Bei Dinosaurierfunden denkt man sicher zuerst an die berühmten Entdeckungen aus Nordamerika oder seit etwa 15 Jahren an die exzellent erhaltenen Fossilien aus China. Aber auch Deutschland ist eine wichtige Fundstelle für Dinosaurier. Allerdings war Deutschland den größten Teil des Erdmittelalters zumindest teilweise von Wasser bedeckt. Auf den verbleibenden Inseln lebten deswegen auch keine Riesendinos, sondern eher kleine Exemplare. Aber auch die können spannend sein.
Der berühmteste Fund aus Deutschland ist sicher der Archaeopteryx, der in Bayern in der Gegend um Eichstätt gefunden wurde (übrigens eine hervorragende Gegend, um dort auch mal Urlaub zu machen – ihr könnt die vielen Museen angucken oder auch mal selbst in einem Steinbruch nach einem Archaeopteryx suchen (bei mir hat’s seinerzeit leider nicht geklappt…)).
Ein Stück weit weg von Eichstätt (in Painten) wurde vor einigen Jahren ein kleiner gefiederter Dinosaurier entdeckt, der jetzt detailliert beschrieben wurde. Das neue Mitglied der Dinosaurier-Familie (nicht im zoologischen Sinne zu verstehen) trägt den hübschen Namen Sciurumimus albersdoerfi, zu Deutsch “Albersdörfers Eichhörnchen-Nachahmer”. Raimund Albersdörfer hat das Fossil laut der Veröffentlichung “für Studien verfügbar gemacht”, und was es mit dem Eichhörnchen auf sich hat, das sehen wir gleich noch.
Werfen wir erst einmal einen Gesamtblick auf Sciurumimus:
Quelle: Rauhut et al. s.u.
Ihr seht, dass das Skelett außergewöhnlich gut erhalten ist – es ist praktisch vollständig erhalten, selbst der kleine Knochen unter der Zunge, das Zungenbein oder Hyoid, ist unter dem Schädel deutlich zu erkennen. Das macht es einfach, eine Idee zu bekommen, um was es sich handelt. Die kurzen Vorderbeine, langen kräftigen Hinterbeine und die spitzen Zähne sowie die allgemeine Kopfform zeigen, dass es sich um einen Raubdinosaurier handelt, in der Fachsprache einen “Theropoden”.
Was macht man nun wissenschaftlich mit so einem Fossil? Zuerst mal wird es natürlich präpariert. Die PräparatorInnen (die oft nicht die PaläontologInnen sind, die das Fossil am Ende wissenschaftlich beschreiben) sind die leider meist unbesungenen HeldInnen der Paläontologie. Es gehört unglaublich viel Fachkenntnis, Fingerspitzengefühl und handwerkliches Geschick dazu, um ein Fossil so wunderschön aus dem Gestein zu befreien, wie ihr das oben auf dem Bild sehen könnt. An dieser Stelle also einmal ein virtueller Applaus für diese guten Geister, ohne die wir viel weniger über Dinosaurier und andere Fossilien wüssten.
Nachdem das Fossil dann freigelegt ist, wird es genau analysiert. Jeder Knochen wird angeguckt und mit dem anderer Fossilien verglichen. Um den Fund einordnen zu können (“In der Biologie ergibt nichts einen Sinn, außer im Licht der Evolution”) muss man natürlich herausfinden, wie das neue Tier mit bereits bekannten verwandt ist. Bei so einem wundervollen Fund wie diesem hier können ExpertInnen schnell herausfinden, in welche Gruppe er gehört, aber damit alles wissenschaftlich seine Ordnung hat und nachvollziehbar bleibt, verwendet man meistens die Methoden der Kladistik, die ich letztes Jahr ausführlich erklärt habe. Kurz gesagt beruht das Verfahren darauf, die Merkmale unterschiedlicher Tiere zu vergleichen und dann daraus den wahrscheinlichsten Ablauf der Evolution zu rekonstruieren – das ist der, bei dem am wenigsten evolutionäre Schritte notwendig sind. Wenn beispielsweise Saurier A nur zwei Finger hat, Saurier B vier, Saurier C wieder nur zwei, dann ist es wahrscheinlicher, dass A und C eng verwandt sind. (Weil sich das natürlich nicht an einem einzelnen Merkmal festmachen lässt, untersucht man sehr viele davon. Details findet ihr wie gesagt in dem alten Artikel zum Thema.)
Damit kann man dann die Informationen aus dem neuen Fund dem bekannten Wissen hinzufügen und so einen “Stammbaum” (genauer gesagt, ein Kladogramm) erstellen, das einem sagt, wie dieser neue Dino mit den bereits bekannten verwandt ist. Wie sieht das für Sciurumimus aus?
Die Anordnung und Form der Schädelknochen platzieren Sciurumimus in die Gruppe der Megalosaurier, deren bekanntester Vertreter Megalosaurus selbst ist (zusammen mit Iguanodon einer der ersten Dinosaurier, die überhaupt beschrieben wurden), zu der aber auch zum Beispiel Afrovenator gehört:
By Kabacchi – Afrovenator – 01, CC BY 2.0, Link
Fügt man die Informationen von Sciurumimus den bereits bekannten Daten hinzu, dann entsteht dieses Kladogramm (Rauhut et al.):
Man liest dieses Kladogramm von oben nach unten – oben sind die urtümlichen (basalen) Dinos, nach unten hin die weiter entwickelten. Ganz oben steht Syntarsus (der wohl korrekterweise “Megapnosaurus” heißen müsste, aber das ist eine andere unschöne Geschichte), ein enger Verwandter des bekannten Coelophysis (der in der ersten Folge von “Dinosaurier – im Reich der Giganten” eine wichtige Rolle spielte). Wenn ihr das Kladogramm nach unten verfolgt, könnt ihr sehen, wer wie mit wem verwandt ist. Die kleinen Ziffern sind die Namen der jeweiligen Dinosaurier-Gruppen. Die 8 beispielsweise steht für die Gruppe der Megalosaurier, zu der eben auch Sciurumimus gehört.
Interessant ist, dass die Megalosaurier, die Spinosaurier (Nummer 7) und die Allosaurier (Nummer 5) alle einen gemeinsamen Vorfahren haben (an dem Knoten, wo die 3 sitzt). Bisher hatte man angenommen, dass diese beiden Gruppen sich nacheinander aus anderen Raubsaurier entwickelt haben. Das würde etwa so aussehen:
Das bedeutet also, dass Megalosaurier, Spinosaurier und Allosaurier alle eng miteinander verwandt sind und eine gemeinsame evolutionäre Gruppe bilden, die Carnosaurier. (Dieser Gruppenname ist schon sehr alt – früher dachte man sogar, dass auch Tyrannosaurus dazuzählt und eng mit Allosaurus verwandt ist. Zwischenzeitig sah es aber so aus, als ob die Gruppe der Carnosaurier (die also Allo- und Megalosaurier umfasst) keine natürliche evolutionäre Gruppierung (keine monophyletische Gruppe, um es vornehm zu sagen)ist.)
Aus dieser Eingruppierung kann man auch noch weitere Dinge lernen: Die Vorderbeine von Sciurumimus tragen drei Finger, nicht vier. Das ist interessant, denn viele Raubsaurier haben typischerweise vier Finger, selbst bei Guanlong, einem der ersten Tyrannosaurier, findet man noch einen rudimentären vierten Fingerknochen. Das spricht dafür, dass die Megalosaurier (bei denen man ansonsten keine vollständigen Hände kennt) irgendwann den vierten Finger verloren haben, so wie andere Raubsaurier auch. (Tyrannosaurus ist ja bekannt dafür, dass er nur zwei Finger hatte.) Unklar ist, ob der Fingerverlust unabhängig bei unterschiedlichen Gruppen passierte oder ob einer der Vorfahren (bei der 2 im korrekten oberen Kladogramm) den vierten Finger verlor und einige Arten wie Guanlong ihn dann wiederentwickelten (vielleicht sogar als Atavismus – so wie manchmal Pferde mit drei Zehen an einem Bein geboren werden).
Der große Kopf und andere Details (beispielsweise noch nicht verwachsene Knochen und die sehr regelmäßig angeordneten Zähne (Dinos wechseln ihre Zähne ja häufig, bei erwachsenen Raubsauriern sieht man deshalb oft ein Muster aus abwechselnd großen und kleinen Zähnen im Kiefer) sprechen dafür, dass unser Sciurumimus noch nicht ausgewachsen, sondern ein Jungtier war. Generell ähnelt die Zahnanordnung eher der von “primitiveren” Raubsauriern (wie dem Syntarsus in unserem Kladogramm). Das kann entweder daran liegen, dass Sciurumimus ein Jungtier war (bei Jungtieren findet man ja oft noch eher urtümliche Merkmale) oder es kann eine besondere Entwicklung aufzeigen, weil sich z.B. Syntarsus Sciurimimus ähnlich ernährte wie Syntarsus und deswegen ähnliche Zähne entwickelte.
Falls ihr trotz aller Dino-Erbsenzählerei zu den Details der Raubsaurier-Entwicklung bis hierhin durchgehalten habt – herzlichen Glückwunsch. Denn das beste und faszinierendste habe ich mir bis zum Schluss aufgespart. Nämlich das hier:
(Quelle: Rauhut et al, s.u.)
“Boah wie aufregend! Eine Detailaufnahme von ein paar Knochen unten mit ein paar komischen Kratzern darüber! Welch Sensation!” Falls ihr das gerade denkt und kurz davor seid, böse Kommentare zu hinterlassen – nein, das hier sind keine “komischen Kratzer”.
Es sind die Überreste von einer Art Flaum, der den Körper von Sciurumimus bedeckte. Sciurumimus war kein schuppiges Reptil, sondern ein Dinosaurier, der mit einer Art Fell bedeckt war. Bei diesem “Fell” handelt es sich nicht um Fell wie bei Säugetieren (mit denen ist Sciurumimus ja auch nur sehr entfernt verwandt), sondern um die Vorläufer von Federn – je nach Geschmack “Protofedern”, “Typ-I-Federn” oder auch etwas salopp “Dino-Fuzz” genannt. Deswegen hat Sciurumimus auch seinen Namen bekommen – weil er so “puschelig” ist wie ein Eichhörnchen. (Naja, vielleicht etwas übertrieben – so wahnsinnig eichhörnchenähnlich dürfte er trotzdem nicht ausgesehen haben.)
Dass einige Dinosaurier Federn hatten, ist ja schon lange bekannt. Bisher hat man Federn allerdings nur an Raubsauriern gefunden, die im Stammbaum deutlich dichter an den Vögeln dran waren (unten bei der 4 im Kladogramm – den Coelurosauriern). Wenn aber auch Sciurumimus Protofedern hatte, dann sind diese offensichtlich früher entstanden und auch andere Carnosaurier (wie Allosaurus) dürften sie gehabt haben.
Seit einiger Zeit kennt man ähnliche Proto-Federn auch von einer ganz anderen Dinogruppe, den pflanzenfressenden Ornithischiern (zu denen der bekannte Triceratops mit den drei Hörnern oder die Entenschnabelsaurier zählen). Hier der urtümliche Horndinosaurier Psittacosaurus, der am Schwanz seltsame Puschel herumtrug:
Auch beim Ornithischer Tianyulong hat man solche Strukturen gefunden – hier eine Rekonstruktion
Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Ornithischier und die Raubsaurier diese Protofedern unabhängig voneinander entwickelt haben oder ob sie auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Weil Sciurumimus weiter unten am Stammbaum angesiedelt ist als die anderen gefiederten Raubsaurier, macht er es etwas wahrscheinlicher, dass bereits der gemeinsame Vorfahr von Ornithischiern und Raubsauriern Protofedern hatte. Das würde bedeuten, dass alle Dinosaurier von Tieren abstammten, die selbst Protofedern hatten. (Dem widerspricht nicht, dass wir von einigen Dinos wissen, dass sie Schuppen trugen. Zum einen können sie ihr Protofederkleid wieder verloren haben – so wie auch Flusspferde oder Wale kein Fell mehr haben – zum anderen können einige Teile des Körpers geschuppt, andere gefiedert gewesen sein. Auch Hühner haben ja Schuppen an den Beinen.)
Und wenn man noch etwas weiterdenkt, dann fällt auf, dass die Dinosaurier ja eng mit den Flugsauriern verwandt sind. Auch die hatten aber eine Art Fell. Möglicherweise entstanden die ersten Protofedern also schon beim gemeinsamen Vorfahren von Dinosauriern und Flugsauriern. Das wiederum wäre ein Indiz dafür, dass auch dieser Vorfahr schon “warmblütig” war, also eine hohe Stoffwechselrate hatte. Zugegeben, das ist noch recht spekulativ, aber durch den Fund von Sciurumimus ist dieses Szenario ein Stück wahrscheinlicher geworden.
Sciurumimus ist also nicht nur als Fossil hübsch anzuschauen, sondern kann uns auch einiges neues über die Entwicklung der Dinosaurier verraten.
Oliver W. M. Rauhut, Christian Foth, Helmut Tischlinger, and Mark A. Norell
Exceptionally preserved juvenile megalosauroid theropod dinosaur with filamentous integument from the Late Jurassic of Germany
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1203238109
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