Beim letzten Mal haben wir überlegt, wie das Vakuum aussehen würde, wenn unser Universum nur ein Punkt wäre. Das allerdings ist eine so schlechte Näherung, dass sie nicht mal die allertheoretischsten TheoretikerInnen zufrieden stellen würde. Deswegen betrachten wir jetzt ein viiieeeel realistischeres Universum, nämlich eins, das aus zwei Punkten besteht. Aber von dort aus ist es nur ein kleiner Schritt zum ganzen Universum…
Wir haben jetzt also ein Feld, das an zwei Punkten existiert. In der Feldtheorie geht ja die Änderung des Feldes von Ort zu Ort in die Energie ein, wir bekommen also einen zusätzlichen Effekt, wenn das Feld an den beiden Punkten nicht denselben Wert hat. (Formelmäßig ist dieser Beitrag proportional zum Quadrat der Differenz.)
Nehmen wir auch hier wieder den harmonischen Oszillator, das hat ja an einem Punkt auch gut geklappt. Wir haben jetzt zwei davon, die miteinander über eine weitere Feder verbunden sind:
Ich nenne den linken mal A und den rechten B.
Schreibt man sich hierfür die Formel für die Energie hin, dann ergibt sich ein Ausdruck proportional zum Quadrat des (vertikalen) Abstands zwischen den beiden: (xA – xB)2. (Die anderen Energieterme vom letzten Mal bleiben unverändert.)
Wenn die beiden Massenpunkte genau im Gleichtakt schwingen, dann merken sie nichts von der sie verbindenden Feder. Schwingen sie dagegen im Gegentakt, dann beeinflussen sie sich gegenseitig. Habe ich einen Massenpunkt in der Ruhelage und lenke den anderen aus, dann wird er den anderen Massenpunkt in dieselbe Richtung ziehen und umgekehrt von diesem zurückgezogen werden.
Jetzt versuchen wir uns anschaulich zu machen, was passieren wird,wenn wir zur Quantenmechanik übergehen (man kann die Gleichungen für zwei gekoppelte Oszillatoren auch vollständig lösen, aber das ist ziemlich gruselig – mir reicht hier ein bisschen qualitatives Argumentieren). Im Grundzustand (ja, jetzt sind wir wieder beim Vakuum) werden beide Teilchen im Mittel wieder in der Ruhelage sein (der Erwartungswert des Ortes ist für beide Null), aber durch die Feder zwischen ihnen wird sich die Breite der Wellenfunktion jeweils ein bisschen ändern – wie genau, soll mir hier egal sein:
Wenn ich jetzt eine Ortsmessung für eins der Teilchen mache, dann “kollabiert seine Wellenfunktion” – mit anderen Worten, es hat jetzt wirklich eine bestimmte Position, hier mal mit einem Wellenpaket dargestellt:
Wegen der Kopplung der beiden Teilchen zieht dieses Wellenpaket jetzt am Nachbarteilchen – dessen Grundzustand wird sich etwas in dieselbe Richtung verschieben. Umgekehrt wird das eben gemessene Teilchen stärker zur Nulllage zurückgezerrt, als es ohne das zweite Teilchen der Fall wäre.
Nach kurzer Zeit dürfte sich die Situation etwa so darstellen (Achtung: Alle Bilder sind hier nur qualitativ zu verstehen, ich habe das nicht berechnet):
Wenn wir jetzt, einen Moment später, die Position des zweiten Teilchens messe, dann wird der Erwartungswert hierfür nicht mehr genau bei Null liegen, sondern etwas nach unten verschoben sein, weil das erste Teilchen bei A das zweite ja nach unten zieht.
Es ist also
⟨0| x(A, t=0) |0⟩ = 0,
der Erwartungswert für eine Positionsmessung zur Zeit t=0 beim Teilchen A ist Null. (Bei einer einzigen Messung kann ich aber natürlich einen Wert ungleich Null finden.)
Würde ich nur zu einem späteren Zeitpunkt am Ort B eine Ortsmessung machen, wäre der Erwartungswert auch Null:
⟨0| x(B, t>0) |0⟩ = 0
Mache ich aber zwei Messungen an den beiden Punkten nacheinander, dann ist entsprechend
⟨0| x(B, t>0) x(A, t=0) |0⟩ ≠ 0
weil die erste Messung die zweite beeinflusst.
Dabei habe ich wieder die Erwartungswert-Schreibweise verwendet. (Bitte beachten, dass die Messgrößen immer von rechts nach links zu lesen sind; die Messung zur früheren Zeit steht rechts von der Messung zur späteren Zeit. Das ist eine Konvention, die der Tatsache geschuldet ist, dass es sich hier mathematisch um Operatoren handelt. An dieser Stelle könnt ihr das einfach so hinnehmen, wir schauen uns das später vielleicht noch einmal genauer an – wer weiß, wohin diese Serie noch führt.)
Dabei ist zu beachten, dass im Mittel über alle Messungen sowohl der Erwartungswert für den Ort des ersten als auch der für den Ort des zweiten Teilchens verschwinden, denn für jedes Mal, wo ich das erste Teilchen oberhalb des Nullpunkts gemessen habe, gibt es natürlich auch ein Mal, wo ich es unterhalb des Nullpunkts gemessen habe. Damit wird auch das zweite Teilchen im Mittel mal nach oben und mal nach unten gezogen.
Betrachtet man aber beide Messungen gemeinsam, dann verschwindet der Wert nicht mehr – das ist ganz analog zu der Situation beim hamronischen Oszillator vom letzten Mal, wo ich x2 betrachtet habe (und nur deshalb habe ich das letztes Mal so ausführlich diskutiert).
Die Werte der Ortsmessungen der beiden Teilchen an den benachbarten Raumpunkten hängen also zusammen, sie sind korreliert.
Ja, hier bin ich ein bisschen ungenau: Zum einen darf man das so wohl nur im Heisenbergbild schreiben, wo die Operatoren zeitabhängig sind und die Zustände nicht. Zum anderen muss man sich natürlich fragen, wie genau man so eine Messung realisieren will, bei der man nicht die Position des einen oder anderen Teilchens selbst misst, sondern nur ihre Korrelation
(insbesondere bei geladenen Teilchen, wo eine Messung des Feldwertes an einem Punkt ja keinen Sinn ergibt) – mit etwas Trickserei sollte sich das aber über ein Verschränkungsexperiment wie bei einem Quantenradierer lösen lassen.
Auch dies können wir wieder direkt auf unsere Feldtheorie übertragen. Entsprechend gilt jetzt auch, dass der Vakuumerwartungswert
⟨0| φ(y,t>0) φ(x,t=0) |0⟩
nicht verschwindet.
Dazu eine kleine Rechnung. Unser Term, der die Ortsänderung des Feldes enthält, war ja
Ich schreibe das mal als Finite Differenz in einer Dimension:
Man erkennt, dass hier zum einen ein Term zum Massenterm hinzukommt, zum anderen gibt es in der Mitte den echten Kopplungsterm. Der führt dazu, dass φ an einem Ort für das φ am anderen Ort wie ein Quellterm wirkt, denn Quellterme haben ja gerade die Form Jφ.
Auf diese Weise sieht man direkt, dass das Feld an einem Ort eins am benachbarten Ort erzeugen kann. (Auch dieses Argument habe ich nirgends gefunden, falls es falsch sein sollte, korrigiert mich.)
An dieser Überlegung war eigentlich nichts, was nur für zwei Punkte gilt – man kann sie letztlich genauso für ein System aus mehreren Punkten anstellen und dann auch für unendliche viele Punkte, also die ganze Raumzeit. Wie genau sich dann “benachbarte” Punkte beeinflussen, hängt natürlich davon ab, was wir genau betrachten, aber am Prinzip wird sich nichts ändern. Die Schlussfolgerung hier gilt also auch für den Vakuumzustand eines echten Quantenfeldes.
Obwohl im Vakuum also das Feld im Mittel immer verschwindet, sind die Feldwerte an benachbarten Raumzeitpunkten miteinander korreliert. Man bezeichnet den Feld-Erwartungswert, den ich gerade hingeschrieben habe, deswegen auch gern als “Korrelationsfunktion”.
Diese Korrelationsfunktion macht deutlich, dass das Vakuum ein ziemlich kompliziertes Gebilde ist – an jedem Raumzeitpunkt habe ich eine “Wellenfunktion” für die Feldwerte, die um den Nullpunkt zentriert ist, aber diese Wellenfunktionen sind für benachbarte Raumzeitpunkte auch noch miteinander korreliert.
Man kann übrigens darüber streiten, ob diese Korrelationsfunktion wirklich eine Eigenschaft des Vakuums selbst ist – ohne Messung des Feldes, die ja das Vakuum beeinflusst, würde ich davon ja nie etwas sehen. Ich habe das eine Weile per mail mit Bob Klauber diskutiert, dessen Ansichten zum Vakuum ihr in Kapitel 10 seines bald erscheinenden Buches nachlesen könnt (freundlicherweise habe ich eine Vorab-Kopie des Kapitels bekommen – das Buch ist auf jeden Fall ein Muss, schaut auf die Internetseite, um euch zu überzeugen). Bob findet es aus diesem Grund wenig erhellend, die Korrelationsfunktion als Eigenschaft des Vakuums anzusehen. Ich finde es dagegen sinnvoll, weil ich genauso beim harmonischen Oszillator den Erwartungswert ⟨0| x2 |0⟩ als Eigenschaft des Grundzustandes ansehen würde.
Wie ihr daraus seht, ist die Frage, wie genau man das Vakuum am besten interpretiert, nicht eindeutig geklärt. (Ziemlich eindeutig geklärt sind allerdings die notwendigen Rechenvorschriften – deswegen bekommen auch alle PhysikerInnen dasselbe raus, wenn sie Prozesse berechnen, auch wen sie sich über die Interpretation der Gleichungen nicht ganz einig sind.)
Eins ist aber auf jeden Fall auch hier klar: Solange ihr keine Messung macht und damit den Vakuumzustand stört, ist der Vakuumzustand eindeutig und ändert sich nicht mit der Zeit. Auch hier gibt es keine Vakuumfluktuationen.
Die Idee mit den Vakuumfluktuationen kommt wohl daher, dass man sich beispielsweise das Pfadintegral anschaut – da wird ja über jede denkbare Feldkonfiguration integriert, und diejenigen, die dicht am “klassischen” Vakuum liegen, tragen besonders stark bei. Diese Feldkonfigurationen fluktuieren natürlich jede für sich. In der Summe aber mitteln sich all diese Fluktuationen so heraus, dass ein zeitunabhängiger Zustand entsteht. Wie der genau aussieht, zeige ich beim nächsten Mal. (Alternativ kann man sich das auch mit Feynman-Diagrammen veranschaulichen – eigentlich wollte ich die längst erklärt haben, aber mir ist Nichts dazwischen gekommen.)
Vakuumfluktuation ist also eine hübsche Umschreibung der Tatsache, dass im Vakuum das Feld nicht einfach verschwindet, sondern eine komplizierte Überlagerung aus allen möglichen Feldzuständen ist. “Fluktuieren” tut da aber nichts, denn das Wort impliziert ja eine zeitliche Änderung. Trotzdem werde ich das Wort vermutlich in Zukunft verwenden, falls mir kein anderes einfällt: ihr wisst dann ja, wie es zu verstehen ist.
Eine überraschende Wiederbegegnung
Auf jeden Fall können wir aus der Korrelationsfunktion einiges über unser Quantenfeld lernen, das ist hoffentlich deutlich geworden. Und tatsächlich ist die Korrelationsfunktion in Wahrheit ein alter Bekannter, der uns schon oft begegnet ist.
Wenn ihr noch einmal auf die Formel schaut, dann könnt ihr die auch so interpretieren: Zuerst wird am Ort x bei t=0 eine Feldanregung erzeugt, und dann wird am Ort y zu einer späteren Zeit geguckt, welche Auswirkung das hat. Erinnert euch das an etwas? Der Propagator, den wir vor einiger Zeit eingeführt haben, war eine Größe, die genau dasselbe tat, auch der Propagator sagte uns etwas darüber, wie sich eine Störung am Raumzeitpunkt x an einem späteren Raumzeitpunkt y auswirkte. Mit ein bisschen mathematischer Mühe kann man zeigen, dass unsere Korrelationsfunktion zum Propagator identisch ist.
Das rechne ich jetzt nicht vor, weil es mal wieder in jedem QFT-Buch steht. Genau genommen sollte man natürlich hier das φ(x) als Erzeuger für eine Feldanregung ansehen und das φ(y) als Vernichter, damit dann am Ende wieder ein Vakuumzustand herauskommt.
Die meisten QFT-Bücher basteln hier auch noch einen Zeitordnungs-Operator ein, das habe ich mir hier gespart, indem ich von vornherein verlangt habe, dass der linke Operator zu einem späteren Zeitpunkt angeguckt wird als der rechte.
Dass die Korrelationsfunktion genau der Propagator ist, ist übrigens ein weiterer Grund, warum ich es sinnvoll finde, sie als eine Eigenschaft des Vakuums anzusehen – denn die Anregung des Quantenfeldes zwischen zwei Quellen breitet sich ja durch das Vakuum aus. Eine andere Struktur des Vakuums (wie beispielsweise ein Higgs-Feld) würde auch den Propagator beeinflussen und ebenso die Korrelationsfunktion.
Apropos Higgs-Feld: Das Higgs-Feld (nicht zu verwechseln mit dem Higgs-Teilchen- folgt dem Link eben für eine detaillierte Erklärung) zeichnet sich genau dadurch aus, dass bei ihm der Vakuum-Erwartungswert für das Feld ⟨0| φ |0⟩ nicht verschwindet. Das liegt daran, dass das Vakuum mit verschwindendem Higgs-Feld-Erwartungswert instabil ist – es ist energetisch günstiger, wenn das Higgs-Feld einen endlichen Wert bekommt. Folgt dem Link oben für eine ausführliche Erklärung.
Felder an benachbarten Raumzeitpunkten im Vakuum sind also korreliert, auch wenn der Erwartungswert des Feldes verschwindet. Um das mathematisch darzustellen, brauchen wir eine ziemlich komplizierte Wellenfunktion, die an jedem Punkt des Raumes für jeden Wert des Feldes eine Wahrscheinlichkeitsamplitude vorgibt und die auch noch diese Korrelation berücksichtigt. So ein Gebilde ist also eine Funktion von Funktionen – mathematisch ein Funktional, ein ziemlich unhandliches Gebilde, mit dem sich schlecht rechnen lässt.
Aber das Rechnen können wir getrost anderen überlassen (darin bin ich auch immer furchtbar mies – nächstes Mal gibt es aber schicke Grafiken), Hauptsache, wir gewinnen ein bisschen Anschauung dazu. Und dazu ist diese mathematisch unhandliche Beschreibung eigentlich extrem praktisch. Das werden wir beim nächsten Mal sehen, denn es gibt noch einen weiteren Teil dieses Abschnitts der Serie, der sich mit dem Vakuum befasst.
Ganz schön viel Arbeit, um das Vakuum zu verstehen? In der Quantenfeldtheorie ist eben selbst das Nichts alles andere als einfach.
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