An diese innere Schicht grenzen einige Linie, die im Bild mit LAG gekennzeichnet sind. Das steht für “lines of arrested growth”, also für Linien im Knochen, die dann entstehen, wenn das Knochenwachstum zwischenzeitig langsam war oder ganz stoppte (ein bisschen wie die Jahresringe von Bäumen). Außen ist dann langsam wachsender primär-lamellarer Knochen mit vergleichsweise wenig Blutgefäßen. Auch in einem ausgewachsenen Exemplar gibt es vor allem solchen primär-lamellaren Knochen mit wenigen Blutgefäßen darin.

Insgesamt legen diese Untersuchungen nahe, dass Rhamphorynchus am Anfang seines Lebens sehr schnell gewachsen ist und sich dieses Wachstum dann verlangsamte, wenn er etwa 30-50% der Flügelspannweite eines erwachsenen Tieres erreichte. (Zur Zeit ist nicht eindeutig klar, ob das Wachstum deterministisch war, also irgendwann aufhörte wie bei heutigen Säugetieren, oder ob Rhamphorhynchus immer weiter wuchs, so wie etwa Krokodile es tun.)

Welche Schlüsse können wir nun daraus ziehen? Sehr schnell wachsende Jungtiere finden wir heute vor allem bei Tieren, die sich um ihre Jungen kümmern. Wenn die Kleinen im wesentlichen im Nest hocken und fressen, dann können sie einen größeren Teil ihrer Nahrung (die dann auch eher reichlicher ausfallen dürfte) in Wachstum umsetzen, statt sie gleich wieder bei der Futtersuche zu verbrennen. Das spricht dafür, dass junge Rhamphorhynchi (Rhamphorhynchusse? Rhamphorhynchoi?) von ihren Eltern versorgt wurden.

Es ist allerdings auch möglich, dass sie selbst jagten – allerdings ohne ihre Flügel zu benutzen. Fliegen ist eine sehr energieaufwändige Fortbewegungsweise (wenn mensch den Aufwand pro Zeit berechnet, pro Strecke ist Fliegen vergleichsweise effizient, weil fliegende Tiere meist sehr schnell sind, (hmm, ich wittere ein Thema für einen Blogpost)). Die einzigen heutigen Vögel, die direkt nach dem Schlüpfen fliegen können, sind die Großfußhühner. Diese schlüpfen, wenn sie bereits recht groß sind und wachsen anschließend sehr langsam. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, dass Rhamphorhynchus nach dem Schlüpfen schon fliegen konnte.

Denkbar ist allerdings, dass die Rhamphorhynchus-Küken im Gebüsch herumkletterten (und sich vielleicht auch als Gleitflieger betätigten) und ihre Nahrung selbst suchten. Wir können also nicht ganz sicher sein, dass Rhamphorhynchus sich um seine Jungen kümmerte, plausibel ist es aber schon, zumal es für die kleinen Flugsaurier sicherlich schwierig gewesen wäre, selbst genügend Nahrung für ein schnelles Wachstum heranzuschaffen.

Und was ist mit Darwinopterus? Sprechen dessen Eier nicht dafür, dass er sich nicht um seine Jungen kümmerte? Doch, das tun sie. Das ist aber kein Widerspruch. Wir kennen etwa 70 Gattungen von Flugsauriern, und natürlich muss das, was für den einen gilt, nicht auch auf alle anderen zutreffen. Auch bei heutigen Tieren finden wir ja solche, die sich intensiv um ihre Jungen kümmern, und andere, oft sogar relativ eng verwandte, die das nicht tun. Beispielsweise vergraben die meisten Schlangen ihre Eier einfach, aber Pythons bebrüten sie (wozu sie extra Wärme erzeugen). Es wäre sehr naiv, anzunehmen, dass alle Flugsaurier gleich waren, nur weil sie aus 100 Millionen Jahren Entfernung alle so ähnlich aussehen.


Prondvai, E., Stein, K., Ősi, A., & Sander, M. (2012). Life History of Rhamphorhynchus Inferred from Bone Histology and the Diversity of Pterosaurian Growth Strategies PLoS ONE, 7 (2) DOI: 10.1371/journal.pone.0031392

Lü J, Unwin DM, Deeming CD, Jin X, Liu Y, et al. (2011) An egg-adult association, gender, and reproduction in pterosaurs. Science 331: 321-324.

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Kommentare (7)

  1. #1 nihil jie
    14. Mai 2012

    abgesehen davon, dass der Artikel mal wieder interessant war, habe ich womöglich wieder eine Schoki gewonnen 😉 Großfußhühner ist das Stichwort… mir ist nur der Name entfallen als ich in einem Gespräch mit einem Freund von mir behauptete, dass es Vögel gibt die so ziemlich bald, nach dem schlüpfen, fliegen könnten. also jetzt kann ich auch die Schokolade zurück verlangen die ich fälschlicherweise verlor nur, weil ich mich an den Namen nicht erinnern konnte… großartig… vielen dank Martin *breitgrins*

  2. #2 MartinB
    15. Mai 2012

    @nihil je
    Tja, wozu so ein Blog alles gut ist…

  3. #3 Georg Hoffmann
    15. Mai 2012

    Super Beitrag. Tatsaechlich. Allein der Name. Grossfusshuehner. Fantastisch.

  4. #4 MartinB
    15. Mai 2012

    Die heißen auch zoologisch Megapodae

  5. #5 nihil jie
    15. Mai 2012

    @MartinB

    ja… solche Blogs sind nicht nur informativ sondern lösen manchmal so einige Rätsel 😉

  6. #6 Rainer
    15. Mai 2012

    Wirklich spannend, diese Entdeckungen.

    Das Buch “Leben in der Urzeit” von Spinar/Burian, mit den damals bahnbrechenden Illustrationen habe ich als kleiner Junge geschenkt bekommen (und finde es immer noch schön).
    Schon faszinierend wie sich der Wissensstand seitdem entwickelt hat.

  7. #7 MartinB
    15. Mai 2012

    “finde es immer noch schön”
    Jupp, das Buch war einer der Gründe, dass ich dinophil wurde. Die Bilder sind immer noch toll.