Dass Thermodynamik und Information eng zusammenhängen, ist seit langem bekannt. Ein raffiniertes Experiment hat jetzt erstmals den Zusammenhang quantitativ nachprüfen können.
Bevor wir uns das Experiment anschauen, hier noch einmal die Kurzfassung des Zusammenhangs zwischen Energie und Information (eine ausführliche Version findet ihr hier):
Stellt euch einen Behälter vor, der mit Gas gefüllt ist. Der Behälter hat eine Trennwand, und links ist das Gas heißer als rechts. In der Mitte befindet sich eine Klappe, die man öffnen und schließen kann. Hier sitzt der berühmte Maxwellsche Dämon:
Nach den Gesetzen Thermodynamik1 ist es unmöglich, dass bei einem Prozess systematisch Wärme von einem kälteren zum wärmeren Körper fließt. (Systematisch ist hier deshalb wichtig, weil das kurzfristig durch Zufall mal passieren kann, es könnte zum Beispiel eins der wenigen schnellen Gasmoleküle von der rechten kalten Seite auf die linke heißere fliegen, aber im statistischen Mittel wird das Gegenteil häufiger passieren.)
1Wenn ihr oben auf “Artikelserien” klickt, dann findet ihr auch einen Link zu meiner Thermodynamik-(oder Entropie-)Serie, da erkläre ich diese Dinge ausführlicher.
Wenn unser Dämon die Gasmoleküle beobachtet, dann kann er aber im richtigen Moment jeweils die Klappe öffnen und so dafür sorgen, dass die Gasmoleküle sich so sortieren, dass immer mehr schnelle Gasmoleküle sich links sammeln und die langsamen Gasmoleküle rechts. Auf diese Weise könnte er scheinbar die Gesetze der Thermodynamik umgehen.
Dieser Maxwellsche Dämon hat den PhysikerInnen lange Zeit großes Kopfzerbrechen bereitet, es dauerte fast hundert Jahre, bis das Problem zumindest theoretisch gelöst wurde. Der Haken steckt im Dämon selbst: Wenn er die Moleküle beobachtet, dann wird diese Information ja irgendwo in seinem Kopf verarbeitet. Die Thermodynamik sagt aber ja, dass der Wärmefluss vom kalten zum Warmen nur dann unmöglich ist, wenn sonst nichts anderes passiert. Damit der Dämon ebenfalls wieder in den Ausgangszustand zurückversetzt werden kann, muss er die gewonnene Information vergessen. Und Informationen zu löschen ist ein aktiver Prozess, der ein Mindestmaß an Wärmeproduktion erfordert.
Dieses Mindestmaß ist das sogenannter Landauer-Limit. Es ist gegeben durch QLandauer= k T ln2.
k ist die berühmte Boltzmann-Konstante (1,38e-23 J/K), letztlich ein Umrechnungsfaktor zwischen Temperaturen und Energien. T ist die Temperatur (in Kelvin, bei Raumtemperatur also knapp 300K), und ln2 ist der Logarithmus von 2 (weil wir 1 bit löschen wollen), zahlenmäßig etwa gleich 0.7.
Um diese Theorie experimentell zu prüfen, muss man also ein System finden, in dem Information gespeichert und dann wieder gelöscht werden kann. Und man muss genau messen können, ob dabei Energie frei wird (also Wärme produziert wird), und wenn ja, wieviel. Das Problem dabei ist, dass normale Speicher dafür viel zu heiß sind – unsere Computerchips verbraten Unmengen an Energie, etwa 1000 mal mehr, als theoretisch für das Löschen von Informationen notwendig wäre. An ihnen kann man das Minimum an Energie zum Löschen eines Speichers jedenfalls nicht messen.
Falls ihr jetzt – so wie ich beim Anlesen der Arbeit, um die es hier geht – erwartet, dass man hier mit einem nanoskopischen System arbeitet, vielleicht einem Elektron in einem Quantenpunkt oder einem Atom in einer Ionenfalle, dann habt ihr euch um Größenordnungen verschätzt. Das System, das hier angeguckt wird, ist vergleichsweise groß. (Muss es wohl auch sein, sonst würden einem Quantenfluktuationen in die thermodynamische Suppe spucken.) Es handelt sich um ein Siliziumoxid-Kügelchen (also nichts als Glas) mit einem Durchmesser von zwei Mikrometern. Dieses Kügelchen wird mit einer sogenannten optischen Pinzette festgehalten und manipuliert.
Optische Pinzette? Kann man mit Licht jetzt neuerdings Sachen greifen (vielleicht der erste Schritt zum Laserschwert)? Ja, in gewisser Weise schon (aber ich muss euch enttäuschen, nen Laserschwert lässt sich so nicht zusammenschrauben). Licht ist ja bekanntlich eine elektromagnetische Welle. In einem Laserstrahl gibt es deswegen auch ein elektrisches Feld, und mit diesem Feld kann das Glas-Kügelchen wechselwirken.
Dazu wird der Laserstrahl so fokussiert, dass er einen Taille bekommt, also eine schmalste Stelle hat (Bild von Wikipedia):
Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2434823
Da hier das elektrische Feld am stärksten ist, wird das Glas-Kügelchen davon angezogen (generell bewegen sich elektrische Isolatoren – vornehm Dielektrika genannt – in Richtung hoher elektrischer Felder). Zusätzlich wird das Licht am Teilchen (ich merke gerade, dass ich ab hier immer “Teilchen” statt “Glaskügelchen” geschrieben habe, ich hoffe, das verwirrt niemanden – wenn’s hier ne Suche-Ersetz-Funktion gäbe, seufz…) gestreut und übt dabei ebenfalls eine Kraft aus. Insgesamt wird damit das Teilchen in eine Position gedrängt, die ein bisschen oberhalb der Taille des Laserstrahls liegt (wenn der Strahl von unten kommt). Eine schicke Erklärung mit ein paar Animationen findet ihr in Karlsruhe, am neumodisch umgetauften KIT. Das ganze passiert übrigens in destilliertem Wasser, es ist also nicht so, als würde das Kügelchen schweben. Das Wasser brauchen wir gleich auch noch.
Mir sind die Details hier eigentlich egal, wichtig ist, dass unser Kügelchen eine Position hat, die energetisch am günstigsten ist. Hier wird es sich also aufhalten, wenn es zur Ruhe gekommen ist.
Um jetzt einen Speicherbaustein mit diesem Teilchen herzustellen, müssen wir natürlich irgendwie eine Information abspeichern können. Dazu wird der Laser in schneller Folge (viel schneller als das Teilchen ihm folgen könnte) zwischen zwei Positionen hin- und hergewechselt. Dadurch gibt es zwei energetisch günstige Orte, an denen das Teilchen sich aufhalten kann, entweder links oder rechts:
Aus Berut et al., s.u.
Die Position des Teilchens kann deshalb als Informationsspeicher dienen – links ist Null, rechts ist Eins (oder andersrum, wie ihr wollt).
Nehmen wir jetzt an, wir hätten Information mit unserem Teilchen gespeichert und wollen diese wieder löschen. Wir wollen also das Teilchen ganz definiert in eine bestimmte Position bringen, sagen wir nach rechts (Speicherwert 1) – und zwar so, dass es auf jeden Fall rechts landet, egal, wo es vorher war. Sonst müssten wir das ja nachgucken und dann haben wir – wie beim Maxwellschen Dämon – wieder Information anderswo erstellt, die wir dann auch wieder löschen müssten.1
1Natürlich wird hier im Experiment tatsächlich immer nachgeguckt, wo das Teilchen ist, aber die Information wird zum Löschen nicht verwendet; am Löschprozess würde sich nichts ändern, wenn man das Teilchen nicht beobachtet.
Das lässt sich erreichen, indem wir es dem Teilchen leicht machen, zwischen den beiden Positionen zu wechseln und zwar so, dass die rechte Position am Ende bevorzugt wird. Das geht so:
Aus Berut et al., s.u.
Wir senken also erstmal die Potentialbarriere zwischen den Zuständen, dann “kippen” wir das Potential so, dass das Teilchen nach rechts wandert. Anschließend heben wir die Barriere in der Mitte wieder an und senken das Potential links ab.
Falls ihr wissen wollt, wie man das technisch mit dem Laser genau macht, habe ich eine schlechte Nachricht für euch: Die Feinheiten der Lasermanipulation habe ich mir nicht angeschaut – das habt ihr davon, wenn ihr den Blog eines theoretischen Physikers lest. Das “Kippen” des Potentials erreicht man einfach dadurch, dass man eine leichte Strömung einbringt, die das Teilchen nach rechts “schwemmt”. Diese Strömung wird im Laufe der Zeit erhöht und dann wieder abgestellt.
Viel interessanter als irgendein technisches Gebastel ist ja auch die fundamentale Physik bei der Angelegenheit. Wenn wir das Glaskügelchen ganz definiert nach rechts bekommen wollen, dann müssen wir das Potential hinreichend stark kippen. Kippen wir es nur minimal, dann kann das Teilchen durch seine thermische Energie (die ja nichts anderes ist als Bewegungsenergie) auf der linken Seite bleiben. Das ist nichts anderes als die berühmte Brownsche Molekularbewegung, bei der die umliegenden Wassermoleküle das Teilchen zufällig mal in die eine, mal in die andere Richtung schubsen.
Und wie stark müssen wir das Potential kippen, damit das Teilchen am Ende garantiert auf der rechten Seite landet? Das zeigt dieses Bild:
Aus Berut et al., s.u.
Aufgetragen ist die Erfolgsrate (wie oft war das Teilchen am Ende rechts?) gegen die Maximal-Kraft, mit der das Teilchen nach rechts gedrückt wurde (wenn das Potential maximal verkippt ist).
Man könnte jetzt denken, dass es leicht ist, die Energie zu berechnen, die frei wurde, während das Teilchen von links nach rechts wandert (jedenfalls habe ich das gerade gedacht und ein paar falsche Zahlen ausgerechnet…). Arbeit ist ja Kraft mal Weg, und wir kennen die Kraft und den Weg, um den das Teilchen sich bewegen musste (0,9 Mikrometer) kennen wir auch. Da sich die Kraft aber ja stetig ändert (die Strömungsgeschwindigkeit wird ja kontinuierlich erhöht) und das Teilchen wegen der Brownschen Molekularbewegung hin- und herhüpft, muss man die Teilchenbahn genau verfolgen um zu wissen, bei welchem Kraftwert sich das Teilchen wie weit bewegt hat.
Dabei spielt auch eine Rolle, wie schnell wir das Potential kippen (also die Strömung zuschalten) – je langsamer wir das tun, um so weniger Wärme wird frei, weil das Teilchen ja schon bei kleiner Kraft anfängt zu wandern und dann genügend Zeit hat, nach rechts zu kommen, wenn die Kraft noch klein ist. Dann wird durch die Kraft also weniger Arbeit geleistet und damit auch weniger Wärme produziert.
Dieses Bild hier zeigt das entscheidende Ergebnis:
Aus Berut et al., s.u.
Aufgetragen ist auf der horizontalen Achse die Zeit zum Verkippen des Potentials, auf der senkrechten Achse die freigesetzte Wärme, die wie eben erklärt aus der Teilchenbahn berechnet wurde. Die blauen Kreuze entsprechend Versuchen, bei denen das Teilchen in mehr als 90% der Fälle am Ende rechts landete, bei den roten sind es 85%, beim Kreis 75%. Die horizontale Linie zeigt das Landauer-Limit bei 0.7kT. Man sieht sehr schön, wie sich die Kurve der Messpunkte von oben anschmiegt, das Limit aber nicht unterschreitet. Die blaue Kurve ist eine theoretische Berechnung für das nach Theorie zu erwartende Ergebnis, wenn man die Zeit zum Verkippen korrekt einberechnet. (Ich erspare euch – und mir – das vorzurechnen.)
Man sieht also, dass tatsächlich das Landauer-Limit nicht unterschritten werden kann. (Der Kreis rechts liegt zwar knapp drunter, aber erstens ist alles noch innerhalb der Fehlerbalken, zweitens hat der ja auch nur eine Erfolgsquote von 75% gehabt.) Damit ist – ganz erwartungsgemäß – die Theorie bestätigt worden und Maxwell’s Dämon kann sich nun endgültig in die nächstbeste Kerkerdimension verkrümeln – hier kann er jedenfalls keinen mehr erschrecken.
Bérut, A., Arakelyan, A., Petrosyan, A., Ciliberto, S., Dillenschneider, R., & Lutz, E. (2012). Experimental verification of Landauer’s principle linking information and thermodynamics Nature, 483 (7388), 187-189 DOI: 10.1038/nature10872
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