals-Bindungen).
Und jetzt schauen wir uns noch einmal an, was mit unserer Delle passiert: Kein Knistern entsteht, wenn sich die Delle einfach gleichmäßig weiter ausbreitet (so wie man eine Teppichfalte weiterschieben kann). So sieht es vielleicht in etwa aus, wenn ich eine Delle erzeuge – die Kettenmoleküle sind ein bisschen gebogen:
Jetzt versuchen wir, die Delle weiterzubewegen. Damit das glatt und stetig geht, müssen sich die einzelnen Kettenmoleküle entsprechend verformen, so, als würdet ihr eine Teppichfalte weiterschieben:
Wenn ihr euch allerdings anguckt, was zwei Kettenmoleküle machen müssen, die übereinanderliegen, dann stellt ihr fest, dass sich dazu einzelne Bereiche in den Molekülen gegeneinander bewegen müssen:
Anders als beim Bild oben sind hier die beiden Ketten wirklich übereinander. Dadurch ist die Biegung in der oberen länger als in der unteren (deswegen habe ich die Linien gestrichelt, dann sieht man das besser). Die dünnen roten Linien sollen Bindungen zwischen den Kettenmolekülen darstellen. Wenn wir die Delle weiterschieben wollen, dann müssen sich die Ketten im Bereich der Biegung gegeneinander bewegen – zwei Punkte, die vorher gebunden waren, sind es hinterher, wenn wir die Ketten in diesem Bereich wieder parallel nebeneinander haben, nicht mehr. Beim Polyethylen sind die Bindungen zwischen den Ketten relativ schwach und lassen sich leicht lösen – die Kettenmoleküle gleiten leicht aneinander ab und die Delle lässt sich einfach weiterschieben, so wie im Bild oben.
Wenn die Bindungen zwischen den Ketten zu stark sind (wie beim Polypropylen), dann wird dieses Weiterschieben behindert. Die Ketten sind zu stark aneinander gebunden (oder miteinander verhakt), als dass sie einfach abgleiten könnten. Wenn ihr die Kraft auf die Delle weiter erhöht, dann “schnappen” die Moleküle irgendwann “durch”, etwa so:
Und dieses Durchschnappen ist ein ruckartiger Prozess, der entsprechend ein Geräusch erzeugt – einen Knister.
Also:
3. Je stärker die einzelnen Kettenmoleküle aneinander gebunden sind, desto schlechter können sie abgleiten. Das begünstigt das Knistern, weil verformte Bereiche sich dann eher durch “Durchschnappen” (oder Knicken) verformen als sich gleichmäßig auszubreiten.
Der Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass Polypropylenfolien für Verpackungen oft gestreckt (man sagt auch manchmal “orientiert”) werden – das Material wird bei der Herstellung stark gezogen, so dass sich die Kettenmoleküle bevorzugt in eine Richtung ausrichten. Das erhöht die Festigkeit weiter. Entsprechend wird das Abgleiten weiter erschwert und so neigt die Folie noch stärker zum Knistern.
Zusätzlich vermute ich, dass beim Strecken des Materials die Materialeigenschaften ungleichmäßig werden, weil nicht alle Bereiche sich exakt gleich verformen. Wenn ihr eine weiche Plastiktüte stark zieht, könnt ihr sehen, dass die Verformung ziemlich ungleichmäßig ist (bei mir bilden sich jedenfalls immer “Wellen” in der Tüte) Auch wenn das bei einer Verpackungsfolie natürlich nicht so ausgeprägt ist, scheint es doch so zu sein, dass einige Stellen im Material fester sind. Dafür spricht jedenfalls, dass es wesentlich schwerer ist, eine herabhängende gezogene Polypropylen-Folie ganz gleichmäßig wie eine Fahne zu schwenken als eine Polyethylenfolie.
Wenn das so ist, dann verstärkt es das Knistern dadurch, dass sich die Verformung an Bereichen mit etwas höherer Festigkeit arretiert und dann wieder ausbreitet, bis der nächste festere Bereich kommt. Um das noch auf andere Weise zu testen, habe ich ungestreckte Polyethylenfolie mit der Hand gestreckt – danach knisterte sie stärker, wobei aber die Handstreckung natürlich sehr ungleichmäßig ist und die Folie auch bei Strecken dünner wird. So ganz wasserdicht ist dieser Teil der “Theorie” also nicht. Trotzdem halte ich mal fest:
4. Gestreckte Folie begünstigt das Knistern, weil dort die Bindungskräfte stärker sind. Eventuell sorgen auch die ungleichmäßigen Materialeigenschaften dafür, dass Dellen eher arretieren.
Schließlich hatte ich noch die zweilagige Folie – die besteht aus einer dünnen gestreckten Polypropylen- und einer dickeren Polyethylenfolie. Sie raschelt weniger als die Polypropylenfolie allein – das ist auch zu erwarten, weil die dickere und weichere Polyethylenfolie die Eigenschaften ausgleicht. Beim Verformen mit einer Delle breitet sich die Delle jedenfalls wesentlich gleichmäßiger aus und wird nicht so leicht arretiert. Die weichere Polyethylen-Folie hindert die dünne Folie natürlich auch daran zu knicken, weil die weiche Folie weniger “knickfreudig” ist.
Das ergibt
5. Bei der zweilagigen Folie sorgt die zweite Lage dafür, dass das Materialverhalten “weicher” wird – es gibt weniger Arretierungen, die Dellen breiten sich leichter aus und die gestreckte Folie wird am Knicken gehindert.
So, alles in allem haben wir damit ein schöne und durch Experimente gestützte Knister-Theorie (oder sollte ich sie noch vorsichtig als Hypothese bezeichnen?). Um sie wirklich zu überprüfen, wären ein paar weitere und exaktere Experimente nötig – man müsste das Knistern in Lautstärke und Häufigkeit der “Einzelknister” quantitativ messen und mehrere Folien gleicher Dicke aus unterschiedlichen Materialien vergleichen. Aber das soll hier ja keine Bachelor-Arbeit werden, sondern nur ein Blogeintrag.
Nachdem ich meine Experimente beendet und erste Theorien aufgestellt habe, habe ich noch mal im Internet gesucht. Hier und hier findet man Erklärungen, die zu meiner passen (an den Begriff “Knicken” hatte ich auch vorher gar nicht gedacht). Echte wissenschaftliche Veröffentlichungen habe ich nicht parat, aber es gibt zumindest Patente, in denen das Raschelverhalten untersucht wird. In dem Patent wird tatsächlich bei PE-Folie von unzureichendem Rascheln gesprochen.
Das passt auch zu den Internet-Links: Dort steht nämlich, dass es bei Chipstüten extra Sound-Designer gibt, die dafür sorgen, dass es schön raschelt – auch wenn es mir (und meiner Umwelt) oft lieber wäre, die Tüte wäre etwas leiser. Immerhin kommt man so zu ein paar unterhaltsamen Experimenten.
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