Vor 5 oder 6 Millionen Jahren lebte der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschen und Menschenaffen. Lange Zeit nahm man an, dass unsere Vorfahren damals den Wald verließen und sich mehr in Steppen und Savannen aufhielten, wobei sie ihre Ernährung entsprechend umstellten und weniger Früchte und Nüsse aßen. Doch jetzt hat sich herausgestellt, dass zumindest der Speiseplan eines Urmenschen nicht in dieses Bild passt.
Der Urmensch, um den es hier geht, ist Australopithecus sediba. Er lebte vor etwa 2 Millionen Jahren in Afrika und könnte ein Vorfahr der frühen echten Urmenschen der Gattung Homo sein. Hier ein Bild des Schädels:
Von Photo by Brett Eloff. Courtesy Profberger and Wits University who release it under the terms below. – Eigenes Werk, GFDL, Link
Und hier ein ganzes Skelett (bzw. das, was man davon gefunden hat – übrigens ist das eins der beiden Fossilien, die man für die Analyse verwendet hat):
By Profberger – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
A. sediba (ich mache mir mal die Angewohnheit der Biologen zu eigen, ellenlange Gattungsnamen abzukürzen, wenn klar ist, was gemeint ist) ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Gefundene Beinknochen zeigen, dass er zwar aufrecht gehen konnte, diese Fähigkeit aber eventuell unabhängig von anderen Australopithecus-Arten erworben hat. Sein Gehirn ist ziemlich klein, seine Arme ziemlich lang – beides eher affenartige Merkmale. Auf der anderen Seite zeigt der Schädel keine ausgeprägte Schnauze, was ein eher fortschrittliches (bio-politisch korrekt sollte ich wohl “abgeleitetes” schreiben) Merkmal ist.
Wie genau der A. sediba in den Menschenstammbaum reinpasst, ist zur Zeit unklar. Diese Zeitleiste zeigt ihn und die vielen anderen Urmenschen, die man inzwischen kennt – unsere Stammesgeschichte ist in den letzten 20 Jahren ziemlich unübersichtlich geworden:
Quelle: Tabelle aus Wikipedia.org
So oder so ist A. sediba eindeutig ein Urmensch, und wenn sich die Urmenschen vor 5 oder 6 Millionen Jahren von den Menschenaffen getrennt und dabei ihre Ernährung umgestellt haben, dann würde man auch für A. sediba einen entsprechenden Speiseplan erwarten.
Diesen Speiseplan hat man jetzt studiert, und zwar auf zwei unterschiedliche Weisen. Um zu verstehen, wie das genau funktioniert, müssen wir uns zunächst einmal mit der Photosynthese beschäftigen, genauer gesagt mit dem Unterschied zwischen C3– und C4-Pflanzen.
Nein, nicht C3- und C4 – ein Besoldungssystem wie bei Professoren gibt es bei Pflanzen nicht.
Das Kürzel C3 und C4 kennzeichnet unterschiedliche Wege, mit denen Pflanzen aus Kohlendioxid per Phyotosynthese Zucker zusammenbauen. Bei den C3-Pflanzen hat die erste Zwischenstufe, die da zusammengesetzt wird, 3 Kohlenstoffatome, bei den C4-Pflanzen 4. Die Feinheiten des Photosyntheseprozesses interessieren hier nicht so sehr, wer sich über Photosynthesedetails beschlauen will, kann das hier tun.
Generell kann man sagen, dass C4-Pflanzen gegenüber den C3-Pflanzen im Vorteil sind, wenn es heiß und hell ist: Bei hohen Temperaturen und Trockenheit müssen C3-Pflanzen die kleinen Öffnungen in den Blättern, die für die Kohlendioxid-Zufuhr zuständig sind, schließen, weil sie sonst zu viel Feuchtigkeit verlieren würden. C4-Pflanzen haben hier weniger Probleme, weil sie im Blattinneren mit wesentlich weniger Kohlendioxid auskommen. Bei niedrigen Temperaturen sind aber C3-Pflanzen effizienter.
Die meisten Pflanzen sind C3-Pflanzen. Zu den C4-Pflanzen gehören Gräser, Hirse Zuckerrohr und Mais.
Was haben diese Details der Photosynthese jetzt mit der Diät der Urmenschen zu tun? Die Antwort dazu kommt aus der Kernphysik (wieder mal ein schönes Beispiel dafür, wie selbstverständlich Erkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen in der heutigen Wissenschaft zusammengeführt werden).
Kohlenstoffatome gibt es in unterschiedlichen Varianten, den Isotopen. Sie unterscheiden sich darin, dass im Atomkern unterschiedlich viele Neutronen vorhanden sind. Weil die Neutronen elektrisch neutral sind, ändern sie nichts an der elektrischen Ladung des Kerns und damit an den chemischen Eigenschaften. Vom Kohlenstoffisotop C14, das man zur Datierung von Funden aus der Steinzeit verwenden kann, habt ihr vielleicht schon mal gehört. C14 ist radioaktiv und zerfällt, so dass man aus der Menge des C14 in einer Probe das Alter rückbestimmen kann.
(Achtung, hier kann man sich leicht verwirren: Ein Index Oben an einem C sagt uns, dass es um ein Kohlenstoff-Isotop geht, also um ein einzelnes Atom. Ein Index Unten sagt, dass es um eine chemische Verbindung geht, und kennzeichnet in unserem Zusammenhang hier den Unterschied zwischen den beiden Pflanzentypen.)
Für die Untersuchung von A. sediba (ja, es geht immer noch um Urmenschen, keine Sorge, ich kriege die Kurve dahin noch) ist das C14 vollkommen irrelevant – nach 2 Millionen Jahren ist davon nichts Messbares mehr übrig. Uns interessieren hier die beiden stabilen Varianten des Kohlenstoffs, C12 und C13. C12 ist sozusagen das “normale” Kohlenstoffatom, aber etwa 1% des Kohlenstoffs auf der Erde ist C13 und hat ein Neutron mehr im Atomkern.
Und jetzt kommt der Trick: Bei der Photosynthese bauen C3-Pflanzen und C4-Pflanzen unterschiedlich viel C13 ein – weil das C13-Atom etwas schwerer ist als das C12-Atom, werden sie von den Enzymen, die den Zucker zusammenbauen, unterschiedlich verarbeitet (Ihr würdet ja auch lieber die leichteren Bauklötze nehmen als die schwereren, wenn ihr die Wahl hättet.)
Misst man also das Verhältnis von C13 und C12 in einem Haufen Zucker, dann kann man sagen, ob dieser Zucker von einer C3-Pflanze oder einer C4-Pflanze hergestellt wurde. (Das ist ganz ähnlich zu der Technik, mit der man Sauerstoff als Zeitmaschine verwenden kann.) Und wenn ein Tier den Zucker frisst, dann kann man an Hand des Verhältnisses der Kohlenstoffsorten in den Knochen des Tieres ebenfalls herausbekommen, ob seine Nahrung von C3– oder C4-Pflanzen stammt (oder auch, ob es Tiere gefressen hat, die ihrerseits von der einen oder anderen Pflanzensorte gefressen haben.)
Und genau das hat man eben bei A. sediba gemacht und einige der Knochen auf ihre Zusammensetzung hin untersucht. Ähnliche Untersuchungen hat man auch schon bei anderen Australopithecinen wie Australopithecus africanus und Paranthropus boisei gemacht. Diese beiden (besonders P. boisei) waren eher C4– als C3-Fresser. A. sediba aber hat einen sehr hohen Anteil an C3-Pflanzen in seiner Nahrung gehabt. Diese Grafik zeigt die Messergebnisse:
(Bild aus Henry et al. Quelle siehe unten)
Aufgetragen ist hier auf der horizontalen Achse das Verhältnis der beiden Kohlenstoff-Isotope (logarithmisch und normiert, spielt aber für’s Verständnis keine große Rolle), auf der vertikalen Achse ist der Anteil aufgetragen Die Grafik könnt ihr also so lesen: Bei A. africanus zum Beispiel haben 50% der Knochen einen Gehalt von etwa -7 (logarithmisch), 80% sind zwischen -5 und -4. (Ich finde die Auftragung ja etwas unübersichtlich und frage mich, warum man die Kurve nicht abgeleitet hat, so dass man direkt die Häufigkeitsverteilung sieht. Jemand eine Idee?)
Wichtig ist aber eigentlich nur, dass A. sediba ganz links zu finden ist, da, wo man die C3-Pflanzen-Fresser erwarten würde. Das spricht dafür, dass A. sediba sich eher von Beeren, Nüssen und ähnlichem Futter ernährt hat, das sich vor allem auf Bäumen findet. Um diese Analyse zu stützen, hat man in den Zähnen (genauer gesagt, in der Plaque, die sich auf den Zähnen ablagert) zusätzlich noch nach Phytolithen gesucht.
Was zum Henker sind nun wieder Phytolithen? Phytolith heißt übersetzt “Pflanzenstein”. Man glaubt ja meist, dass Pflanzen einfach nur brav vor sich hinwachsen und sich fressen lassen müssen, wenn ein Pflanzenfresser vorbeikommt, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Aber ganz so nett sind Pflanzen dann doch nicht – viele von ihnen (besonders Gräser) lagern kleine Siliziumoxid-Kristalle (also Quarzkristalle) ein, die das Fressen der Pflanzen schwieriger machen, weil sie sehr hart sind und deshalb für einen hohen Verschleiß beim Kauen sorgen (was wiederum der Grund ist, warum z.B. Pferde so massive Zähne haben). So sieht so ein Phytolith im Mikroskop aus:
By Henri-Georges NATON; Préparation des phytolithes : Claire Delhon – importé par le photographe, CC BY-SA 3.0, Link
Solche Phytolithen können sich in der Plaque auf den Zähnen ablagern (Zahncreme war vor 2 Millionen Jahren ja noch nicht so angesagt, dafür gab’s aber auch keine Gummibären und Schokoriegel, so dass Karies nicht so ein Problem war). Und die kann man jetzt ebenfalls analysieren. Dabei zeigte sich ebenfalls, dass die Phytolithen von A. sediba zu einem großen Teil von C3-Pflanzen stammten, obwohl die Gesteinsschichten um die Fossilien herum mehr Phytolithen von C4-Pflanzen enthielten. Das spricht ebenfalls dafür, dass A. sediba eher ein Beeren-, Nuss- und Rindenesser war, der in waldigem Grasland (z.B. in Galeriewäldern, also Waldstücken an Flüssen) lebte, vom Gras (bzw. dessen Samen etc.) aber geschmacklich eher nicht so überzeugt war. Das passt auch ganz gut dazu, dass A. sediba einige Anpassungen ans Baumklettern zeigte.
Was bedeutet das ganze nun? Das einfache Bild, wonach sich unsere Vorfahren für einigen Millionen Jahren in die Steppe und Savanne aufmachten und sich dann dort ernährten, ist so anscheinend nicht haltbar. Unter den vielen Urmenschenarten war anscheinend mindestens eine, die ihre Bindung an Bäume und die entsprechende Ernährung entweder nie aufgegeben hat oder die sich dorthin zurückentwickelt hat.
Das ist sicherlich eine interessante Erkenntnis. Ehrlich gesagt finde ich sie aber gar nicht so schrecklich überraschend. Die Evolution ist ja kein linearer Prozess und es gibt in ihr auch keine klaren Trends oder Richtungen. Es ist von daher eigentlich zu erwarten, dass sich Tiergruppen verzweigen und einige wieder zur Lebensweise ihrer Vorfahren zurückkehre, während andere sich anders entwickeln. Etwas ganz ähnliches beobachtet man ja beispielsweise auch bei den ersten Vögeln – auch da wird es immer schwieriger zu sagen, welches Fossil nun zu einem Vogel oder einem Dinosaurier oder einem Vogelvorfahr, der sich wieder mehr in Richtung Dinosaurier entwickelt hat, gehört. Dass sich etwas Ähnliches möglicherweise auch bei unseren Vorfahren abgespielt hat, sollte uns deswegen wohl nicht überraschen. Trotzdem ist es natürlich spannend, zu erforschen, wie sich die Entwicklung im Detail abspielte. Und wieder einmal ist es faszinierend zu sehen, wie raffiniert die dabei eingesetzten Methoden sind.
Amanda G. Henry, Peter S. Ungar, Benjamin H. Passey, Matt Sponheimer, Lloyd Rossouw, Marion Bamford, Paul Sandberg, Darryl J. de Ruite & Lee Berger
The diet of Australopithecus sediba
Nature, vol. 487 Juli 2012
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