(Das Blockuniversum gibt ein vollkommen inadäquates Bild der Zeit. Es berücksichtigt nicht das Vergehen der Zeit, die Vorherrschaft der Gegenwart, die Gerichtetheit der Zeit und den Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit.)
In meinen Augen sind diese Punkte aber hier eigentlich geklärt. Das Vergehen der Zeit und der Zeitpfeil sind letztlich dasselbe. Für uns hat die Zeit eine Richtung (die man zumindest im Alltag mit der Kausalität in Verbindung bringen kann – Ursachen liegen vor ihren Wirkungen), und weil sie eine Richtung hat, können wir zu jedem Punkt ein “vorher” und ein “nachher” festlegen, so wie jeder Punkt im Seil ein “oben” und ein “unten” an Hand der anliegenden Last festlegen kann. Die “Vorherrschaft der Gegenwart” ist unser Empfinden, dass “jetzt” eben “jetzt” ist – aber genau so wie “hier” eben “hier” ist, ist daran nichts ungewöhnliches.
Es gibt allerdings eine Möglichkeit, wie man das Bild der vergehenden Zeit doch “retten” kann: Wenn ihr euch auf den Standpunkt eines Dualisten stellt und annehmt, dass es eine Seele gibt, die außerhalb unserer Welt steht und euren Körper “bewohnt”, dann könnt ihr sinnvoll vom “Vergehen der Zeit” sprechen – so wie oben im Beispiel mit dem Buch. Wer will, mag das als Argument für den Dualismus nehmen. (Ich sehe das anders – auch die Idee, dass wir ein Bewusstsein haben, dass einem Körper innewohnt, ist meiner Ansicht nach eine Fiktion, aber das ist wieder ein anderes Thema und sicher bei Gelegenheit einen anderen Text aus der Reihe “Ein Physiker versucht sich als Philosoph” wert…)
Ein Teil der Unbehagens mit dem Bild des Blockuniversums kommt vielleicht daher, dass es problematisch erscheinen mag, es mit der Willensfreiheit in Einklang zu bringen. Wenn alle Zeitpunkte in gleicher Weise existieren, dann ist ja alles schon determiniert, oder? Ich glaube, dass auch das eine schiefe Sichtweise ist (obwohl mich der Gedanke, dass alles determiniert ist, in keinster Weise stört) – den Zeitpfeil gibt es ja trotzdem (so wie den Lastvektor bei unserem Seil). Alles, was vor einem Zeitpunkt ist, kann diesen beeinflussen (ich argumentiere der Einfachheit halber mit der Newtonschen Physik, weil es für das Argument keinen Unterschied macht). Wenn ich das Seil an einem Punkt durchschneide, fällt der Teil darunter ab, der darüber nicht. Hat das irgendeine Auswirkung darauf, welchen Punkt des Seiles ich als “hier” bezeichne? Natürlich nicht – jeder Punkt ist , was das “hier”-Sein angeht – gleichberechtigt, auch wenn einige Punkte mehr Last tragen und deswegen mehr vom Seil runterfällt, wenn ich es dort durchschneide.
Ein anderes brauchbares Bild wäre das eines Romans – natürlich hat (innerhalb seiner Sichtweise) Frodo Beutlin die Willensfreiheit, nach Mordor zu gehen oder nicht. Dass wir das Buch als ganzes vor uns liegen haben, ändert nichts daran, dass er (aus seiner Sicht) während des Rates von Elrond diese Entscheidung trifft. Und beim Lesen empfinden wir es (hoffentlich) auch so, jedenfalls wenn wir in die Geschichte eintauchen. Nur wenn wir hinreichend Distanz bewahren (uns also bewusst bleiben, dass wir außerhalb des Buches sind), dann ist uns klar, dass natürlich alle Entscheidungen längst getroffen sind – aber auch hier sieht man wieder, dass man einen Standpunkt außerhalb braucht.
Für ein Wesen, das außerhalb unserer Welt stünde, ist die Welt als ganzes da und determiniert; für uns sieht es anders aus. Wir können das Blockuniversum nicht als Block wahrnehmen, weil wir innerhalb sind (so wie ich oben in der Scheinwerferstraße nicht alle Häuser sehen kann), aber wir können uns überlegen, dass es trotzdem ein Block ist (so wie ich mir in der Straße überlegen kann, dass es keinen Grund gibt anzunehmen, dass ausgerechnet mein Haus irgendwie besonders ist).
Und wie schon gesagt – dass wir einen Fluss der Zeit wahrnehmen, wird durch die Ansicht eines Blockuniversums nicht geleugnet. Natürlich frage ich mich, was morgen “sein wird” und habe manchmal das Gefühl, dass die Zeit besonders schnell oder langsam vergeht (obwohl Thomas Mann in “Joseph und seine Brüder” (übrigens ein geniales Buch) sehr gut argumentiert, dass die Zeit nicht schnell oder langsam vergeht, sondern einfach nur vergeht). Hier – wie anderswo – gibt es einen Konflikt zwischen unserem subjektiven Empfinden und der objektiven Realität. Dass unser Empfinden sich bei objektiver Betrachtung als Illusion herausstellt, macht es ja nicht weniger real.
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