Falls euch diese Serie in letzter Zeit doch etwas zu abgehoben war, dann lohnt es sich vielleicht, heute wieder einzusteigen. Denn heute (und in den nächsten Teilen) bekommen wir Zustände. Und zwar im doppelten Sinne: Zum einen geht es als nächstes um physikalische Zustände in der QFT, und zum anderen kann man Zustände bekommen, wenn man sich anschaut, wie dieses Thema normalerweise in Büchern “erklärt” wird.
(Und falls ihr euch schon sorgenvoll gefragt habt, ob ich etwa nicht mehr an der Serie weiterschreibe – doch, tue ich. Aber da nahezu nirgends wirklich erklärt ist, was ein physikalischer Zustand in der QFT ist, musste ich mir ziemlich viel selbst zusammenbasteln und viele kleine Informationsbrocken zusammentragen, bis ich das Gefühl hatte, es zu verstehen. Und das hat leider etwas gedauert.)
Bisher haben wir ja so ziemlich alles mit Pfadintegralen ausgerechnet. Die sind recht praktisch, wenn man Fragen stellt wie zum Beispiel: Angenommen, mein System ist am Anfang im einen Zustand und am Ende in einem anderen, wie groß ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude dafür, dass es vom einen Zustand in den anderen kommt? Mit ein bisschen Trickserei haben wir mit dieser Technik hergeleitet, dass es keine halben Teilchen gibt, warum Teilchen sind anziehen oder abstoßen und einiges mehr. (Einen Überblick über die ganze Serie bekommt ihr, wenn ihr oben auf der Seite auf “Artikelserien” klickt.)
Das Problem bei dieser Methode ist allerdings, dass es etwas schwierig ist sich zu überlegen: Was passiert eigentlich zwischen dem Anfangs- und dem Endzustand? Da haben wir für alle denkbaren Feldkonfigurationen Amplituden berechnet und dann darüber summiert. Aber wenn ich mich frage: “Was macht mein Quantenfeld gerade jetzt?”, dann lässt sich das mit dieser Technik nicht so richtig gut beantworten. Schön wäre es, wenn man irgendwie erfassen könnte, in welchem Zustand ein System zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Da unsere Welt schließlich kausal ist, sollte es möglich sein, aus dem, was gerade jetzt los ist, darauf zu schließen, was gleich passieren wird. Dafür ist die Pfadintegral-Technik mit ihrer Summe über alle möglichen Wege vom Start zum Ziel nicht so gut geeignet, denn da müssen wir die Frage ja immer so formulieren, dass wir schon wissen, was am Ende rauskommt. (Ein ähnliches Problem habe ich übrigens schon mal hier in einer Nebenbemerkung diskutiert.)
Es gibt zwei Möglichkeiten, Zustände in der QFT zu beschreiben. Die eine zeichnet sich dadurch aus, dass man mit ihr leicht rechnen kann, dafür versteckt sie die gesamte Physik des Zustandes so gut, dass man sie kaum wiederfinden kann (das nennt sich die kanonische Formulierung und ist die, die man in so ziemlich allen QFT-Büchern findet). Alternativ kann man auch mit sogenannten Funktionalen hantieren. Die sind eigentlich viel näher an der Anschauung, aber mathematisch extrem schwierig in den Griff zu bekommen (einigermaßen ausführlich diskutiert im Buch von Hatfield “Quantum Field Theory of Particles and Strings”). Zum Glück ist das hier aber ja keine Mathematik-Blog (auch wenn es in letzter Zeit manchmal so aussieht) – die mathematischen Komplikationen versuche ich deshalb gar nicht erst zu erklären. (Aber vielleicht gibt es ein paar richtig schicke Formeln hinter den Warnschildern.)
Damit euch die Physik dahinter ein bisschen anschaulich wird, gibt es heute und beim nächsten Mal erst einmal einen Ausflug in die Quantenmechanik, bevor ich das ganze dann auf die QFT übertrage.
Zurück zur Quantenmechanik: Nochmal der Doppelspalt
Erinnert ihr euch noch an den Doppelspalt? Das war unser quantenmechanischer Einstieg in das Pfadintegral. Ein Elektron, das an der Quelle losläuft und irgendwo auf unserem Schirm am Ende ankommen soll, hat zwei Möglichkeiten, dorthin zu kommen. Wir haben für beide Möglichkeiten den zugehörigen Pfeil (Wahrscheinlichkeitsamplitude genannt) berechnet, beide addiert und so die Wahrscheinlichkeit dafür berechnet, das Elektron an einer Stelle des Schirms zu finden.
Aber was ist der Zustand des Elektrons zwischen Start und Ziel? Irgendwie geht es durch beide Spalte gleichzeitig und interferiert mit sich selbst. Wenn wir vereinfacht annehmen, dass es eine ganz bestimmte Geschwindigkeit hat, dann ist es zu einem bestimmten Zeitpunkt t am Spalt, entweder oben oder unten. (Wenn es woanders ist, dann werden wir es später nicht auf dem Schirm finden.) Und wenn die Physik nicht rückwärts in der Zeit läuft, dann muss es in diesem Moment in einem irgendwie gearteten Zustand sein, der die Wahrscheinlichkeiten dafür festlegt, es später irgendwo auf dem Schirm zu messen. (Dass der Zustand nur die Wahrscheinlichkeitsamplitude festlegt, aber nicht den Ort deterministisch bestimmt, ist ja eine Grundaussage der Quantenmechanik.)
Nehmen wir kurz an, der untere Spalt wäre zu, dann wäre das Elektron zur Zeit t am Ort des oberen Spaltes. Diesen Zustand nennen wir |o⟩. Ist umgekehrt der untere Spalt offen, aber der obere nicht, dann ist das Elektron im Zustand |u⟩. Die Schreibweise mit den spitzen Klammern ist dabei in der Physik absolut üblich und geht auf Dirac zurück.
Wenn nur einer der Spalte offen ist, dann sehen wir kein Interferenzmuster auf unserem Schirm. Sind also beide Spalte geöffnet, dann kann das Elektron nicht einfach im Zustand |o⟩ oder |u⟩ sein. Stattdessen ist es in einem Mischzustand aus beiden, einem Überlagerungszustand.
Wir können das schreiben als
Zustand = α |o⟩ + β |u⟩
Dabei sind α und β jeweils zwei komplexe Zahlen – es sind nämlich genau die Wahrscheinlichkeitsamplituden für den Zustand |o⟩ bzw. |u⟩. Auch den Zustand mit geschlossenem unteren Spalt können wir so schreiben, dann ist einfach β=0. (Für den oberen Spalt gilt das genauso.)
Damit die Wahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu haben, gleich 1 ist, muss |α|2+|β|2=1 gelten.
Fazit: Es gibt beim Doppelspalt zwei Zustände, in denen das Elektron eindeutig entweder am oberen oder unteren Spalt ist, aber ein beliebiger Zustand des Elektrons ist eine Überlagerung dieser beiden Zustände.
Die Wellenfunktion
Wir hatten dann den Weg vom Doppelspalt hin zu einem Vielfachspalt gemacht, bis wir am Ende so viele Spalte hatten, dass der gesamte Raum von Spalten bedeckt war. Wir haben dann über alle denkbaren Pfade summiert und uns über Zustände keine Gedanken gemacht.
Die Logik für die Beschreibung des Zustands bleibt aber dieselbe wie eben: Wir könnten das Elektron zu einer bestimmten Zeit an einem Ort x finden. Wenn es wirklich genau an diesem Ort ist und nirgends anders, dann ist sein Zustand einfach |x⟩. (Dafür gibt es auch eine mathematische Formel, aber das schöne an dieser Dirac-Notation ist, dass man die Formeln nicht immer explizit hinschreiben muss.)
Meist wissen wir aber nicht genau, wo das Elektron ist. Der allgemeine Zustand des Elektrons ist eine Überlagerung aus allen möglichen Ortszuständen. Die Wahrscheinlichkeitsamplitude dafür, das Elektron am Ort x zu finden, nennen wir ψ(x). Dann können wir schreiben
Zustand = ∑ ψ(x) |x⟩
Damit ist dann die Wahrscheinlichkeit, das Elektron am Ort x zu finden, gleich |ψ(x)|2, das war ja gerade die Bedeutung des Begriffs “Wahrscheinlichkeitsamplitude”. (Das hatten wir vor seeeehr langer Zeit gesehen, damals haben wir noch Pfeile für Amplituden gemalt.)
Mathematisch etwas sauberer wäre es, ein Integral (das ist jetzt kein Pfadintegral, sondern ein ganz gewöhnliches Integral über eine einzige Variable x) zu nehmen, weil es ja unendlich viele Orte gibt. Also:
Zustand = ∫ dx ψ(x) |x⟩
Das werdet ihr so selten in Büchern geschrieben finden, meist schreibt man für den ganzen Zustand kurz |ψ(x)⟩ dafür, aber eigentlich ist das verwirrend, denn es gibt zum einen den Zustand |x⟩ und zum anderen dessen Wahrscheinlichkeitsamplitude ψ(x), und das sind zwei verschiedene Dinge.
ψ(x) wird oft auch als die “Wellenfunktion” bezeichnet – werde ich später auch so machen. Die Wellenfunktion hatte ich in einem der früheren Teile schon mal kurz besprochen. Sie ist das zentrale Objekt in der normalen Formulierung der Quantenmechanik.
Bisher haben wir das Elektron an verschiedenen Orten angeguckt, also Ortszustände |x⟩ betrachtet. Stattdessen können wir aber auch den Trick mit den Wellen anwenden, und Wellenzustände betrachten. Ein Zustand |k⟩ wäre dann ein Zustand, in dem das Elektron (bzw. seine Wellenfunktion) eine ebene Welle mit Wellenvektor k ist. (Mehr darüber findet ihr auch in meiner alten Schrödinger-Gleichungs-Serie.) So sieht so eine Welle aus:
Dabei bewegt sich das Elektron nur in einer Dimension (entlang der Korkenzieherachse), die beiden anderen Richtungen, die mit Re und Im gekennzeichnet sind, zeigen jeweils, wohin die Spitze des Amplitudenpfeils an diesem Punkt gerade zeigen würde (mathematisch also den Real- und Imaginärteil von ψ(x)).
Ich sage es hier gleich dazu: Die Notation |k⟩ verwendet man auch in der QFT oft, was suggeriert (und diese Suggestion wird von den meisten QFT-Büchern auch nicht in Frage gestellt), dass es da auch eine Art Wellenfunktion gibt, die eine ebene Welle wäre. Leider ist das aber falsch, Zustände in der QFT sind wesentlich komplizierter als das. (Aber keine Sorge, auch wieder nicht soo kompliziert, dass man sie nicht verstehen könnte.)
Ebene Wellen sind deswegen oft praktischer als Ortszustände, weil ebene Wellen Lösungen der Elektron-Gleichung in der Quantenmechanik (der Schrödinger-Gleichung) sind. Ist ein Elektron einmal in einem Zustand einer ebenen Welle, also |k⟩, dann bleibt es (solange es ungestört ist, also keine Kräfte wirken) in diesem Zustand. Das ist bei Ortszuständen anders: Ist ein Elektron jetzt an einem bestimmten Ort x, also im Zustand |x⟩, dann ist es gleich nicht mehr in diesem Zustand, sondern in einer Überlagerung. (Wellenpakete zerlaufen mit der Zeit, auch dazu findet ihr viele Bildchen in meiner alten Schrödingergleichungs-Serie.)
Intuitiv findet ihr vermutlich Ortszustände anschaulicher (das geht den meisten Leuten wohl so, mir übrigens auch), aber ebene Wellen (auch Impulszustände genannt, weil ℏ k ja der Impuls ist) sind oft wesentlich praktischer. Sie haben auch den zusätzlichen Vorteil, dass sie (für frei herumfliegende Elektronen) einen wohldefinierten Wert der Energie haben.
Es gilt für ebene Wellen dasselbe wie für die Ortszustände: Ein beliebiger Elektronenzustand kann geschrieben werden als
Zustand = ∫ dk ψ(k) |k⟩
Um den Zustand eines Elektrons in der Quantenmechanik zu beschreiben, brauchen wir also einen Satz von speziellen Zuständen, beispielsweise Orts- oder Impulszustände. Ein beliebiger Zustand eines Elektrons ist eine Überlagerung solcher Zustände (man nennt die oft auch Basis-Zustände) mit Koeffizienten, die die Wahrscheinlichkeitsamplitude darstellen, diesen Zustand zu messen. Die Basis-Zustände sind dabei solche, die man auch direkt messen könnte und die auch den Zuständen in der klassischen Physik entsprechen – ein klassisches Elektron ist immer an einem bestimmten Ort x.
Ein anderer Begriff für diese Zustände ist “Eigenzustände” – dazu sagt man, welcher Größe diese Zustände “eigen” sind. Die |x⟩-Zustände heißen also “Ortseigenzustände”, die |k⟩-Zustände heißen Impulseigenzustände, und Energieeigenzustände bekommen wir auch gleich noch.
Zustände in der QFT – erster Versuch
Alles was hier bisher geschrieben habe, gilt in der Quantenmechanik. In der Quantenfeldtheorie haben wir es aber ja nicht mehr mit einem Teilchen zu tun, sondern mit einem ganzen Quantenfeld. Wie können wir mit diesen Ideen den Zustand eines solchen Quantenfelds beschreiben?
In der klassischen Physik haben wir ein Punktteilchen, das an jedem Ort x sein kann. Jeder dieser Möglichkeiten ordnet die Wellenfunktion eine Wahrscheinlichkeitsamplitude zu.
Ein klassisches Feld ordnet selbst schon jedem Punkt des Raumes x einen Wert des Feldes zu: φ(x), beispielsweise die Auslenkung unseres berühmten Gummituchs. Entsprechend müssen wir, um den Zustand mit einer Wellenfunktion zu beschreiben, jeder denkbaren Feldkonfiguration φ(x) eine Wahrscheinlichkeitsamplitude zuordnen. Das passt eigentlich gut zur Logik unseres Pfadintegrals, wo wir ja über alle Feldkonfigurationen summiert haben und jede davon einen Beitrag zur Wahrscheinlichkeitsamplitude des ganzen Prozesses geleistet hat.
Eigentlich ganz einfach und konsequent.
Mathematisch ist das allerdings ziemlich böse – es gibt schließlich unglaublich irrsinnig viele Funktionen. Formeln, die mit solchen “Funktionalen” (die also einer Funktion einen Wert zuordnen) hantieren, sind deshalb ziemlich schwer zu durchschauen. Das oben schon erwähnte Buch von Hatfield z.B. hat eine Formel, in der der schicke Ausdruck π∞ steht – “pi hoch unendlich” ist schon ein wenig bedenklich, oder? (Mathematisch ist auch das Pfadintegral selbst nicht ohne – da gibt es aber Tricks, mit denen man den Ärger relativ leicht in den Griff bekommt. So ziemlich die wichtigsten davon sind Feynman-Diagramme, eines Tages baue ich die hoffentlich auch noch in diese Serie ein.)
Es ist also kein Wunder, dass die meisten Bücher sich das nicht antun, zumal PhysikerInnen ja vor allem Sachen ausrechnen wollen, und das kann man in diesem Formalismus schlecht.
Gelegentlich wird das aber tatsächlich so gemacht, zum Beispiel im Artikel “Quantum Field Theory in Terms of Vacuum Expectation Values” von A.S. Wightman. Wenn ich es richtig sehe, verwendet die so genannte “Algebraische QFT” einen solchen Ansatz – algebraische Quantenfeldtheorie gilt aber selbst unter den meisten TheoretikerInnen als mega-abgefahren.
Trotzdem ist es gut, sich klar zu machen, dass der Zustand unseres Universums zu jedem Zeitpunkt tatsächlich genau so zu beschreiben ist. (Oder, wenn ihr die Viele-Welten-Interpretation gern mögt, dann könnt ihr den Zustand als Überlagerung aller denkbaren Universen mit all diesen Feldern ansehen. Macht es aber auch nicht wirklich einfacher.) Und mit ein bisschen Trickserei kann man zumindest eine Ahnung bekommen, wie diese unglaubliche Überlagerung aussieht. Dazu werde ich unser Universum demnächst auf einen einzigen Punkt einschrumpfen.
Bevor ich das tue, brauchen wir aber noch etwas mehr Unterstützung aus der Quantenmechanik – im nächsten Teil präsentiere ich euch deshalb eins der Lieblingsspielzeuge aller PhysikerInnen.
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