Die Bonobos sind die engsten Verwandten der Schimpansen. Sie sind bekannt für ihre vergleichsweise größere Friedfertigkeit und werden oft auch mit dem Beisatz “Make love, not war” beschrieben. Hinzu kommt, dass in der Bonobo-Gesellschaft Weibchen stärker den Ton angeben als Männchen. Gelegentlich treibt die Beschreibung der Bonobo-Gesellschaft deshalb auch seltsame Blüten, wie in diesem Emma-Artikel, wo es heißt:
Das nie verwirklichte Hippie-Ideal “Make love not war” wird im Garten Eden zwischen dem Kongo-Strom und den Flüssen Lomami und Kasai also völlig selbstverständlich in die Tat umgesetzt
Nun, ganz so ideal ist die Bonobo-Gesellschaft nicht, und aggressionsfrei sind sie auch nicht. Obwohl Bonobos Artgenossen wesentlich seltener angreifen, verletzen oder töten als Schimpansen das tun, kommt es durchaus vor. Ihre Gesellschaft zu idealisieren ist wohl wenig hilfreich, zumal wir Menschen nun mal keine Bonobos sind.
Interessant ist aber die Frage, warum Bonobos so viel weniger aggressiv sind als Schimpansen. (Auch wenn Bonobos zur Schimpansen-Gattung (Pan) gehören, verwende ich in diesem Text die einfache begriffliche Trennung Bonobo (Pan panisces) – Schimpanse (Pan troglodytes).) Ist die verringerte Aggression eine Frage der Kultur oder gibt es dafür einen evolutionären und genetisch verankerten Grund? Und wie hat sich die Entwicklung vom Ur-Schimpansen zum weniger aggressiven Bonobo abgespielt?
Schauen wir zunächst, wie sich Bonobos von Schimpansen unterscheiden: Sie haben etwas kleinere Schädel (mit entsprechend verkleinertem Hirnvolumen) und kleinere Eckzähne, so dass ihr Schädelbereich auch bei erwachsenen Tieren eher jugendlich bleibt (Pädomorphose – ein anderes Beispiel dafür habe ich ja erst vor kurzen beschrieben). Außerdem haben sie depigmentierte Lippen.
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Im Sozialverhalten sind sie wesentlich verspielter, sind eher bereit Futter zu teilen und – davon hat ja vermutlich jeder schon mal gehört – haben wesentlich häufiger Sex, nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch als Strategie, um Aggressionen abzubauen. Damit einher geht auch, dass die Weibchen für einen größeren Zeitraum ihrer Periode empfängnisbereit sind.
Anders als bei den Schimpansen haben Bonobos Sozialverbände, die von stabilen Weibchentrupps dominiert werden. (Schimpansen und auch Bonobos leben ja generell in größeren Gruppen, die sich aber meist in kleinere Trupps aufteilen, die dann tage- oder auch wochenlang umherstreifen. Mitglieder einer Gruppe kennen sich aber gegenseitig gut und haben eine klare Rangordnung.¹) Das Aggressionsniveau der Bonobos ist insgesamt deutlich niedriger und es fällt Bonobos leichter, in Experimenten mit anderen zusammenzuarbeiten, um Aufgaben zu bewältigen. Bringt man Bonobos mit Menschen zusammen, so sind sie deutlich besser darin, das Verhalten der Menschen zu deuten als Schimpansen das können – beispielsweise gelingt es ihnen leichter, der Blickrichtung eines Menschen zu folgen, um einen Hinweis zu finden. Umgekehrt sind Schimpansen dafür geschickter, wenn es darum geht, allein
Probleme zu lösen, die mit Futter belohnt werden. Freilebende
Schimpansen verwenden verschiedene Werkzeuge, um an Nahrung zu kommen
(zum Beispiel Grashalme zum Termitenangeln oder zerkaute Blätter als
Schwämme), während Bonobos das nicht tun.
¹Wer mehr über Schimpansen wissen will, sollte unbedingt das –
wissenschaftlich leicht veraltete, aber trotzdem hervorragende – Buch
“Wilde Schimpansen” von Jane Goodall lesen (das war eine zeit lang mein
Lieblingsbuch, ich habe es sicherlich mindestens 10 mal verschlungen).
Wer die Liste oben liest und diesen Blog aufmerksam verfolgt, dem dürfte eins aufgefallen sein: Viele der angeführten Merkmale finden sich auch bei gezähmten Tieren, wie in meinem Text über das Farm-Fuchs-Experiment beschrieben. Dazu gehört der eher jugendliche Schädel, die Änderung der Pigmentierung (auch wenn sie bei den Bonobos nur an den Lippen stattfindet), das ausgeprägtere Spielverhalten, die verlängerte Empfängnisbereitschaft der Weibchen (viele Haustiere sind ja mehrfach im Jahr empfängnisbereit). All das deutet darauf hin, dass hier vielleicht ähnliche evolutionäre Mechanismen am Werk sind.
Interessant ist natürlich die Frage, ob sich bei den Bonobos – wie bei vielen Haustieren – der Hormonspiegel entsprechend geändert hat. Experimente haben gezeigt, dass bei Schimpansen der Testosteron-Spiegel ansteigt, wenn sie Futter erwarten (was darauf hin deutet, dass sie die Nahrungsaufnahme mit aggressivem Verhalten verbinden), während das bei Bonobos nicht der Fall ist. Außerdem zeigt diese Veröffentlichung zumindest, dass der Testosteron-Spiegel bei Bonobos (anders als bei Schimpansen) nicht mit dem sozialen Rang korrelliert, was dafür spricht, dass ein erhöhter Testosteron-Spiegel (und entsprechend erhöhte Aggressivität) keinen evolutionären Vorteil bringt (denn höherer Rang ist ja evolutionär günstig).
Die Idee, dass Bonobos sich “selbst gezähmt” haben – in dem Sinne, dass sie evolutionär auf verringerte Aggressivität hin selektiert wurde – ist zur Zeit eine Hypothese. Man könnte sie dadurch stützen, dass man die Genexpression der Gene untersucht, die für aggressives Verhalten zuständig sind, oder dass man nachweist, dass die morphologischen Veränderungen bei den Bonobos tatsächlich an die verringerte Aggressivität gekoppelt sind, so wie es ja anscheinend bei den Haustieren und gezähmten Füchsen der Fall ist.
Aber auch wenn es zur Zeit nur eine – plausible – Hypothese ist, so kann man natürlich doch überlegen, wie die Evolution hin zum weniger aggressiven Bonobo verlaufen ist. (Theoretisch ist auch ein umgekehrtes Szenario denkbar, bei dem der Ur-Schimpanse friedlich war und dann die Schimpansen auf aggressiveres Verhalten hin selektiert wurden, dies ist aber unwahrscheinlich, weil die veränderte Schädelform des Bonobos eine Eigenart dieses Spezies (Synapomorphie) ist, die von der der Schimpansen und Gorillas abweicht. Entsprechend kann man annehmen, dass der gemeinsame Vorfahr von Gorilla, Schimpanse und Bonobo einen schimpansen-artigen Schädel hatte.)
Einen Hinweis darauf gibt die Tatsache, dass Bonobos auch in freier Wildbahn weniger stark um Futter konkurrieren und dass gerade Bonobo-Weibchen häufig gemeinsam auf Nahrungssuche gehen, während Schimpansen-Weibchen oft allein unterwegs sind. Das könnte bedeuten, dass im Lebensraum der Bonobos südlich des Kongo mehr Nahrung für die Bonobos zur Verfügung steht, beispielsweise weil sie nicht in Futterkonkurrenz mit Gorillas stehen und so mehr bodenwachsende Pflanzen zur Verfügung haben.
Man kann sich damit folgendes Szenario ausmalen: Durch das bessere Nahrungsangebot ist es für Bonobo-Weibchen günstig, sich in innerhalb einer Gruppe zu Trupps zusammenzuschließen, die über längere Zeit stabil bleiben (während Schimpansen oft nur für kurze Zeit Trupps bilden, die auch meist kleiner sind). Dadurch konnten sich Bonobo-Weibchen gegenseitig besser unterstützen, wenn beispielsweise eines von ihnen von einem Männchen angegriffen oder bedrängt wurde. Für die Männchen war es deshalb evolutionär günstiger, nicht zu aggressiv gegenüber den Weibchen zu sein. Man hat Bonobo-Weibchen beobachtet, die in der Gruppe ein Männchen getötet haben, das dürfte der evolutionären Fitness des Männchens sicher geschadet haben. (Soviel dann auch zur absolut friedlichen Bonobo-Gesellschaft – Tiere zu idealisieren ist selten hilfreich.)
Umgekehrt wurden Männchen, die weniger aggressiv und eher spielerisch waren, von den Bonobo-Weibchen eher geduldet und konnten so ihre Fitness steigern. Insgesamt könnte das zu einer Selektion auf weniger Aggression bei den Männchen geführt haben. (Bei Säugetieren sind es ja meist die Männchen, an denen die Selektion stärker zuschlägt – nahezu jedes erwachsene Weibchen bekommt eine Chance auf Nachwuchs (ja, es gibt Ausnahmen), aber bei weitem nicht jedes erwachsene Männchen.) Der Effekt könnte sich dann selbst verstärkt haben – in einer weniger aggressiven Gesellschaft fällt auch leicht aggressives Verhalten stark auf und kann zu einem Nachteil werden. Diese Rückkopplung könnte dann zu einer sehr aggressionsarmen Kultur geführt haben.
Zugegebenermaßen ist das natürlich nur ein Szenario, keine bewiesene Theorie. Trotzdem ist es durchaus plausibel und gerade wegen seiner Analogie zur Haustierwerdung interessant – auch da dürfte es ja so gewesen sein, dass zunächst Wölfe dann in der Nähe von Menschengesellschaften geduldet wurden, wenn sie sich möglichst friedlich verhielten, und dass Wölfe, die weniger Angst vor Menschen hatten, mehr Möglichkeiten hatten, sich von Nahrungsresten der Menschen zu ernähren.
So weit, so interessant. Ob es jetzt aber sinnvoll ist, daraus Lektionen für unsere Gesellschaft abzuleiten (sei es jetzt über die Überlegenheit eines Matriarchats oder den positiven Einfluss von “freier Liebe”), scheint mir sehr fraglich. Zunächst sind diese Bilder der Bonobo-Gesellschaft ja meist etwas arg idealisiert. Wichtiger ist aber, dass das Szenario evolutionär ist und auf echten physiologischen Veränderungen beruht. Bonobos sind nicht einfach Schimpansen, die eines Tages beschlossen haben, firedlich zusammenzuleben. Wenn wir uns (oder unsere Kinder) nicht alle gen-manipulieren lassen wollen, haben wir wohl schlechte Karten, das einfach nachzuvollziehen (mal ganz davon abgesehen, dass ein verringertes Volumen des Gehirns auch nicht soo erstrebenswert erscheint). Die Tatsache, dass wir trotz der Vielzahl menschlicher Gesellschaften keine kennen, die der der Bonobos wirklich ähnelt, spricht auch nicht gerade dafür, dass die Bonobo-Gesellschaft wirklich für uns geeignet ist.
Und schließlich sind wir Menschen evolutionär Experten für Kultur geworden – wir müssen nicht mehr auf Gen-Veränderungen warten, wenn wir unsere Gesellschaft ändern wollen, sondern können das direkt entscheiden. Die Frauenbewegung oder die Abschaffung der Sklaverei verdanken wir nicht der biologischen, sondern der kulturellen Evolution. Und wenn jeder von uns sich bemüht, dann können wir vielleicht direkt eine Gesellschaft schaffen, die die der Bonobos an Friedfertigkeit noch in den Schatten stellt, ohne dass wir auf die Evolution warten müssen.
Brian Hare, Victoria Wobber, Richard Wrangham
The self-domestication hypothesis: evolution of bonobo psychology
is due to selection against aggression
Animal behavior 83 (2012) 573-585
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