Im zweiten Teil der Quantenmechanik-Reihe schauen wir uns die Zustände eines Teilchens noch etwas genauer an.

Was ist ein Zustand?

Bisher habe ich immer nur von Teilchen gesprochen, die irgendwo sind (oder manchmal auch irgendwo nicht sind). Der Zustand eines Teilchens war also immer durch seinen Ort gekennzeichnet. Im klassischen Fall war der Ort eindeutig, in der QM konnte der Zustand aber eine Überlagerung verschiedener Orte sein. Wenn ich das Teilchen an einem Ort messe, dann ist es hinterher in dem entsprechenden Zustand.

Nicht alle Zustände sind aber Ortszustände (obwohl das Teilchen natürlich immer irgendwo sein muss). Man kann ja auch andere Eigenschaften von Teilchen messen – dann sind sie hinterher ebenfalls in einem bestimmten Zustand, aber dieser Zustand ist nicht unbedingt einer mit einem eindeutigen Ort. Ging das zu schnell? Keine Sorge, wie das genau geht, schauen wir uns jetzt an.

Dazu betrachten wir ein (hier etwas vereinfachtes) Beispiel, nämlich das einfachste denkbare Molekül.

Dazu brauchen wir zunächst mal ein Wasserstoffatom. Das besteht aus einem Proton und einem Elektron. Das Proton ist knapp 2000 mal schwerer als das Elektron und ich tue hier so, als wäre es unendlich schwer und müsste nicht mit den Mitteln der Qm beschrieben werden. Wir müssen uns also nur um das Elektron kümmern. Das Elektron ist elektrisch negativ geladen und wird vom Proton angezogen. Es nähert sich deshalb dem Proton an und hält sich bevorzugt in seiner Nähe auf. Im Zustand mit der niedrigsten Energie sieht seine Wellenfunktion etwa so aus:

Dabei habe ich den Wert der Wellenfunktion entlang einer Linie aufgetragen, die durch das Proton geht. (Es gibt auch dreidimensionale Darstellungen, aber dann wird das, was gleich kommt, sehr unübersichtlich.) Da, wo die Funktion ihr Maximum hat, sitzt genau das Proton. Das Elektron ist also bevorzugt dicht ans Proton gekuschelt (seine Wahrscheinlichkeit ist dort besonders hoch), aber auch nicht zu dicht.

Aber keine Sorge, wir brauchen uns um die Details der Wellenfunktion im Moment nicht zu kümmern (die Bilder hier sind eh nur qualitativ richtig). Solange das Elektron im energetisch günstigsten Zustand (dem Grundzustand) ist, hält es sich möglichst dicht am Proton auf, das ist eigentlich alles, was uns im Moment interessiert. Wir haben also einen Zustand des Elektrons, nämlich den Grundzustand an diesem Proton.

Jetzt bringen wir ein zweites Proton ins Spiel. Nehmen wir erstmal an, das Proton wäre sehr weit vom ersten weg. Unser Elektron kann jetzt entweder beim Proton “hier” sein oder beim Proton “da”:

Wir könnten das messen, indem wir z.B. die elektrische Ladung messen – ist das Elektron beim Proton “hier”, dann haben wir “hier” ein neutrales Wasserstoffatom und “da” ein geladenes Proton. Das ist also genau die Situation vom letzten Mal, bei der wir ja mit zwei Zuständen |hier> und |da> angefangen haben.

Wir haben beim letzten Mal auch gesehen, dass wir beliebige Misch-Zustände aus |hier> und |da> haben können – der allgemeine Zustand ist

a|hier> + b |da> mit der Bedingung a²+b²=1.

Grafisch habe ich das mit diesem Bild veranschaulicht:

Dahinter steckt übrigens – falls ihr es nicht gemerkt habt – der Satz des Pythagoras: Das eingezeichnete grüne Dreieck ist ja rechtwinklig, und ihr habt sicher mal die Formel a²+b²=c² lernen (und vielleicht auch beweisen) müssen. Die Länge c ist hier gerade gleich 1, weil die Summe unserer Wahrscheinlichkeiten ja 1 sein soll.

Dabei war ich zugegebenermaßen etwas schlampig, denn a und b können auch negativ sein. Eigentlich müsste das Bild also so aussehen (diesmal mit inkscape statt gimp gezeichnet, das muss ich eh mal lernen):

Dabei habe ich die Achsen jetzt mit “hier” und “da” beschriftet, nicht mit den Zeichen für die Koeffizienten, weil das dann später übersichtlicher wird, wenn wir noch mehr Achsen einführen.

Kleine Aufgabe: welchen Zustand habe ich in grün oben eingezeichnet?

Antwort: Der Zustand liegt unter 45°, also ist der Anteil von “hier” und “da” gleich groß, der “da”-Anteil ist aber negativ (er geht ja nach unten). Der Zustand ist also


Das ist auch ein erlaubter Zustand, denn beim Quadrieren fällt das Minuszeichen ja weg.

Unser Elektron kann also in einem beliebigen Mischzustand zwischen |hier> und |da> sein, so wie bisher auch.

Interessant wird die Sache, wenn wir unsere beiden Protonen einander annähern. Dann ist es für das Elektron energetisch günstiger, sich in der Mitte zwischen den beiden Protonen aufzuhalten als weiter außen, weil sich dort die elektrische Anziehung der beiden Protonen überlagert. Der energetisch günstigste Zustand ist der, bei dem die beiden Zustände addiert werden:

Dieser Zustand ist der Grundzustand, also der mit der niedrigsten Energie. Die zugehörige Wellenfunktion sieht etwa so aus:

Wie ihr seht, ist sie in der Mitte zwischen den Protonen etwas größer geworden, so dass das Elektron das elektrische Feld sozusagen gut ausnutzt. Der Effekt wird noch stärker, wenn wir die beiden Protonen dichter zusammenrücken lassen:

Allerdings sollten die beiden Protonen auch nicht zu eng zusammenrücken – denn sie sind ja positiv geladen und stoßen sich ab. Es gibt also irgendwo einen besonders günstigen Abstand der beiden Protonen, und nur den betrachten wir jetzt. Dank unseres Elektrons sind die Protonen jetzt aneinander gebunden, weil ja die Energie der beiden protonen kleiner ist, wenn sie zusammen sind, als wen sie es nicht sind. Wir haben ein ganz einfaches Molekül gebaut, das aus zwei Protonen und einem Elektron besteht. Da ein Elektron und ein Proton zusammen ein Wasserstoff-Atom bilden, haben wir also zwei Wasserstoffatome verbunden, allerdings fehlt ein Elektron, Was wir gebaut haben ist ein H2+-Molekül. (Nebenbei habt ihr also gleich gesehen, wie man chemische Bindungen mit Hilfe der Quantenmechanik verstehen kann – eigentlich wollte ich das gar nicht erklären…)

Umgekehrt gibt es auch einen energetisch besonders ungünstigen Zustand (das ist auch genau der, den ich oben für die Aufgabe gezeichnet hatte)


Hier sieht die Wellenfunktion etwa so aus:

und die Wahrscheinlichkeit, das Elektron da zu treffen wo es energetisch günstig ist (nämlich zwischen den Protonen) ist besonders klein.

(Kleine Anmerkung: Natürlich gibt es noch andere Zustände des Elektrons, bei denen die Wellenfunktion anders aussieht, die betrachte ich hier aber nicht. Ich beschränke mich auf die Kombination des “hier”- und des “da”-Zustands.)

Wir können diese beiden Zustände in unser Diagramm einzeichnen:

Statt “hier” und “da” als Achsen zu nehmen, könnten wir genauso gut die beiden Energie-Zustände als Achsen nehmen:

Wie ihr seht, können wir auch umgekehrt den Zustand |hier> über die beiden anderen Zustände ausdrücken:

Kleine Übung: Wie wird der Zustand |da> ausgedrückt?
Antwort:

Ihr könnt einen beliebigen Zustand also auf zwei unterschiedliche Arten hinschreiben: Entweder als Überlagerung aus |hier> und |da> oder als Überlagerung aus |Grundzustand> und |ungünstiger Zustand> – jeder Punkt auf der Kreislinie kann entweder in der einen oder der anderen Weise ausgedrückt werden.

Aufgabe: Könnt ihr einen beliebigen Zustand auch über eine Kombination von |da> und |Grundzustand> ausdrücken? Versucht es als Beispiel mit dem Zustand |hier>.

Antwort: Ja, das geht, es ist aber ein bisschen trickreich.

Ihr könnt den “hier”-Zustand erreichen, wenn ihr erst auf der Grundzustands-Linie bis zum blauen Kringel geht und dann von dort aus senkrecht nach unten. Mathematisch bekommt ihr den Zustand durch

Macht euch keine Sorgen, wenn ihr das nicht auf die Schnelle ausrechnen konntet, es gehört ein bisschen Übung dazu, auch wenn es nicht wirklich schwer ist: In der Grafik hat der Zustand “hier” die Koordinaten (1,0), der Zustand “da” die Koordinaten (0,1) und der “Grundzustand” die Koordinaten (1/√2, 1/√2). Ihr müsst jetzt Zahlen finden, so dass der Grundzustand und der da-Zustand mit diesen Zahlen multipliziert und dann addiert gerade (1,0) ergeben. Um den zweiten Koordinatenwert auf Null zu bekommen, muss der Faktor des “da”-Zustands um √2 größer sein als der Faktor des Grundzustands (und die beiden müssen umgekehrtes Vorzeichen haben), außerdem muss der Faktor des Grundzustands gleich √2 sein, damit für die erste Koordinate 1 herauskommt. Die rechnerei ist aber hier wirklich nicht das entscheidende.

Wichtiger ist, dass das Ergebnis sehr merkwürdig ist: Der Faktor vor dem Grundzustand ist größer als 1. Das Quadrat dieses Faktors kann also nicht die  Wahrscheinlichkeit angeben, das Teilchen im Grundzustand zu finden (Wahrscheinlichkeiten größer 1 ergeben nicht viel Sinn). Das hat einen einfachen Grund: Die beiden Zustände |da> und |Grundzustand> stehen im Bild nicht senkrecht aufeinander. Physikalisch bedeutet das, dass ein Teilchen, das im |Grundzustand> ist, auch eine Amplitude dafür hat, im Zustand |da> zu sein.Das macht das Rechnen mit solchen Kombinationen von Zuständen sehr unpraktisch. Messe ich zum Beispiel das Teilchen im Zustand |da> (a=1), dann ist es eben nicht so, dass es jetzt eindeutig nicht im |Grundzustand> ist (es ist also nicht b=0), denn der Grundzustand hat ja auch einen Anteil des da-Zustands.

Weil das die Sache unnötig verkompliziert, verwendet man eigentlich immer solche Sätze von Zuständen, die sich gegenseitig ausschließen – wenn ein Teilchen hier ist, ist es auf keinen Fall da, wenn es im Grundzustand ist, ist es auf keinen Fall im ungünstigen Zustand. In der mathematischen Fachsprache sagt man übrigens, dass ein solcher Satz von Zuständen, über den ich einen beliebigen Zustand bequem ausdrücken kann, eine orthonormale Basis bildet. (Nicht “Ottonormal”, sondern “ortho”-“normal”. “Ortho”, weil die Zustände senkrecht zueinander sind (wie im Wort “othogonal”), und “normal”, weil die Zustände die “Länge” 1 in unserem Diagramm haben. Ist aber nur Mathe-Sprech.) |hier> und |da> zusammen sind also eine Basis, |Grundzustand> und |ungünstiger Zustand> zusammen sind eine andere.

Falls ihr das wirr findet, hier noch eine ähnliche Situation im Alltag: Im Straßennetz von Manhattan sind die Straßen ja alle brav rechtwinklig zueinander angeordnet. Ich kann deswegen beispielsweise sagen “Wir treffen uns an der Kreuzung 48. Straße und 5th Avenue”, und das ist ganz eindeutig. Ich kann natürlich genausogut die Koordinaten aus meinem GPS-Empfänger (wenn ich einen hätte) angeben und sagen: “Die GPS-Koordinaten sind 40°45Minuten 21Sekunden Nördlicher Breite und 73° 58Minuten 45 Sekunden westlicher Länge” (ich hoffe, ich habe das mit dieser Seite hier richtig ausgeknobelt.) Es wäre aber unpraktisch, die Angaben zu mischen und z.B. zu sagen “an der Kreuzung 5th Avenue mit dem 73-ten Längengrad”.

Das wichtige Fazit hier ist also: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, denselben Zustand darzustellen. Warum das so wichtig ist, das sehen wir als nächstes.

Eigenzustände

Nehmen wir an, unser Elektron wäre tatsächlich im Grundzustand. Wenn ich jetzt mit einem geeigneten Apparat die Energie des Systems messe, dann bekomme ich einen bestimmten Wert, eben den der Grundzustandsenergie. Weil ich den Zustand jetzt gemessen habe, weiß ich sicher, dass das Elektron jetzt tatsächlich im Grundzustand ist.

Was passiert, wenn ich nun als nächstes den Ort messe? Mit den Überlegungen vom letzten Mal solltet ihr in der Lage sein, das selbst herauszuknobeln.

Antwort: Der Grundzustand ist ja

Die beiden Zustände |hier> und  |da> haben also dieselbe Amplitude. Die Wahrscheinlichkeit, das Elektron an einem der beiden Orte zu messen, ist jeweils das Quadrat der Amplitude, also genau 1/2. Wenn ich also das Elektron im Grundzustand habe und messe dann den Ort, dann messe ich das Elektron in 50% der Fälle hier und in 50% der Fälle da.

Nehmen wir an, ich hätte das Elektron “da” gemessen. Was passiert, wenn ich jetzt als nächstes wieder die Energie messe?

Antwort: Der Zustand “da” ist ja

ich habe jetzt also eine 50%-Wahrscheinlichkeit, das Elektron wieder im Grundzustand zu finden und eine 50%-Wahrscheinlichkeit, es im ungünstigen Zustand zu finden. (Das verletzt übrigens nicht die Energieerhaltung. Grob gesagt liegt das daran, dass bei der Messung des Ortes Energie mit der Umgebung ausgetauscht wird.)

Man kann also sagen: Ist das System in einem der Ortszustände, dann ist seine Energie nicht eindeutig, ist es in einem der Energiezustände, ist sein Ort nicht eindeutig.Messe ich erst die eine, dann die anderen Messgröße, dann ändert das System jeweils seinen Zustand.

Als besondere Sprechweise hat sich hier (auch im Englischen) der Wortzusatz “eigen-” eingebürgert: Die Zustände |hier> und |da> sind “Eigenzustände” des Ortes (“eigenstates” im Englischen), die Zustände |Grundzustand> und |ungünstiger Zustand> sind Eigenzustände der Energie.

In unserem Beispiel hier kann das Elektron  nicht gleichzeitig in einem Eigenzustand des Ortes und der Energie sein. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen QM und klassischer Physik: In der klassischen Physik hat ein Teilchen immer einen eindeutigen Ort und eine eindeutige Energie, in der Qm ist das nicht notwendigerweise der Fall.

Aus all diesen Überlegungen könnt ihr noch etwas anderes sehen: Diese ganze Kombiniererei von Zuständen funktioniert nur deswegen so, weil wir im Zweifel auch einen Zustand mit einem negativen Koeffizienten versehen dürfen, beispielsweise, als wir “da” über die beiden Energiezustände ausgedrückt haben. In den Kommentaren zum ersten Teil haben einige von euch ja gefragt, warum die Vorfaktoren an den Zuständen nicht selbst Wahrscheinlichkeiten sind, sondern warum man sie erst quadrieren muss. Hier seht ihr, dass das ganze mit Wahrscheinlichkeiten statt Wahrscheinlichkeitsamplituden so nicht klappen würde, denn Wahrscheinlichkeiten können nicht negativ sein. (Gut, es gibt einen Artikel von Feynman, in dem er sich mit negativen Wahrscheinlichkeiten beschäftigt hat in der Hoffnung, damit ein paar Probleme in der Quantentheorie elegant lösen zu können – es hat aber am Ende nicht geklappt.)

Die Besonderheit der Energieeigenzustände

Auch wenn es eigentlich nicht zentral ist, um Dinge wie Verschränkung zu verstehen, will ich doch noch kurz eine besondere Eigenschaft der Energieeigenzustände erläutern: Sie sind zeitlich stabil. Wenn ihr das Elektron in den |Grundzustand> versetzt, dann bleibt es dort für alle zeit. Auch ein Elektron im |Ungünstigen Zustand> würde – ohne jede äußere Störung – dort für immer  bleiben. Real gibt es aber immer Störeinflüsse aus der Außenwelt, die dazu führen würden, dass das Elektron in den energetisch günstigeren Zustand fällt und seine Energie abgibt, deswegen sind höherenergetische Zustände normalerweise nicht stabil.

Mit Zuständen wie |hier> und  |da> ist das anders. Versetzt ein Teilchen in den Zustand  |hier>, dann wird sich der Zustand mit der Zeit ändern – es wird in einem Mischzustand aus |hier> und |da> geraten, dann irgendwann ist es |da> und dann geht es über einen Mischzustand wieder zurück nach |hier>. Schreibt man den Zustand als

dann ändern sich die Werte von a und b also mit der Zeit. Den genauen zeitlichen Verlauf  kann man berechnen – dazu dient die berühmte Schrödingergleichung.  Das Hin- und Herschwappen der Wellenfunktion zwischen unterschiedliche Zuständen habe ich übrigens auch in meiner Schrödingergleichungs-Serie mal erklärt, sogar mit ein paar netten Animationen (Ja, klickt den Werbelink (ka-cheng)!!!)

Achtung: Ihr dürft nicht annehmen, dass der Mischzustand aus |hier> und |da> zwischendurch gerade einer der Energie-Eigenzustände ist – das ist er nicht. bei dem Mischzustand, der durch die Zeitentwicklung aus dem |da>-Zustand entsteht, sind die Koeffizienten komplexe Zahlen. Diese Extra-Komplikation ist aber für den Hauptteil nicht so wichtig, deswegen verbanne ich sie hinter dies Warnschild.

Wie lange ein solcher Schwapp-Vorgang dauert, hängt vom Energieunterschied zwischen dem Grundzustand und dem ungünstigen Zustand ab: Je kleiner dieser Energieunterschied ist, desto länger dauert das Schwappen.  (Und der Energieunterschied hängt wiederum daran, wie stark sich die beiden Wellenfunktionen “hier” und “da” oben im Bild überlappen – in der Fachsprache nennt man das auch ganz anschaulich das “Überlapp-Integral”.) Habe ich also zwei Protonen, die weit entfernt sind, und ein Elektron beim Proton “hier”, dann wird es sehr lange dauern, bis es sich beim Proton “da” befindet, so dass es für mich so aussieht, als wäre das Elektron einfach “hier”. Das entspricht auch unserer Alltagserfahrung: Die Eigenschaften von Atomen ändern sich nicht plötzlich, nur weil irgendwo im Universum ein einsames Proton rumschwebt – wenn ständig Elektronen aus unserem Körper zu weit entfernten Protonen rüberschwappen würden, wäre das vermutlich auch nicht so super-gesund.

Der Quanten-Zeno-Effekt

Stellt euch vor, ihr habt ein System in einem Zustand, der sich mit der Zeit ändert (der also, in der Fachsprache, die wir jetzt kennen, kein Energie-Eigenzustand ist, sondern eine Überlagerung aus unterschiedlichen Energie-Eigenzuständen). Ein Beispiel wäre der “hier”-Zustand unseres Elektrons zwischen den beiden Protonen, der sich ja – sich selbst überlassen – langsam zeitlich ändert und zum “da”-Zustand wird.

Nehmt an, ihr hättet das Elektron gerade jetzt im Zustand “hier” gemessen. Einen Moment später hat sich der Zustand dann geändert, er ist jetzt eine Überlagerung von “hier” und “da”:

Kurz nach der ersten Messung wird der Wert von a nahezu gleich 1 sein und der Wert von b noch sehr klein. Wenn ihr also eine weitere Ortsmessung macht, dann werdet ihr das Teilchen ziemlich sicher wieder “hier” finden. Und wenn ihr dann noch eine Ortsmessung macht, gilt wieder das gleiche. Macht ihr also ganz viele Ortsmessungen direkt hintereinander, dann könnt ihr das Teilchen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im “hier”-Zustand festnageln. Das Teilchen kann sich also nicht aus dem Zustand wegbewegen.

Das erinnert ein bisschen an das Zeno-Paradoxon: Zeno war ein griechischer Philosoph, der versucht hat zu beweisen, dass es keine Bewegung geben kann. Einer seiner Beweise beruhte darauf, dass man, um von A nach B zu kommen, ja erst mal die halbe Strecke von A nach B gehen muss, und davon erst mal wieder die halbe Strecke – also schlussendlich unendlich viele (wenn auch winzige) Strecken gehen muss, also kommt man nie von A nach B. (Mit den Mitteln der modernen Mathematik sieht man schnell, dass die unendlich vielen unendlich winzigen Strecken in der Summe ja nur endlich sind und in endlicher Zeit zurückgelegt werden können.)

Bei unserem Elektron ist es ähnlich: Um vom “hier”-Zustand zum “da”-Zustand zu kommen (bei dem also a=0 und b=1) ist, muss es erst mal zum Zwischenzustand kommen. Und vorher erst mal zu einem, wo b noch sehr klein ist. Weil wir das System durch das ständige Messen aber daran hindern, kann es den Zustand “hier” (fast) nie verlassen. (“Fast” deshalb, weil es natürlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt – auch wenn b² sehr klein ist, ist es ja nach einem kleinen Moment nicht Null.) Man spricht deswegen auch vom Quanten-Zeno-Effekt. Weil man am Quanten-Zeno-Effekt ziemlich gut sehen kann, wie quantenmechanische Messungen genau funktionieren (Fragen wie “Was genau ist eine Messung”, “wie lange muss eine Messung dauern” etc. sind immer noch nicht vollständig geklärt), hat man sich viel Mühe gegeben, ihn auch experimentell umzusetzen.

Wie ihr seht, habt ihr – wenn ihr bis hierher durchgehalten habt – schon genügend Wissen angesammelt, um tatsächlich einen echten in der Forschung heiß diskutierten Quanteneffekt verstehen zu können, und zwar nicht mit irgednwelchen dubiosen Analogien, sondern genau so, wie es auch PhysikerInnen tun. Gar nicht so schlecht, oder?

Tja, eigentlich wollte ich jetzt noch das wichtige Beispiel Polarisation erklären – aber wie üblich ist dieser Teil mal wieder vieeel länger geworden als gedacht. Die Polarisation vertage ich also aufs nächste Mal, dann ist es aber auch nicht mehr weit bis zur Verschränkung – versprochen.

Kommentare (53)

  1. #1 MisterX
    10. Januar 2013

    Super Artikel wie immer 🙂 Empfehlen kann ich auch die Lectures von Leonard Susskind auf youtube zu “Quantum Entanglement” und einfach “Quantum mechanics” ^^

    Gruß

  2. #2 Johannes
    11. Januar 2013

    wieder mal eine schöne serie, danke dafür.

    Ich würde gerne noch mehr über Eigenzustände erfahren, da mein wissen diesbezüglich sehr oberflächlich ist.
    Insbesondere, warum die relevanten/interessanten zustände genau mit den eigenwerten (oder waren es eigenräumen?) korrospondieren und wie dies mit den anschaulichen Bilden in dieser Serie zusammen hängt.

    greatz Johannes

  3. #3 Rennkuh
    11. Januar 2013

    Vielen Dank für diesen super Artikel. Jeder Abschnitt beginnt mit einem “Hö?”- und endet mit einem “Aha”- Zustand (Was ja nach Zeno nicht funktionieren sollte), genau so sollte es doch sein.

  4. #4 MartinB
    11. Januar 2013

    @MisterX
    Danke. Videos gucke ich normal nicht, darüber haben sich schon andere gewundert…

    @Johannes
    “Insbesondere, warum die relevanten/interessanten zustände genau mit den eigenwerten (oder waren es eigenräumen?) korrospondieren”
    Nach der Messung einer Größe befindet sich das System in einem Zustand, der zu dieser Größe passt. Das ist in gewisser Weise logisch zwingend (wenn ich das Teilchen “hier” messen, dann sollte es auch “hier” sein).

    Mathematisch sind die Eigen-Zustände Eigenvektoren zu den jeweiligen Eigenwerten. Im Bild sind die Eigenvektoren durch die Achsen gekennzeichnet. Bin mir nicht ganz sicher, ob das die Frage war…

    @Rennkuh,
    Freut mich.

  5. #5 rolak
    11. Januar 2013

    Videos gucke ich normal nicht

    Ist ja auch nicht normal, MartinB, sieh es als Surrogat für die echte Vorlesung 😉

    Doch verständlich: Ich schmökere auch lieber, als Reden-Zusehend zu lernen. Zum Beispiel hier in den auch noch unterhaltsamen posts…

  6. #6 Chemiker
    11. Januar 2013

    Wirklich toller Artikel!

    Ich habe im Studium genug Zeit mit dem H₂⁺ verbracht, aber so elegant hat es noch niemand mit den Grundlagen der QM verknüpft (Aside: Das ist überhaupt ein Problem in der Chemiker-Didaktik. Die Grundlagen kommen zu kurz, denn „die Überlassen wir den Physikern“, stattdessen steigt man im 2. Stock ein, klaut im Vorbeigehen eine Gleichung aus einem Physik-Lehrbuch und liest nicht das Kleingedruckte dazu. Verstanden habe ich das ganze Zeug erst nach einem Zyklus Theoretische Physik I–IV).

    Eine Frage (oder einen Einwand) habe ich aber doch: Du schreibst

    Auch ein Elektron im |Ungünstigen Zustand> würde – ohne jede äußere Störung – dort für immer bleiben.

    Ist das wirklich so? Das ist doch ein Zerfall erster Ordnung, also ohne Wechel­wirkung mit der Umgebung (wie ein meta­stabiler radioaktiver Atomkern). Oder steckt da irgen­deine Wechsel­wirkung effektiv drinnen?

    Liebe Grüße aus einem ganz, ganz fernen Land (wo es nur einmal pro Tag Internet gibt, und das in Gastropoden-Geschwindigkeit)

  7. #7 MartinB
    11. Januar 2013

    @Chemiker
    Ja, das ist eine knifflige Frage mit dem Elektron im angeregten Zustand. Theoretisch würde es tatsächlich für alle Zeit drin bleiben. Praktisch genügt bereits eine Wechselwirkung mit einer beliebig kleinen Störung, um es rauszutreten – wenn ich es richtig sehe, müsste man sogar zeigen können, dass eine Wechselwirkung mit der Nullpunktsenergie des Photonenfelds ausreichen müsste. Im Rahmen der Qm sind aber Energieeigenzustände grundsätzlich stationär. Dazu gab’s gerade ne Diskussion irgendwo bei physicsforums, bei der ich auch mitgemischt habe.

  8. #8 Ludger
    11. Januar 2013

    Umgekehrt gibt es auch einen energetisch besonders ungünstigen Zustand (das ist auch genau der, den ich oben für die Aufgabe gezeichnet hatte) [Formel kann man nicht zitieren]

    Praktisch bedeutet es wohl, dass es energetisch ungünstig ist, wenn das Elektron direkt beim Proton “da” ist und nicht in der Mitte zwischen den Protonen. Natürlich wäre es energetisch genau so ungünstig, wenn das Elektron direkt beim Proton “hier” wäre.Steht dann der “Zeiger” für den ungünstigsten Zustand auf halb elf des “Zifferblattes”? Das wäre eine Wiederholung der von Dir beschriebenen Zustände mit Vertauschung von “hier” und “da”. Ich hatte mich nur gefragt, warum die “Zeiger” (Grundzustand / ungünstigster Zustand) auf 45° bzw auf -45° stehen.

  9. #9 MartinB
    12. Januar 2013

    @Ludger
    Nein, der ungünstige Zustand ist nicht der, wo das Elektron “hier” ist, sondern der, wo die beiden WF so subtrahiert werden, dass das Elektron in der Mitte zwischen den Protonen eine besonders geringe Wahrscheinlichkeit hat. Davon gibt es nur einen.

  10. #10 AJOM
    12. Januar 2013

    Danke für diesen zweiten Teil. Nochmal eine Frage als Nicht-physiker:
    “Dann ist es für das Elektron energetisch günstiger, sich in der Mitte zwischen den beiden Protonen aufzuhalten als weiter außen, weil sich dort die elektrische Anziehung der beiden Protonen überlagert.”
    Die elektrische Anziehung auf das Elektron, oder? Überlagert sich die nicht überall, nur zwischen den Protonen am meisten? Ich verstehe noch nicht ganz genau, warum der energetisch günstigste Zustand derjenige mit gleichgewichteten |hier> und |da> ist. Wie berechnet sich denn die Energie eines Zustands?

  11. #11 MartinB
    12. Januar 2013

    @AJOM
    Die Anziehung der Protonen überlagert sich natürlich überall, aber weil die Anziehungskraft ja mit 1/r² geht, ist es in der Mitte zwischen den Protonen günstig (und natürlich an den Protonen selbst) Deswegen ist es günstig, die WFs so zu kombiniere, dass ihr Wert zwischen den Protonen größer wird.
    Wirklich ausrechnen kann man die Energien (und die orbitale) mit der Schrödingergleichung.

  12. […] Bislang sind zwei Teile erschienen, hier und hier. […]

  13. #13 Chemiker
    13. Januar 2013

    Elektron im angeregten Zustand. Theoretisch würde es tatsächlich für alle Zeit drin bleiben. Praktisch genügt bereits eine Wechselwirkung mit einer beliebig kleinen Störung, um es rauszutreten – wenn ich es richtig sehe, müsste man sogar zeigen können, dass eine Wechselwirkung mit der Nullpunktsenergie des Photonenfelds ausreichen müsste

    Nochmals nachgefragt (sorry für die Verzögerung, aber nur einmal am Tag Internet): Müßte dann nicht die reale Lebensdauer eines angeregten Zustandes von den Stör­feldern der Umgebung abhängen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß so ein Effekt jemals gemessen wurde.

    Ich denke mir da z.B. ein H-Atom in einem angeregten Zustand, z.B. p. Das fluoresziert, indem es ein UV-Photon abwirft und in den Grund­zustand (s) zurückfällt. Wenn ich das nun mit sichtbarem Licht oder IR kitzle, dann reicht das nicht für stimulierte Emission; aber nach dem, was Du geschrieben hast, würde man einen Einfluß auf den Einsteinschen Emissins­koeffizienten A erwarten. Oder nicht?

  14. #14 physicus
    13. Januar 2013

    @Chemiker

    Der Einsteinsche A Koeffizient lässt sich sogar schon dadurch verändern, dass man nur die ‘Modenstruktur’ des Vakuumfeldes verändert d.h. setzt man ein angeregtes Atom in einen Resonatror mit sehr kleinem Volumen und sehr hoch reflektierenden Spiegeln ändert sich die spontane Emissionsrate. Das ganze ist als Purcell-Effekt bekannt. Heutzutage kann mann sich das in der sogenanten Cavity QED und in der Quanteninformationsarbeitung zu nutze machen. Mitlerweile kann man dies sogar experimentell beobachten indem man ein EInzelnes Atom! In einem extrem kleinen Resonator fängt (wie es hier gemacht wurde: https://www.mpq.mpg.de/qdynamics/publications/library/Kuhn06-phiuz.pdf) dort lassen sich dann solche effekte beobachten beziehungsweiße die erhöte Emission entlang der Resonatorachse wird dazu verwendet um z.B. einzelne Photonen zu erzeugen oder umgekehrt den Quantenzustand eines einzelnen Photons in einem Atom abzuspeichern und ihn später wieder auszulesen. Wie es hier gemacht wurde: https://www.nature.com/nature/journal/v484/n7393/full/nature11023.html

  15. #15 MartinB
    13. Januar 2013

    @physicus
    Cool, das wusste ich noch nicht.

    @Chemiker
    Unter normalbedingungen tritt sowas nie auf, weil immer Störfelder da sind (Vakuumfelder hat man ja immer), deswegen gibt es da auch keine Schwierigkeiten.

  16. #16 Ludger
    13. Januar 2013

    @ Martin
    Deine Aussagen:

    Interessant wird die Sache, wenn wir unsere beiden Protonen einander annähern. Dann ist es für das Elektron energetisch günstiger, sich in der Mitte zwischen den beiden Protonen aufzuhalten als weiter außen, weil sich dort die elektrische Anziehung der beiden Protonen überlagert.

    und

    Nein, der ungünstige Zustand ist nicht der, wo das Elektron “hier” ist, sondern der, wo die beiden WF so subtrahiert werden, dass das Elektron in der Mitte zwischen den Protonen eine besonders geringe Wahrscheinlichkeit hat.

    muss ich erst noch unter einen Hut bekommen. Ich hatte bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeitsamplituden mit dem Einheitskreis andere Winkel versucht als die Winkel -45° bis +45°.

  17. #17 MartinB
    13. Januar 2013

    @Ludger
    Ich verstehe dein Problem nach wie vor nicht. der ungünstige Zustand ist hier-da, so wie auch im Bild zu sehen. Deswegen muss er unter 45° liegen, weil hier und da in gleichen Teilen beitragen.

  18. #18 Ludger
    13. Januar 2013

    12. Januar 2013
    @Ludger
    Nein, der ungünstige Zustand ist nicht der, wo das Elektron “hier” ist, sondern der, wo die beiden WF so subtrahiert werden, dass das Elektron in der Mitte zwischen den Protonen eine besonders geringe Wahrscheinlichkeit hat. Davon gibt es nur einen.

    Ich formulier es mal so, wie früher im Chemieunterricht gelernt (und so wie behalten, was ja nicht dasselbe ist):
    Der energetisch günstigste Zustand ist auf den K-Schalen der beiden Protonen des H2+ Moleküls. In dem Graphen der WF mit der Doppelspitze ist das Niveau des “”Hochtales” zwischen den entsprechend erhöht. Bei dem ungünstigsten Zustand geht die Wellenfunktion an der Stelle durch den 0-Punkt, d.h. die Wahrscheinlichkeit ist dort auch 0. Wahrscheinlich ist mein Problem, dass ich mir das Elektron immer noch als Punkt vorstelle und nicht als Wellenfunktion.

  19. #19 MartinB
    13. Januar 2013

    @Ludger
    Deine Erklärung sieht jedenfalls richtig aus.

  20. #20 Johannes
    13. Januar 2013

    @Martin: nein, noch nicht ganz: Woran sieht man, dass die interessanten Zustände genau von den Eigenwerten kommen? (zu welchen Matrixen eigentlich) Und nun, warum nur Eigenvektoren sinnvolle Ergebnisse/Interpretationen liefern.

    best regards,
    Johannes

  21. #21 MartinB
    13. Januar 2013

    @Johannes
    “Woran sieht man, dass die interessanten Zustände genau von den Eigenwerten kommen? ”
    Du hast eine Wellenfunktion. Bei der Messung wird sie so verändert, dass sie hinterher im zum Messwert passenden Zustand ist. Es sind verschiedene Messwerte möglich, jeder mit einem dazu passenden Zustand (z.B. bei der Energie der Grund und der ungünstige Zustand).
    Da irgendein Messwert ja immer gemessen werden muss, bilden die Zustände zu den Messwerten eine Basis (sonst könnte ich einen Zustand finden, der sich gar nicht messen lässt).
    Also gehört zu jedem Messwert ein Zustand, und das ist mathematisch der Eigenzustand.
    Hilft das? Sonst musst du bitte deine Frage noch mal präzisieren, so ganz sehe ich das Problem nicht.

  22. #22 Johannes
    13. Januar 2013

    Ok, das alle möglichen zustände eine Basis bilden klingt sinnvoll.
    Vieleicht hilft es erst einmal zu klären, von welchem Operator die Eigenvektoren gehöhren.
    Die Zweite unklarheit ist, warum kann ich nicht einen zustand messen (welche ich durch die Basis ausdrücke), der keine Eigenvektor ist?

    bg,
    Johannes

  23. #23 MartinB
    14. Januar 2013

    @Johannes
    Die Eigenvektoren gehören genau zu dem Operator, den du misst. (Operator=Observable)
    Du kannst einen Zustand messen, der kein Eigenvektor ist, dann ist die Messung aber unvollständig. Im ersten Teil gab es das beispiel mit den drei Zuständen, wo wir dann das Teilchen nicht “hier” gemessen haben. Das ist aber keine vollständige Messung (weil wir immer noch nicht genau wissen, an welchem Ort das Teilchen ist).
    Wenn du eine vollständige Messung machst, dann muss der Zustand hinterher dazu passen, sonst wäre es ja widersprüchlich (wenn ich das Teilchen “hier” messe, dann sollte es danach auch “hier” sein).

  24. #24 Johannes
    14. Januar 2013

    @Martin:
    Danke, hilft wieder weiter. Ich bin bis jetzt davon ausgegangen, dass die Observable keine Operatoren sind, sondern nur Operatoren nur etwas, was etwas mit dem Observable macht.
    Auch die untschiedlichen Bedeutungen von Eigenvektoren/normalen Vektoren bzgl. der Messung ist jetzt geklärt.

    Welche mathematische Erklärung steht dahinter, dass zu einer vollständigen Messung immer Eigenvektoren gehören?

    und warum bilden die Zustände zu den Messwerten eine Basis und nicht nur ein Erzeugendensystem?

    bg,
    Johannes

  25. #25 MartinB
    14. Januar 2013

    “Welche mathematische Erklärung steht dahinter, dass zu einer vollständigen Messung immer Eigenvektoren gehören?”
    Verstehe ich nicht so ganz – so werden doch die Observablen (bzw. ihre Operatoren) gerade definiert.
    Also: Zu jedem möglichen Messwert einer Observablen gehört ein Zustand (nämlich der, der zu diesem Messwert passt). Ich definiere den Operator so, dass alle Zustände Eigenzustände zu diesem Messwert sind. Damit sind die Eigenzustände automatisch eine Basis (von Entartungen mal abgesehen).

    Was ist denn der Unterschied zwischen Basis und Erzeugendensystem?

  26. #26 Chemiker
    14. Januar 2013

    @physicus

    Herzlichen Dank. Es lohnt sich eben doch, wenn man nicht nur still mitliest, sondern auch mal Fragen stellt.

  27. #27 Johannes
    14. Januar 2013

    @Martin:
    1. Ok, nach Definition ist doch eine gute mathematische Erklärung.
    Ich vermute, mein Problem ist es, dass mir nicht ganz klar ist, was es bedeutet eine Messwert (d.h. einen Vektor?) auf einen Zustand (d.h. Operator?) anzuwenden.

    2. Eine Basis ist ein minimales Erzeugendensystem.

    bg,
    Johannes

  28. #28 MartinB
    14. Januar 2013

    @Johannes
    Nein, der Mess*wert* ist der Eigenwert, der Zustand ist ein Vektor und der Operator ist die Observable.
    Beispiel: Wenn ich einen Impulseigenzustand habe, dann ist
    Impulsoperator angewandt auf Impulseigenzustand =
    Impulseigenwert mal Impulseigenzustand.

    Minimal muss das sein, weil es sonst keine eidneutige Zerlegung eines Zustands gäbe – dann würde die ganze Wahrscheinlichkeitslogik ja zusammenbrechen, wenn ich einen Zustand auf verschiedene Arten in unterschiedliche Eigenvektoren zerlegen kann. (Kannst du dir leicht an einem Beispiel überlegen).

  29. #29 StefanL
    14. Januar 2013

    @Johannes
    Eigenvektoren zu unterschiedlichen Eigenwerten (linearer) Operatoren sind linear unabhängig. Da der (hier) zugrundegelete Hilbertraum separabel ist läßt sich dies bspw. per Induktion zeigen. Ebenso gewährleistet die Separabilität, dass sich zu Eigenwerten mit Vielfachheit eine Orthonormalbasis des zugehörigen Eigenraumes angeben läßt.
    Minimal ist das Ganze auch in dem Sinne, daß der Bildraum des Operators die direkte Summe der Eigenräume der Eigenwerte ist.
    @MartinB
    Die Eindeutigkeit einer Zerlegung ergibt sich nur wenn für Eigenwerte mit Vielfachheit &gt 1 eine entsprechende Basis des zugehörigen Eigenraumes festgelegt ist. Z.Bsp. in deinem Beispiel “hier” & “da” oder ( Wurzel(2)/2 *) “ungünstig” & “Grundzustand”. Beide Möglichkeiten liefern ja Orthonormalbasen zum Beispiel des Eigenraumes zum Eigenwert 1 der Einheitsmatrix. D.h. u.U. sollte dann eher von Eindeutigkeit der Darstellung bzgl. einer (fest gewählten) Basis gesprochen werden anstelle einer allgemeinen Eindeutigkeit einer Zerlegung ( in Bezug auf Eigenräume: ja; in Bezug auf Eigenvektoren: nicht unbedingt – oder lassen physikalisch sinnvolle Operatoren nur eigenwerte der Vielfachheit 1 zu?).

  30. #30 mar o
    14. Januar 2013

    @Johannes:
    Ein Stolperstein beim Verständnis des mathematischen Formalismus ist, dass die Messung nicht dem Anwenden des Operators auf einen Zustand / eine Funktion entspricht. Ob der Akt der Messung mathematisch beschrieben werden kann, wird erst mal offen gelassen (bzw. oft auch einfach verneint).

    Der Formalismus gibt dir einfach folgendes Rezept:
    1) Zerlege deinen Zustand / deine Wellenfunktion in Eigenzustände / Eigenfunktionen des Operators, der der physikalischen Größe entspricht, die du messen willst.
    2) Die möglichen Messergebnisse sind die Eigenwerte dieses Operators
    3) Die Koeffizienten in der Zerlegung führen dich zur Wahrscheinlichkeit, mit der du den ensprechenden Eigenwert messen wirst.
    4) Nach der Messung ist das System im zugehörigen Eigenzustand

    Wie du siehst, gibt es keinen mathematischen Zusammenhang, der dem Akt der Messung selbst entspricht.

  31. #31 MartinB
    14. Januar 2013

    @StefanL
    Deswegen habe ich ja irgendwi mal geschrieben “von Entartungen abgesehen”

  32. #32 patrick
    16. Januar 2013

    @Martin
    Vielen dank für die Erklärungen. Das ist sehr verständlich und hat mir einiges klargemacht. Ich bin gespannt auf die Polarisierung.

  33. #33 Johannes
    16. Januar 2013

    Danke Leute, hat nun geholfen.

  34. #34 roel
    *****
    21. Januar 2013

    @MartinB habe ein wenig gebraucht, aber habe mich jetzt durch die Zustände durchgearbeitet.

    Wie immer, super gut erklärt. Freue mich auch schon auf die Polarisierung und die Verschränkung.
    ,

  35. #35 Artem
    21. Januar 2013

    Habe ich erst vor Kurzem entdeckt: [QED] https://www.youtube.com/watch?v=eLQ2atfqk2c&list=PL8590A6E18255B3F4
    Für alle die es noch nicht kennen. Lohnt sich zu schauen.

  36. #36 MartinB
    21. Januar 2013

    @Artem
    Wenn ich es richtig sehe, sind das die Vorträge zum QED-Buch von Feynman. Das Buch ist auf jeden Fall empfehlenswert.

  37. #37 Andreas74
    31. Januar 2013

    Hallo Martin,
    erstmal ein riesen Lob für diese Artikelserie. Teil 1 hab ich – glaub ich zumindest – einigermaßen verstanden.
    Hier im 2. Teil hab ich ein paar Verständnisschwierigkeiten, speziell bei der Interpretation der “h-Orbital”-Diagramme.
    Da die Achsen nicht beschriftet sind, habe ich mir zusammengereimt, dass hier Ort (x-Achse) gegen Aufenthaltswahrscheinlichkeit (y-Achse) aufgetragen wird.
    Das schließe ich aus Deiner Anmerkung

    Da, wo die Funktion ihr Maximum hat, sitzt genau das Proton. Das Elektron ist also bevorzugt dicht ans Proton gekuschelt (seine Wahrscheinlichkeit ist dort besonders hoch), aber auch nicht zu dicht.

    Ist das soweit korrekt?
    Falls ja, warum haben dann die Graphen in den Diagrammen h-orbital-2 und h-orbital-3 ihre Maxima bei den Protonen? Wenn der energetisch günstigste Zustand in der Mitte zwischen beiden Protonen liegt, sollte man doch meinen, das der Graph eben dort sein Maximum hat?

    Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für die baldige Genesung von deiner Augen-OP

    Andreas

  38. #38 Niels
    31. Januar 2013

    @Andreas74
    Du musst hier mit dem Begriff Zustand ein bisschen aufpassen. Der energetisch günstigste Zustand ist der Mischzustand, in dem die beiden Zustande “hier” und “da” mit gleicher Amplitude addiert werden.
    Hier sind die Zustände “hier” und “da” unabhängig voneinander in ein Diagramm eingezeichnet. Wenn man die Orte hier und da etwas näher zusammenrücken lässt, ist die Summe dieser beiden Zustande und damit der energetisch günstigste Mischzustand dieser hier.

    Dir geht es um die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons. Diese ist das Quadrat des auf der y-Achse eingezeichneten Wertes. Am Diagramm erkennt man, dass das Elektron immer noch bevorzugt dicht an eins der Protonen gekuschelt ist. Man wird es aber häufiger zwischen den beiden Protonen finden als links von hier oder rechts von da.

  39. #39 Andreas74
    31. Januar 2013

    Hallo Niels,
    erstmal danke für die schnelle Antwort!
    Ich glaub’ jetzt versteh’ ichs:
    -Das Elektron befindet sich bevorzugt die Nähe von Protonen – nicht im Bereich zwischen beiden.
    -Die höhere Aufenthaltswahrscheinlichkeit in der Mitte ist dann der “Mittelwert” zwischen den Zuständen “hier” und “da”, die beide gleichzeit verwirklicht sind.
    Stimmt das so?
    MfG
    Andreas

  40. #40 MartinB
    31. Januar 2013

    @Andreas
    Ja, ich denke das stimmt.

  41. #41 masterego
    saarbrücken
    15. Oktober 2014

    was ich nicht verstehe: wo befindet sich das elektron im ungünstigen zustand gegenüber dem grundz ustand? räumlich meine ich. laut diagramm ist es die selbe stelle: zwischen den beiden protonen. daher mein verständnisproblem. einmal ist dieser ort günstig und dann doch wider nicht.

  42. #42 MartinB
    15. Oktober 2014

    @masterego
    Wenn du die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons plottest, dann siehst du, dass es zwischen den beiden Protonen eine kleine Aufenthaltswahrscheinlichkeit hat, am außenrand eine größere. Ein Bild z.B. hier
    https://universe-review.ca/I12-07-H2wave.jpg
    (Vielleicht hätte ich das Bild der Wahrscheinlichkeiten in den Artikel packen sollen).

  43. […] Beiträge gibt es wahrscheinlich wie Sand am Meer – und viele davon sind auch echt weiterzuempfehlen, aber ich denke mir, dieser grundlegende Begriff, hat auch in diesem Blog einen eigenen Beitrag […]

  44. #44 Haselnusskuchen
    CH
    6. Juli 2016

    Leider verstehe ich den Satz auch beim dritten durchlesen des Artikels nicht:

    “Dank unseres Elektrons sind die Protonen jetzt aneinander gebunden, weil ja die Energie der beiden protonen kleiner ist, wenn sie zusammen sind, als wen sie es nicht sind.”

    Weshalb ist die Energie der Protonen jetzt kleiner? Weil sie durch das Elektron, dass sie “verbindet” reduziert wurde?

  45. #45 MartinB
    6. Juli 2016

    @Haselnusskuchen
    Genau. Das Elektron, das die beiden Protonen verbindet, kann seine Wellenfunktion breiter verteilen und dadurch hat das System eine kleinere Energie. Vielleicht ist es verwirrend, dass ich von der Energie der Protonen gesprochen habe – gemeint ist die Energie des ganzen Systems.

    Ich hoffe, das hilft weiter, sonst bitte nochmal nachhaken.

  46. #46 Franz
    21. Juli 2016

    Kleines Verständnisproblem:
    Du schreibst, dass man nur Amplituden angibt (die dann quadriert werden) um negativen Wahrscheinlichkeiten auszukommen. Allerdings erwähnst du, dass die Koeffizienten (von denen ich annehme sie sind die Amplituden) komplexe Zahlen sind, und bekanntermaßen ist i^2 = -1 – man bekommst also doch wieder negative Wahrscheinlichkeiten.
    Wo liegt mein Fehler? Danke!

  47. #47 Niels
    21. Juli 2016

    @Franz
    Genauer nimmt man das Betragsquadrat. Dieses ergibt für jede komplexe Zahl z=x+i*y den Wert | z |^2 = x^2+y^2, also immer eine positive reelle Zahl (oder Null).

  48. #48 Franz
    22. Juli 2016

    @Niels Danke!

  49. #49 Tobias
    Würzburg
    23. November 2017

    Das war sehr verständlich erklärt, aber mir ist eine Sache nicht klar. Wenn ich in dem Beispiel die Energie des Grundzustands messe, dann befindet sich das Teilchen auch im Grundzustand. Beim Wasserstoffatom gibt es aber zu verschiedenen Zuständen gleiche Energien. Angenommen ich messe die Energie zu n=3, in welchem Zustand befindet sich das Elektron nach der Messung?

  50. #50 MartinB
    23. November 2017

    @Tobias
    Das ist nicht eindeutig festgelegt und hängt von den Details des Messprozesses und dem Zustand vorher ab.
    Aus einer Messung kann man nur auf den Zustand schließen, der zu dieser Messun gpasst; wenn es da mehrere gibt, hat man keine Information gewonnen, welcher es ist.

  51. #51 Tobias
    23. November 2017

    Aber es ist (natürlich) sicher, dass der Zustand zu n=3 gehört? Kann ich dann Wahrscheinlichkeiten angeben, ob es zum Beispiel n=3, l=2, m=-1 ist?

  52. #52 MartinB
    23. November 2017

    @Tobias
    Ja, es ist sicher, dass es n=3 ist, wenn due E_3 gemessen hast.
    Über die anderen Quantenzahlen kannst du pauschal nichts aussagen. Wenn du aber z.B. von n=2, l=1 kommst und ein Photon absorbierst, dann landest du höchstwahrscheinlich in l=2 oder l=0, weil das Photon Spin 1 hat. Aber das ist wie gesagt prozessabhängig, da gibt es keine allgemeine Regel, mit der du etwas mit Sicherheit sagen kannst.
    Vielleicht ist auch das hier interessant, das sagt dir, wie du die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Endzustände berechnen kannst:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Fermis_Goldene_Regel

  53. #53 Tobias
    23. November 2017

    Alles klar. Vielen Dank!!