Wer mehr Sport macht, der verbraucht mehr Kalorien und bleibt deswegen schlank – das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Gestärkt wird diese Idee auch dadurch, dass man bei körperlich sehr aktiven Völkern wie Jägern und Sammlern nur sehr selten stark übergewichtige Mitglieder findet. Eine neue Untersuchung lässt jetzt allerdings Zweifel an dieser einfachen Sicht der Dinge aufkommen.
Dazu wurde das afrikanische Volk der Hadza untersucht. Die Hadza sind traditionelle Jäger und Sammler – die Männer gehen (meist einzeln) auf die Jagd und sammeln Honig, die Frauen sammeln in Gruppen pflanzliche Nahrung, vor allem Wurzeln und Baobab-Früchte.
Männliche Hadza legen täglich im Mittel Strecken von 11 Kilometern zurück, Frauen immerhin von knapp 6 Kilometern. (Dazu wurden die Hadza mit GPS-Geräten ausgestattet, die ihren Standort aufzeichneten.) Sie sind also sehr aktiv, sicherlich deutlich mehr als der typische Mensch einer westlichen Zivilisation.
Um herauszufinden, wie groß der Kalorienverbrauch der Hadza war, verwendet man eine ausgeklügelte Methode, indem man ihnen “doubly labeled water” zu trinken gab. Dieses Wasser ist so präpariert, dass sowohl der Wasserstoff als auch der Sauerstoff darin durch andere Isotope ersetzt sind; beim Wasserstoff nimmt man Deuterium, beim Sauerstoff das Isotop O-18. (Da beide Isotope nicht radioaktiv sind, ist das für die Probanden vollkommen ungefährlich.)
Wenn der Körper Nährstoffe verbrennt, produziert er ja CO2. Ein Teil des Sauerstoffs darin stammt aus dem Wasser im Körper – Unser Isotop O-18 geht also beim Ausatmen verloren. Natürlich geht aber auch Wasser direkt durch Schwitzen, Körperausscheidungen oder Ausatmen verloren, und dabei verschwindet natürlich auch etwas von dem O-18. Hier kommt jetzt das Wasserstoffisotop Deuterium ins Spiel. Das Deuterium kann ja nicht durch CO2 verloren gehen, weil da kein Wasserstoff drin ist. Misst man also nach ein paar Tagen den Gehalt von Deuterium und O-18 (beispielsweise im Urin), dann kann man aus dem Verhältnis der beiden ausrechnen, wie viel Sauerstoff tatsächlich in Kohlendioxid eingebaut wurde (weil der O-18-Gehalt stärker abnimmt als der Deuteriumgehalt). Diese Methode wurde bereits vor über 60 Jahren entwickelt und ist sehr gut etabliert. Sie hat den großen Vorteil, dass sie auch außerhalb von Laboratorien eingesetzt werden kann.
Zusätzlich wurde für die Hadza auch noch gemessen (mit direkter Messung des Sauerstoffverbrauchs über eine Atemmaske), wie viel Energie sie beim Gehen verbrauchen (anders als man glauben könnte, gehen sie nicht besonders energie-effizient, sondern liegen im Durchschnitt) und was ihr energetischer Ruheumsatz ist (wieviel Energie sie also verbrauchen, wenn sie ruhen).
Aus all diesen Daten ließ sich dann ausrechnen, wieviel Energie die Hadza pro Tag verbrauchen. Der mittlere Energieverbrauch der Hadza-Männer ist mit etwa 2700kcal/Tag kleiner als der von westlichen Männern (ich schreibe jetzt hier verkürzt “westlich”, wie auch in der Arbeit – darunter verbergen sich unterschiedliche Messungen in der “zivilisierten westlichen” Welt, insbesondere den USA), die bei etwa 3000kcal/Tag liegen. Bei den Frauen ist es ähnlich, Hadza-Frauen verbrauchen knapp 1900kcal/Tag, westliche Frauen etwa 2350.
Dass der Energieverbrauch der Hadza im Mittel sogar kleiner ist als der von westlichen Menschen überrascht nur auf den ersten Blick. Die Hadza sind nämlich sehr klein – ihre mittlere Körpergröße ist 20 Zentimeter niedriger als die westlicher Menschen. Trägt man die Messdaten gegen die Körpermasse auf (hier ist die Körpermasse um das Körperfett bereinigt worden, das ändert an den Ergebnissen aber nichts) ergibt sich folgendes Bild:
(Quelle: Pontzer et al., s.u.)
In Rot seht ihr die Daten für die Hadza, in grau für westliche Menschen, blau sind Daten von bolivianischen Farmern. Die Hadza liegen tendenziell – wie gesagt – niedriger in ihrem Energieverbrauch; berücksichtigt man aber den Einfluss der Körpermasse, dann liegen sie fast genau auf der Trendlinie, die sich für westliche Menschen ergibt.
Das zeigt, dass der Energieverbrauch der Hadza nicht ungewöhnlich groß ist. Trotzdem sind sie vergleichsweise schlank, ihr body-mass index liegt knapp über 20 (stat bei 25-28 wie für westliche Menschen), ihr Körperfettgehalt beträgt bei den Frauen etwa 20%, bei den Männern etwa 14% (westliche Frauen: 38%, Männer: 23%). (Hmm, zumindest in der Hinsicht würde ich unter den Hadza wohl nicht auffallen, auch wenn ich mit 1,76 wohl ein Riese wäre.)
Dieses Ergebnis ist sehr überraschend und widerspricht sicher unserer einfachen Vorstellung vom anstrengenden Leben der Jäger und Sammler. Die Wechselwirkung zwischen Nahrungsaufnahme, Energieverbrauch und Übergewicht ist also anscheinend komplizierter als unser einfaches Bild suggeriert.
Allerdings haben die Hadza ein etwas höheres Verhältnis von Energieverbrauch zu Grundumsatz – sie verbrauchen also einen etwas größeren Anteil ihrer Energie für ihre tatsächlichen Aktivitäten und weniger für die Grund-Körperfunktionen. Auch das liegt aber an ihrer Körpergröße, plottet man das Verhältnis wieder gegen die Körpermasse, dann liegen die Hadza genau auf der Trendlinie für westliche Menschen. Wenn ich es richtig verstehe (bin mir aber nicht ganz sicher) ist das der Kritikpunkt, der hier geäußert wird: Die geringe Größe der Hadza ist eine Anpassung an eine energiearme Umgebung und erlaubt ihnen, einen größeren Teil ihrer Nahrung eben für ihre Aktivitäten einzusetzen und nicht für ihren Grundumsatz. Mir ist nicht ganz klar, ob das eine stichhaltige Kritik ist – dann müssten kleine westliche Menschen meiner Ansicht nach ja irgendwo aus dem Trend herausfallen, denn sie sind ja im Mittel (soweit ich es sehe) nicht so schlank wie die Hadza. Ein weiterer Kritikpunkt, der in dem Blogeintrag geäußert wird, ist, dass Übergewicht ja durch ein kleines Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch hervorgerufen wird, das in dieser Studie nicht zu erfassen wäre. Dieser Punkt leuchtet mir allerdings nicht ein (vielleicht verstehe ich ihn auch falsch), denn in dem paper geht es ja nicht direkt um Übergewicht sondern um die Frage, wie sich starke körperliche Aktivität auf den Kalorienverbrauch auswirkt.
Eins sollte man aus dieser Studie übrigens auf gar keinen Fall schließen: Dass Sport treiben nicht gegen Übergewicht hilft und man es deshalb auch lassen kann. Es gibt hinreichend viele Studien, die belegen, dass Sport treiben einen wichtigen Beitrag zum Abnehmen leistet (mal davon abgesehen, dass Sport auch ansonsten sehr gesund ist) – allerdings sollte für gezieltes Abnehmen immer auch bei der Kalorienaufnahme angesetzt werden. Eine Ausrede für Sportmuffel liefert der Artikel also nicht.
Generell wirft der Artikel natürlich eine wichtige Frage auf: Wenn der tägliche Energieverbrauch von der Lebensweise einigermaßen unabhängig ist, was bestimmt ihn dann? Das ist eine offene Frage – in der Arbeit wird spekuliert (und mit Daten von anderen Säugetieren untermauert), dass der tägliche Energieverbrauch durch unsere Physiologie bestimmt wird und weniger durch unsere Lebensweise. Hier gibt es sicherlich noch viel Forschungsbedarf.
Quelle:
Herman Pontzer, David A. Raichlen, Brian M. Wood, Audax Z. P. Mabulla, Susan B. Racette, Frank W. Marlow
Hunter-Gatherer Energetics and Human Obesity
PLOS One, Volume 7, e40503 (frei verfügbar)
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