Blauwale sind vermutlich die größten Tiere, die es jemals auf der Erde gegeben hat. Sie erreichen eine Masse von weit über 100 Tonnen (bei Wikipedia steht sogar 200Tonnen) und werden oft über 30 Meter lang . (Gerade habe ich bei Wikipedia gelernt, dass es vermutlich eine Unterart gibt, die passenderweise “Zwergblauwal” genannt wird, weil sie mit nur 24 Metern ja auch echt winzig ist.) Trotz ihrer Größe sind Blauwale allerdings gute und manövrierfähige Schwimmer und können sogar, wie man jetzt herausgefunden hat, Unter-Wasser-Pirouetten drehen.

Dazu wurden 22 Blauwale vor der Küste Kaliforniens mit Aufnahmegeräten versehen, die mit Saugnäpfen an ihnen befestigt wurden. Die Aufnahmegeräte umfassten Unterwassermikrophone, Druckmesser und Beschleunigungssensoren. Damit ließen sich die Orientierung, die Beschleunigung und die Geschwindigkeit (aus den Strömungsgeräuschen) ermitteln, so dass man die Bewegung der Tiere genau rekonstruieren konnte. Zusätzlich wurden auch noch Wale mit einer Kamera ausgestattet, so dass man die Bewegung der Wale auch direkt nachvollziehen konnte (die Bilder sind aber, wie ihr gleich sehen werdet, eher mäßig aufregend…). Die Saugnäpfe hielten für einige Stunden an den Tieren und fielen dann wieder ab, so dass die Tiere nicht beeinträchtigt wurden.

Insgesamt wurden dabei 44 Wal-Pirouetten beobachtet, bei denen sich die Wale einmal komplett um ihre Längsachse drehten. So sieht das in der Rekonstruktion aus:

Aus Goldbogen et al. s.u.

Oben seht ihr das Manöver in der Aufsicht, unten in der Seitenansicht. Der Wal taucht also nach unten und dreht sich dabei um seine Achse – allerdings nicht besonders rasant. Die erste Hälfte des Manövers führt der Wal ziemlich schnell aus – er braucht etwa 7-10 Sekunden, um sich um 180° zu drehen. Dreht sich der Wal, während er Beute jagt (also Krill aus dem Wasser filtert), dann öffnet er sein Maul kurz bevor er sich vollständig herumgedreht hat, und ist dann beim Zurückdrehen deutlich langsamer – das erkennt man auch oben im Bild daran, dass der erste Teil der Drehung (etwa in der Mitte) auf einer wesentlich kürzeren Strecke passiert als der zweite Teil. Das liegt vermutlich daran, dass er mit einem Maul voll Wasser weniger beweglich ist und sich deswegen langsamer drehen kann, wie dieses Bild eines Finnwals zeigt:

So sieht das Ganze übrigens vom Wal aus aus:

Aus Goldbogen et al. s.u.

Dabei sieht man nur die erste Hälfte des Manövers. Der Pfeil markiert einen Krillschwarm.

Ihr könnt euch das Ganze auch als Video angucken (ich hoffe, es klappt…):

Das Video und die Standbilder zeigen, dass der Wal sich anscheinend dreht, um den Krillschwarm zu erwischen. Bei anderen Walen hat man ähnliche Rollmanöver ebenfalls beobachtet – dort dienen sie (theoretischen Modellen zu Folge) genau dazu, die Orientierung des Wals an die Schwimmbewegung des Krillschwarms anzupassen. Allerdings machen die bisher untersuchten Buckel- oder Finnwale keine ganzen Rollen, sondern drehen sich nur um 90-150°.

Da nur zu wenigen Tauchmanöver (etwa jedem zehnten) bei den Blauwalen eine Pirouette gehörte, kann man vermuten, dass sie sich ihre Akrobatik für besondere Situationen aufsparen. Krillschwärme wie der im Bild und Video oben können so dicht sein, dass der Wal mit einem einzigen Haps seine Tagesration an Futter aufnehmen kann – da kann man sich mit einer Pirouette auch ruhig mal etwas anstrengen. Weil der Schwarm aber so dicht ist, ist er auch ziemlich klein, und der Wal läuft deshalb Gefahr, ihn zu verfehlen, wenn er ihn nicht genau anvisiert und nicht so schwimmt, dass er die Bewegung des Schwarms in seine Schwimmbewegung mit einbezieht.

Nicht alle Pirouetten gehörten aber zum Jagdverhalten – einige fanden auch statt, wenn der Wal steil auf- oder untertaucht. Vielleicht hilft ihm die Drehung bei der genauen Orientierung unter Wasser. Ein Blick auf einen Blauwal zeigt, dass seine Fähigkeit zum 3D-Sehen nicht so toll sein kann:

Blauwal.png
Von Heike Pahlow – https://www.wale.info/Blauwal, CC BY-SA 2.5, Link

Die Augen sitzen an der Seite und sind ziemlich klein – damit ist eine gute räumliche Wahrnehmung wohl nicht vorhanden. Es mag sein, dass das Rollmanöver in diesen Fällen dazu dient, sich einen Rundumblick über die Umgebung zu verschaffen. Das würde auch darauf hindeuten, dass die Augen für die Orientierung bei Blauwalen vielleicht wichtiger sind, als man bisher dachte.

Wie so oft in der Biologie ist nicht nur das beobachtete Verhalten faszinierend – es ist auch immer wieder erstaunlich, wie viel wir selbst über heute lebende Tiere nicht wissen.

Nachtrag: Wegen der gebotenen wissenschaftlichen Sorgfalt weise ich darauf hin, dass der Titel des Textes möglicherweise nicht ganz korrekt ist – ob bei den untersuchten Blauwalen einer dabei war, der tatsächlich 100 Tonnen wog, ist aus dem paper und dem supplementary material nicht eindeutig zu entnehmen.

                                        

Jeremy A. Goldbogen, John Calambokidis, Ari S. Friedlaender, John Francis, Stacy L. DeRuiter, Alison K. Stimpert, Erin Falcone and Brandon L. Southall
Underwater acrobatics by the world’s largest predator: 360° rolling manoeuvres by lunge-feeding blue whales
Biol. Lett. 2013 9, doi: 10.1098/rsbl.2012.0986

Kommentare (7)

  1. #1 wereatheist
    Berlin, Germany
    2. Dezember 2012

    Um mal das Offensichtliche festzustellen: Der Wal steuert so genau auf den Krillschwarm zu und passt seine Maulstellung so gut an, ohne nach vorne überhaupt viel sehen zu können.
    Das Ganze geht wohl nur mit Sonar. Faszinierend!

  2. #2 para
    3. Dezember 2012

    @wereatheist

    Sonar haben nur Zahnwale, dass da geht wohl alles optisch(evtl. olfaktorisch?). Fazinierend ist es, gar keine Frage.Lässt dann gleich die Frage stellen, was war zu erst da- die Pirouette oder der Blasenkäfig der Buckelwale ? (ich meine Blau- und Finnwale haben diese Technik der Buckelwale nicht drauf).

  3. #3 wereatheist
    3. Dezember 2012

    Oh, danke, wusste ich nicht, wieder was gelernt.
    Also ist der eher kleine Überlapp im Sichtfeld doch wichtig, und die Rotation dient auch zum ´scannen´? Olfaktorisch dürfte nur auf den letzten Metern was gehen…

  4. #4 SomeOne
    5. Dezember 2012

    Hallo,

    ein vielleicht interessanter Fakt zur Koordinierung der Nahrungsaufnahme:
    Furchenwale haben Sensororgan am Unterkiefer, das vermutlich die Krilldichte misst und bei entsprechendem Reiz das Fressverhalten auslöst. Vielleicht könnte dadurch auch die Pirouette angeregt werden.

    Habe nur die nächstbeste Quelle genommen:
    https://science.orf.at/stories/1698974/

  5. #5 Roland
    5. Dezember 2012

    “Um mal das Offensichtliche festzustellen: Der Wal steuert so genau auf den Krillschwarm zu …” Na ja, dieses eine Mal. Vermutlich werfen die Wale die Bilder von mißlungenen Versuchen einfach weg.

  6. #6 MartinB
    5. Dezember 2012

    @SomeOne
    Das passt meiner Meinung nach nicht so gut zum Film und den Bildern, weil der dichte Krillschwarm ja noch ein ganzes Stück weit weg ist, wenn der Wal schon mit der Drehung anfängt.
    Das paper enthält noch eine Referenz auf ein paper im J. Theor. Biol., wo die Dynamik des Krillfressens modellliert wird, hab das paper aber (noch) nicht gelesen.

  7. […] Hier Wohnen Drachen berichtet von einer Studie über Blauwale und die Pirouetten, die sie drehen können. […]