WissenschaftlerInnen sind ja bekanntlich immer objektiv, vorurteilsfrei und lassen sich in ihrer Professionalität niemals von persönlichen Gefühlen oder Abneigungen beeinflussen. Das sieht man ja schon an der Wissenschaftssprache, wie man sie beispielsweise in wissenschaftlichen Veröffentlichungen finden kann.
Klar. Wenn ihr das geglaubt habt, dann wartet ihr vermutlich auch darauf, dass am Sonntag ein langohriges Säugetier Eier im Schnee in eurem Garten versteckt. Nein, auch in der Wissenschaft gibt es natürlich Animositäten und kleine Auseinandersetzungen oder Spitzen. Ein ziemlich drastisches Beispiel dafür habe ich gestern gefunden.
Es handelt sich um den Artikel “Anti-Photon” von W.E. Lamb Jr. Lamb ist als Entdecker des berühmten Lamb-Shifts bekannt geworden, einer kleinen Energiedifferenz in zwei Energieniveaus des Wasserstoffatoms. Seine Messung dieser Differenz war eines der zentralen experimentellen Ergebnisse, auf denen die Quantenfeldtheorie begründet wurde. Dafür bekam Lamb auch 1955 den Nobelpreis. Außerdem hat Lamb beinahe den Mößbauer-Effekt entdeckt – seine Forschung schrammte haarscharf am entscheidenden Ergebnis vorbei. Lamb ist also ein ziemlich wichtiger und bekannter Physiker.
1992 hat Lamb einen Vortrag mit dem Titel “Anti-Photon” gehalten, in dem er sich dafür ausspricht, den Begriff des Photons nicht mehr zu verwenden, weil er mehr Verwirrung stiftet als dass er nützt (auf Anhieb fallen mir 4 mögliche Interpretationen ein (das aber nur für die Physik-Nerds…): eine Anregung einer bestimmten Mode des Photonfeldes oder jede Überlagerung solcher Moden mit Teilchenzahl 1 oder eine solche Überlagerung, wenn sie als eng begrenztes Wellenpaket dargestellt werden kann oder die Energiemenge, die bei einem Absorptionsprozess aus dem elektromagnetischen Feld aufgenommen wird…). Wenn ihr mehr über den Artikel wissen wollt, könnt ihr das übrigens bei den Scilogs nachlesen.
Mir geht es hier nur um die Gemeinheit am Schluss – auch zwischendrin ist der Artikel nicht so ganz nett; die Darstellung des Chemikers G.N. Lewis, der den Begriff “Photon” geprägt hat (allerdings für ein etwas anderes theoretisches Konstrukt, das sich nicht bewährt hat), kommt auch nicht so sehr gut weg; Lamb nimmt sich die Zeit, um genüsslich einige der wissenschaftlichen Fehler von Lewis aufzuzählen (am Ende immerhin abgeschwächt mit der Bemerkung, dass Lewis kurz vor seinem Tod mit”very nice and pioneering work” beschäftigt war).
Aber das ist nichts verglichen mit dem, was Lamb am Ende seines Artikels über den guten alten Niels Bohr schreibt (in einem Abschnitt mit dem Titel “Winding down” (zu Deutsch etwas “herunterfahren” (heute setze ich mal wieder sehr viele Klammern…))):
One might rather think of a multiplicity of two distinct wave concepts and a particle concept for each normal m o d e of the radiation field. However, such concepts are really not useful or appropriate. The ” Complementarity Principle” and the notion of wave-particle duality were introduced by N. Bohr in 1927. They reflect the fact that he mostly dealt with theoretical and philosophical concepts, and left the detailed work to postdoctoral assistants. It is very likely that Bohr never, by himself, made a significant quantum-mechanical calculation after the formulation of quantum mechanics in 1925-1926.
[Man könnte eher an eine Multiplizität von zwei unterschiedlichen Wellenkonzepten und einem Teilchenkonzept für jede Normalmode des Strahlungsfeldes denken. Solche Konzepte sind allerdings weder nützlich noch angemessen. Das “Komplementaritätsprinzip” und das Konzept des Welle-Teilchen-Dualismus wurden von Bohr im Jahr 1927 eingeführt. Sie spiegeln die Tatsache wider, dass er sich vor allem mit theoretischen und philosophischen Konzepten beschäftigte und die Detailarbeit seinen Post-Doktoranden überließ. Es ist sehr wahrscheinlich dass Bohr nach der Begründung der Quantenmechanik 1925-1926 niemals selbst irgendeine signifikante quantenmechanische Rechnung durchgeführt hat.
Das ist schon ziemlich heftig, oder? Ich weiß nicht, ob es eine persönliche Animosität zwischen Lamb und Bohr gab oder ob die Differenzen sich nur darauf bezogen, dass Lamb der ergebnisorienteirte Experimentator war und Bohr der philosophieorientierte Theoretiker. So oder so aber ist das mit Abstand der böseste Kommentar, den ich bisher in einer wissenschaftlichen Arbeit gelesen habe (und es wundert mich schon, dass so etwas den review-Prozess überstanden hat – oder liegt es daran, dass die Zeitschrift “Applied Physics” ist?).
Aber vielleicht habt Ihr ja noch andere hübsche Beispiele für kleine oder große Gemeinheiten in wissenschaftlichen Veröffentlichungen (irgendwo hat das ja auch Tradition – Goethe hat über Newton in seiner Farbenlehre auch nicht so sehr nett geschrieben, wenn ich mich recht entsinne). Wenn ja, könnt ihr sie gern in den Kommentaren hinterlassen (also die Zitate, keine eigenen Gemeinheiten bitte, hier ist ja normalerweise der Teletubbie-Schmuse-Blog).
W. E. Lamb Jr. “Anti-Photon”, Appl. Phys. B 60, 77-84 (1995)
Kommentare (11)