Die Dinosaurier erschienen irgendwann vor etwa 230 Millionen Jahren, am Anfang des oberen Trias, auf der evolutionären Bildfläche und verbreiteten sich dann relativ schnell über die ganze Erde. Ein neu untersuchtes Fossil zeigt, dass die Linie der Dinosaurier möglicherweise noch etwas älter ist.

Bei dem Fossil handelt es sich um Knochen, die bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Tansania ausgegraben wurden. Sie wurden in der Dissertation des berühmten Paläontologen Alan Charig beschrieben, aber ihre Beschreibung wurde nie veröffentlicht. Charig benannte sie zwar in einer Veröffentlichung als Nyasasaurus parringtoni (nach dem Entdecker F.R. Parrington und dem Fundort, dem Lake Nyasa), beschrieb sie dort aber nicht, so dass sie als “nomen nudum” (wörtlich “nackter Name”) galten, als Name ohne zugeordnete Beschreibung und damit für die Wissenschaft wertlos.

Jetzt allerdings wurden die Knochen neu und mit modernen Methoden analysiert. Falls ihr jetzt spektakuläre Knochenbilder erwartet, muss ich euch aber enttäuschen: gefunden hat mensch einen Oberarmknochen (oben), ein paar Wirbel (mitte) und Beckennochen (unten), das war’s auch schon:

Aus Nesbitt et al., s.u.

Der Oberarmknochen hat’s aber in sich – oder besser gesagt an sich. An seiner Oberfläche befindet sich nämlich ein kammartiger Vorsprung, auf Englisch “deltopectoral crest” (heißt das Ding auf Deutsch dann “Deltopectoral-Kamm”? Wer Ahnung hat, möge mich doch in den Kommentaren aufklären…). Dieser Vorsprung dient als Muskelansatz und ist ein Charakteristikum der Dinosaurier – bei Dinos ist dieser Kamm relativ lang und an einem Ende etwas gebogen. Das spricht dafür, dass Nyasasaurus ein Dinosaurier oder ein enger Verwandter von ihnen ist.

Vielleicht fragt ihr euch jetzt “Wer legt denn fest, was ein Dinosaurier ist?” – immerhin gab es ja eine Evolution und die Dinosaurier haben sich aus anderen Tieren entwickelt. Wo genau zieht mensch die Grenze?

Das tun wir heutzutage über eine Definition, die genau auf der Evolution basiert. Wir definieren die Dinosaurier mit Hilfe von Tieren, bei denen wir uns ganz sicher sind, dass wir sie als Dinosaurier bezeichen wollen. Zu den ersten entdeckten Dinosauriern gehören Megalosaurus (ein Fleischfresser) und Iguanodon (ein Pflanzenfresser). Jetzt definieren wir die Gruppe der Dinosaurier dadurch, dass wir den Stammbaum des Lebens von diesen beiden Tieren aus zurückverfolgen, bis zu dem Punkt, wo sie einen gemeinsamen Vorfahren haben. Alle Nachfahren dieses gemeinsamen Vorfahren bezeichnet mensch dann als “Dinosaurier”.

Aber da wir den Stammbaum des Lebens ja nicht kennen, müssen wir natürlich erst einmal herausfinden, welche Tiere denn nun zu den Dinosauriern gehören. Dazu nimmt mensch möglichst viele unterschiedliche Dinosaurier, stopft ihre Beschreibung in einen Computer und lässt diesen einen Stammbaum ausknobeln, der mit möglichst wenigen Evolutionsschritten auskommt – das ist dann der plausibelste Stammbaum, den wir mit unserem aktuellen Wissen bekommen können. (Das Prinzip dahinter habe ich vor einiger Zeit ausführlich erklärt.)

Tut mensch dies mit den bisher bekannten und beschriebenen Dinosauriern und ihren nächsten Verwandten, so steht ein Dino namens Herrerasaurus ziemlich weit unten an der Basis und gilt deshalb als einer der ersten Dinos. Engster Verwandter der Dinosaurier, aber selbst nicht mehr dazugehörig, ist nach diesen Analysen ein Tier namens Asilisaurus. Asilisaurus gehört zur Gruppe der Silesaurier und lebte vor etwa 245 Millionen Jahren. Wenn er kein Dino ist, aber ihr engster Verwandter, dann muss es also in der Zeit davor ein Tier gegeben haben, das der direkte Vorfahre der Dinosaurier war. Wie ihr seht, klafft zwischen diesem Vorfahren und den ersten bekannten Dinos wie Herrerasaurus eine Lücke von etwa 15 Millionen Jahren. Diese Lücke wurde jetzt durch Nyasasaurus geschlossen, wobei die genaue Stellung des Nyasasaurus allerdings noch unklar ist – war er selbst schon ein Dino oder nur noch enger mit den Dinos verwandt als Asilisaurus? So etwa stellt sich der Stammbaum der Dinos zur Zeit dar:

Aus Nesbitt et al., s.u.

Damit Nyasasaurus selbst nach der Definition von oben zu den Dinos gehörte, müsste sich der Stammbaum der Dinos schon vor ihm verzweigt haben – ansonsten würden wir ihn als nächste “Schwestergruppe” der Dinosaurier klassifizieren (das waren bisher die Silesaurier wie Asilisaurus). Die genaue Stellung des Nyasasaurus ist allerdings unklar – zum einen, weil mensch ja wahrlich nicht allzu viele Knochen von ihm kennt, zum anderen noch aus einem weiteren Grund: Zusätzlich zu den drei oben gezeigten Knochen wurden noch ein paar weitere gefunden, die zu einem anderen aber sehr ähnlichen Tier gehörten. Nimmt mensch an, dass beide Tiere zur selben Art zählten, dann ist Nyasasaurus entweder gerade außerhalb, oder gerade innerhalb der Dinosaurier; packt mensch die Knochen getrennt in die Analyse, dann gehört der Nyasasaurus nicht zu den Dinosauriern, die anderen Knochen aber schon. Die Verhältnisse sind also unklar – klar ist aber, dass so oder so eine evolutionäre Lücke zumindest zum Teil geschlossen wurde.

Schaut mensch im Stambaum nach, welche Merkmale die Dinosaurier gemeinsam haben und andere nahe Verwandte nicht, dann kann mensch das herausfinden, was ich oben angeführt habe: Dass nämlich Dinosaurier (und auch Nyasasaurus) sich durch den besonders großen und gebogenen Deltopectoral-Kamm auszeichnen. Mensch geht also bei solchen Analysen in drei Schritten vor: als erstes definiert mensch die zu untersuchende Tiergruppe: Die Gruppe der Dinosaurier umfasst den jüngsten gemeinsamen Vorfahren von Megalosaurus und Iguanodon sowie alle seine Nachfahren. Dann guckt mensch, welche Tiere tatsächlich zu dieser Gruppe dazugehören (Herrerasaurus tut es, Asilisaurus nicht, bei Nyasasaurus sind wir uns nicht ganz sicher). Und schließlich kann mensch dann die Daten analysieren und eben sehen, dass der Deltopectoral-Kamm ein Merkmal von Dinosauriern ist. Das ist dann die Diagnose der jeweiligen Gruppe. Die ist wichtig, damit die nächsten Paläontologinnen, wenn sie mal wieder ein paar Knochen finden, gleich sagen können “Aha, großer gebogener Deltopectoral-Kamm, also ist unser Fossil vermutlich ein Dinosaurier”. Wenn sich allerdings herausstellt, dass Nyasasaurus nicht zu den Dinosauriern gehört, dann ist der Deltopectoral-Kamm kein diagnistisches Merkmal der Dinosaurier mehr.

Bei der ganzen Diskussion, wer denn nun genau der erste Dino war, darf mensch eins nicht vergessen: Auch wenn zum Beispiel Asilisaurus kein Dinosaurier war und Nyasasaurus (vielleicht)  und Herrerasaurus zu den Dinos dazugehörten – diese Tiere gehören zwar zu evolutionär getrennten Gruppen, aber sie waren sich doch extrem ähnlich. Das macht es ja auch so schwer, die Verwandtschaftsverhältnisse genau zu klären. Ganz ähnliche Probleme kennen wir auch zum Beispiel von den ersten Vögeln, die alle kleine gefiederte Raubsaurier waren.

So sah beispielsweise Asilisaurus (etwa) aus:

Asilisaurus.jpg
By SmokeybjbOwn work, CC BY-SA 3.0, Link

Und das hier ist Herrerasaurus:

Herrerasaurus BW.jpg
By Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Own work, CC BY 2.5, Link

Beides sind langbeinige Raubtiere, die sich ziemlich ähnlich sehen, auch wenn Asilisaurus deutlich graziler ist – vergleicht es bei heutigen Tieren vielleicht mit einem Geparden und einem Tiger. Dass Herrerasaurus zu den Dinosauriern gehört und Asilisaurus nicht, sagt also nicht so schrecklich viel über ihre genaue Gestalt aus sondern mehr über evolutionäre Zufälle – hätten sich Nachfahren des Asilisaurus weiterentwickelt, dann würden wir sie vielleicht aus historischen Gründen auch zu den Dinosauriern zählen. Zur Veranschaulichung könnt ihr euch auch zwei Schwestern vorstellen, die in unterschiedlichen Ländern neue Dynastien begründen – die Schwestern sind sich untereinander sehr ähnlich, trotzdem stehen sie historisch an der Basis zweier deutlich getrennter Linien.

Nyasasaurus jedenfalls gehört evolutionär irgendwo zwischen Asilisaurus und Herrerasaurus und schließt die 15 Millionen Jahre währende Lücke. Ob er wirklich der erste Dino (im obigen Sinne) war oder nicht, werden wir endgültig erst dann wissen, wenn mensch weitere Fossilien gefunden hat.

                                                                                       

Sterling J. Nesbitt, Paul M. Barrett, Sarah Werning, Christian A. Sidor and Alan J. Charig

The oldest dinosaur? A Middle Triassic dinosauriform from Tanzania
Biol. Lett. 2013 9,
doi: 10.1098/rsbl.2012.0949

Kommentare (9)

  1. #1 Ludger
    13. Dezember 2012

    Bei Confuciusornis, Gondwanatitan, Titanosauria benutzen die deutschsprachigen Autoren bei Wikipedia das Wort “Deltopectoralkamm”.

  2. #2 MartinB
    13. Dezember 2012

    Danke, dann hab’ ich’s ja richtig gemacht.

  3. #3 Ludger
    13. Dezember 2012

    Eine Entsprechung dieses Kammes gibt bei uns Menschen auch, eine Leiste (Crista tuberculi majoris), dem Ansatz des Musculus Pectoralis major am oberen vorderen Oberarmknochen (Humerus). Der Musculus deltoideus setzt dort in der Gegend auch an, nämlich an der Tuberositas deltoidea humeri etwas weiter handwärts-außen (distal-lateral) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/26/Humerus_%28deutsche_Beschriftung%29.jpg . Wie ich heute bei Wikipedia Musculus pectoralis major – Varietäten gelernt habe, kann es bei 7% der Menschen zu Verwachsungen mit dem Musculus latissimus dorsi oder dem Musculus deltoideus kommen, dann sei eine klare optische Trennung dieser Muskeln kaum möglich. Der Deltopectoralkamm ist demnach eine besondere, für Dinosaurier charakteristische Ansatzstruktur des Delta- und des gr. Brustmuskels an der Vorderseite des Oberarmknochens, die eigentlich ein “Abbild” der Muskulatur ist.

  4. #4 MartinB
    13. Dezember 2012

    Aha, das mit den Menschen wusste ich noch nicht (ich binja mehr für Dinos und so…).

  5. #5 Spritkopf
    14. Dezember 2012

    Ich bin der Meinung, dass bei der Frage, ob Herrerasaurus, Asilisaurus und Nyasasaurus zu den Dinosauriern gehörten, bei weitem noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Alle drei tauchen, in erdgeschichtlichen Maßstäben gemessen, relativ kurz nach dem großen Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze auf. Wir wissen, dass sich nach einem Massenaussterben große Freiräume für neue Lebensformen auftun und die Evolution genau dann besonders große Sprünge macht, wie wir beispielsweise an der schnellen Größenzunahme der Säugetiere nach dem Aussterben der Dinosaurier an der Kreide-Tertiär-Grenze erkennen.

    Meine Vermutung ist (ohne dass ich sie jetzt belegen könnte), dass im frühen Trias noch eine ganze Menge an Dinosaurier-ähnlichen Arten ihrer Entdeckung harrt und wir nur ein sehr lückenhaftes Wissen dieser Epoche haben.

  6. #6 Spritkopf
    14. Dezember 2012

    Tsst, es muss natürlich heißen: “dass in der frühen Trias …”.

  7. #7 MartinB
    14. Dezember 2012

    @Spritkopf
    Klar, da sind große Lücken und das letzte Wort ist noch icht gesprochen. Asilisaurus dürfte soweit ich es sehe wohl ziemlich sicher außerhalb der Dinosaurier stehen.

  8. #8 Frankies Testwelt
    https://www.Frankies-World.de
    15. Dezember 2012

    Hey einfach erschienen werden die nicht sein 😉 Aber ich mag deinen Schreibstil, auch wenn ich irgendwie immer nur beim Backlinkaufbau auf deine Seite stoße. Schade eigentlich, ich muss die Seite mal Bookmarken, damit ich öfters vorbeischaue…

    Gruß Frank
    Frankies Testwelt

  9. […] Dinos bekannte ist (beispielsweise Herrerasaurus oder Eoraptor – mehr über die ersten Dinos findet ihr auch hier.) Damals waren die Dinos aber noch fleischfressende “Zwerge” und dominierten die […]