Die Placentalia gruppiert man heute in eine Handvoll größerer Gruppen, zu denen die einzelnen Ordnungen der Säugetiere gehören, die ihr vielleicht mal in der Schule oder im Tierlexikon gesehen habt: Die Zahnarmen Xenarthra (wie Gürtel- und Faultiere) stehen ein bisschen außerhalb als relativ kleine Gruppe. Dann haben wir die Afrotheria (wie der Name schon sagt, im wesentlichen in Afrika beheimatet), zu denen die Elefanten, Klippschiefer, Erdferkel und Seekühe zählen. Die Primaten gehören mit den Spitzhörnchen und den Riesengleitern in eine Gruppe (Euarchonta). Die sind wiederum mit den Nagetieren und den Hasen und Kaninchen enger verwandt als mit anderen Säugetieren und bilden so die Gruppe der Euarchontoglires.
Dann gibt es die große Gruppe der Laurasiatheria. Dazu gehören die Lipotyphla (das ist im wesentlichen das, was man früher “Insektenfresser” nannte, aber die Insektenfresser bilden keine evolutionäre Gruppe und wurden entsprechend aufgeteilt), also Tiere wie Igel, Maulwürfe und Spitzmäuse. Dann haben wir die Schuppentiere (Pholidota), die Carnivora (Raubtiere und Robben) und Fledermäuse, und dann als etwas weiter entfernte Gruppe die Huftiere (Unpaar- und Paarhufer), wobei zu den Paarhufern auch die Wale gehören, die ja eng mit den Nilpferden verwandt sind.
Puh, schon eine ziemlich lange Liste. Die genauen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen diesen Gruppen lassen sich aus dem Bild auch ablesen – sie entsprechen in groben Zügen dem, was man auch in früheren Studien gefunden hat; nicht alles ist aber unumstritten. (Dazu gab es einige Diskussionen auf der von mir viel zitierten “dinosaur mailing list”.)
Verfolgt man nun alle diese Gruppen zurück, so findet man ihren ersten gemeinsamen Vorfahren beim Buchstaben “E” im linken oberen Drittel. Dort also sollte der letzte gemeinsame Vorfahr aller heutigen Placentalia sitzen. Ein Fossil haben wir natürlich nicht von diesem Tier – wie man ja überhaupt nie davon ausgehen darf, dass man das Fossil eines Tieres hat, das exakt an einem solchen Verzweigungspunkt in einem Kladogramm sitzt, das wäre schon ein sehr großer Glücksfall.
Ihr seht, dass dieser Vorfahr kurz nach dem Ende der Kreidezeit gelebt haben sollte – das entspricht also einem extremen Fall des explosionsartigen Modell A oben im Bild, und wirft natürlich die Frage auf, wie sich die Placentalia in so kurzer Zeit über die ganze Erde ausbreiteten, und sicherlich auch die, warum keine anderen Säugetiergruppen sich (abgesehen von den Beuteltieren in Südamerika und Australien) gegen sie durchsetzen konnten. (Leider muss ich zugeben, dass mir weder aus dem paper noch aus anderen Artikeln genau klar wurde, wie die Zeit für diesen Punkt genau festgelegt wurde – warum kann der gemeinsame Vorfahr nicht schon in der Kreidezeit gelebt haben, so dass sich bereits dort die ersten Untergruppen der Placentalia bildeten?)
Nimmt man alle anatomischen Merkmale zusammen, die man in der Datenmatrix gefunden hat, dann kann man Rückschlüsse darauf ziehen, wie dieser hypothetische Vorfahr der Säugetiere ausgesehen haben müsste. Etwa so nämlich:
Aus O’Leary et al., s.u.
Dieser Vorfahr wurde detailliert rekonstruiert – etwas, das unter Paläontologinnen eigentlich heutzutage eher unüblich ist. Aus den Ergebnissen lassen sich aber ziemlich viele Rückschlüsse auf die Anatomie dieses Vorfahren ziehen, so dass eine Rekonstruktion gerechtfertigt erscheint. Relativ ungenau ist das Gewicht des Vorfahren zu erschließen (zwischen 6 und 245 Gramm – das ist wohl ein Fall von übertriebener Zahlengenauigkeit). Er dürfte sich von Insekten ernährt haben, einzelne Junge zur Welt gebracht haben, die anfangs nackt waren, und gut ans Klettern angepasst gewesen sein. Auch über seine Anatomie kann man viele Rückschlüsse ziehen, beispielsweise auf die Zahl und Form der Zähne und diverser Knochen.
Das älteste bekannte Fossil eines Mitglieds der Placentalia kann man in der Grafik oben auch finden – ziemlich weit unten. Es ist Protungulatum donnae – ein Säugetier, das oben in der Entwicklungslinie steht, die zu den Huftieren führt. Leider hat die Erwähnung von Protungulatum an vielen Stellen dazu geführt, dass dieses Tier als Urvorfahr aller Placentalia benannt wurde – wie ihr sehen könnt, ist das aber nicht der Fall.
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