Aus Longrich et al, s.u.
Bei A seht ihr den Anchiornis-Flügel, bei B den des Archaeopteryx. C ist der Flügel des kreidezeitlichen Confuciusornis. Mir persönlich erscheint so eine Anordnung auch ganz logisch – mensch sieht eine langsame Entwicklung hin zu immer längeren, frei stehenden Schwungfedern.
Die neue Interpretation hat aber nicht nur den Vorteil, besser mit dem übereinzustimmen, was wir tatsächlich sehen. Sie löst auch noch ein anderes Problem: Betrachtet mensch die Federn des Archaeopteryx, so sind die Schäfte (also der innere Teil des Federkiels, der direkt am Arm sitzt) deutlich dünner als bei heutigen Vögeln. In der Vergangenheit hat mensch das als Indiz dafür gewertet, dass die Federn deutlich kleinere Lasten aushalten konnten als die Federn heutiger Vögel und dass Archaeopteryx dadurch in seiner Flugfähigkeit sehr eingeschränkt war – einige Forscherinnen bezweifelten sogar, dass er überhaupt fliegen konnte. Wenn aber der untere Teil der Federn durch Deckfedern verstärkt wurde, dann konnten die Schäfte natürlich auch etwas dünner sein, weil die Last zwischen mehreren Federlagen aufgeteilt wurde.
Auf der anderen Seite beeinträchtigen diese übereinandergepackten Federlagen die aerodynamischen Eigenschaften der Federn aber auch: Heutige Vögel können ihre Flugkunststücke durchführen, weil sie ihre Federn abspreizen können und so Lücken zwischen den einzelnen Federn entstehen. Mit mehreren Federlagen dürfte das so nicht funktioniert haben, so dass die Flugfähigkeit des Archaeopteryx vermutlich deutlich anders war als die heutiger Vögel. Das wird natürlich auch dadurch gestützt, dass Archeopteryx ja einen langen, gefiederten Schwanz hatte. Und er hatte noch mehr: Nämlich Flugfedern an den Beinen.
Vor einigen Jahren sorgte das Fossil des kreidezeitlichen Microraptor, des Doppeldeckersauriers, für Aufsehen, der lange Flugfedern an den Armen und Beinen hatte. Schaut noch einmal oben auf das Bild des Berliner Exemplars. Hier ist ein älteres Bild (nicht so toll aufgelöst):
Schaut einmal genau auf die Beine und vergleicht das Bild mit dem oben. Auffallend ist, dass auf dem alten Bild deutlich lange Federn an den Beinen zu sehen sind – die sind im Laufe der Zeit verloren gegangen, zum einen durch Beschädigungen, zum anderen aber auch durch Präparation – lange Federn gehörten nun mal nicht an ein Vogelbein, also hat mensch sie beim weiteren Präparieren entfernt. (Etwas detaillierter ist das auf dem Blog Archosaur Musings beschrieben.) Dass Archaeopteryx tatsächlich lange Beinfedern hatte (wenn auch nicht ganz so lange wie Microraptor) zeigte vor einigen Jahren ein neuer Fund, das sogenannte Thermopolis-Exemplar. Sehr schön zu sehen sind die Federn auch auf einem ganz neuen, elften Fossil, das in Privatbesitz ist, aber zur Zeit in der Schweiz gezeigt wird. Ihr findet ein schönes Bild bei der NZZ, das ich lieber nicht einbinde, sonst werde ich bestimmt verklagt. Dafür habe ich aber ein Video gefunden, dass ich hier einbetten kann (allerdings in einer merkwürdigen Sprache…):
(Dieses Video befolgt übrigens die journalistische Grundregel, dass jeder (wirklich jeder) Bericht über Dinosaurier mit einer Erwähnung des Tyrannosaurus rex beginnen muss, egal wie weit hergeholt der Bezug sein mag.)
Archaeopteryx hatte also vermutlich ein deutlich anderes Aussehen als in der Rekonstruktion oben. Eine Rekonstruktion des “neuen Archaeopteryx” kann ich euch hier leider auch nicht zeigen (die Rekonstruktion im Video zeigt die neuen Erkenntnisse zum Flügel nicht), das einzige halbwegs brauchbare Bild habe ich in diesem Artikel gefunden, ihr müsst also klicken, um ein Bild zu sehen.
Was genau diese Entdeckungen für die Flugfähigkeit des Archaeopteryx heißt, ist noch unklar. Sicherlich flog er mit den andersartigen Armfedern, den Beinfedern und dem langen Schwanz deutlich anders als heutige Vögel – vielleicht war er eher ein Gleitflieger als ein aktiver Flatterer. Einigermaßen sicher wird sich das erst sagen lassen, wenn sich die Biomechanikerinnen des Problems annehmen und die Flugeigenschaften eines “Fünfflüglers” unter die Lupe nehmen.
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