Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!”
“Was muß ich da tun?” sagte der kleine Prinz.
“Du musst sehr geduldig sein”, antwortete der Fuchs.
“Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können …” (A. Saint-Exupery, “Der kleine Prinz”)
Schon Charles Darwin hat sich über die Haustiere gewundert, die wir Menschen halten. Wölfe, Schweine, Katzen und Pferde sind alle nicht besonders eng miteinander verwandt. Doch als Haustiere haben sie viele gemeinsame Merkmale: Sie können gescheckt sein (was es in der Natur so nicht gibt), haben oft verkürzte, kindhafte Schädel; sowohl Hunde als auch Schweine können gerollte Schwänze haben; auch verkürzte Schwänze kommen bei verschiedenen Haustierarten vor, ebenso herabhängende Ohren oder ein gewelltes oder lockiges Fell. Ist das nur Zufall? Oder gibt es dafür einen tieferen Grund?
Der beste Weg, um dies herauszufinden, besteht vermutlich darin, eine andere Tierart zu zähmen, um zu sehen, was in diesem Fall passiert.
Ein solches Experiment läuft seit mehr als 50 Jahren in Russland (bzw. damals der Sowjetunion). 1959 begann Dmitrij Belyaev damit, Füchse zu Haustieren zu machen. Hier seht ihr ihn zusammen mit seinen Füchsen:
(Quelle: L. Trut, s.u.)
Seine Methode war allerdings weniger poetisch als die des Kleinen Prinzen. Er begann mit 30 männlichen und 100 weiblichen Silberfüchsen, die von einer Fuchsfarm stammten und deswegen schon ein wenig zahmer waren als ihre wilden Verwandten – beispielsweise waren sie, da sie von einer Farm kamen, in der sie wegen ihres Fells gezüchtet wurden, bereits an Käfighaltung gewöhnt und auch weniger aggressiv als wildlebende Füchse.
(Quelle: L. Trut, s.u.)
Diese Füchse wurden nun einem aufwändigen Selektionsprozess unterzogen. Dazu wurde ihre Aggressivität getestet. Die Füchse werden in drei Klassen unterteilt: Füchse der Klasse III lassen sich nicht streicheln oder berühren, sondern wehren sich durch Bisse oder laufen weg, siehe das Bild rechts.
Füchse der Klasse II lassen sich zwar streicheln, reagieren aber nicht (wie beispielsweise Hunde) freundlich auf den Experimentator, sondern sind eher ängstlich:
(Quelle: L. Trut, s.u.)
Füchse der Klasse I reagieren freundlich, winseln oder wedeln mit dem Schwanz und lassen sich streicheln:
(Quelle: L. Trut, s.u.)
Im Laufe der Zeit wurde, weil die Füchse immer zahmer wurden, noch eine vierte Klasse IE eingeführt – diese Füchse suchen aktiv den Kontakt zum Menschen und versuchen, Aufmerksamkeit durch Winseln zu erregen.
In jeder Generation wurden nur die freundlichsten Füchse zur Fortpflanzung in die nächste Generation zugelassen – nur etwa 5% der Männchen und 20% der Weibchen dürfen ihre Gene an die nächste Generation weitergeben.
Anfangs gehörte kein einziger Fuchs der Klasse IE an, nach 10 Generationen waren es bereits 18%, nach 20 Generationen 35%. Heute sind einige der Füchse so zahm, dass sie als Haustiere gehalten werden können, und die meisten Füchse suchen aktiv den Kontakt zum Menschen.
Da die Füchse außer während der kurzen Experimentierphasen keinen Kontakt zu Menschen hatten, sondern in Käfigen gehalten wurden, kann man daraus bereits schließen, dass die Zahmheit der Füchse vererbt werden kann. Erstaunlich ist aber, wie schnell diese Veränderung vor sich ging – 50 Jahre sind auf der evolutionären Zeitskala ja nahezu nichts. (Dazu muss man aber natürlich sagen, dass der Selektionsdruck auch enorm hoch war.)
Auch physisch haben sich die Füchse deutlich verändert – bereits nach 10 Generationen zeigten sich Varianten in der Fellfärbung. Hier zum Beispiel ein Fuchs mit einem hellen Fleck und einem Muster auf dem Rücken:
(Quelle: L. Trut, s.u.)
(Diese und andere Veränderungen sind nicht einfach auf den fehlenden Selektionsdruck für die Fellfarbe zurückzuführen, denn sie zeigen sich nicht – bzw. wesentlich seltener – bei einer Kontrollgruppe, die nicht auf Zahmheit selektiert wurde.) Kurz darauf zeigten sich hängende Ohren und gerollte Schwänze, wie man sie auch bei vielen Hunden findet. Hier ein Welpe mit Hängeohren:
(Quelle: L. Trut, s.u.)
Nach 20 Generationen fanden sich Füchse mit verkürzten Schwänzen und auch einige mit einem Über- oder Unterbiss; ebenfalls Merkmale, die man von vielen Haustieren kennt. Alle diese Veränderungen sind zwar selten, aber eben doch signifikant häufiger als bei der Kontrollgruppe.
Auch im Verhalten gibt es deutliche Unterschiede – die Füchse reagieren früher auf Geräusche als es die Welpen der Kontrollgruppe tun und sie reagieren erst nach 9 statt 6 Wochen mit typischen Angstreflexen auf ungewohnte Einflüsse. Insgesamt wird so das Zeitfenster, in dem die Füchse als Jungtiere für soziale Kontakte offen sind, deutlich vergrößert.
Diese Veränderungen korrelieren mit einer Änderung des Hormonhaushalts. Wenn Fuchswelpen älter werden, dann steigt ihr Corticosteroidspiegel – diese Hormone sind für aggressives Verhalten mitverantwortlich. Bei den gezähmten Füchsen findet dieser Anstieg deutlich verzögert statt. Auch bei erwachsenen Füchsen ist der Gehalt an diesen Hormonen kleiner als bei den nicht gezähmten Verwandten.
Die Selektion auf zahmes Verhalten hat also vermutlich zunächst einmal den Hormonhaushalt verändert. Die Tatsache, dass damit ähnliche physische Veränderungen einher gehen, wie wir sie auch an unseren gewöhnlichen Haustieren beobachten, spricht dafür, dass entweder diese Hormone direkt für diese Entwicklungen verantwortlich sind oder dass sie genetisch aneinander gekoppelt sind (beispielsweise über Steuergene). Es ist also kein Zufall, dass unsere Haustiere einander ähneln, sondern hat biologische Ursachen.
Auch wenn wir natürlich nie genau wissen werden, wie der Wolf zum Hund wurde, so geben diese Experimente doch eine gute Idee davon, wie sich Säugetiere verändern, wenn sie einem Selektionsdruck hin zu weniger Aggression unterliegen.
Es ist sogar möglich, dass ähnliche Evolutionsprozesse auch bei Wildtieren auftreten, die nie in Kontakt mit Menschen stehen. Aber dazu schreibe ich demnächst etwas mehr – solange könnt ihr ja fröhlich spekulieren, welche Tierart hier gemeint ist.
Lyudmila N. Trut
Early Canid Domestication:The Farm-Fox Experiment
American Scientist, Volume 87
Schöne Bilder und schlecht aufgelöste Videos gibt es auch hier.
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