Der Sauerstoff reagiert im normalen Schneckenbetrieb sicherlich mit Glukose in ziemlich vollständiger Verbrennung. Ein Mol Glukose und 6 Mol Sauerstoff ergeben laut Wikipedia eine Energie von 2880 Kilojoule. Unsere 6.4e-7Mol entsprechen also 6.4e-7*2880000/6= 0.3Joule. Das ist die Energieerzeugung pro Stunde, pro Sekunde sind das dann 85 Mikrojoule und damit auch 85 Mikrowatt. Bei 50 Mikromol sind das entsprechend 24 Joule pro Stunde, also 6.6Milliwatt. In dem paper von Rees und Hand steht die Wärmeproduktion in der Tabelle; der dortige Wert von 16,5 Joule pro Stunde und Gramm passt sehr gut zu meinem Wert hier.
Der niedrigere Wert macht mich noch aus einem anderen Grund skeptisch, denn eine Schnecke braucht für die 6.4e-7Mol Sauerstoff entsprechend nur 1e-7 Mol Glukose, und das sind nur etwa 20 Mikrogramm. Das macht am Tag 0,48 Milligramm Glukose. Fressen Schnecken wirklich so wenig? Laut Wikipedia können ja zumindest einige Schnecken Zellulose verdauen. Die bräuchten dann ja nur ein paar Milligramm Futter am Tag, das scheint mir ziemlich wenig. Mit dem höheren Wert des Energieverbrauchs kommt man dagegen auf einen Wert, der deutlich eher dem entspricht, was ich von einer Schnecke erwarten würde – die sehr kleinen Posthornschnecken in meinem Aquarium zerlegen jedenfalls ohne große Mühe ein Stück Kartoffel in ein bis zwei Tagen. Der höhere Wert passt auch besser zu Standard-Grafiken zum tierischen Energieverbrauch, bei denen (bei Tieren dieser Größe) für ein Gramm Körpermasse ein Kalorienverbrauch von etwa einer Kalorie pro Stunde angegeben wird. (Falls jemand eine Erklärung für die riesige Diskrepanz hat, hinterlasst bitte einen Hinweis in den Kommentaren.)
Deshalb nehme ich die Zahl von etwa 6.6Milliwatt erstmal als korrekt an. Eine Spitzenleistung der Brennstoffzelle von 7 Mikrowatt klingt im Vergleich dazu ziemlich wenig. Allerdings muss man sich vor Augen führen, dass bei der katalytischen Reaktion an der Elektrode der Zucker ja nicht vollständig zersetzt wird, sondern (laut dem Bild, das ich oben gezeigt habe) in Gluconsäure umgebaut wird. Die hat fast dieselbe Strukturformel wie Glukose, nur ein Sauerstoffatom mehr. (Die Anoden- und Kathodenreaktionen dürften deshalb etwas komplizierter ausfallen als oben beschrieben.) Ganz grob geschätzt dürfte die Energie, die dabei frei wird, etwa ein Zwölftel der Energie bei vollständiger Zerlegung der Glukose betragen. (Pro Glukosemolekül werden nicht sechs Sauerstoffmoleküle umgesetzt, sondern nur ein einziges Sauerstoffatom.) Der Zuckerverbrauch der Elektroden entspricht also einem, mit dem die Schnecke so etwa 80-100Mikrowatt Energie erzeugen könnte.
Zugegeben, das ist alles sehr grob geschätzt – aber der Zuckerverbrauch der Schnecke dürfte sich durch die Elektroden durchaus um einige Prozent erhöht haben, vielleicht auch noch mehr, je nachdem, wie weit ich genau daneben liege. Die Reduktion des Glukosegehalts in der Hämolymphe um etwa 15% spricht dafür, dass ich den Verbrauch hier ein bisschen unterschätzt (oder die Gesamtleistung der Schnecken überschätzt) habe. Die Autorinnen führen neben der Diffusion als begrenzenden Faktor jedenfalls auch die Erschöpfung der Schnecke an, und nach den Zahlenspielereien hier scheint mir das zumindest nicht unplausibel. (Mit dem niedrigen Wert für den Energieverbrauch einer Schnecke müsste sie tatsächlich innerhalb kürzester Zeit vollkommen abgelascht sein.)
Was soll das?
Die Idee, Bio-Brennstoffzellen in ein lebendes Wesen einzubauen, hat natürlich schon viel Charme. Man könnte so zum Beispiel Herzschrittmacher oder andere Implantate antreiben. Dafür eignet sich Forschung an Säugetieren aber besser (und sowas ist auch gemacht worden).
Die Forscherinnen hier haben andere Ideen. Beispielsweise könnte die Brennstoffzelle einen kleinen Kondensator aufladen, der dann kurzfristig einen genügend großen Energieausstoß hat, um beispielsweise einen Sensor und ein Funkgerät anzutreiben. So hätte man Umweltsensoren, die tatsächlich mitten in der Umwelt sind, die sie untersuche, beispielsweise, um Radioaktivität oder Schadstoffe zu detektieren.
Es gibt aber auch – und das wird im paper nicht verschwiegen – militärische Anwendungen, auch wieder zur Aufklärung. Genauer spezifiziert wird das nicht, aber man kann sich leicht Mikrokameras oder ähnliches vorstellen, die zur Aufklärung dienen. Und die dann vielleicht dazu dienen, eine Rakete genau in eine feindliche Stellung zu lenken, in der gerade irgendwelche Soldaten sitzen und nicht ahnen, dass die Schnecke im Unterholz in Wahrheit ein Spion ist. Schon eine etwas unschöne Vorstellung. Auch die Anwendung “homeland security” lässt bei mir etwas Unbehagen aufkommen – heimliche Überwachung des Landes mit Hilfe von mobilen lebenden Sensoren? Weitergedacht wird es nicht lange dauern, bis man von Schnecken zu mobileren Tieren übergeht. Vielleicht, mit noch etwas mehr Miniaturisierung, Fliegen? Und dann können wir uns eines Tages nicht sicher sein, ob die Fliege, die da gerade an unserer Wand sitzt, nicht vielleicht eine kleine Kamera dabei hat oder ein Mikrofon. Und so hinterlässt dieses ziemlich coole Forschungsprojekt leider auch ein leichtes Gruseln.
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