Jeder kennt das sicher: Wenn es im Sommer heiß wird, dann strahlen irgendwann auch die Hauswände ordentlich Wärme nach innen ab und es wird ungemütlich warm. Gerade in Ländern, wo die Sonne richtig brennt, verwendet man deshalb gern Klimaanlagen, um Häuser zu kühlen, aber der zusätzliche Energieverbrauch ist natürlich nicht gut für die Umwelt. Eine geniale Erfindung eröffnet jetzt vielleicht einen neuen Weg, um Häuser zu kühlen.

Tiere (wie auch wir Menschen) stehen ja oft vor einem ähnlichen Problem: Uns ist heiß und wir fangen an zu schwitzen. Der austretende Schweiß verdunstet und sorgt so für eine effiziente Kühlung des Körpers. Diese simple Grundidee möchte man sich nun auch für Häuser zunutze machen.

Dazu muss man sich natürlich zweierlei überlegen: Zum einen haben Häuser keine Schweißdrüsen – man braucht also einen Weg, um Flüssigkeit an der Hausoberfläche verdunsten zu lassen. Zum anderen können Häuser auch nichts trinken – man braucht also einen einfachen Weg, um das Wasser wieder nachzuladen.

Beide Probleme lassen sich aber lösen, wenn man ein spezielles Material verwendet: Ein Hydrogel.

Hydrogele sind Polymere, sie bestehen also aus organischen Molekülketten. Diese Ketten sind miteinander vernetzt und sorgen so für die Formstabilität des Materials. Das besondere an den Hydrogelen ist, dass sie große Mengen Wasser speichern können, das sich zwischen den Polymerketten anlagert. Dazu haben die Polymerketten elektrisch geladene (also polare) Seitengruppen, für die es energetisch günstig ist, wenn Wasser sich dort einlagert.

Biologisch kennt man so etwas beispielsweise von unserem Knorpel – der kann sich auch mit Wasser vollsaugen, das von den polaren Seitengruppen festgehalten wird. Drückt man auf den Knorpel drauf, wird das Wasser gegen die Bindungskräfte herausgedrückt. Das gibt dem Knorpel seine Druckfestigkeit und sorgt zusätzlich im Gelenk dafür, dass auf der Gelenkfläche ein selbsterneuernder Flüssigkeitsfilm liegt. (Ihr könnt den Mechanismus allerdings einigermaßen effektiv unterlaufen, wenn ihr lange Zeit starr steht, dann ist die Flüssigkeit irgendwann sehr weit aus dem Knorpel herausgedrückt und die Schmierwirkung nimmt ab. Deswegen haben Menschen, die lange Zeit mit wenig Bewegung stehen müssen, oft Gelenkerkrankungen.)

Im Alltag kennt ihr Hydrogele auch, wenn ihr schon einmal weiche Kontaktlinsen gesehen habt (also solche, die man leicht verformen kann). Die müssen immer in geeigneter Lösung gelagert werden, damit sie nicht austrocknen; wenn man sie doch mal trocknen lässt, schrumpeln sie stark zusammen und werden brüchig. (Wenn man es rechtzeitig merkt, bevor die Linse Risse bekommt, kann man sie  wieder in Lösung einlegen und warten, bis sie sich wieder vollgesogen hat.)

Die Idee für die Hauskühlung ist jetzt eigentlich sehr naheliegend: Ihr beschichtet euer Haus mit einem Hydrogel, das bei hoher Temperatur sein Wasser durch Verdunstung abgibt. Dazu hat man in dem hier beschriebenen Versuch ein Polymer namens PNIPAM (poly(N-isopropylacrylamide)) verwendet, das bei 32°C einen Phasenübergang macht und einen großen Teil seines Wassers durch Verdunstung abgibt. (An diesem Phasenübergang ist natürlich – wie immer – die Entropie schuld.)

Damit man ein Haus für einen Nachmittag kühlen kann, braucht man aber natürlich schon eine Menge Wasser – eine Abschätzung liefert einen Wert von 3Liter pro Quadratmeter Oberfläche, was einer 3 Millimeter dicken Wasserschicht entspricht.

Um das Hydrogel zu testen, wurde es zwischen zwei Matten eingeschlossen, wobei die obere Matte winzige Poren (“Nanoporen”) aufwies, damit die Wassermoleküle durchpassten, die Polymermoleküle aber nicht (das Hydrogel soll ja formstabil bleiben). So sieht das aus:

(Quelle: Rotzetter et al., s.u.)

PNIPAM kann im vollgesogenen Zustand sehr viel Wasser speichern, so dass eine knapp 3 Millimeter dicke Schicht tatsächlich ausreicht (ein Hydrogel besteht im vollgesogenen Zustand zu bis zu 99,9% aus Wasser). Um einen fairen Vergleich zu haben, wurde zusätzlich ein anderes Hydrogel getestet, das auch Wasser enthält, dieses aber nicht so leicht abgibt und so nicht “schwitzen” kann.

Dann hat  man zwei Modellhäuschen (mit einer Dachfläche von nur 42cm²) gebaut und mit diesen Schichten versehen:

(Quelle: Rotzetter et al., s.u.)

Diese Modellhäuschen wurden jetzt mit einer Strahlung von 1 kW pro Quadratmeter bestrahlt, das ist etwa das Maximum dessen, was die Sonne an Strahlungsliestung liefert. (Wer Spaß hat, kann diesen Wert übrigens abschätzen – als Eingangswissen reicht, dass die Sonne pro Sekunde 4 Millionen Tonnen Masse in Energie umwandelt und dass die Erdumlaufbahn einen Radius von 150 Millionen Kilometern hat, das ist ein nettes Fermi-Problem. (Auflösung der Rechnung gibt’s unten.))

Hier sehr ihr den Temperaturverlauf der Häuschen über drei Stunden:

(Quelle: Rotzetter et al., s.u.)

Links das Häuschen mit dem gewöhnlichen Hydrogel, rechts das schwitzende Häuschen.

Wie ihr seht, bleibt das Häuschen vor allem an Anfang deutlich kühler; erst nach drei Stunden erreicht das Dach dieselbe Temperatur wie das ungeschützte Häuschen.

Ein etwas präziserer Messaufbau (dafür weniger hübsch) wurde auch probiert, dabei wurden die Hydrogel-Schichten von oben bestrahlt und dann unten die Temperatur gemessen. Auch hier erreichte das schwitzende Dach an der Unterseite erst nach drei Stunden die Temperatur des Dachs, das mit einem normalen Hydrogel ausgestattet war. Allerdings wurde es danach sogar heißer, weil das normale Hydrogel ja auch einen gewissen Wärmedämmeffekt hat, der beim schwitzenden Hydrogel verloren geht, wenn alles Wasser verdunstet ist.

Der Unterschied zwischen einem normalen Hydrogel und dem schwitzenden Hydrogel wird auch in dieser Grafik noch einmal deutlich:

(Quelle: Rotzetter et al., s.u.)

Oben seht ihr das normale Hydrogel. Unter Sonneneinstrahlung trocknet es an der Oberfläche aus und bildet dann dort eine dichte Polymerschicht, die kein weiteres Wasser durchlässt. Das “schwitzende” Hydrogel dagegen bildet so eine Schicht nicht, so dass Wasser immer weiter verdunsten kann. Wie bei einem schmelzenden Eisblock bleibt die Temperatur dabei konstant, bis alles Wasser verdunstet ist.

Und wie bekommt man das Zeug wieder voll, wenn das Wasser verdunstet ist?

Das Hydrogel kann sich selbst mit Wasser wieder aufladen, genau wie die vertrocknete Kontaktlinse. In den Tropen regnet es ja oft am Nachmittag, und die Versuche zeigen, dass sich das Hydrogel bereits bei relativ kurzer Regeneinwirkung wieder regeneriert. In Gegenden, wo kein Wassermangel herrscht, kann man sich auch eine Berieselungsanlage für das Dach vorstellen. Eine andere (noch bessere) Möglichkeit sind Hydrogele, die sich die Feuchtigkeit direkt aus der Luft holen können, wenn es nachts abkühlt. Diese Gele sind aber noch in der Entwicklung.

Eine Modellrechnung mit einem normalgroßen Haus (100m² Dachfläche) zeigt, dass man mit einem solchen Mechanismus zur Kühlung der Innenräume auf 20°C etwa 60% der Energie gegenüber einer Klimaanlage sparen kann – das ist ja schon ganz beachtlich. Das “schwitzende” Haus ist also auf jeden Fall eine vielversprechende Idee.

                                                                                                                                        

A. C. C. Rotzetter, C. M. Schumacher, S. B. Bubenhofer, R. N. Grass, L. C. Gerber, M. Zeltner, and W. J. Stark

Thermoresponsive Polymer Induced Sweating Surfaces as an Efficient Way to Passively Cool Buildings

Adv. Mater. 2012, DOI: 10.1002/adma.201202574

                                                                                                                                        

Hier die kleine Rechnung zur Strahlungsleistung der Sonne:

4 Millionen Tonnen Masse sind 4e9 kg. (Ich verwende die einfache e-Schreibweise für zehn-hoch: 1e2=10²=100) Nach Einstein ist E=mc², also

E= 4e9* 3e8*3e8 = 36 e25 = 3,6e26 Joule pro Sekunde, also 3,6e26 Watt

Diese Strahlungsleistung geht nach Außen weg und verteilt sich im Erdabstand über eine Kugeloberfläche mit Radius 150 Millionen Kilometer, also 1,5e11 Meter. (Bei solchen Abschätzungen immer in SI-Einheiten umrechnen.)

Die Fläche ist also 4πr²= 12 *1,5e11 * 1,5e11 = 12 * 2,25 e22 = 2,5e23 m² (Ja, 4 π ist so etwa gleich 12.)
Pro Quadratmeter haben wir also 3,6e26/2,5e23 = 3,6*4/10 * 1e3 = 1,4e3
also 1400 Watt pro Quadratmeter. An der Erdoberfläche kommt davon nicht alles an, wegen der Absorption in der Erdatmosphäre, so dass der maximal mögliche Wert auf der Erdoberfläche etwas darunter liegt.

Kommentare (9)

  1. #1 Martin
    25. September 2012

    Ich war mal mit meinem Physik leistungskurs an der Uni in Kaiserslautern, dort wurde uns ebenfalls ein Gel vorgestellt, welches bei Raumtemperatur den Aggregatszustand wechselt und so
    den Raum auf einer angenehmen Temperatur hält. Das ging dann in beide Richtungen, zum kühlen und zum heizen. Sind solche gele (auch das hier beschriebene) schon bald markttauglich?

  2. #2 MartinB
    25. September 2012

    @Martin
    Wenn ich es richtig verstehe, ist hier die Langzeittauglichkeit noch nicht vollständig geklärt – viele Polymere können ja starke UV-Strahlung nicht vertragen und zersetzen sich dann. Und in dem Versuch wurde das Gel 4 Zyklen lang gewässert und bestrahlt, man muss sicher noch prüfen, ob das auch 1000 mal geht. Leider steht das im Artikel nicht genau drin – was zukünftige Arbeiten und offene Punkte angeht, ist er etwas mager.

  3. #3 Aiko
    25. September 2012

    Das erinnert mich an Diébédo Francis Kéré
    https://www.moma.org/interactives/exhibitions/2010/smallscalebigchange/projects/primary_school

    Es ist ja schön neue Materialien zu entwickeln, aber ein Haus ist noch was anderes. Und da gibt es eben die Dinge, die sich bereits am Ort als gebrauchstauglich erwiesen haben.

  4. #4 nastes
    26. September 2012

    Interessante Idee, allerdings habe ich grosse Bedenken das sich so ein System als alltagstauglich erweist. Nicht nur das das Ganze über mehrere tausend Zyklen funktionieren sollte, man will ja nicht alle drei Jahre das Dach renovieren müssen, sondern auch das eine wassergefüllte Polymerschicht sich sehr attraktiv für Pilze und Bakterien anhört.
    Aber mal sehen.

    @Aiko
    Danke für den link, sehr schöne Idee von dem Herrn Kéré

    Schönen Tag noch,
    nastes

  5. #5 Frenk
    26. September 2012

    Interessantes Projekt.
    Wenn Biologen mit den Architekten was aushecken, kann schon was sehr Visionäres dabei heraus kommen. Das scheint ein Trend zu sein und erzeugt durchaus schon realisierbare Bauten.
    Bei der Analogie mit dem Schwitzen fehlt mir allerdings die Vaskularisierung der (Gebäude-)Haut und der Kreislauf. Dieser transportiert nicht nur das Wasser, sondern auch Wärme aus den Tiefen des Körpers und macht die Kühlung effizient. Leider nicht in den Tropen, da die hohe Luftfeuchtigkeit eine Verdunstung verhindert und man bloss nasse Haut bekommt. Jeder kennt im Übrigen die Kreislaufprobleme bei grosser Hitze. Ebenso auch die kalten Füsse, Hände und Nase beim Skifahren, um die Kerntemperatur zu bewahren. Wasservögel haben noch zusätzlich Gegenstromblutgefässe in den Füssen (Rete mirabilis), damit diese auf dem gefrorenen See nicht einfrieren.
    Beim Hydrogel scheint die strukturelle Stabiltät nicht für einen Kreislauf geeignet. Da frage ich mich, ob es solche Strukturen gibt, die die Stabilität eines Aussenverputzes haben, aber zusätzlich eine Porosität, die sowohl Kapillarkräfte wie auch Verdunstung ermöglichen. Das Wasser könnte in einem (grösseren) Kreislauf gesammelt und mit einer solarbetrieben Pumpe bewegt werden, vielleicht zusammen mit einem Hydrogel.
    Just my two cents…

  6. #6 alfred
    26. September 2012

    @Frenk: Solche Strukturen gibt es. Leichtgebrannte Ziegelsteine zB.

  7. #7 architekturstudent
    26. September 2012

    Es gibt auch eine billige, sich selbst erneuernde alternative, an der die Industrie aber kein Geld verdient (und deswegen wird da leider wenig geforscht). Die Rede ist von Pflanzen. Moose und Flechten setzten sich ganz von selbst fest, und eine Gründach hat einen wunderbaren Effekt auf das Klima im Gebäude (und der Stadt als ganzem).
    Ständig werden Technische Lösungen für irgendwelche Probleme entwickelt die man auch ganz leicht konstruktiv lösen könnte. Und damit kriegt man mehr Probleme anstatt weniger. Technik ist meist störanfällig und muss nach einiger Zeit ausgetauscht werden. Konstruktive Lösungen halten so gut wie ewig.

    Zum ersten Kommentar will ich noch anmerken, dass ich mal ein paar Beispiele gesehen habe – beinahe schon marktreif. Die Stoffe sind dann zum Beispiel in Gipsplatten eingearbeitet. Aber hier gilt auch das oben geschriebene. Wenn das Zeug weich wird, werden auch die Platten weicher, man braucht also dickere, die müssen dann auch speziell entsorgt werden, und wie gesund die neu entwickelten Stoffe sind und ob die auch lange halten muss erst noch ausgiebig getestet werden.

  8. #8 rolak
    28. September 2012

    Was mir gerade eben einfiel: Eigentlich gibt es eine aktive und jahreszeitlich vollautomagisch angepaßte Kühlung von Häusern durch Wasser-Verdunstung schon urlange 😉

  9. #9 MichiS
    CH-6632 Vogorno
    6. Oktober 2012

    @rolak
    wir haben auf 2-stöckigen TessinerSteindächern KIWI, kühlt super im Sommer, im Herbst gibts dann noch von 2 Baumbüschen ca 500 kg Früchte….zum essen, bis die Sonne nächstes Jahr wiederbrennt.. 🙂