“Masse” ist einer der physikalischen Begriffe, die etwas überladen sind. Letztlich verwenden wir den Begriff für mehrere Dinge, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen dasselbe sind, und das kann ziemlich verwirrend sein. Aber keine Sorge, heute entwirren wir die Masse in aller Ruhe.
Um zu sehen, warum der Begriff problematisch ist, schauen wir als erstes mal auf den Quell allen Wissens
Dort lesen wir über die Masse:
“Zugleich bestimmt sie die Trägheit eines Körpers. Das heißt, sie ist als träge Masse ein Maß für seinen Widerstand gegen Änderungen seines Bewegungszustands.”
Aha. Die Masse bestimmt also die Trägheit eines Körpers. Logischerweise sollte man erwarten, dass große Masse zu großer Trägheit führt (jedenfalls wenn die Beziehung monoton steigend ist, nur falls hier jemand gerade mathematische Haare spalten will…), kleine Masse zu kleiner Trägheit. Wenn etwas gar keine Masse hat, dann sollte es wohl auch gar keine Trägheit haben.
So weit so gut. Dumm nur, dass wir kurz danach das hier lesen:
“Allerdings sind auch masselose Teilchen, wie das Photon, träge.”
Äh – wie jetzt? Die Masse bestimmt die Trägheit, aber masselose Teilchen sind auch träge?
Und dann lesen wir noch
“Als schwere Masse bezeichnet man die Quelle der Gravitationskraft.”
Und zu allem Überfluss
“Ein heute noch in der Experimentalphysik und der populären Literatur häufig verwendeter Begriff ist die relativistische Masse.”
Äh, ja. Könnt ihr euch vielleicht mal einigen? Masse ist also ein Maß für die Trägheit (außer wenn sie es nicht ist) und ist manchmal ist sie auch schwere Masse (gibt’s auch leichte Masse?) oder auch relativistische Masse? Und hat die Masse nicht auch etwas mit dem Higgsfeld zu tun (ist die Masse nicht irgendwie durch die Wechselwirkung mit dem Higgsfeld bestimmt)?
Wenn alle diese unterschiedlichen Konzepte immer dasselbe wären, dann wäre ja alles in Ordnung, aber so ist es leider nicht. Deshalb lohnt es sich, die unterschiedlichen Aspekte des Massenbegriffs einmal in Ruhe auseinanderzudröseln.
Die Masse in der newtonschen Physik
Fangen wir mit der newtonschen Physik an. Eigentlich ist die natürlich “falsch”, aber bei sehr kleinen Geschwindigkeiten (und Schwerefeldern) ist sie so genau, dass alle Abweichungen vollkommen in jeder Messungenauigkeit untergehen. Außerdem versteht man so vielleicht am besten, wo die unterschiedlichen Masse-Konzepte eigentlich herkommen.
In der newtonschen Physik hat jeder Körper eine Masse. (Masselose Teilchen ergeben in der newtonschen Physik keinen Sinn.) Diese Masse ist eine feste und unveränderliche Größe. Sie taucht im Zusammenhang zwischen Kraft und Beschleunigung auf: F=ma, Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Weil die Masse sagt, wieviel Kraft ich brauche, um etwas zu beschleunigen, bestimmt sie die Trägheit. Diese Masse hier kann man also die träge Masse nennen.
Die träge Masse können wir messen, indem wir mit bekannter Kraft gegen einen Körper treten und die Änderung der Geschwindigkeit (eben die Beschleunigung) messen.
Die Masse taucht auch im Gravitationsgesetz auf. Die Gravitationskraft zwischen zwei Körpern ist proportional zu ihren Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes. Wenn ihr auf der Erdoberfläche steht, ist die zweite Masse die der Erde und der Abstand ist der zum Erdmittelpunkt. Weil diese Masse etwas mit der Schwerkraft zu tun hat, nennen wir sie die schwere Masse.
Wir können die schwere Masse messen, indem wir einen Körper zum Beispiel auf eine Waage stellen. Dabei wirkt die Federkraft der Waage der Schwerkraft entgegen. Weil wir wissen, wie stark die Federkraft ist, wenn die Feder mehr oder weniger stark verformt wird, können wir über die Kraft die Masse bestimmen. (Diese Kraft nennt man auch Gewichtskraft. Gewicht (eine Kurzfassung für Gewichtskraft) und Masse sind nicht dasselbe, weil die Gewichtskraft davon abhängt, wo wir den Körper auf die Waage stellen; auf dem Mond oder der Venus ist die Gewichtskraft entsprechend eine andere, die Masse ist aber dieselbe.)
Umgekehrt ist die schwere Masse auch ein Maß dafür, wie stark das Gravitationsfeld ist, das ein Körper hervorruft.
Die Tatsache, dass alle Körper im Schwerefeld gleich schnell fallen, zeigt, dass träge und schwere Masse dasselbe sind. Warum? Die Gravitationskraft ist proportional zur schweren Masse. Wenn ich die schwere Masse verdopple, dann verdoppelt sich also die Kraft. Wenn ich trotzdem dieselbe Beschleunigung bekomme (weil schwere und leichte Körper gleich schnell fallen), dann muss die träge Masse sich auch verdoppeln. (Würde sie zum Beispiel gleich bleiben, dann würde der schwerere Körper eben doppelt so schnell fallen.)
Dass träge und schwere Masse immer gleich sind, dafür hat die newtonsche Physik keine Begründung, es ist einfach eine Beobachtungstatsache. Man könnte sich genau so eine Kraft vorstellen, die nicht proportional zur trägen Masse ist, sondern zu irgendeiner anderen Größe. So etwas gibt es auch tatsächlich – die elektrische Anziehungskraft zwischen zwei Ladungen hat mit der Masse nichts zu tun, deswegen spricht man auch nicht von “elektrischer Masse”, sondern lieber von “elektrischer Ladung”, sonst wäre das zu verwirrend.
Also: In der newtonschen Physik gibt es zwei Massekonzepte: Die träge Masse sagt uns, wie viel Kraft wir brauchen, um einen Körper zu beschleunigen, die schwere Masse sagt uns, welche Kraft ein Körper in einem Gravitationsfeld erfährt. Beide Massen sind gleich – das ist aber keine Notwendigkeit der Theorie, sondern einfach eine Beobachtungstatsache. Prinzipiell spricht bei Newton nichts dagegen, dass es einen Körper gibt, bei dem träge und schwere Masse sich unterscheiden, wir beobachten das nur nicht.
Außerdem ist die Masse eines Körpers unveränderlich – wir können ihn natürlich in Stücke hauen, aber wenn wir die Masse der Stücke messen, dann ergibt sich in der Summe genau die Masse des ursprünglichen Körpers. Es gilt also Massenerhaltung, die Gesamtmasse aller Objekte im Universum ist konstant.
Die Masse in der speziellen Relativitätstheorie
Soviel zu Herrn Newton. Einstein erkannte, dass die newtonsche Physik zwar ganz prima ist, wenn man sich mit niedrigen Geschwindigkeiten herumschlägt, dass sie aber nicht mehr stimmt, wenn sich Körper sehr schnell bewegen. (Und sehr schnell heißt nicht, dass ihr mit eurem neuen Turboschlitten Blinker-links auf der Autobahn unterwegs seid, sondern schnell heißt hier wirklich schnell – Geschwindigkeiten, die ein nennenswerter Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit sind, und die beträgt immerhin 299792,458 Kilometer in der Sekunde.)
Nach Einsteins spezieller Relativitätstheorie bewegt sich nichts schneller als das Licht. Ansonsten gibt es zwei Arten von Dingen im Universum: Diejenigen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen (wie zum Beispiel – wer hätte das gedacht – Licht) bewegen sich immer mit Lichtgeschwindigkeit. Wenn ein Lichtstrahl an euch vorbeisaust und ihr Fähnrich Ro an der Steuerkonsole eurer Enterprise-D befehlt, mit einem halben Impuls (also 50% der Lichtgeschwindigkeit) hinter dem Lichtstrahl herzufliegen, dann entfernt sich der Lichtstrahl immer noch mit Lichtgeschwindigkeit von euch und nicht, wie man erwarten würde, mit der Hälfte. Licht könnt ihr nicht bremsen und nicht neben ihm so herfliegen, dass es relativ zu euch ruht. (Ja, das klingt verrückt. Man braucht eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, dass die Welt so ist. Ist sie aber. Dharma.)
Diese immer-lichtschnellen Dinge stellen wir in der Betrachtung mal einen Moment (o.k., einen langen Moment) zurück und schauen auf die “normale” Materie – wie Atome, Elektronen, Snookerkugeln. Wenn eine Snookerkugel mit einer Geschwindigkeit von 2m/s über das Tuch rollt, dann ist es für euch kein Problem, so neben dem Tisch herzugehen, dass die Kugel relativ zu euch ruht (wir ignorieren mal gerade die Drehung der Kugel). Solche Objekte können die Lichtgeschwindigkeit niemals erreichen, sondern sich ihr nur immer weiter annähern.
Wenn ihr die Kugel in die Hand nehmt, dann könnt ihr sie wegwerfen. Dabei erfährt sie eine Beschleunigung, und wenn die Kugel relativ zu euch ruht, dann gilt zunächst mal die gute alte newtonsche Beziehung F=ma, Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Wenn die Kugel aber bereits mit nahezu Lichtgeschwindigkeit an euch vorbeifliegt, dann kann diese Beziehung so nicht mehr gelten, denn dann könntet ihr sie mit genügend Kraft immer weiter beschleunigen, bis sie die Lichtgeschwindigkeit erreicht. Bei hohen Geschwindigkeiten bekommt ihr für dieselbe Kraft immer weniger Beschleunigung. (Und ganz streng genommen gilt das einfache F=ma deshalb nur im aller-aller-aller-ersten Moment des Wegwerfens.)
Aus der Gleichung F=ma wird die Gleichung F=γma. Dabei ist γ ein Faktor (der Lorentzfaktor), der um so größer wird, je größer die Geschwindigkeit ist; bei Geschwindigkeiten, die sehr klein gegen die Lichtgeschwindigkeit sind, ist er praktisch 1. Die Formel spare ich mir hier – ihr könnt ja den Link anklicken, wenn ihr sie sehen wollt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser Erkenntnis umzugehen. Entweder ihr sagt “Gut, dann gilt die Gleichung F=ma nicht mehr, da kommt jetzt ein Extra-Faktor γ dazu”, dann habt ihr auch kein Problem. Oder ihr sagt “Hmm, ich bekomme für dieselbe Kraft jetzt weniger Beschleunigung. Für mich sieht es so aus, als wäre die Kugel schwerer geworden, und je näher sie der Lichtgeschwindigkeit kommt, desto schwerer wird sie”. Ihr könnt die Gleichung also einfach uminterpretieren:
F = γ m a = m’ a, wobei m’=mγ ist. Das m’ ist jetzt die relativistische Masse der Kugel, die um so größer wird (die relativistische Masse, nicht die Kugel), je schneller die Kugel sich bewegt.
Nachtrag: Die letzten zwei Absätze sind zwar qualitativ korrekt, aber nicht quantitativ. Die relativistische Masse hängt davon ab, wie die anliegende Kraft relativ zur Geschwindigkeit orientiert ist. In der Form wie oben geschrieben, gilt die Gleichung nur, wenn die anliegende Kraft quer zur Bewegungsrichtung des Teilchens ist. Details findet ihr zum Beispiel hier.
Bei hohen Geschwindigkeiten sieht es also so aus, als würde die Masse zunehmen, es gibt den viel zitierten “relativistischen Massezuwachs”. Weil dieser hier etwas mit der Trägheit zu tun hat, könnt ihr also auch sagen “die träge Masse hat zugenommen”. In modernen Lehrbüchern werdet ihr das selten so lesen, denn dieser Begriff der “relativistischen Masse” ist ein bisschen in Ungnade gefallen, weil er zu viel Verwirrung führt. Dort stellt man sich eher auf den Standpunkt, dass es nur eine Masse gibt (die Ruhemasse m) und dass man eben einen Zusatzfaktor γ in die Gleichungen einbauen muss.
Um die Angelegenheit weiter zu verkomplizieren, hat Einstein zusätzlich noch einen neuen Aspekt ins Spiel gebracht, nämlich mit der berühmten Gleichung
E=mc².
Die kennt vermutlich jeder: “Energie ist Masse mal Lichtgeschwindigkeit ins Quadrat”. Oft wird das so übersetzt, dass jede Masse einer Energie “äquivalent” ist. Das ist aber zumindest irreführend. Eigentlich sagt die Gleichung “Masse ist Energie” (oder auch “Energie ist Masse”, ganz wie ihr wollt) – das dazwischen noch ein Faktor c² steht, liegt nur daran, dass wir ein komisches Einheitensystem verwenden.
Wenn wir einen Körper betrachten, der zu uns in Ruhe ist, dann hat dieser Körper eine bestimmte Masse oder – anders gesagt – einen bestimmten Energiegehalt. Den könnte ich prinzipiell messen, beispielsweise indem ich den Körper mit Antimaterie beschieße, bis sich Materie und Antimaterie vernichtet haben, und die Energie der entstehenden Strahlung messe. (O.k., nicht besonders praktikabel, aber ich bin ja auch theoretischer Physiker…) Diese Masse nennen wir die Ruhemasse des Körpers. Sie ist eine Eigenschaft des Körpers selbst und offensichtlich unabhängig von seinem Bewegungszustand (denn so habe ich sie definiert).
In der speziellen Relativitätstheorie gibt es deshalb keine Massenerhaltung,
jedenfalls nicht, wenn man von der Ruhemasse spricht. Ein Teilchen und
sein Antiteilchen mit einer Ruhemasse können sich vernichten und zu zwei
Photonen (mit Ruhemasse Null) werden. Es gilt aber die
Energieerhaltung, die beiden Photonen haben zusammengenommen mindestens
die Energie, die der Ruhemasse der beiden Teilchen entspricht (mehr,
falls die Teilchen noch zusätzlich Bewegungsenergie hatten).
In der speziellen Relativitätstheorie haben wir also die relativistische Masse – die misst die Reaktion auf Beschleunigungen und entspricht deswegen der trägen Masse von Newton. Zusätzlich haben wir noch die Ruhemasse – die entspricht dem Energiegehalt des Körpers, wenn wir relativ zu ihm in Ruhe sind.
Was wird aber aus der Gleichung
E=mc²,
wenn wir nicht relativ zum Körper ruhen? Dann hat der Körper ja zusätzlich eine Bewegungsenergie. Gilt die Gleichung dann nicht mehr?
Nun, das ist Geschmackssache. Wenn ihr für m die Ruhemasse einsetzt, dann gilt die Gleichung so nicht mehr, und ihr solltet stattdessen die Gesamtenergie nach folgender Formel berechnen:
E² = γ²m²v²c² + m²c4
Das ist die “moderne” Sicht der Dinge ohne relativistische Masse.
Alternativ könnt ihr aber auch die “relativistische Masse” m’ verwenden und einfach schreiben
E=m’ c².
(Wenn ihr die Formel für den Lorentzfaktor γ einsetzt, könnt ihr euch davon überzeugen, dass beide Gleichungen dasselbe aussagen.)
Beide Formen der Gleichung sind gültig und letztlich gleich gut. In der modernen Physik verwendet man meist die erste Form, auch wenn sie komplizierter aussieht, weil man den Begriff der relativistischen Masse eben lieber vermeidet. Letztlich kann man sagen, dass die “relativistische Masse” wirklich nur ein anderes Wort für den Energiegehalt eines Körpers ist und vom Bewegungszustand abhängt, die “Ruhemasse” (oder Ruheenergie) dagegen ist eine inhärente Eigenschaft des Körpers. Weil das so ist, ist der Begriff “relativistische Masse” ziemlich überflüssig.
Und was ist mit der schweren Masse? Zu der hat die spezielle Relativitätstheorie nichts zu sagen, dafür ist die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) zuständig.
Masse in der ART
Die Allgemeine Relativitätstheorie ist eine Theorie der Gravitation, die die Erkenntnisse der Speziellen Relativitätstheorie berücksichtigt. Ausführlich habe ich darüber in meiner kleinen Serie über die Raumkrümmung geschrieben. Kurz gesagt krümmen Massen die Raumzeit, und die gekrümmte Raumzeit wiederum beeinflusst, wie sich Massen bewegen.
Hier soll mich nur interessieren, was die Rolle der Masse in der ART ist. Zunächst einmal gilt das Äquivalenzprinzip: Schwere und träge Masse sind immer identisch.
Was bei Newton eine reine unerklärte Beobachtung war, ist in der ART ein fundamentales Prinzip – denn letztlich gibt es in der ART gar keine Schwerkraft als Kraft, sondern eben nur die Raumkrümmung. (Auch das könnt ihr ausführlich in meiner Serie nachlesen, um mal wieder etwas Eigenwerbung zu machen.)
Aber welche Masse ist es denn nun, die für die Raumkrümmung verantwortlich ist – die Ruhemasse oder die relativistische Masse, sprich, der gesamte Energiegehalt?
Dazu können wir uns ein kleines Experiment vorstellen: Ich tue das, was ich nachmittags immer tue, wenn ich zu Hause bin, und koche mir einen Tee. ich fülle also kaltes Wasser in meinen Wasserkocher und schalte ihn an. Wenn das Wasser kocht, dann ist es deutlich heißer – schaut man sich die Wassermoleküle an, dann ist diese zusätzliche Wärme ja nichts als Bewegungsenergie, die Moleküle flitzen schneller durch den Kocher als vorher.
Der Wasserkocher enthält jetzt also mehr Energie als vorher. Ist er damit auch schwerer geworden (dann ist es die aktuelle Energie und damit letztlich die relativistische Masse, die für die Raumkrümmung verantwortlich ist) oder ist er genau so schwer wie vorher?
Die Antwort der Relativitätstheorie ist eindeutig: Ja, der Wasserkocher ist jetzt schwerer, die zusätzliche Energie erhöht die Raumkrümmung und wenn ich den Kocher hochhebe, muss ich mehr Arbeit leisten als vorher. Wenn euch das noch nicht aufgefallen ist, dann liegt das nur daran, dass die Wärmeenergie – verglichen mit der, die in der Ruhemasse steckt – sehr klein ist, der Massezuwachs beträgt (wenn ich mich nicht verechnet habe) für einen Liter Wasser etwa 5 Milliardstel Gramm.
Was die Schwerkraft (oder die Raumkrümmung) angeht, ist zunächst mal nur die Energie relevant, es ist egal, wo diese Energie herkommt. Man kann sich mit einem kleinen Gedankenexperiment überlegen, dass das auch so sein muss: Betrachtet ein Elektron und ein Positron, die umeinander kreisen (als so genanntes Positronium). Beide haben eine Masse und krümmen so die Raumzeit. Positronium ist aber nicht stabil – die beiden Teilchen stürzen aufeinander zu und vernichten sich gegenseitig, denn das Positron ist das Antiteilchen des Elektrons. Heraus kommen zwei Photonen der Röntgenstrahlung, deren Energie genau der Energie der beiden Teilchen vorher entspricht. Wenn diese beiden Photonen, die ja keine Ruhemasse haben, die Raumzeit nicht krümmen würden, dann hätten wir von einem Moment auf den anderen eine sprunghafte Änderung der Raumkrümmung an diesem Punkt. (Sagte ich nicht oben, dass ich noch mal was zu den masselosen Teilchen schreiben würde? Teilchen ohne Ruhemasse krümmen die Raumzeit, weil sie Energie enthalten.)
Die “schwere Masse” ist also eigentlich die Energie. Dasselbe gilt wegen des Äquivalenzprinzips auch für die träge Masse. Schnelle Moleküle (wie in unserem Wasserkocher) haben mehr Energie und sind deswegen schwerer als langsame Moleküle.
Auch das umgekehrte Phänomen kann man beobachten. Ein Heliumkern besteht aus 2 Protonen und 2 Neutronen. Seine Masse ist aber knapp 1% geringer als die Summe der Massen seiner Bestandteile. Warum? Weil bei der Bindung der vier Teilchen aneinander Energie frei wird, diese Energie (die beispielsweise in Form von Photonen abgestrahlt wird) ist dem Kern sozusagen “verloren” gegangen. (Dass Bindungsenergien normalerweise negativ gerechnet werden, habe ich hier erklärt.)
In unserer Sonne wird ständig Wasserstoff zu Helium verbrannt. Dabei entsteht viel Energie, die von der Sonne als Licht abgestrahlt wird. Diese entspricht einer Masse von 4 Millionen Tonnen pro Sekunde. Die Sonne wird also in jeder Sekunde um satte 4 Millionen Tonnen leichter, das entspricht etwa der Masse von 6 bis 7 voll beladenen Supertankern. (Wir merken davon trotzdem nichts, weil die Masse der Sonne 2 Milliarden Milliarden Milliarden Tonnen beträgt.)
Nebenbemerkung: Ein Widerspruch?
Schwere Masse ist also immer Energie. Das ist aber nicht ganz richtig. In meinen Beispielen eben war ich sehr vorsichtig, sie so zu konstruieren, dass zwar die einzelnen Teilchen (wie die Wassermoleküle) eine Geschwindigkeit haben, dass aber das betrachtete System als Ganzes relativ zu uns in Ruhe ist. Was passiert aber, wenn ein einzelnes Teilchen mit relativistischer Geschwindigkeit an uns vorbeifliegt? Man könnte jetzt auf die Idee kommen, dass es dann natürlich ebenfalls die relativistische Geschwindigkeit sein muss, die die schwere Masse bestimmt. Und wenn ich dann nur schnell genug an dem Teilchen vorbeifliege, dann ist seine relativistische Masse riesig hoch. Dann müsste es aber doch zu einem schwarzen Loch werden, denn ein unglaublich massives Teilchen mit kleinem Durchmesser kollabiert doch zu einem schwarzen Loch. Und das wäre dann ein absurder Widerspruch, denn ob ein Teilchen ein schwarzes Loch wird oder nicht kann ja wohl nicht davon abhängen, wie schnell ich an ihm vorbeifliege.
Aber keine Sorge, die Theorie ist in Ordnung. Wenn sich nämlich ein Teilchen an euch vorbeibewegt, dann dürft ihr die ganz einfache Beziehung “Energiegehalt bestimmt Schwerefeld” nicht mehr anwenden. Bei einem System, dass eine Nettogeschwindigkeit hat, hat auch diese Geschwindigkeit – genauer gesagt, der Impuls – einen Einfluss auf die entstehende Raumkrümmung, und diese beiden Einflüsse tendieren dazu, sich gegenseitig aufzuheben. Es gibt hier also keinen Widerspruch. Kurz erklärt findet Ihr das auch hier.
ExpertInnenhinweis:Wenn ihr es genau wissen wollt: Die einsteinschen Feldgleichungen setzen die Raumzeitkrümmung in Beziehung mit dem Energie-Impuls-Tensor. Wenn das betrachtete System relativ zu euch ruht und der Druck nicht zu hoch ist, dann ist es nur eine Komponente des EITs, die relevant ist, nämlich die 00-Komponente (nein, die hat nichts mit dem stillen Örtchen zu tun), und das ist gerade die Energie. Bewegt sich das System relativ zu euch, dann sind auch die anderen Komponenten relevant, und die einfache Gleichsetzung “Raumkrümmung=Energiegehalt” funktioniert nicht mehr. Die Formel für den Radius eines Schwarzen Lochs (Schwarzschildradius) funktioniert übrigens auch nur, wenn ihr relativ zur betrachteten Masse in Ruhe seid.
Ende von Nebenbemerkung und ExpertInnenhinweis
Wir halten also fest: Nimmt man die SRT und ART zusammen, so gibt es zum einen die Ruhemasse eines Körpers. Diese entspricht dem Energiegehalt, wenn ich relativ zum Körper in Ruhe bin. Sie entspricht in diesem Fall auch der trägen und der schweren Masse.
Wenn sich der Körper bewegt (so wie die Moleküle im Wasserkocher), dann nimmt die Energie zu. Damit erhöht sich auch die “schwere Masse” – die Raumzeit wird stärker gekrümmt. (Dabei ist etwas Vorsicht geboten, siehe die Nebenbemerkung oben). Für die so gemessene “schwere Masse” ist vollkommen unerheblich, wodurch diese Energieerhöhung zu Stande kommt.
Nehmen wir wieder die Wassermoleküle im Wasserkocher als Beispiel. Wenn ich etwas Wärme zuführe und die Moleküle eine Winzigkeit beschleunige, dann steigt die Energie im Kocher. Wenn ich stattdessen aber z.B. Strom in das Wasser einleite und so einige Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalte, dann steigt die Energie im Kocher ebenfalls (weil ich Bindungen aufknacken muss, das kostet auch Energie). Und wenn ich schließlich ein paar weitere Wassermoleküle dazutue, dann steigt der Energiegehalt auch. An der Schwerewirkung des Kochers oder seiner Trägheit könnt ihr das nicht unterscheiden – in allen drei Fällen gilt E=mc². Habt ihr die Energie also um 1 Joule erhöht, dann ist die Masse des Kochers um etwa ein Billionstel Gramm zehn Billiardstel (Dank an Chemiker für die Korrektur) gestiegen, vollkommen egal, woher die Energieerhöhung kommt.
Higgsfeld und Masse
Und das beantwortet nebenbei eine Frage, die im Zusammenhang mit dem Higgsfeld oft gestellt wird: Hat das Higgsfeld etwas mit der Gravitation und der ART zu tun, weil doch das Higgsfeld allen Elementarteilchen ihre Masse verleiht? Die Antwort könnt ihr euch jetzt hoffentlich denken: Das Higgsfeld sorgt dafür, dass ein ruhendes Elementarteilchen eine bestimmte Energie hat. Diese Energie bestimmt dann die schwere Masse des (ruhenden) Teilchens. Der Schwerkraft ist aber vollkommen egal, ob die Energie vom Higgsfeld oder von etwas anderem kommt.
Protonen beispielsweise, die ja in jedem Atomkern drinstecken, bestehen aus drei Elementarteilchen, drei Quarks. Diese Quarks beziehen ihre Masse aus dem Higgsfeld. Das Proton aber hat eine höhere Ruhemasse als der Summe der drei Quarkmassen entspricht – der größte Teil seiner Ruhemasse kommt aus der Bindungsenergie zwischen den Quarks. (Falls ihr euch wundert, wieso die Masse durch die Bindungsenergie größer wird und nicht kleiner, wie oben beim Heliumkern – das ist eine Besonderheit der starken Kernkraft, die die Quarks zusammenhält.) Trotzdem hat das Proton als Ganzes eine eindeutige Masse, und wir müssen – was die Schwerkraftwirkung oder auch die Trägheit angeht – nicht zwischen dem Anteil der Quarkmassen und dem der Bindungsenergie unterscheiden.
Fazit
Betrachten wir noch einmal den Wasserkocher und schauen uns seine Ruhemasse an:
Die Ruhemasse des Kochers (der relativ zu euch ruht) ist höher als die Summe der Ruhemassen aller Moleküle, aus denen er besteht, weil die Moleküle zusätzlich noch eine Bewegungsenergie haben. Die Ruhemasse eines Wassermoleküls wiederum ist kleiner als die Summe der Ruhemassen der einzelnen Atome, weil diese aneinander gebunden sind. Die Ruhemasse eines Atoms ist wiederum kleiner als die Summe der Ruhemasse seiner Elektronen und seines Kerns, ebenfalls wegen der Bindungsenergie. Auch die Ruhemasse des Kerns ist (wieder wegen der Bindungsenergie) kleiner als die Ruhemasse der einzelnen Protonen und Neutronen (das haben wir oben am Beispiel des Heliumatoms gesehen). Aber die Ruhemasse eines Protons ist größer als die Summe der Ruhemassen seiner drei Quark-Bestandteile, weil in diesem Fall die Bindungsenergie positiv gezählt werden muss. Alles klar?
Wie ihr seht, ist der Massebegriff tatsächlich etwas überladen – mit etwas Nachdenken kann man aus dem Zusammenhang aber normalerweise herausbekommen, welche Masse nun gemeint ist.
PS: In diesem Text geht es mal wieder auch um die Relativitätstheorien. Falls ihr zu den LeserInnen gehört, die sich jetzt versucht fühlen, hier mal wieder einen entsprechenden Kommentar zu hinterlassen, weil die Relativitätstheorie ja unsinnig, absurd, der Erfahrung widersprechend, in sich unlogisch oder sonst etwas ist – lasst es einfach. Das Universum ist, wie es ist, nicht so, wie ihr es gern hättet. Wie gesagt, Dharma.
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