Eine Ausnahmeerscheinung sind übrigens die Oviraptoren – Dinosaurier mit ganz seltsamen Schädeln wie diesem hier:
By Jeyradan – Own work, Public Domain, Link
Eine schöne Übersicht über die skurrilen Schädel der Oviraptoren findet ihr hier.
Die Oviraptoren-Schädel liegen ganz unten auf der PC2-Achse. Die PC2-Achse hängt mit der “Höhe” des Gesichts (“dorsoventral narrowing of the face”) und auch mit der Größe des Hirnschädels zusammen (deswegen verlaufen die Pfeile für die ontogenetische Entwicklung auch nach links oben – Jungtiere haben vergleichsweise größere Hirnschädel).
Obwohl die Oviraptoren so seltsame Schädel haben, verzerrt ihre Anwesenheit die Analyse nur wenig – auch wenn man sie herauslässt, ergibt sich ein ähnliches Bild wie zuvor.
Um das Ergebnis der Analyse ganz deutlich zu machen, haben die Autoren dieses Bild hier gezeigt, das auch häufig im Internet zu sehen war:
(Quelle: Bhullar et al., s.u.)
Laut Bildunterschrift sieht man in grün den Schädel eines Alligatorembryos, links überlagert mit dem eines erwachsenen Alligators, rechts mit dem eines Confuciusornis. Das ist allerdings irreführend. Was ihr tatsächlich seht, sind nicht die Original-Schädel selbst (den Original-Alligator-Embryo-Schädel (tolles Wortungetüm) hatten wir ja oben auf dem Foto), sondern die Schädelformen, die sich ergeben, wenn man den Schädel nur an Hand der zwei Hauptkomponenten vergleicht. Man erzeugt also sozusagen erst einen “platonischen Idealschädel” (der in der Mitte des Hauptkomponentendiagramms liegt) und verzerrt diesen dann entsprechend. Die wahren Schädel von Alligator und Confuciusornis sehen schon anders aus, wie ihr auch oben sehen könnt. Das wurde leider häufig falsch dargestellt, konnte aber dank eines Blogposts von Mickey Mortimer mit Antwort der Autoren schließlich geklärt werden.
Wie genau die Evolution des Vogelschädels sich abspielte, zeigt diese Grafik:
(Quelle: Bhullar et al., s.u.)
Hier seht ihr die Entwicklung vom urtümlichen Archosaurier Euparkeria (der vermutlich dem Vorfahren aller Dinos einigermaßen ähnlich war) über die ersten Dinos wie Herrerasaurus und die ersten Vögel (Archaeopteryx) bis hin zu einem modernen Vogel (dem Emu Dromaius), wieder aufgetragen anhand der über die Markierungspunkte rekonstruierten Schädel. Das dahinterliegende Gitter zeigt, wie sich unterschiedliche Bereiche des Schädels verformt haben – diese Technik geht zurück auf den berühmten Biologen D’Arcy Wentworth Thompson, dessen Buch “On growth and form” ein echter Klassiker ist, der sich auch heute noch zu lesen lohnt, obwohl die erste Auflage schon knapp 100 Jahre alt ist.
Die in die Grafik eingezeichneten römischen Ziffern kennzeichnen jeweils Entwicklungsschritte, bei denen eine Neotenie beobachtet wird – im Diagramm passiert das immer dann, wenn der Pfeil nach rechts läuft.
Insgesamt zeigt sich also, dass Vogelschädel tatsächlich denen von jungen Dinosauriern ähneln. Ein wichtiger Grund dafür ist vermutlich (ähnlich wie eventuell auch beim Menschen) die Vergrößerung des Gehirns und auch des Auges.
Allerdings gibt es bei modernen Vögeln an einigen Stellen auch einen gegenteiligen Trend, eine Peramorphose, bei der ein vorhandener Trend in der Entwicklung vom jungen zu erwachsenen Tier verstärkt wird. (Das interessanteste – wenn auch fiktive – Beispiel dafür sind sicher die Pak-Protektoren aus dem Ringwelt-Universum.) Der Schnabel moderner Vögel ist beispielsweise wieder länger geworden (in der Grafik bei Schritt III zu sehen), was dem vorigen Trend widerspricht.
Obwohl die Schädel von Vögeln also viel mit Dinobabies gemeinsam haben, ist die tatsächliche Entwicklung natürlich komplizierter, als es der plakative Titel dieses Blogtextes (und des Originalpapers) vermuten lässt – das ist aber sicher nicht überraschend, die Evolution ist eben ein ziemlich komplexes Phänomen.
Bhart-Anjan S. Bhullar, Jesus Marugan-Lobon, Fernando Racimo, Gabe S. Bever, Timothy B. Rowe, Mark A. Norell & Arhat Abzhanov
Birds have paedomorphic dinosaur skulls
Nature, 487 (2012) S. 223
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