Anschließend wird uns die Abraham-Isaak-Geschichte erzählt – “die Tradition der Beschneidung als Zeichen des Bundes mit Gott”. Hier wird jetzt nur die “Tradition” beschworen, es ist noch nicht einmal von einer Pflicht die Rede (auch wenn die in 1 Moses, 17 (lohnt sich zu lesen!) ja drin steht). Das wäre doch jetzt genau der Moment, wo uns Herr Bachrach erklären könnte, warum gerade diese Tradition und dieses Ritual so wichtig ist – aber Fehlanzeige. Stattdessen wird auf subtile Weise die Schuld verschoben. Dass sich Menschen über die Beschneidung aufregen, liegt nämlich nur daran, dass sie keine Juden kennen: “Es gibt kaum Juden hier… Die meisten Leute kennen deshalb einfach keine jüdischen Traditionen.”
Doch, die Beschneidungs-Tradition wurde in den letzten Wochen hinreichend diskutiert und dürfte jedem bekannt sein. Was Herr Bachrach vermutlich sagen will ist, dass den meisten Deutschen eben nicht klar ist, wie selbstverständlich das Ritual für die Juden nun einmal ist – aber dass “wir denken nicht drüber nach” kein Argument ist, haben wir hoffentlich schon geklärt. Was den meisten Menschen vermutlich ebenfalls nicht klar ist, ist, warum das Ritual so wichtig ist – aber das bekommen wir nicht erklärt.
Stattdessen bekommen wir noch ein zweites “Argument” präsentiert: “Euch geht’s einfach zu gut – ihr habt sonst keine Probleme.” Ja, stimmt. Wenn wir hier gerade Krieg hätten oder ein AKW explodiert wäre, würden wir uns wohl nicht über Beschneidung unterhalten müssen. Auch das könnte man aber genauso gut für jede andere Tradition anführen – auch für solche, die Herr Bachrach nicht gutheißt. Und das Uralt-Argument “Warum regst du dich über X auf, Y ist doch viel schlimmer” wird auch durch Aufwärmen nicht besser.
Zusätzlich zum “Nicht-Nachdenken” verfolgt Herr Bachrach aber auch noch eine gekonnte Vogel-Strauß-Politik:
Kein jüdischer Mann, jedenfalls keiner, den ich kenne, ist wegen seiner Beschneidung traumatisiert.
Darf ich vorstellen: Google – Herr Bachrach, Herr Bachrach – google. Guckst du z.B. hier.
Aber schließlich erfahren wir doch noch etwas über die Vorteile der Beschneidung
Wenn überhaupt, sind es die jüdischen Mütter, die nach der Beschneidung ihrem Sohn ein Leben lang alles durchgehen lassen. Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, die Bereitschaft, seinen Sohn physisch leiden zu lassen, erscheint mit der Beschneidung aufgebraucht. Vielleicht gibt es ja auch deswegen viel mehr jüdische Nobelpreisträger als jüdische Olympiasieger
Äh, wie bitte? Jüdische Eltern lassen ihre Kinder also später im Leben weniger leiden und behandeln sie besser als nicht-jüdische, weil sie ihnen als Säuglinge Schmerzen zugefügt haben? [Citation needed] sagt man wohl in solchen Fällen. Vielleicht sollten wir Nicht-Juden unseren Neugeborenen gelegentlich mit Stöcken auf die Fußsohlen schlagen oder so? Das Zufügen von Schmerzen auch noch als positive Erziehungsmaßnahme zu verkaufen, zeugt jedenfalls schon von ziemlich viel Chuzpe. Das anschließende freie Fabulieren zu den Nobelpreisträgern ist zumindest amüsant.
Immerhin finden wir hier die klare Aussage, dass die Beschneidung tatsächlich Schmerzen verursacht. Wie war das noch? “Ohne Risiko für Wohl und Wehe”?
Besonders nett ist auch das Ende des Artikels:
Wenn sich allerdings die selbst ernannten Kreuzritter im Namen der Kinder dieser Erde mit der Forderung durchsetzen sollten, deutsche Kinder zukünftig zu allen, ihnen möglicherweise irreparable Schäden zufügenden elterlichen Entscheidungen vorher zu befragen, dann fragt sie bitte auch vorher, ob ihr euch scheiden lassen dürft.
Zum einen – viele Ehen bleiben sicher nur genau “wegen der Kinder” zusammen. Zum anderen sind bei einer Scheidung eben auch die Eltern betroffen und es ist das Leid der Kinder gegen das der Eltern abzuwägen (und ob Kinder in einer Familie mit dauerstreitenden Eltern nicht mehr leiden als bei einer Trennung, wäre wohl auch erst mal zu klären). Und genau diese Abwägung ist es, die notwendig ist – wie stark leiden Eltern unter dem Wissen, dass ihr Kind eine Vorhaut hat, und wiegt dieses Leiden den Schmerz des Kindes (und die Irreversibilität des Vorgangs) auf?
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