Der Titel dieses Blog-Textes klingt ein bisschen wie ein Science-Fiction B-Movie aus den 50ern (“Angriff der Raketenkalmare”). Einige Kalmare verwenden aber tatsächlich einen Raketenantrieb, mit dem sie durch die Luft fliegen können.
Kalmare gehören ja zur Gruppe der Tintenfische. Hier ein Bild von Sthenoteutis pteropus (gefunden auf der hilfreichen tree-of-life-Seite)
Hier noch ein Bild eines Sthenotheutis, wobei allerdings die Art nicht angegeben ist:
(Quelle: tree of life web)
S. pteropus (ich kürze den Gattungsnamen mal wieder ab, machen die schreibfaulen BiologInnen ja auch so) ist ein ziemlich kleiner Kalmar mit einer Körperlänge von nur 10-15 Zentimeter. Wie alle Kalmare schwimmt er, wenn er es eilig hat, mit einem “Düsenantrieb”: Er saugt Wasser ein und stößt es dann wieder aus – das ist ja genau die Definition einer Düse. Auf diese Weise erreichen Kalmare dieser Größe eine Schwimm-Geschwindigkeit von etwa 1-2 Metern pro Sekunde (die Daten in der Veröffentlichung, die ich herangezogen habe, sind für die etwas größere Art Loligo opalescens), was schon ganz ordentlich ist.
Manchmal reicht diese Geschwindigkeit aber nicht – beispielsweise, wenn ein Fressfeind naht. Und dann können sich Kalmare wie S. pteropus dank eines gezielten Wasserstrahls aus dem Wasser herauskatapultieren und durch die Luft fliegen:
(Quelle: D’Or et al, s.u.)
Diese fantastische Aufnahme gelang dem Amateurfotografen Bob Hulse in der Nähe von Brasilien. Er machte insgesamt 16 Aufnahmen mit seiner Spiegelreflexkamera (gut, dass er keine Kompaktknipse dabei hatte…) und stellte sie der Wissenschaft zur Verfügung.
Dass Kalmare fliegen können, weiß man schon länger – selbst Thor Heyerdahl hat auf dem Deck seiner Kon-Tiki fliegende Kalmare einsammeln können und er berichtete auch, dass Kalmare bis zu 50 Meter weit fliegen können. Aufnahmen sind aber sehr selten, und so bot sich hier die Gelegenheit, mehr über den Raketenflug der Kalmare herauszufinden.
Auf dem Bild oben könnt ihr deutlich sehen, dass die Kalmare auch in der Luft noch Wasser ausstoßen. Damit erzeugen sie entspechend zusätzlichen Vor- und Auftrieb. Die Flossen an der Seite wirken in der Luft wie Tragflächen und vergrößern so die Flugstrecke noch weiter.
Leider hatten die Kalmare keine Maßstabsbalken auf dem Rücken, so dass man nicht genau sagen kann, wie groß sie waren und wie weit sie geflogen sind, jedenfalls in absoluten Einheiten. Sie legten während des Fluges aber mehr als 10 Körperlängen zurück; bei einer geschätzten Größe von 10 Zentimetern also etwas mehr als einen Meter. Ihre Höchstgeschwindigkeit war mit etwa 3,5m/s ungefähr doppelt so hoch wie die Maximalgeschwindigkeit, die sie beim Schwimmen erzielen können – auf jeden Fall nützlich, um einem Räuber zu entkommen. Größere Kalmare erreichen sogar bis zu 7m/s Fluggeschwindigkeit.
Interessant ist die Frage, ob es wirklich nur die Flucht vor Räubern ist, die die Kalmare zum Fliegen veranlasst. Wegen des geringeren Widerstandes ist das Fliegen energetisch durchaus effizient – Delphine beispielsweise springen nicht nur zum Spaß ständig aus dem Wasser, sondern auch, weil sie so Energie sparen, denn gerade das Schwimmen dicht an der Wasseroberfläche verbraucht sehr viel Energie. Allerdings verbrauchen die Kalmare sehr viel Energie, um überhaupt in die Luft zu kommen, so dass diese Fortbewegungsart vermutlich insgesamt nicht hinreichend effizient ist.
Noch nicht. Denn man kann sich natürlich – mit einem Schuss Fantasie – ausmalen, dass sich das im Laufe der Evolution ändern könnte. Kalmare mit größeren Seitenflossen könnten mehr Auftrieb bekommen und könnten vielleicht sogar kurze Strecken dynamisch segeln, indem sie ähnlich wie ein Albatros den Wind an Wellenkämmen ausnutzen. Und mit etwas mehr Fantasie könnte man sich vorstellen, dass sie einen Saugmechanismus entwickeln, der es ihnen erlaubt, Wasser aufzunehmen, während sie über den Wellen dahingleiten. Und ein paar Dutzend Millionen Jahre später fliegen ihre Nachfolger dann durch Regenwolken, um sich dort mit Wasser zu versorgen und so ihre Raketen mit neuer Stützmasse zu laden, bevor sie weiter über die Kontinente fliegen und nichtsahnende Beutetiere mit ihren Tentakeln in die Luft zerren und sie mit ihrem scharfen Schnabel zerreißen. Wer weiß – vielleicht hält die Zukunft wirklich einen “Angriff der Raketenkalmare” bereit, die Evolution hat schließlich schon viele merkwürdige Lebewesen hervorgebracht.
Squid rocket science: How squid launch into air
Ron O’Dor, Julia Stewart, William Gilly, John Payne, Teresa Cerveira Borges, Tierney Thys
Deep-Sea Research II, https://dx.doi.org/10.1016/j.dsr2.2012.07.002
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